Tagesordnungspunkt 26

Beratung

Wahlalter senken!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2684


Einbringerin für die Fraktion ist Frau Anger. - Sie haben das Wort.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Wissen Sie noch, was am 26. April 1998 war?

(Marco Tullner, CDU: Landtagswahl!)

- Richtig, Landtagswahl. Sehr gut, Herr Tullner. - Ich erinnere mich aber genauso gut; denn ich war das erste Mal wahlberechtigt. Vier Monate vor meinem 22. Geburtstag durfte ich den Landtag mitwählen. So, wie es mir damals ging, geht es noch immer vielen jungen Menschen. Sie haben bereits die Ausbildung abgeschlossen, gehen einem Job nach oder sind vielleicht gerade mit dem Bachelorstudium fertig, aber politisch mitentscheiden dürfen sie nicht - noch lange nicht.

Ja, meine Damen und Herren, Wahlalter hat eine Stichtagsregelung. Aber über das Wahlalter selbst entscheiden wir. Deswegen beantrage ich heute namens meiner Fraktion, dass wir im Land Sachsen-Anhalt das Wahlalter für Kommunal- und Landtagswahlen auf 14 Jahre senken.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

Aus der Sicht meiner Fraktion gibt es keinen Grund, noch länger damit zu warten.

Wahlen sind ein zentrales Element der Willensbildung. Sie ermöglichen es den Wahlberechtigten, sich direkt an Politik und deren Ausrichtung zu beteiligen. Aber wir schließen einen großen Teil der jungen Bevölkerung davon aus - um genau zu sein: etwa 70 000 Jugendliche im Alter von 14 Jahren bis unter 18 Jahren. Das wollen wir ändern.

Meine Damen und Herren! Jugendliche engagieren sich in Verbänden und in Vereinen. Sie wirken in Schulvertretungen mit. Sie lassen sich in kommunale Jugendgremien wählen und sind dort aktiv. In den Jugendverbänden des Landes übernehmen sie Funktionen im Vorstand, engagieren sich als Jugendgruppenleiter*innen, tragen Verantwortung für sich und für andere. Junge Menschen sind vielfältig politisch engagiert. So ist bspw. ihr Engagement gegen den Klimawandel uns allen gut bekannt, genauso wie die Sozialproteste der jungen Menschen, wie bspw. „Genug ist genug“.

(Unruhe)

Dies zeigt eines, meine Damen und Herren: Es geht immer um ihre eigene Zukunft, um ihre Perspektive, aber eben nicht nur; denn es sind gesamtgesellschaftliche Themen, für die sich die jungen Menschen einsetzen, für die sie kämpfen. Sie tun es für uns alle. Junge Menschen zeigen uns tagtäglich: Sie wollen und, vor allem, Sie können ihre Zukunft mitgestalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen es selbst in die Hand nehmen. In all ihren Engagements erfahren sie, wie wertvoll die eigene Stimme ist, wie Aushandlungsprozesse funktionieren und was Entscheidungen bewirken. Jugendliche wollen mitbestimmen und sie wollen mitentscheiden. Dazu gehören auch politische Entscheidungen und Wahlen. Diese dürfen wir ihnen nicht länger verwehren.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Fragt man junge Menschen selbst, was sie vom Absenken des Wahlalters halten, sprechen sie oft von einer großen Bedeutung, von einer wichtigen Verantwortung, die eigene und auch die Zukunft der anderen mitzugestalten. Ihnen ist es wichtig, politische Entscheidungen, die sie betreffen, mit zu treffen. Schließlich sind es Kinder und Jugendliche, die am längsten von unseren politischen Entscheidungen im Land und in der Kommune, aber auch im Bund und in der EU, betroffen sind. Sie tragen als Erwachsene die Konsequenzen von Wahlentscheidungen, die sie gar nicht beeinflussen konnten, an denen sie nicht teilhaben durften.

Meine Damen und Herren! Gerade die letzten drei Jahre sollten uns doch allen deutlich gemacht haben, dass es die jungen Menschen sind, die zu wenig gehört werden. Sie selbst fühlen sich auch nicht gehört. Sie wünschen sich mehr Mitbestimmung. Die Rechte der Kinder und Jugendlichen sind immer noch zu wenig krisenfest verankert. Die Senkung des Wahlalters wäre ein wichtiges und richtiges Signal, welches zeigt, dass ihre Bedürfnisse und vor allem auch ihre Themen und Lebenslagen ernst genommen und berücksichtigt werden; denn wenn Jugendliche ab 14 Jahre ihre Stimme bei Wahlen abgeben dürfen, werden sie auch für die Politik endlich eine ernst zu nehmende Zielgruppe.

(Zuruf von der AfD: Ha!)

