Olaf Meister (GRÜNE):
Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Vor meiner brandgefährlichen Rede wurde der Saal geräumt. Das ist durchaus angemessen.
(Lachen bei den GRÜNEN - Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ich wollte beginnen mit einer kurzen Reaktion auf Uli Thomas‘ Rede zu Beginn der Debatte - mit nur einem Satz erst einmal das wird in der Debatte dann noch ein bisschen mehr werden : Genau diese unreflektierte Selbstzufriedenheit, die ihr vortragt, ist Gift für jedes wirtschaftliche Streben.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Wir hatten diese Diskussion jüngst im Wirtschaftsausschuss. Die CDU, auch heute Antragstellerin der Debatte, hatte extra das IWH eingeladen, um sich ordentlich feiern zu lassen - das war der Hintergrund. Die Einladung stammte noch aus der Zeit, bevor man die Schließung des Instituts wegen unbotmäßiger Meinungsäußerungen gefordert hat.
(Marco Tullner, CDU: Polemik! - Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Die Stimmung war daher etwas angespannt. Prof. Dr. Gropp vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung zerriss dann in liebevoller Kleinarbeit die wirtschaftspolitischen Ansätze der CDU in klitzekleine Stückchen.
(Ulrich Thomas, CDU: Was? - Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)
Dass hier trotzdem ich sagte ja, brandgefährliche Rede kurze Zeit später so eine schlichte „Wir sind die Geilsten“-Wirtschaftsdebatte beantragt wird, ist ja noch mehr Nachweis von Beratungsresistenz als Ausdruck von Wirtschaftskompetenz.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Christian Hecht, AfD: Jawohl! - Unruhe)
Steigen wir in einige Probleme und Herausforderungen ein, die uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erwarten. Wirklich dramatisch, weil die Basis der wirtschaftlichen Aktivität angreifend, ist der Fachkräftemangel. Die Basis, auf der unsere Wirtschaft ruht, wird mit der alternden Bevölkerung deutlich schmaler. Demografie ist gut prognostizierbar. Wo wir heute stehen, ist seit Jahren, ja, Jahrzehnten bekannt; wo wir in Jahren und Jahrzehnten stehen werden, auch.
Die Handlungsoptionen sind überschaubar. Im Ausschuss wurden drei genannt: Bildung, Bildung, Bildung. Tatsächlich ist Bildung auch unabhängig von Fragen des Fachkräftemangels unser Ticket für die Zukunft. Wir brauchen als rohstoffarmes Land möglichst viele, möglichst gut ausgebildete Menschen. Hat jemand hier den Eindruck, dass das bei uns gut läuft? Tiefe Krise des Schulsystems. Wir haben die höchste Schulabbrecherquote. Die Regierungspartei CDU diskutiert öffentlich, wie man die Abiturquote senken könnte - senken!
(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Zuruf von Christian Hecht, AfD)
Es wird ja viel zu viel studiert. Diese viele Bildung. Die Studienplatzzahl an unserer größten Uni wird konsequenterweise gekürzt. Mich beschleicht das Gefühl, ihr habt die Challenge nicht verstanden.
Ein anderer Punkt ist Migration.
(Marco Tullner, CDU: Das ist aber Kollege Willingmann!)
Eine diversere Gesellschaft - das ist klar - hat auch Zumutungen. Wenn wir Studis aus aller Welt herlocken und hier behalten wollen, wenn wir Intel-Leuten samt Familien Heimat sein möchten, wenn wir Wissenschafts-, Klinik- und Pflegepersonal, aber auch Menschen für Paket- und Lieferdienste sowie Hotel und Gastronomie herholen wollen, dann müssen wir offen sein, tolerant, freundlich, Zuwanderung ermöglichen, Integration ermöglichen. Tatsächlich sind Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit bei uns jedoch ein ernsteres Thema als bei unseren westlichen Nachbarn. Und daran ist nicht das IWH schuld.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Eine Zahl von vorgestern: Die rechtsextremen Straftaten sind um 18,4 % gestiegen. Das IWH sagt: Die AfD und Pegida sind ein Wirtschaftshemmnis darüber sollte man einmal nachdenken, wenn einem das Wirtschaftswissenschaftler sagen.
