Tagesordnungspunkt 5

a)    Beratung

Pädagogische Fachkräfte für die Kindertagesbetreuung ausbilden, gewinnen und halten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2806

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/2840

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2846


b)    Zweite Beratung

Daseinsvorsorge für die Jüngsten stärken: Qualität der Kindertagesbetreuung weiter ausbauen und Fachkräfte der Kindertagesbetreuung entlasten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1569

Beschlussempfehlung Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - Drs. 8/2800

(Erste Beratung in der 25. Sitzung des Landtages am 07.09.2022)


Die Einbringung zu a) erfolgt durch Frau Nicole Anger. Bitte.


Nicole Anger (DIE LINKE): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Immer wieder bekommen wir in diesem Bundesland versichert, dass Kinder die Zukunft des Landes seien. Ja, sind sie. Aber sie sind auch das Jetzt, und als solches sind sie jetzt in ihrem Aufwachsen mit allen Möglichkeiten und Anstrengungen zu fördern. Dazu braucht es in der frühkindlichen Bildung Fachkräfte, welche wiederum seitens des Landes Unterstützung in jeder Form erhalten müssen, damit sie hochmotiviert jeden Tag das Beste für unsere Kinder geben können. Und dazu braucht es Rahmenbedingungen, die das Engagement der Fachkräfte zulassen und unterstützen. 

Meine Damen und Herren! Und, ja, wir verfügen mit breiten Öffnungszeiten, hohen Betreuungsquoten und in guter räumlicher Erreichbarkeit vorhandenen Angeboten der Kindertagesbetreuung bereits über eine gute Struktur der Kindertagesbetreuung. Das ist gewachsen, und das ist auch gut und richtig und wichtig so. Aber diese hohen Betreuungsquoten werden nur auf dem Rücken von zu wenigen Fachkräften erfüllt. Ver.di kommt in einer gemeinsamen Studie mit der Hochschule Fulda auf im Schnitt drei vakante Vollzeitstellen je Einrichtung. 

Dass dies zutrifft, meine Damen und Herren, zeigen die Antworten auf eine meiner Kleinen Anfragen zur Fachkräftesituation im Land. Beispielhaft hat die Stadt Magdeburg geantwortet, dass in zwölf Einrichtungen insgesamt 33 vakante Vollzeitstellen vorzufinden sind. Zu meinem Bedauern wurde diese Kleine Anfrage nur sehr auszughaft beantwortet. Manche Landkreise haben gar keine Rückmeldung gegeben. Aber die vorliegenden Zahlen zeigen ein Bild auf, das ein Wegducken nicht länger duldet. Ich hätte mir von der Landesregierung gewünscht, dass es eine Nachreichung der fehlenden Zahlen gegeben hätte. Ja, die hätte ich auch anfragen können, aber die Verbesserung unserer Kenntnislage sollte in unserer aller Interesse sein. Konkrete Zahlen und Fakten helfen uns, die Ursachen und Herausforderungen des Fachkräftemangels zu erkennen. 

Aber es gibt uns: Als Opposition gucken wir nicht nur genau hin, wir hören auch genau zu, wenn Fachkräfte und Gewerkschaften auf uns zukommen und uns aus der Praxis berichten. So hat Ver.di zuletzt zum Internationalen Tag der Sozialen Arbeit aufgezeigt - ich zitiere  : „Es brennt lichterloh!“ 

Das grundsätzliche Problem ist lange bekannt, doch die vorgelegten Zahlen sind in ihrem Ausmaß erschreckend: Fast zwei Drittel der Beschäftigten fühlen sich permanent an der Grenze der eigenen Belastbarkeit. Mehr als drei Viertel gehen davon aus, dass sie in ihren Berufen nicht das Rentenalter erreichen werden. Ursache hierfür sind insbesondere schlechte Arbeitsbedingungen und die Erwartung, dass diese sich weiter verschlechtern werden. Drei Viertel der Beschäftigten in Sachsen-Anhalt klagen darüber, dass die Komplexität an Problemlagen seit der Coronakrise deutlich zugenommen hat.

