Tagesordnungspunkt 3

Aktuelle Debatte

Alarmstufe Rot! Krankenhäuser in Not! - Gesundheitsversorgung im Land Sachsen-Anhalt planen und absichern

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2817


Für die Antragstellerin, die Fraktion DIE LINKE, wird die Abg. Frau Anger einführen. - Frau Anger, bitte, das Rednerpult ist das Ihre.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen fand ein bundesweiter Protesttag der Krankenhäuser statt: „Alarmstufe Rot“, so das Motto, wenige Tage zuvor der Protesttag der Apotheken, und heute Vormittag vor dem Landtag haben die Zahnärzt*innen demonstriert.

Unsere Fachkräfte des Gesundheitssystems gehen auf die Straße, weil sie keinen anderen Weg mehr sehen, um auf sich und auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Augenscheinlich fühlen sie sich sowohl von der Landesregierung als auch von der Bundesregierung weder ernst genommen noch eingebunden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herrn! Wir müssen uns ernsthaft der Frage und der Aufgabe stellen. Wie krank ist unser Gesundheitssystem? Wie ausgebrannt sind die Menschen, die in ihm arbeiten? Hilft der Zuspruch nach dem Motto: „Das wird schon wieder!“, wie beim Pflasterkleben bei einem aufgeschlagenen Knie, oder braucht es endlich eine klare Haltung von Land und Bund, weil es eben doch die große und komplexe OP sein wird?

Meine Damen und Herren! Verkündungen haben wir in den letzten Wochen und Monaten viele gehört, Verkündungen einer Krankenhausreform des Bundes, Verkündungen eines Gutachtens des Landes, aber was nicht folgt, sind Handlungen, Handlungen zur Absicherung der Gesundheitsversorgung der Menschen im Land.

In der Debatte über die Krankenhausreform wird über Zentralisierung, Schließung und die Hoheit der Bundesländer gestritten, aber all das geht am tatsächlichen Problem vorbei. Das Profitstreben von Konzernen, der Effizienzgedanke bei medizinischen Behandlungen und die Konkurrenz, welche vor allem Kliniken in öffentlicher Hand über Jahre sehenden Auges geschwächt hat, haben das Gesundheitssystem nachhaltig beschädigt und das dringend benötigte Personal abgeschreckt. Hieran muss eine echte Reform ansetzen, eine Reform, die das komplette Ende der Fallpauschalen, Gewinnverbote aus Beiträgen der Versicherten und deutliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zum Ziel hat, oder sie wird scheitern wie die anderen Reformen zuvor.

Es darf nicht länger sein, dass Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften müssen und deshalb gezwungen sind, an Personal und Versorgungsqualität zu sparen.

Wer dem Bundesgesundheitsminister zuhört, der weiß, dass diese dringende, umfassende Reform nicht vorgesehen ist. Es wird sich also um das berühmte Pflaster handeln. Das wird vor allen Dingen zulasten der kommunalen Häuser gehen und die Menschen gerade in den ländlichen Regionen weiter von der Gesundheitsversorgung abhängen. Es wird ein Kahlschlag statt einer Reform werden.

Gerade am letzten Wochenende teilte Karl Lauterbach mit, dass er von einer Schließung von 20 % der Krankenhäuser ausgeht. 20 %, meine Damen und Herren, das wären neun von 45 Krankenhäusern in Sachsen-Anhalt. Ich sage Ihnen, es werden sogar doppelt so viele sein. Die Situation für die Menschen im Land wird noch schlechter werden. Diese Reform wird ein gesundheitspolitisches Desaster werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Beim Blick in das nun im Land vorliegende Gutachten - aber das hätte man dafür eigentlich gar nicht gebraucht - lässt sich feststellen, dass wir bereits nördlich von Magdeburg eine deutlich schlechtere und schlechte Gesundheitsversorgung haben. Was passiert denn dort, wenn auch das letzte Krankenhaus dort schließt? Es sind gerade die Einrichtungen im ländlichen Raum, dort, wo wenige Menschen leben, die sich nicht refinanzieren können. Genau deswegen müssen die Stationen schließen. Auch der Sicherstellungszuschlag ist nur da, weil die DRG der falsche Ansatz sind.

Die Grundversorgung ist schon jetzt nicht mehr abgesichert. Ich verstehe die Sorgen und Ängste der Menschen nur zu gut, wenn sie nicht wissen, wie ihre Gesundheitsversorgung in den kommenden Jahren aussehen wird. Diese Menschen werden von Ihnen komplett im Unklaren gelassen.

