Dr. Katja Pähle (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Hohes Haus! Am Anfang ein Zitat aus einem Gesetz:
„Schulsozialarbeit ergänzt den schulischen Alltag. Sie öffnet Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern neue Zugänge zu Unterstützungsangeboten und erweitert ihre präventiven, integrativen und kurativen Heilungsmöglichkeiten. Die Schulen arbeiten im Rahmen der Schulsozialarbeit mit anerkannten Einrichtungen der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe zum Schutz des Kindeswohls zusammen.“
Das ist übrigens nicht aus dem SGB VIII, das ist aus unserem Schulgesetz,
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Huch!)
unser Schulgesetz in § 1 Abs. 4b. Warum wurde das im Jahr 2018 in das Schulgesetz aufgenommen? - Durch die Erfahrungen mit Schulsozialarbeit haben Schulen erkannt, dass Schulsozialarbeit tatsächlich ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit ist.
Wer im Land unterwegs ist - meine Fraktion und ich sind es sehr viel , der wird von Eltern, von Schulleitungen und auch von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern auf das Thema angesprochen. Dann hört man auch, dass es tatsächlich einmal vorkommt, dass eine Schulsozialarbeiterin an der Grundschule während des Unterrichts die Betreuung einer Schulklasse übernimmt.
(Ministerin Eva Feußner: Das darf nicht sein!)
- Das darf nicht sein, ist aber die Realität.
(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Hendrik Lange, DIE LINKE: Ja! - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Oder man hört, dass überlastete Grundschullehrerinnen dankbar sind, wenn die Schulsozialarbeiterin schon einmal damit anfängt, das Gespräch über die Entwicklung des Kindes mit den Eltern zu führen.
(Ministerin Eva Feußner: Das darf sein!)
An anderen Stellen, werte Ministerin, hat sich die Koalition gerade darauf verständigt, Modellprojekte auf den Weg zu bringen, um eine Einrichtung, die bisher auch nicht zur Schule gehört, enger an die Grundschulen heranzuführen im Sinne der Kinder - Qualität, Betreuung, bessere Arbeit , nämlich die Horte. Nur die Schulsozialarbeit, die wir schon haben, macht eben das eine und ist für Schule deshalb irrelevant.
(Ministerin Eva Feußner: Nein, das ist ein Missverständnis!)
Ich glaube, an der Stelle hätten wir uns die ganzen Diskussionen über den Hort sparen können. Das sage ich ganz deutlich.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Die Situation, in der wir uns gerade befinden: Über ESF Plus finanziert sind 400 Stellen für Sozialarbeiterrinnen und Schulsozialarbeiter, nach eingereichten Konzepten verteilt, durch eine Jury verteilt, die übrigens aufgrund der Vergaberichtlinien der EU deutlich macht, dass die Prioritätenlisten der Kommunen auf ihre Entscheidungen keinen Einfluss haben dürfen.
(Ministerin Eva Feußner: Das stimmt nicht!)
- Das ist ein Schriftstück aus Ihrem Ministerium, und zwar war es in der Nachbereitung einer Sitzung des Bildungsausschusses.
(Ministerin Eva Feußner: Das stimmt nicht!)
Das kann man nachlesen in der Vorlage 22 des Bildungsausschusses zu Drs. 8/461.
(Ministerin Eva Feußner: Es stimmt aber nicht!)
Das schreibt Ihr Ministerium auf: dass die Jury unabhängig von politischer Einflussnahme die Verteilung der Schulsozialarbeiterstellen im Land vornimmt. Alles andere würde übrigens dazu führen, dass die EU uns sagt, wir müssen die Gelder zurückzahlen. Deswegen ist es auch aufgeschrieben worden.
(Angela Gorr, CDU: Aber das ist ja nur eine Empfehlung!)
- Die Prioritätenliste ist eine Empfehlung, Frau Gorr, aber die Jury entscheidet aufgrund der eingegangenen Anträge.
Jetzt zu sagen, es wäre alles eine kommunale Aufgabe, bedeutet, dann geben wir den Kommunen doch die Möglichkeit, die Stellen so zu verteilen, wie sie es wollen. Dann kommen wir aber mit den EU-Mitteln nicht hin.