Der Fachkräftemangel in der Kindertagesbetreuung ist Realität - und das ist auch kein Wunder, wenn man sich die Arbeitsbedingungen vor Augen führt. Die meisten pädagogischen Fachkräfte brennen für ihren Beruf, sie merken aber oft: Auf Dauer ist das nicht zu schaffen. Als Ursache werden von den Fachkräften die immer höheren Anforderungen aufgrund veränderter Bedarfe genannt und auch eine zunehmende Arbeitsverdichtung, die dazu führt, dass in derselben Zeit mehr geleistet werden muss. Die Folge: Die Beschäftigten verlassen ihre Berufe, und Corona hat diese Situation weiter verschärft. So kann es nicht weitergehen! 

Meine Damen und Herren! Wir müssen dem entsprechenden Bedarf der Fachkräfte mit Einstellungen nachkommen und vor allen Dingen, wenn wir Fachkräfte gewinnen, diese auch halten. Wer in die unterschiedlichen Studien schaut, der stellt fest, dass die pädagogischen Fachkräfte meist nach fünf bis zehn Jahren die Kita wieder verlassen, wenn sie dort überhaupt erst einmal angekommen sind; denn es ist absolut unklar, wo unsere Fachschüler*innen 

(Zuruf von der AfD)

nach erfolgreichem Abschluss verbleiben. Wir lassen im Jahr etwa 1 100 Fachschüler*innen erfolgreich in die Praxis gehen. In der Kita kommen sie aber nach meinem Kenntnisstand nicht an bzw. gerade einmal ein Sechstel von Ihnen. Wo sind die denn alle hin? 

Hört man in die Praxis hinein, fällt immer wieder das Wort „Praxisschock”. Viele Fachschüler*innen stellen sich die Arbeit in der Kindertagesbetreuung anders vor. Dabei sind sie nicht als naiv oder weltfremd zu beschreiben, sondern die Arbeitsbedingungen sind unzureichend. Zu viele Kinder sind von einer Fachkraft allein zu betreuen, zu wenig bis gar keine Zeit für Vor- und Nachbereitungszeiten, fehlende Zeit für Elterngespräche. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen und Sie alle kennen das eigentlich.

(Beifall bei der LINKEN) 

Deshalb müssen wir herausfinden, was Fachschüler*innen zum Jobeinstieg motiviert, und dies lässt sich am besten herausfinden, wenn man sie fragt, wenn sie sich noch in der Fachschule befinden. Deshalb wollen wir mit unserem Antrag als einen Punkt eine Befragung der Absolvent*innen umsetzen:

(Zurufe von der AfD)

Welche Rahmenbedingungen finden sie in der Praxis vor? Was unterscheidet die Theorie von der Praxis? Wie wirkt das Praxisfeld? Welche Veränderungen wünschen sie sich, und last, but not least: Können sie sich ein Berufsleben in der Kindertagesbetreuung vorstellen? 

Meine Damen und Herren! Sachsen hat das z. B. gemacht und hat über einen Zeitraum von etwas mehr als anderthalb Jahren eine solche Befragung der Absolvent*innen durchgeführt. Dort liegen wertvolle Erkenntnisse vor. Diese Ergebnisse sind klar: In den Einrichtungen haben sich die Anforderungen an die Fachkräfte in den letzten fünf Jahren insbesondere zugespitzt; Ergebnisse, die ich so auch Sachsen-Anhalt zuschreiben würde. Aber das können wir herausfinden. Das Kompetenzzentrum Frühe Bildung hat im Mai eine ähnliche Erhebung wie die aus Sachsen gemacht und kommt zu ähnlichen Ergebnissen und klaren Forderungen. Lassen Sie uns gemeinsam dem Verbleib der Fachschüler*innen nachgehen und hier endlich Licht ins Dunkel bringen.