Meine Damen und Herren! Was wir brauchen und was vor allen Dingen die Menschen brauchen, das ist Sicherheit in puncto Gesundheitsversorgung. Sie, werte Landesregierung, müssen sich endlich positionieren. Wir alle wissen, dass wir eine große Reform des Gesundheitswesens brauchen, aber eine echte Reform, die sich von den Profiten abwendet und einer wirklichen Daseinsvorsorge zuwendet. Es darf in der Zwischenzeit in den ländlichen Regionen zu keiner weiteren Schließung von Stationen oder ganzen Einrichtungen kommen.

Machen Sie sich bitte im Bund dafür stark, dass Krankenhäuser endlich auskömmlich finanziert werden. Statt Fallpauschalen müssen die tatsächlichen Kosten erstattet werden, auch die für die Vorhaltung der Gesundheitsversorgung.

Meine Damen und Herren! Nicht nur der Bund ist gefordert, auch hier im Land darf nicht weiter die Untätigkeit in der Gesundheitspolitik regieren. Zum einen kommt das Land seit mehr als 20 Jahren seiner Verpflichtung von Investitionen in die Krankenhäuser nicht in angemessenem Umfang nach. Das wurde auch im vorliegenden Gutachten moniert. Sachsen-Anhalt verzeichnet im bundesweiten Vergleich einen der höchsten Investitionsstaus in den Kliniken. Veraltete Technik, unsanierte Einrichtungen, das ist unattraktiv für die Menschen, die dort arbeiten. Ein desolates Gesundheitssystem wird kaum dazu führen, dass sich mehr Menschen in Sachsen-Anhalt niederlassen wollen. Im Gegenteil: Das ist fatal für die medizinische Versorgung der Menschen. Auch das ist keine neue Erkenntnis.

Hinzu kommt, dass wir in Sachsen-Anhalt einen der geringsten Landesbasisfallwerte haben. Das ist auch eine Erkenntnis aus dem Gutachten, aber das hätten Sie auch schon vorher, ohne dieses Gutachten, wissen müssen.

Die Kosten unserer Krankenhäuser sind identisch zu denen in den anderen Bundesländern, aber die Finanzierung unterscheidet sich erheblich. Das Sozialministerium könnte daran etwas ändern, aber dazu müsste es sich mit den Krankenkassen auseinandersetzen. Das ist scheinbar nicht gewollt. Mit den Kassen legt man sich eben nicht an. Das wirkt sich negativ auf die Finanzierung der Häuser aus. Das Signal: Sollen sie doch zusehen, wie sie mit den Kassen verhandeln. Man lässt die Krankenhäuser auch damit allein.

Das alles, unzureichende Finanzierung, fehlende Investitionsmittel und ein Sozialministerium, das sich nicht einsetzt, macht die Situation vor allen Dingen für die kommunalen Häuser und damit auch für die Kommunen schwer. Stationen schließen, Mediziner*innen wandern ab, Pflegekräfte suchen sich andere Jobs. Die Landesregierung trägt die Verantwortung für den Personalmangel und für die Schließungen von Stationen und Krankenhäusern.

Meine Damen und Herren! Wenn man sich das Gutachten anschaut, dann stelle ich fest, dass es in einigen Punkten das stützt, was meine Fraktion schon seit Jahren kritisiert. Das beginnt bei den bereits erwähnten viel zu geringen Investitionskosten des Landes und endet bei der gesundheitspolitischen Kommission. Sie erinnern sich sicherlich alle an unseren Antrag vor Kurzem hier im Hohen Haus dazu. Wir haben Ihnen eine gesellschaftliche Beteiligung zur Planung der Gesundheitsversorgung vorgeschlagen. Sie haben diese abgelehnt. Nun sagt das Gutachten aber genau das aus: In die Planung soll ein großes Spektrum an Akteur*innen und Einwohner*innen einbezogen werden. Ich bin gespannt darauf, ob und wie das nun von Ihnen umgesetzt werden wird.

Es muss endlich das isolierte Betrachten der Krankenhäuser beendet werden. Auch das hören Sie von uns nicht zum ersten Mal. Die Gesundheitsversorgung braucht eine umfassende Bedarfsplanung. Dabei müssen auch Rettungsdienst und notärztliche Versorgung, Pflege, fachärztliche und hausärztliche Versorgung, Apotheken, Hebammen, psychosoziale Angebote, Therapie und Beratung eingebunden sein.