Jugendpolitik würde damit stärker in den politischen Fokus gerückt werden. Vielleicht trägt es auch dazu bei, dass wir endlich Schulsozialarbeit als Landesprogramm kontinuierlich verankert bekommen,

(Beifall bei der LINKEN)

dass wir den Unterrichtsausfall in Schulen endlich entschlossen angehen, dass es ein Landesprogramm gegen Kinderarmut gibt, dass Jugendgremien Stimmrechte in Kommunalparlamenten haben, dass es ein kostenfreies ÖPNV-Ticket für selbstbestimmte Mobilität junger Menschen gibt und noch vieles mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das Wahlrecht wurde einst hart erkämpft. Seitdem hat es immer wieder Veränderungen durchlaufen. Das Wahlalter war dabei aber nie ein starres Alter. Hierbei gab es in den letzten Jahrzehnten einiges an Veränderungen - auch die Loslösung von der Volljährigkeit war dabei und liegt bei Kommunalwahlen mit 16 Jahren bereits darunter. Außerdem sind junge Menschen politisch informiert. Auch der Zugang zu diesen Informationen ist besser und breiter geworden. Wir alle kennen das. Wir sollten uns davor hüten, höhere Anforderungen bezüglich Wahlen an jüngere Menschen als an ältere Zielgruppen zu stellen.

Meine Damen und Herren! Wir müssen ehrlich feststellen: Wir haben eine gesellschaftliche Ungerechtigkeit. Der Anteil älterer Wählerinnen ist in den letzten Jahrzehnten ebenfalls gestiegen. Wir werden immer älter; das ist gut so. Aber es gibt nicht gleichermaßen mehr Jugendliche. Damit entscheiden die Älteren der Gesellschaft über die Jüngeren. Für sie sind andere Belange wichtiger als für junge Menschen. Es wird ohne junge Menschen über junge Menschen bestimmt. Hierfür gilt es, einen Ausgleich zu schaffen;

(Beifall bei der LINKEN)

denn dieser würde dazu führen, dass sich die Interessen und die Belange junger Menschen viel mehr in der Politik abbilden. Es kann mit der Absenkung des Wahlalters etwas mehr Generationengerechtigkeit wiederhergestellt werden.

Meine Damen und Herren! Wir sollten jungen Menschen mehr zutrauen. Ihnen aufgrund des Alters per se politisches Desinteresse zu unterstellen, ist absolut fatal. Das sollte eine Jede in den letzten Jahren mitbekommen haben. Sie wissen genauso gut wie alle anderen Altersgruppen, wie parlamentarische Demokratie funktioniert. Je eher wir sie an die Wahlurne lassen, desto mehr Chancen gibt es,

(Beifall bei der LINKEN -Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Unruhe)

ihr Interesse für die Demokratie und für Wahlen zu erhalten. Gleichzeitig stärkt es die aktive Auseinandersetzung mit Demokratie und mit Prozessen der politischen Willensbildung.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Anger, warten Sie einmal ganz kurz. - Ich weiß, es ist für viele in der letzten Phase dieser Landtagssitzung nicht ganz so einfach, sich zu konzentrieren. Ich würde aber trotzdem darum bitten. Gerade weil das für viele offensichtlich so schwierig ist, sich zu konzentrieren, ist ein erhöhter Geräuschpegel etwas ganz besonders Schlechtes. Deswegen bitte ich, die Gespräche einzustellen. Wenn diese dringend nötig sind, dann gehen Sie bitte nach draußen. - Jetzt können Sie weitermachen.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Danke, Herr Präsident. - Auch der Umgang     Jetzt habe ich meinen Faden verloren - Entschuldigung. Gleichzeitig stärkt es die aktive Auseinandersetzung mit der Demokratie und mit den Prozessen der politischen Willensbildung und auch den Umgang mit den demokratischen Entscheidungen. Junge Menschen haben einen Anspruch auf demokratische Teilhabe; denn Entscheidungen, die die Zukunft der Jugend betreffen, brauchen auch deren Mitbestimmung.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wahlen sind Wahlen. Es gibt keine höherwertigen oder minderwertigen Wahlen. Daher wollen wir ein einheitliches Wahlalter von 14 Jahren bei Kommunalwahlen und bei Landtagswahlen erwirken. Um Ihnen gleich das Gegenargument zu nehmen: Gleiches fordern wir an anderer Stelle auch für Bundestags- und Europawahlen. Aber darüber entscheiden wir nicht hier in diesem Hohen Haus. Auch das Argument, dass Kommunalwahlen näher an den Jugendlichen und ihren Lebenslagen dran wären, stimmt nicht; denn Sie alle wissen doch ganz gut, was wir hier in diesem Land, in diesem Haus beschließen: von ÖPNV über Hochschulpolitik, Bildungspolitik, Schulsozialarbeit bis hin zur Digitalisierung und noch viele Themen mehr - alles Themen, die auch unmittelbar junge Menschen betreffen.