Meine Damen und Herren! Auch die Bundesagentur für Arbeit spricht davon, dass die Zahl der freien gemeldeten Stellen in den Einrichtungen überdurchschnittlich zugenommen hat. Zumeist werden Personen mit einem Abschluss als Erzieher*in gesucht. Hier fällt die Zahl der gemeldeten Stellen höher aus als die der Arbeitslosen. Der Beruf der Erzieher*in gilt als Engpassberuf. Gleichzeitig ist die Zahl der Teilzeitbeschäftigten gestiegen. Auch das spricht eine eigene Sprache. Sachsen-Anhalt hat mit 79 % die dritthöchste Teilzeitquote im Bereich der Kindertagesbetreuung bundesweit. 

Hinzu kommen Erhebungen der Krankenkassen, die feststellen, dass Erzieher*innen die Berufsgruppe mit dem höchsten Krankenstand sind. Im Schnitt 33 Tage sind die Fachkräfte je Jahr krank. Aus meiner Kleinen Anfrage zu den Fachkräften geht hervor, dass das deutlich höhere Zahlen sind, dass sich der durchschnittliche Krankenstand z. B. im Burgenlandkreis von 2017 zu 2021 verdoppelt hat. Im Jahr 2017 gab es dort 20 % Ausfalltage, im Jahr 2021 das Doppelte. Die Fachkräfte arbeiten schon lange nicht mehr am Limit, sie sind schon längst darüber hinaus. Das muss bei uns Fragen aufwerfen und in der Konsequenz zu konkreten Handlungen führen.

Stattdessen, meine Damen und Herren, gibt das Landesjugendamt eine Handlungsempfehlung heraus mit dem vielsagenden Titel: „Zum Umgang mit personellen Engpässen in der Kindertagesbetreuung, Horten und Kindertagespflege“. 

Ja, die Absicherung der Öffnungszeiten wird zunehmend zu einem Problem der Einrichtungen und Träger. Folglich müssen die Betreuungszeiten eingeschränkt werden, obwohl Eltern vertraglich einen anderen Bedarf geltend gemacht haben. Die Familien werden dabei nicht unterstützt, wenn die Schließzeiten familiär ausgeglichen werden müssen. Wie das läuft, konnten wir in den letzten Jahren der Pandemie gut beobachten. Es gab einen Rückfall in tradierte Rollenmuster, die Mütter waren und sind überwiegend diejenigen, die dann zu Hause bleiben und die Kinderbetreuung übernehmen - frauen- und gleichstellungspolitisch ein Bärendienst, der hier subtil mit geleistet wird. Ich hoffe sehr, dass sich die Gleichstellungsbeauftragte des Landes einmal dieser Thematik annehmen wird. 

Und, meine Damen und Herren, der Fachkräftemangel nennt sich laut Handlungsempfehlung jetzt personeller Engpass. Für diesen Engpass bekommen Einrichtungen hilfreiche Empfehlungen zu lesen wie unter anderem: ehrenamtliche Aushilfen akquirieren, hilfsbereite Eltern heranziehen. Einzige Bedingung ist, dass diese verantwortungsbewusst und von ihrer Persönlichkeit her geeignet sind, die Aufgabe zu übernehmen. 

Ich habe mir in der Tat die ernsthafte und auch zynische Frage gestellt, ohne das Engagement all der Ehrenamtlichen im Land infrage zu stellen: Wird es demnächst eine gleichlautende Handlungsempfehlung für die fehlenden Hausärzt*innen oder fehlenden Zahnärzt*innen in diesem Land geben? 

Meine Damen und Herren! Kitas sind Orte der frühkindlichen Bildung. Kinder haben das Recht darauf, Freund*innen zu treffen, zu spielen, mit anderen Kindern zu agieren, sie haben ein Recht auf Förderung und Bildung. Kita ist Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben. Die Kita einzuschränken, ist eine Verhinderung der Teilhabe der Jüngsten. Die Fachkräfte sorgen dafür, dass sie im Land gleichwertige Lebensverhältnisse vorfinden - eine Aufgabe, die durch uns im Land viel klarer angegangen werden muss. Dennoch unterscheiden sich die Lebensverhältnisse der Kinder, je nachdem, wo sie in Sachsen-Anhalt aufwachsen. 