Wir haben diesen Weg gemeinsam beschritten, weil wir in den vergangenen Jahren, alle zusammen, wie wir auch regiert haben, nicht die Möglichkeit gesehen haben, Schulsozialarbeit über Landesmittel zu finanzieren. Das ist so. Es gehört zur Ehrlichkeit. Aber an dieser Stelle sage ich: entweder so oder so.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Sie müssen sich einmal entscheiden!)
Ich möchte noch einen Punkt hinzufügen. Wir haben 400 Stellen im Land und sagen, die EU gibt uns vor, sie bezahlt nur noch 60 %, die anderen 40 % müssen kofinanziert werden. Früher waren es nämlich 80 %. Das war für das Land einfacher. Jetzt sind es 20 % mehr. In anderen Bereichen werden diese Kofinanzierungsmittel in Höhe von 40 % vom jeweiligen Ministerium getragen. Im Bildungsbereich ist die Entscheidung getroffen worden, wir geben diese 20 % an die Kommunen weiter. In der Richtlinie des Ministeriums für die Gewährung der Zuwendung steht eindeutig, dass die personellen Anteile der Kommunen für eigene Schulsozialarbeiterstellen voll anrechnungsfähig sind zur Erbringung der 20 %. Meine Frage ist: Warum passiert das eigentlich nicht? Warum werden in all den Landkreisen, die schon eigene Schulsozialarbeiterstellen finanzieren, diese Mittel nicht als Eigenanteil angerechnet?
Die Breite der Landkreise, die schon eigene Stellen finanzieren, ist groß. Der Umfang ist sehr unterschiedlich. Halle und Magdeburg machen das umfänglich, der Burgenlandkreis macht das. In manchen Landkreisen ist es eher wenig. Aber selbst im Landkreis Mansfeld-Südharz, von dem man wirklich nicht sagen kann, er schwimmt im Geld,
(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Ja!)
ist Schulsozialarbeit als wichtiger Bestandteil von Schule zum Funktionieren des kleinen Mikrokosmos Schule angekommen. Er finanziert eigene Stellen. Wir sind aber nicht bereit dazu, das als Eigenanteil zu akzeptieren, sondern sagen, nein, diese ESF-Stellen müsst ihr zu 20 % mitfinanzieren. Was wird das Ergebnis sein? - Die kommunal finanzierten Stellen werden deutlich weniger werden.
(Hendrik Lange, DIE LINKE: So sieht‘s aus!)
Was wird der nächste Effekt sein? - Wenn Landkreise die angebotenen Schulsozialarbeiterstellen, finanziert über EU-Mittel, nicht kofinanzieren können, dann werden diese Stellen möglicherweise anderen Landkreisen angeboten werden. Aber dann müssen sie ja auch kofinanziert werden. Können wir dann überhaupt die 400 Stellen, EU-finanziert, im Land verteilen? Reicht dann die kommunale Mitfinanzierung überhaupt aus, um diese 400 Stellen zu binden? - Ich bezweifle das. Ich bezweifle das ganz deutlich, unabhängig von der eigentlich weitaus wichtigeren Frage, ob unser Ansatz tatsächlich sein kann, Schulsozialarbeit nach der Finanzkraft der Kommunen zu verteilen und nicht nach dem Bedarf von Schülerinnen und Schülern und Schulen.
(Beifall bei der SPD)
Genau um diesen Bedarf geht es. Es geht um das Funktionieren von Schule.
Wir haben im Bildungsbereich gemeinsam große Anstrengungen unternommen, um Schule zum Funktionieren zu bringen, und zwar durch nicht pädagogisches Personal: Digitalmentoren, Schulverwaltungsassistenten, auch pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. All das - wir kämpfen immer dafür, dass diese Stellen aufwachsen - geben wir in Schule, um Lehrkräfte von anderen Aufgaben zu entlasten, damit wir sie tatsächlich im Unterricht vor der Klasse haben. All das tun wir, nur eben nicht bei Schulsozialarbeit. Ich, ganz ehrlich, kann diese Trennung nicht nachvollziehen. Ich finde sie falsch, und ich finde, sie geht am System von heutiger Schule vorbei, ganz deutlich.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Ich möchte nicht erleben, dass wir am Ende von langfristigen Diskussionen weniger Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter an den Schulen haben, Schule dadurch schlechter wird und dann Eltern zu uns kommen und fragen: Warum habt ihr dieses und jenes nicht anders geregelt? Wir haben die Möglichkeit dazu. Das sollten wir jetzt auch im Rahmen der Haushaltsverhandlungen tun. Es gibt Möglichkeiten, etwas zu verändern, auch jenseits einer Vollfinanzierung durch das Land. Wenigstens das sollten wir gemeinsam auf den Weg bringen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN und von Henriette Quade, DIE LINKE)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Frau Dr. Pähle, es gibt zwei Fragen, eine von der Abg. Feußner.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Sehr flexibel! - Zuruf von der CDU: Nur kein Neid!)
