Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Frau Quade, ich glaube, wir haben alle die Bilder vor Augen, die wir sehen mussten, als die internationalen Truppen aus Afghanistan abgezogen sind und wir Zeuge wurden, wie die Taliban in kürzester Zeit Provinzen, Städte und schließlich die Hauptstadt Kabul eingenommen und damit auch das ganze Land unter Kontrolle gebracht haben.
Diese Entwicklung und diese Bilder sind furchtbar. Sie sind bitter. Das hat auch die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung im August im Deutschen Bundestag erklärt.
Die Entwicklung ist bitter, weil sich die internationale Gemeinschaft 20 Jahre lang darum bemüht hat, dass Afghanistan gerade kein Rückzugsort des internationalen Terrorismus ist und dass sich Afghanistan zu einer freiheitlichen, zu einer demokratischen Gesellschaft entwickelt.
Deutschland hat sich von Beginn an mit hohem finanziellem und personellem Engagement in diese Bemühungen eingebracht. Ich glaube, an dieser Stelle sollten wir an 59 deutschen Soldatinnen und Soldaten erinnern, die für dieses Engagement den höchsten denkbaren Preis gezahlt haben, nämlich ihr Leben.
(Zustimmung)
Ihnen und ihren Angehörigen gelten unverändert unsere Hochachtung und unser nicht endender Dank. Auch viele Soldatinnen und Soldaten aus Burg haben in Afghanistan gedient. Auch ihnen und ihren Familien sind wir zu Dank verpflichtet. Was das auch für Familien bedeutet, weiß ich aus eigenem Erleben. Auch mein Schwager hat ein Jahr lang in Afghanistan gedient.
Die deutschen militärischen und zivilen Helfer wurden in Afghanistan von einheimischen Kräften unterstützt. Sie wurden von einheimischen Kräften unterstützt, die bei der Bundeswehr, bei der Bundespolizei, bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, aber auch bei vielen anderen Institutionen beschäftigt waren. Deshalb ist schon lange und nicht erst seit diesem Jahr klar: Wer sich trotz der damit verbundenen persönlichen Risiken als Ortskraft bei deutschen Institutionen einbringt, dem wird Deutschland schützend beistehen, wenn seine Gefährdung dies erfordert.
Gerade deshalb nimmt Deutschland bereits seit dem Jahr 2013 afghanische Ortskräfte, deren Leben aufgrund ihrer Tätigkeit unmittelbar gefährdet ist, mit ihren Kernfamilien in Deutschland auf. Diese Aufnahmebemühungen wurden nach dem Abzug der internationalen Truppen durch die Bundesregierung in sehr enger Abstimmung mit den Ländern noch einmal erheblich forciert.
Deshalb ist es auch gelungen, bis zum 15. August dieses Jahres im Rahmen des laufenden Aufnahmeverfahrens mehr als 1 000 Ortskräften und zusammen mit ihren Familienangehörigen mehr als 4 800 Menschen die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Diese Menschen wurden auf die Länder verteilt. Auch Sachsen-Anhalt hat seinen Anteil und seinen Beitrag geleistet und 38 Menschen aufgenommen.
Dass diese Aufnahmebemühungen am 15. August eine Zäsur erfuhren, kann jeder schon daran nachvollziehen, dass der zivile Teil des Kabuler Flughafens geschlossen werden musste.
Aber gerade deswegen war es wichtig, dass schnell durch die Bundeswehr eine Luftbrücke errichtet wurde und dass es gelungen ist, rund 3 900 weitere schutzsuchende afghanische Staatsangehörige nach Deutschland zu bringen.
Man hat sich dabei sehr bewusst dafür entschieden, dass dieses Aufnahmeangebot im Rahmen der Luftbrücke auf einen größeren Personenkreis ausgeweitet wird, sich also nicht nur auf Ortskräfte bezieht, sondern auch besonders schutzbedürftige Personen wie Menschen- und Frauenrechtsaktivistinnen, aber auch Journalistinnen und Journalisten und Beschäftigte von Nichtregierungsorganisationen in diese Aufnahmebemühungen rund um die Luftbrücke mit aufgenommen werden.
Auch deswegen - es ist hier schon von Herrn Krull eingebracht worden; es ehrt Sie, Frau Quade, dass Sie sagen, dass Sie sich im Bundestag anders verhalten hätten , wenn wir sehen, wie wichtig die Luftbrücke war, um Schutzsuchende nach Deutschland zu bringen, dann sehen wir eben, dass es alles andere als verständlich ist, dass die Bundestagsfraktion der LINKEN dieser Evakuierungsaktion im Deutschen Bundestag die Zustimmung verweigert hat.
(Zustimmung)
Im Rahmen dieser Evakuierungsaktion hat auch Sachsen-Anhalt wieder seinen Beitrag geleistet, weil es natürlich darum ging, dass diejenigen, die über die Luftbrücke nach Deutschland gekommen sind, auch sehr, sehr schnell untergebracht werden. Dafür hat Sachsen-Anhalt umgehend 60 Plätze in der ZASt in Halberstadt in einem sozial auch noch gesonderten, abgetrennten Bereich zur Verfügung gestellt.
Sie sehen also, allein diese Anstrengungen machen deutlich, Bund und Länder stellen sich ihrer humanitären Verantwortung mit Blick auf afghanische Ortskräfte und besonders gefährdete Personengruppen. Das, was Sie, Frau Quade, in Ihrem Antrag fordern, geschieht längst und wird bereits aktiv vorangetrieben.
Unbestritten ist auch, dass noch nicht alle gefährdeten Ortskräfte mit ihren Familien nach Deutschland gebracht werden konnten. Deswegen gibt es unverändert intensive Bemühungen, die andauern, die über das Auswärtige Amt, aber vor allen Dingen eben auch in engem Dialog mit der internationalen Staatengemeinschaft angegangen werden. Ich glaube, das ist entscheidend, dass es eine Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft ist, in die sich Deutschland angemessen einbringt. Es muss aber eben eine Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft sein, in die sich alle einbringen und für die sich alle verantwortlich fühlen müssen.
Wir sind uns auch mit den Partnern in Europa vollkommen einig darin, dass es vor allen Dingen auch darum gehen muss, dass die Menschen, die aus Afghanistan fliehen müssen, möglichst nahe ihrer Heimat, also in den Nachbarstaaten, Schutz, Sicherheit und Perspektive finden. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung auch Soforthilfen für die Krisenregionen und damit eben auch für die Nachbarstaaten von Afghanistan in Aussicht stellt.
Ich kann an dieser Stelle nur sagen, das Innenministerium wird sich weiterhin den Herausforderungen stellen, die mit den Ereignissen in Afghanistan verbunden sind und die sich sicherlich auch weiter ergeben werden. Wir werden hierzu in enger Abstimmung mit dem Bund und mit den Ländern agieren. Für übereilten Aktionismus oder auch für Alleingänge des Landes ist meines Erachtens aber kein Platz und besteht auch keine Notwendigkeit. - Danke.
(Beifall)