Eva von Angern (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Dr. Pähle, wenn es nur die ältere Generation wäre, über die wir hier reden, würde ich so eine Aktuelle Debatte trotzdem beantragen, weil mir die ältere Generation das wert ist. Aber es sind eben auch die Jungen, die nach 1990 in Ostdeutschland geboren sind. Ich gehe davon aus, Sie kennen die Initiative „Wir sind der Osten“, möchte nur Johanna Maria Knothe, eine Journalistin zitieren:
„Bei allem Schmerz, den die hemmungslose Verscherbelung, die mangelhafte Aufarbeitung und fehlende Anerkennung auslöst, ist es auch Magie.“
Ich kann auf meine eigene Biografie schauend sagen, ich bin durchaus dankbar. Ich gehöre zu den glücklichen Gewinnerinnen der Friedlichen Revolution. Ich sage Ihnen auch, ich würde hier auch eine Rede voller Dankbarkeit halten, wenn es dazu führt, dass die Lohn- und Rentenlücke zwischen Ost- und Westdeutschland geschlossen wird. - Das tut sie aber nicht, und das wissen wir alle.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich war kürzlich bei einer Lesung von Katja Hoyer, nicht mal so sehr, weil mich das Buch interessiert hat. Ich will dazu auch keine Bewertung abgeben, weil ich finde, das steht mir nicht zu. Ich fand nur die Reaktion des Publikums auf diese Lesung spannend. Ich habe gemerkt, es gibt innerhalb der Bevölkerung eine enorme Sehnsucht nach einem gewissen Selbstbewusstsein, nicht die Dankbarkeit - danke, danke, danke für all das, was hier passiert , sondern Selbstbewusstsein hinsichtlich der Dinge, die Frau Lüddemann - und dafür herzlichen Dank - benannt hat, die innerhalb der DDR errungen, geleistet und erbracht worden sind, und das 33 Jahre nach der Wiedervereinigung. Ich sage Ihnen, das hat mich überrascht. Damit habe auch ich nicht gerechnet, wie groß diese Sehnsucht der Menschen danach ist.
Natürlich Allgemeinplätze; wir suchen nicht das Teilende, sondern das Verbindende. Wir müssen zufrieden in die Vergangenheit schauen. Om - das tut uns allen gut. - Das hilft nur den Menschen nicht. Das sind Allgemeinplätze nach dem Motto: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Das ist eine Verweigerung der Realität, die uns nicht hilft. Das eine sind diese Allgemeinplätze, das andere sind nun mal die nackten Zahlen und Fakten, und denen dürfen wir uns doch nicht verschließen. Die sind da, und ich finde, da müssen wir hinschauen, und da haben wir auch eine gemeinsame Verantwortung, und mit „gemeinsam“ meine ich in dem Fall wirklich gemeinsam.
Herr Willingmann hat darauf hingewiesen. Ich habe als Vorsitzende des Landesfrauenrates einige Erfahrungen tatsächlich im negativen Sinn mit Frauen machen dürfen, die sich als Kronzeuginnen gegen die Frauenquote dargestellt haben; wenn sie haben es doch auch geschafft. Ich sage Ihnen, das war am schädlichsten. Ich finde, gerade wir als Ostdeutsche müssen bei dem Thema zusammenhalten. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass der Härtefallfonds ein echter Härtefallfonds ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir müssen für eine echte Renten- und Lohnreform einsetzen. Das ist wahrscheinlich der deutliche Unterschied. Lassen Sie mich auf jeden Fall am Ende noch einmal sagen: Nein, meinem Kollege und Landesvorsitzenden Hendrik Lange ist die Wirtschaft kein Dorn im Auge.
(Zuruf von der AfD: Klar!)
Aber was uns ganz krass unterscheidet: Bei uns steht der Mensch vor dem Kapital, und das wird auch so bleiben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Es gibt eine Zwischenintervention von Frau Tarricone. - Frau Tarricone, bitte.
Kathrin Tarricone (FDP):
Danke schön, Frau Präsidentin. - Sie haben jetzt etwas ganz Wesentliches gesagt, Frau von Angern, nämlich das Selbstbewusstsein, das Menschen haben sollten. Das gönne ich auch jedem. Aber die Debatte heute hat gezeigt, dass die verschiedenen Sichtweisen, die Politiker transportieren, laut in die Welt pusten, genau dazu führen können - bin ich allen Koalitionären äußerst dankbar für ihre Redebeiträge - das Positive, das Verbindende, das, was nach vorn gegangen ist zu sehen.
Ich war eine derjenigen, die in Leipzig auf die Straße gegangen sind, und zwar im Angesicht der Tatsache, nicht zu wissen, ob ich am Abend nach Hause komme. Ich war dabei, ich weiß, warum ich das gemacht habe. Es geht mir darum, das Verbindende zu sehen, das, was geschafft ist. Aber manche weisen immer wieder darauf hin, dass dieses noch nicht ist und jenes noch nicht ist und dass sich eigentlich alle schlecht fühlen müssen. Wir haben die Verantwortung dafür, dass jeder einzelne auf seine eigene Geschichte stolz sein kann. Das wünschte ich mir von jedem einzelnen.
(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der SPD und bei der Landesregierung)
Eva von Angern (DIE LINKE):
Frau Tarricone, da haben wir einfach politisch einen anderen Ansatz. Ich finde, die Dinge nur schönzureden, führt nicht zu einer Lösung.
(Zurufe von der CDU und von der FDP)
Ich finde sehr wohl, es müssen Punkte benannt werden. Sabine Rennefanz hat kürzlich rund um den 3. Oktober gesagt: Es sind wieder Ossi-Wochen; es wird wieder über den Ossi geschrieben. Es wird wieder - welche Überraschung - festgestellt, dass in Ostdeutschland weniger Ostdeutsche als Westdeutsche in Führungspositionen sind.
(Unruhe)
Ich sage es Ihnen ganz deutlich, da schließe ich mich den Worten von Gregor Gysi im Bundestag an: Wenn irgendwann im Landtag von Bayern die gleiche Situation auf der Regierungsbank besteht wie in Sachsen-Anhalt, dann haben wir die tatsächliche Gleichberechtigung zwischen Ost- und Westdeutschland erreicht. - Ich wüsste allerdings nicht, dass überhaupt irgendein Mitglied der Landesregierung in Bayern eine ostdeutsche Biografie hat.
(Beifall bei der LINKEN)