Eva Feußner (CDU):
Liebe Frau Pähle, ich habe zwei Fragen. Die erste Frage: Können Sie mir definieren, was die Aufgabe von Schulsozialarbeit ist? Ich will Ihnen vielleicht noch einen kleinen Hinweis geben. Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter sind angestellt bei den freien Trägern der örtlichen Jugendhilfe, bei Trägern, die sozusagen autark ihre Arbeit leisten und in der Jugendhilfe mit Schule zusammenarbeiten.
So wie Sie es in Ihrem Redebeitrag beschrieben haben, bedeutete es, tatsächlich ganz umzuswitchen. Dann sagen Sie bitte, dass Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter künftig Bestandteil des Schulpersonals sind.
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Nein!)
Dann weisen wir VZÄ in unserem Einzelplan aus. Dann stellen wir Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter als Teil der Schule ein. Dann ist es aber nicht mehr originär Schulsozialarbeit. Das muss Ihnen dann auch klar sein. Es ist doch ganz bewusst getrennt. Also, ich bitte Sie darum, definieren Sie noch einmal aus Ihrer Sicht die Aufgabe der Schulsozialarbeiterinnen und arbeiter.
Die zweite Frage: Sie sprachen davon, dass wir eine Verantwortung haben, auch gegenüber unseren Landkreisen. Wieso gibt es dann Landkreise, die finanziell auch nicht besonders gut ausgestattet sind, aber genau die Prioritäten sehen, die entsprechenden Beschlüsse fassen und die Kofinanzierungsmittel erbringen? Ich glaube, man muss es der kommunalen Selbstverwaltung überlassen, wie sie ihre Prioritäten setzt. Manche setzen sie so und erbringen die 20 %, und manche sind eben nicht gewillt, das zu erbringen. Das ist genau unser Problem. Aber, bitte schön, meine Frage ist: W wie sehen Sie das?
Dr. Katja Pähle (SPD):
Werte Kollegin Abg. Feußner,
(Lachen und Zustimmung bei der SPD)
ich fange mit Ihrer ersten Frage an: Wie definiere ich Schulsozialarbeit und was tut sie? Ich muss es jetzt gar nicht weiter definieren, sondern lese einfach vor, was auf der Homepage des Bildungsministeriums steht:
„Schulsozialarbeit erfolgt in enger Kooperation von Schule und Jugendhilfe und ist ein Unterstützungs- und Bildungsangebot“
- Bildungsangebot! -
„für alle Kinder und Jugendlichen, ihre Eltern und Lehrkräfte. Förderschwerpunkt sind sozialpädagogische Projekte der bedarfsorientierten Schulsozialarbeit an Schulen aller Schulformen.“
- Es geht noch weiter. - Mit anderen Worten, das Ministerium hat erkannt, dass die Unterscheidung in der Trägerschaft zwischen Schule und freier Träger gar kein Problem ist. Das ist es tatsächlich nicht, weil nämlich die Menschen vor Ort miteinander sprechen.
(Eva Feußner, CDU: Davon habe ich gerade gesprochen!)
Genau an dieser Stelle bietet die Schulsozialarbeit Unterstützungsprogramme und auch Unterstützungsprojekte, wenn Lehrkräften in ihren Klassen oder mit Schülerinnen und Schülern Probleme auffallen
(Eva Feußner, CDU: Das ist deren Aufgabe! Das ist Jugendhilfe!)
und sie Unterstützung brauchen. Das ist Arbeit von Jugendhilfe, aber mit Schule, am Einsatzort Schule. Deshalb kann ich die Schulsozialarbeit nicht mit einem Jugendklub und mit Streetwork in einen Topf werfen.
(Eva Feußner, CDU: Mache ich doch gar nicht!)
Es ist eine besondere Aufgabe am Ort Schule.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb läuft die alleinige Verweisung auf das SGB VIII, so wie ich es vorhin gehört habe, fehl. Sie läuft fehl!
(Eva Feußner, CDU: Was hat denn der Bund dazu beschlossen?)