Deswegen müssen wir unseren Jüngsten ausreichend Fachkräfte an die Seite stellen und dafür Sorge tragen, dass diese Fachkräfte motiviert sind, unbelastet und sorgenfrei ihren Job machen können. 

Die Ausbildungsbedingungen müssen für alle gleich sein. Dazu gehört für meine Fraktion und für mich zuvorderst, das Angebot der praxisintegrierten Ausbildung für alle Fachschüler*innen umzusetzen. 

(Zuruf)

Es ist ein Armutszeugnis, dass wir den Menschen, die sich um das Wertvollste, das wir haben, unsere Kinder, kümmern wollen, die Ausbildung nicht finanzieren. Einen sozialen Job anzunehmen darf nicht länger heißen, dass man altruistisch ohne Ausbildungsvergütung startet. Die soziale Grundhaltung der Fachschüler*innen darf nicht länger ausgenutzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch der Quereinstieg sowie die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen müssen auf einen besseren und schnelleren Weg gebracht werden. Zugangshürden müssen abgebaut, Verfahren beschleunigt werden. Noch immer gibt es zu viele Fehlstellen, die den Interessierten auf die Füße fallen. Aber es muss doch möglich sein, diese bereits bestehenden Angebote des Landes besser auszugestalten und offensiver im Sinne der Fachkräftegewinnung umzusetzen.

Und: Lassen Sie uns mit den Hochschulen ins Gespräch kommen! Diese würden gern ein duales Studium anbieten, ein sogenanntes weiterbildendes Studium, z. B. Kindheitspädagogik, optimal geeignet. Das ist eben eine gute Option der Fachkräftegewinnung und  bindung.

Meine Damen und Herren! Sollte es heute entgegen meiner Erwartung und zu meiner großen Verwunderung nicht zum Beschluss unseres Antrages kommen, haben wir wohlwollend gesehen, dass der Alternativantrag der Koalition einige Punkte unseres Antrages aufnimmt. Das ist zu begrüßen. 

Aber wir möchten gern zwei Punkte ergänzen, die uns - und hoffentlich Ihnen ebenso - in der Tat sehr wichtig sind. Dann können wir dem gern in Gänze zustimmen. Wir stehen auch für eine konstruktive Zusammenarbeit im Sinne der Fachkräfte und der Kinder bei dem Thema gern zur Verfügung. Denn die Kindertagesbetreuung braucht eine qualitative Erweiterung. Dafür braucht es ausreichend Fachkräfte. 

Qualitativ hochwertige Rahmenbedingungen sind der beste Weg zur Personalgewinnung und  sicherung. Es muss alles getan werden, um den Jüngsten den bestmöglichen Start zu gewährleisten. Die ersten Jahre der Kinder legen den Grundstein für vieles in ihrem weiteren Leben. In einem Land, in dem jedes fünfte Kind armutsgefährdet ist, ist es unsere Pflicht, alles dafür zu tun, dass wir ihnen das Bestmögliche zum Aufwachsen bieten. Deswegen, meine Damen und Herren, sind Investitionen in die frühkindliche Bildung kein Luxus, sondern Daseinsvorsorge. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Es gibt eine Intervention von Herrn Lizureck. - Bitte.


Frank Otto Lizureck (AfD): 

Schönen Dank. - Für mich haben Sie wieder einmal bewiesen, dass Sie nicht in der Lage sind, Zusammenhänge zu erkennen. Sie haben davon gesprochen, dass die Betreuer hoffnungslos überlastet sind. Ich kann Ihnen dazu sagen, dass der Verband der Lehrer mehrmals festgestellt hat, dass wegen der uferlosen Migration das Bildungssystem total überlastet ist, die Lehrer total überfordert sind. Das ist eine Politik, die Sie mit zu vertreten haben. - Danke.

(Beifall bei der AfD)