Die Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre wäre ein klares und deutliches Signal an die junge Generation. Es bedeutet, ihnen ein wichtiges Gestaltungsrecht in unserer Demokratie zuzuerkennen. Wir dürfen die jungen Menschen nicht länger von demokratischen Prozessen ausschließen. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Zeigen wir den Jugendlichen, dass sie nicht nur die Zukunft des Landes sind, sondern dass sie über diese Zukunft, über ihre Zukunft, auch mitentscheiden dürfen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Wir haben erst einmal eine Intervention von Herrn Borchert. - Bitte sehr.


Carsten Borchert (CDU):

Danke. - Ich stelle mir die Frage, woher Sie das Wissen haben, dass die Jugendlichen das wollen. Ich hatte gestern 45 Zehntklässler hier im Parlament.

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

Die wurden hier gestern begrüßt. Auf die Frage, die ich ihnen gestellt habe: In einem Vierteljahr habt ihr Bürgermeisterwahlen bei euch im Ort, wisst ihr das? - Nö. - Jetzt wisst ihr das. Geht ihr wählen? - Nö. Warum sollten wir wählen gehen? Das interessiert uns überhaupt nicht. - Dann haben wir uns darüber unterhalten. Das waren 16-Jährige. Ich stelle mir vor, wie das in Zukunft wäre, wenn nicht nur bei Landtags-, Bundestagswahlen oder wozu auch immer die Altersheime im Vorfeld durchgrast werden,

(Beifall und Lachen bei der AfD - Zuruf: Ja!)

sondern auch die Schulen. Das kann ich mir nicht vorstellen.

(Zustimmung)

Mit 14 Jahren: Ich will alle Rechte, aber keine Pflichten haben.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Wie machen Sie das mit den Erwachsenen, die das nicht wollen? - Zuruf von der AfD: Richtig! - Weitere Zurufe)

Dann reden wir doch einmal über Strafmündigkeit, wenn wir zu diesem Thema kommen. An dieser Stelle verstehe ich Ihren Antrag nicht, weil er definitiv nicht begründet ist.

(Zustimmung)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können reagieren.


Nicole Anger (DIE LINKE):

45 Jugendliche von den erwähnten 70 000 ist eine kleine Auswahl, würde ich einmal an dieser Stelle sagen. Ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal die Shell-Studien der letzten 20 Jahre anzugucken,

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Die von Ihnen beauftragten!)

dort können Sie das alles sehr gut nachvollziehen, wie die Erhebungen ergeben, dass sich junge Menschen unter 18 Jahren deutlich in der Lage fühlen zu wählen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Unruhe)

Sie kennen auch die Wahlbeteiligung der anderen Altersgruppen. Die liegt auch nicht bei 100 %, sondern deutlich darunter. Auch an dieser Stelle haben wir viel zu viele Menschen, die nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Das muss man auch allen anderen Altersgruppen zugestehen.

Darüber hinaus wäre noch ein weiterer Tipp, um sich dazu mehr Information zu holen: Setzen Sie sich einmal mit den Jugendverbänden, dem Kinder- und Jugendring des Landes und dem Bundesjugendring insgesamt auseinander. Dort sind engagierte junge Menschen auf den Ebenen unterwegs, die alle dafür stimmen, das Wahlalter bei allen Wahlen deutlich zu senken.

(Zustimmung bei der LINKEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Danke. - Als Nächster spricht Herr Kosmehl. - Bitte sehr.


Guido Kosmehl (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Frage. Mit einer Absenkung bewirken Sie ein weiteres Auseinanderdriften zwischen aktivem und passivem Wahlrecht. Gibt es dahin gehend aus Ihrer Sicht ein Problem, wenn 14-Jährige zwar wählen könnten, aber nicht gewählt werden dürfen, also auch nicht mitbestimmen dürfen? Wie würden Sie das argumentieren, dass das noch weiter auseinanderfällt als es, wenn wir bei der Kommunalwahl bleiben, eh schon mit zwei Jahren   16 Jahre und 18 Jahre   der Fall ist?

Haben Sie dafür ein Argument?


Nicole Anger (DIE LINKE):

Herr Kosmehl, die Frage nach dem Auseinanderdriften von aktivem und passivem Wahlrecht ist in der Tat berechtigt. Bei dem passiven Wahlrecht stellt sich die Frage der Haftbarkeit. Diese stellt sich gerade in unterschiedlichen Aufsichtsgremien. Diese bekommen wir an der Stelle nicht aufgelöst. Sie muss anderweitig geklärt werden. Deswegen haben wir unseren Antrag auf das aktive Wahlrecht ausgerichtet.

(Zuruf von Hannes Loth, AfD - Dr. Anja Schneider, CDU, meldet sich zu Wort)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Dr. Schneider, wir befinden uns in einer Dreiminutendebatte. Wir haben eine alte Gewohnheit, und zwar eine Intervention pro Fraktion. Insofern wird Herr Borchert versucht haben, Ihre Intention aufzunehmen.

(Zuruf)

- Nein, das dürfen Sie auch nicht; denn Sie haben bereits eine Minute und drei Sekunden geredet und das liegt drei Sekunden über der vereinbarten Redezeit.