(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE und von Hendrik Lange, DIE LINKE - Oliver Kirchner, AfD: Deswegen läuft es so gut, weil ihr Grünen die Wirtschaft plattmacht! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Ja, Sie sind gemeint, Herr Kirchner! - Weitere Zurufe - Unruhe)
Letzter Punkt zum Thema Fachkräftemangel die Wissenschaftler hatten noch einige mehr : die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen. Hierbei ist der Westen noch schlechter aufgestellt als wir; trotzdem ist er bei uns ein Thema. Dagegen hilft: Familienfreundlichkeit fördern, Schranken abbauen, Karrierewege eröffnen.
(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Jeder, der sagt „Da ist alles bestens.“, der möge einmal in seine Fraktion schauen. Wenn dort weniger als 50 % Frauen sitzen, muss man sich fragen: Warum ist das so, welche Gesellschaft soll das repräsentieren?
Als Grüner kann man ein bisschen darüber amüsiert sein, wenn 40 Jahre, nachdem wir Debatten über Quotierung geführt haben, das nun in der CDU gemacht wird. Ihr hängt 40 Jahre hinterher.
(Ulrich Thomas, CDU: Gehört das noch zum Thema?)
Das ist bei relativ vielen Themen der Fall. Wenn du nicht verstehst, wieso Frauenförderung und Gleichberechtigung ein Wirtschaftsthema sind, hast du einen ganz wesentlichen Aspekt der Wirtschaftspolitik nicht verstanden.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Dr. Katja Pähle, SPD - Sebastian Striegel, GRÜNE: Genau! Das ist Fortbildung!)
Kommen wir zu einem anderen elementaren Bestandteil einer jeden Wirtschaftsordnung Energie. Die CDU ist im vergangenen Jahrzehnt erst aus der Atomkraft, dann aus der Kohle ausgestiegen ich bin weit davon entfernt, das zu kritisieren, das können Sie mir glauben.
(Lachen und Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)
In letzter Zeit - auch heute war das der Fall - tut die CDU aber so, als seien das finstere grüne Mächte gewesen. Das ist keine ganz aufrichtige Diskussion, die ihr an der Stelle führt.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Die CDU hat noch eine dritte Abschaltung vorgenommen, auch die Installation und Produktion von Anlagen für erneuerbare Energien wurden heruntergefahren. Was zur Hölle war eigentlich dabei das energiepolitische Konzept? Alles abschalten kann ja wohl in einer Industrienation nicht so richtig die Idee sein.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Guido Heuer, CDU)
Es gab noch den einen Weg, den ihr hattet: Der nette Wladimir liefert Öl und Gas. Das war die Idee. Damals gab es dazu im Chor warnende Stimmen hier, aber auch europaweit. Das hat nicht funktioniert.
(Guido Heuer, CDU: Wer hat denn auf Gaskraftwerke gesetzt? Wir nicht!)
- Stell mir eine Frage! Wenn ich unter das Energiethema der letzten Jahre meinen Strich ziehe, kommt man nicht umhin festzustellen, dass insbesondere die CDU die Karre so richtig gegen die Wand gefahren hat;
(Unruhe - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE - Zuruf von Ulrich Thomas, CDU)
nun aber lauthals die Leute belegt, die die Unfallstelle beräumen und die Karre reparieren.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Wir brauchen eine verlässliche, berechenbare Energiepolitik, die die nächsten Jahrzehnte und nicht nur die nächste Wahlumfrage im Blick hat.
Wenn man Unternehmen nach aktuellen Problemen fragt, steht die Bürokratie immer ganz oben auf der Liste. Das war auch im letzten Wahlkampf der Fall. Die FDP hatte sich sehr stark dafür engagiert, aber die CDU ebenfalls, die 21 Jahre hintereinander hier im Land regiert. Die Bürokratie ist schon ein wenig mit euch verbunden.
Ich erlebe von unserer gelegentlichen oppositionellen Kritik einmal abgesehen keinerlei ernsthafte Bemühungen, das anzugehen; zumeist fehlt es sogar am Bewusstsein bei Neuregelungen. Für mich ist das geradezu ein Trauma.
Neulich ging es in der Befassung mit einem Gesetzentwurf um eine Frist von vier oder von sechs Wochen. Die Koalition war sich darüber uneinig. Man hat sich auf fünf Wochen geeinigt. Eine Fünfwochenfrist ist für Rechtsanwender die Hölle also fünf Wochen!