Bis dato bestand die Krankenhausplanung aus einem Papiertiger, der immer wieder den Iststand der Kliniken verzeichnete und deren Sterben dokumentierte. Eine Planung, ein Prozess, eine Bedarfserhebung - Fehlanzeige. Das können Sie jetzt besser machen, werte Mitglieder der Landesregierung, und damit endlich das jahrelange Missmanagement beenden. Aber lassen Sie sich sagen, auch die Zentralisierung von komplexen und spezialisierten Leistungen erfordert Planung ebenso wie die Gesundheitsversorgung vor Ort.

Allerdings will ich nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass es so einen Prozess nicht zum Null-Euro-Tarif geben wird. Veränderungen kosten Geld. Der Finanzminister hat in der Presse schon verkünden lassen, dass er darauf warte, dass ihm die Sozialministerin sagen werde, wie viel Geld sie in welche Standorte investieren wolle. Wir werden sicherlich alle gleich sehr gespannt zuhören bei dem, was nun kommen wird.

Meine Fraktion und ich erwarten, dass Sie sich sowohl als Landesregierung als auch als Koalition - die CDU-Fraktion wollte, soweit ich weiß, diese Aktuelle Debatte heute auch führen - noch in diesem Jahr, und gern auch schon heute, dazu äußern, was Ihre Pläne für die Krankenhäuser und die gesamte Gesundheitsversorgung im Land sind.

(Ulrich Siegmund, AfD: Es gibt keine!)

Dazu gehört auch die klare Benennung von Punkten, was Sie unter „wohnortnah“ verstehen, wie Sie eine gute Erreichbarkeit der Gesundheitsversorgung mit dem ÖPNV gewährleisten wollen, wie die Digitalisierung angepackt werden wird und vor allen Dingen, wen Sie in die Planung und Umsetzung einbinden möchten.

Liebe Kolleginnen der Koalition! Es geht um eines, und zwar darum, wie Sie die konkrete Verantwortung für die Gesundheitsversorgung im Land Sachsen-Anhalt übernehmen und wie sie diese in einem Flächenland im Interesse der Menschen, die hier leben, absichern werden. Ich gehe davon aus, dass wir das gleich hören werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Anger. Es gibt eine Kurzintervention von Frau Kleemann. - Frau Kleemann, bitte.


Juliane Kleemann (SPD):

Danke, Frau Präsidentin.

(Dr. Katja Pähle, SPD: Mikro! - Marco Tullner, CDU: Mikro!)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Anger, ich gebe zu, es ist in Teilen schwer erträglich, Ihnen zuzuhören,

(Ulrich Siegmund, AfD: Jawohl!)

weil diese Generalkritik an „Hier passiert gar nichts“ - das wissen Sie, glaube ich, auch  

(Tobias Rausch, AfD: Demokratiefeindlich!)

schlicht nicht den Tatsachen entspricht und die Unterstellung, dass Reformen verschlafen bzw. dilettantisch angegangen werden - ich glaube auch, dass Sie das wissen  , nicht stimmt, weil der Umbau und die Veränderung im Gesundheitssystem viele Akteure betreffen.

Ich will an der Stelle einfach nur sagen, dass es der Aufgabe absolut nicht dienlich ist, dass Sie - ich sage es jetzt einmal - so populistisch reinschlagen

(Zustimmung bei der SPD, von Jörg Bernstein, FDP, und von Konstantin Pott, FDP)

an einer Stelle, an der wir solidarisch miteinander umgehen und uns unterhaken müssen. Es sind viele Gespräche zu führen, damit der Umbau auch funktioniert.

Das, was Sie hier geredet haben, wird der Aufgabe, glaube ich, nicht gerecht. Ich finde einfach, dass das auch einmal kommentiert gehört und dass wir hier eine andere Form brauchen, um diese Aufgabe zu lösen, als Sie es hier vortragen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Anger, bitte.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Wissen Sie, Frau Kleemann, unerträglich finde ich, dass ich seit zwei Jahren immer wieder erleben muss, wie Themen geschoben werden, wie Themen in den Fachausschüssen von der Tagesordnung genommen werden, wie sich nicht mit Inhalten auseinandergesetzt wird und wie Dinge über noch ein Gutachten und noch eine Studie verzögert werden, ohne dass es klare und eindeutige Prozesse in diesem Land gibt, die den Menschen und deren Gesundheitsversorgung zugutekommen. Ich würde mir wünschen, dass Sie endlich das, was Sie gerade moniert haben, auch tun, und zwar handeln.

(Beifall bei der LINKEN)