Dr. Falko Grube (SPD):

Ich darf erst reden, wenn Sie sagen, ich darf reden.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Gut.


Dr. Falko Grube (SPD):

Ich darf dann reden. - Herr Präsident! Hohes Haus! Wir reden heute Morgen über ein Thema, das eines der Trauerspiele in der Verkehrspolitik dieses Landes ist. Ja, es ist den Verantwortlichen im Land gelungen, eine Einigung mit Abellio zu erzielen. Und dafür schließe ich mich dem Dank an Herrn Panitz und seinem Team in der NASA GmbH vollumfänglich an.

(Zustimmung)

Ja, da darf man klatschen. - Ja, die Züge fahren weiter, und ja, Tausende Pendlerinnen und Pendler müssen sich keine Sorgen machen, wie sie ab dem 1. Oktober zur Arbeit kommen. Das ist gut.

Aber das ist alles andere als ein Grund zur Freude. Denn wir reden eigentlich über Selbstverständlichkeiten. Ich mache auch nicht jeden Morgen eine Flasche Sekt auf, wenn ich ins Büro komme, nur weil mit dem Druck auf dem Lichtschalter Licht erscheint.

Es ist doch selbstverständlich, dass die SWM nicht jeden morgen in die Bilanz schaut und dann entscheidet, ob wir Strom bekommen oder nicht. Und deshalb: Ja, es ist gut, dass die Züge fahren, aber es ist traurig, dass wir uns darüber überhaupt unterhalten müssen.

Was ist der Kern des Problems? - Zum Ersten ist es das Geschäftsgebaren von Abellio. Die haben ein Dumpingangebot für den Betrieb zulasten der Beschäftigten abgegeben, einfach um hier in den Markt zu kommen. Garniert war das mit Zügen, die, zugegebenermaßen, hübscher sind als das, was wir bisher von der DB Regio gewohnt waren. Aber hübsche Züge, meine Damen und Herren, nutzen nichts, wenn sie nicht fahren.

Dann haben die Damen und Herren von Abellio gemerkt, dass sie sich verzockt haben, obwohl das eigentlich nicht wirklich verständlich ist, wenn man sich die Rahmenbedingungen anschaut. Der Dienstleistungsvertrag zwischen der NASA GmbH und Abellio sieht vor, dass der Bahnanbieter pro Jahr 135 Millionen € vom Land erhält und dafür die entsprechenden Strecken bewirtschaftet. Die Fahrgasterlöse gehen übrigens an das Land, das heißt, wir tragen auch das alleinige Risiko für eine schlechte Streckenauslastung, wegen Corona und all solcher Sachen sind.

Die wesentlichen Risiken für Abellio liegen in Strafen für Zugausfälle und Verspätungen oder - und hier kommen wir zum springenden Punkt - in Kostensteigerungen für höhere Löhne und Gehälter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dass Abellio nicht einmal das in den Griff bekommen hatte, legt die Vermutung nahe, dass es hier von Anfang an nach dem Motto ging: Augen zu und durch. Wenn das schiefgeht, was soll man machen in Sachsen-Anhalt? Die Züge sollen ja fahren.

Und als die falschen Zahlen nicht mehr gestimmt haben, sind sie tatsächlich zum Land gegangen und haben gesagt: „Wir wollen mehr Kohle.“ Die Kleinigkeit von 100 Millionen € stand im Raum. Und die Ansage war: „Wenn ihr uns das nicht gebt, fahren die Züge nicht mehr. Und wenn ihr nicht so wollt wie wir, dann gehen wir zur Not pleite.“ Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie Sie das nennen; ich nenne das Erpressung.

(Beifall)

Und dass sich ein Staatsunternehmen eines europäischen Nachbarn solch halbseidener Geschäftsmethoden bedient, ist doppelt skandalös. Ich finde, das muss man sich merken und man muss die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Der zweite Teil des Kerns des Problems ist der Zwang, diesen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge auf der Grundlage von Wettbewerb zu betreiben. Wenn zwei Staatsunternehmen darum wetteifern, wer eine Staatsleistung erbringen darf, dann ist das kein Wettbewerb, sondern eine Illusion. Und diese Illusion muss man beenden. Man muss sie vor allem deshalb beenden, weil sie gefährlich ist. Sie ist gefährlich für die Menschen in Sachsen-Anhalt, die mit Abellio nun schon zweimal die Erfahrung gemacht haben, dass es eben nicht sicher ist, dass der Zug am nächsten Morgen fährt, wenn sie zur Arbeit wollen.

Schon am Anfang hat Abellio den Mund ziemlich voll genommen, aber dann nicht genügend Personal für die Züge gehabt. Der Zustand ist auch deshalb nicht haltbar, weil wir uns in dieser Koalition die Stärkung des ländlichen Raumes auf die Fahne geschrieben haben.

Die Bahn ist ein Rückgrat des ländlichen Raumes. Ohne Bahn sieht der ländliche Raum alt aus. Und deshalb muss man diese Illusion von Wettbewerb beenden und einen Weg gehen, der sicher ist für die Leute, die morgens zur Arbeit wollen.

(Beifall)

Nun weiß ich, dass wir hier in Sachsen-Anhalt nicht die Grundlagen des europäischen Wettbewerbsrechts ändern. Deshalb ist die Frage: Was können wir machen, hier bei uns in Sachsen-Anhalt?

Ich sage, egal, wie es weitergeht, es muss eines völlig klar sein: Abellio gehört auf eine schwarze Liste. Abellio muss in Zukunft von Vergaben für unser Streckennetz ausgeschlossen sein. Wer solche Geschäftsgebaren pflegt, kann sich gern für das Kaffeekochen im Wartehäuschen bewerben, aber dass diese Leute je wieder Verantwortung dafür bekommen, dass Menschen pünktlich zur Arbeit oder zum Arzt kommen, das, meine Damen und Herren, darf nicht passieren.

Insofern wünsche ich der neuen Ministerin und ihrem Team eine glückliche Hand dafür, dass die Züge in Sachsen-Anhalt weiter zuverlässig fahren. Sorgen Sie dafür, dass die Leute morgens pünktlich zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt kommen. Sorgen Sie dafür, dass die Vergaben auf der Grundlage einer soliden Tariferwartung gerechnet werden. Und sorgen Sie dafür, dass wir von Abellio verschont bleiben. - Vielen Dank.