(Zuruf von Guido Heuer, CDU)
Hier sitzen ein paar Juristen im Raum: Habt ihr an anderer Stelle sonst noch eine Fünfwochenfrist gesehen? Wieso nicht 37 Tage, 13 Stunden, irgendwas, was man sich einprägen kann? - Wirklich verrückt.
(Zuruf von Hannes Loth, AfD)
Genau auf diese Art und Weise entsteht Bürokratie. Das war in der Situation super, weil es ein Kompromiss war. Auf Dauer steht es über Jahrzehnte im Gesetz: alle fünf Wochen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Also, auf die Art entsteht Bürokratie.
Ich weiß, es ist schwierig, Bürokratie abzubauen. Wir müssen das angehen.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bevor ich zum Fazit komme. Das betrifft das Unternehmertum an sich, und zwar die Bereitschaft zur Verantwortung, aber auch zum Wagnis, die Offenheit für Neues, das Suchen und Nutzen von Chancen. Auch das Scheitern als Chance zu begreifen. Dieser Aspekt wurde auf der Reise nach San Francisco besonders stark herausgestellt. Wir als Gesellschaft sind von dieser Kultur des Unternehmens ziemlich weit weg,
(Kathrin Tarricone, FDP: Ja, leider!)
vor allem aber die CDU. Das fiel mir gestern wieder auf, als ein Redner der CDU zum Thema Wärmepumpen letztlich sinngemäß sagte, sie hätten immer Ölheizung eingebaut und wollten das auch weiterhin so machen.
Ich will an dieser Stelle nicht die Wärmefrage diskutieren. Dort stand aber jemand mit anerkannt wirtschaftlichem Sachverstand vor einem hellblinkenden disruptiven Umbruch in einer Branche und sagt, das solle bitte weggehen. Menschlich habe ich dafür Verständnis; das nervt total. Aber das geht nicht weg.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von der CDU)
Das bleibt. Das kommt auf die eine oder andere Weise. Die Frage ist: Wie kann man diesen Umbruch für sich nutzen? Wie kann man diesen Umbruch für uns als Gesellschaft gestalten? Das ist der Punkt. Nicht sagen: Die in Berlin sind alle doof; der Habeck macht ganz schreckliche Dinge. Nein, dem müsst ihr euch stellen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Ulli Thomas, was wir schon an Debatten geführt haben. Ich erinnere mich an lebhafte Debatten zur Braunkohle. Diese Debatten haben wir geführt. Dieses Rückwärtsgewandte, so ein bisschen Miefige, immer erst 20 Jahre später kommen und sagen „Wir sind aber ganz weit vorn.“ - das ist schädlich für den Wirtschaftsstandort.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Da müssen wir ran. Da müsstet ihr ran.
In der Aktuellen Debatte wird nach Chancen und Risiken und nach dem „Wie weiter?“ gefragt. Wir müssen einige Lehren ziehen. Wir müssen verstehen, dass Wirtschaft zukünftig nur dann erfolgreich ist, wenn sie nachhaltig ist. Nur wenn wir mit den Ressourcen, die wir haben, auskommen, sind dauerhafter Erfolg und dauerhafter Wohlstand möglich.
(Zuruf von Guido Heuer, CDU)
Da wir in vielen Bereichen noch nicht so weit sind, werden sich Geschäftsmodelle verändern. Das geht auch mit Problemen einher. Es lohnt sich aber, solche Wege zu gehen, gerade wenn man schneller ist als andere. Solche Transformationen scheinen uns fortwährend und in schnellerer Folge zu erreichen. Wir stecken mitten in der Energiewende und versuchen, dem Klimawandel zu begegnen. Parallel erleben wir eine Digitalisierung, die unsere Lebenswelt auf den Kopf stellt und auch unsere Art, zu kommunizieren und Politik zu machen, radikal verändert.
Mit der künstlichen Intelligenz betreten wir gerade eine neue Welt, die zu dramatischen Veränderungen unseres Lebens führen wird, positiv und negativ. Das besprechen wir gleich in einer anderen Debatte.
Wir müssen diese disruptiven Veränderungen nutzen. Sie sind gerade auch für eine nicht immer vom Glück geküsste Region wie unsere eine Chance. - Vielen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)