Es hat sehr viel mit Schule zu tun. Wir haben in unserem Landesgesetz klargemacht, in unserem Schulgesetz, wie wir auch unter den Rahmenbedingungen einer Bundesgesetzgebung damit umgehen wollen. Diese Freiheit der Rechtsetzung haben wir. Wir müssen sie nur leben
(Eva Feußner, CDU: Nehmen?)
- leben -
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke.
Dr. Katja Pähle (SPD):
als Bestandteile von Schule.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Wenn Sie jetzt fertig sind, dann würde ich die zweite Frage zulassen.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Ja.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Frau Gorr, bitte.
Angela Gorr (CDU):
Sehr geehrte Frau Dr. Pähle, sicherlich dürfte Ihnen bekannt sein, dass ich zu jenen gehöre, die sich immer für die große Bedeutung der Schulsozialarbeit starkgemacht haben. Ich war auch am Prozess der Verankerung der Schulsozialarbeit im Schulgesetz beteiligt. Wir haben klipp und klar diese Verankerung vorgenommen, weil die Schulsozialarbeit für uns damalige Abgeordnete ein Teil der multiprofessionellen Teams an Schule sein sollte.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Ja.
Angela Gorr (CDU):
Ja? - Genau. Das war schon einmal ein Ja als Antwort. Vielen Dank dafür.
Der zweite Aspekt, den ich hier vortragen will. In den Diskussionen war genauso klipp und klar, dass es bei den schwierigen Verhältnissen, aus denen Kinder manchmal kommen - das ist uns allen leider allzu bekannt , wichtig ist, dass an der Schule in Kooperationen - wie es Frau Ministerin Feußner gesagt hat - eine Instanz zu finden ist, die nicht zu den Lehrerinnen und Lehrern gehört, die die Zensuren vergeben. Denn ein Kind - bspw. ein junges Mädchen, das schwanger ist - kann sich dann an einen Schulsozialarbeiter oder eine Schulsozialarbeiterin wenden und hat dort einen behüteten Raum, nicht nur in der Kommunikation, sondern auch in der Räumlichkeit. Dadurch hat es einen gewissen Schutz in Bezug auf die Probleme.
Die Probleme, die die Kinder haben - ich denke, eine Schwangerschaft in der Jugend ist dabei noch eines der etwas leichteren Probleme; das meine ich nicht ironisch - können unter Umständen auch die Lehrerschaft im Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern beeinflussen.
Deswegen - ich muss auf die Uhr schauen, Entschuldigung - ist für mich ein existenzieller Punkt, dass die Schulsozialarbeit nicht Teil des Lehrkörpers und damit in Verantwortung des Bildungsministeriums ist.
(Eva Feußner, CDU: Genau!)
Dr. Katja Pähle (SPD):
Frau Gorr, ich gebe Ihnen in all diesen Punkten recht. Das habe ich auch nicht gefordert.
(Eva Feußner, CDU: Aber?)
Ich habe nur gesagt, dass wir die bestehenden ESF-Stellen der Schulsozialarbeit finanzieren müssen, damit wir hinterher nicht weniger haben als aktuell.
Der Verweis auf knappe kommunale Kassen, noch dazu, wenn die Landkreise in ihrer Eigenständigkeit gar nicht mitreden dürfen
(Eva Feußner, CDU: Doch!)
- Werte Abg. Feußner, ich gebe Ihnen gern die Niederschrift bzw. die Antwort aus Ihrem Ministerium, was die Prioritätenlisten der Landkreise und deren Einfluss auf die Juryentscheidung betrifft.
(Eva Feußner, CDU: In der Jury sitzen die Kommunen!)
Dann zeigen Sie mir den Satz, in dem steht: Das hat Einfluss. Darin steht deutlich: keinerlei politische Einflussnahme auf die Juryentscheidung. Keinerlei politische Einflussnahme!
Mein Punkt, Frau Gorr, ist: Die unterschiedlichen Träger bedeuten doch nicht, dass das Bildungsministerium sich nicht verantwortlich fühlen muss. Es geht doch darum zu sagen: Wir brauchen die Stellen; sie helfen, an Schulen für Bildungserfolg zu sorgen; sie sind eine Entlastung für unsere Lehrkräfte. Also ist es gut, wenn wir die Kofinanzierung bereitstellen. Das war mein Argument. - Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD - Zuruf von Angela Gorr, CDU)