Sebastian Striegel (GRÜNE):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Strafrechtsprofessorin Kirstin Drenkhahn twitterte unlängst über eine von ihr regelmäßig veranstaltete Umfrage unter Jura Erstsemestern. Diese ergab, dass rund 90 % der Anwesenden schon mindestens einmal eine Straftat begangen hätten, also bspw. schwarzgefahren sind, als Ladendieb tätig wurden, getaggt haben,

(Guido Kosmehl, FDP: Oder gekifft!)

  für die Boomer hier im Raum: das bedeutet, die eigene Hundemarke per Edding auf einer Oberfläche zu hinterlassen   oder eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Händen und Füßen auf dem Schulhof hatten.

Auch repräsentative Langzeitdunkelfeldstudien zeigen, dass die breite Mehrheit der Menschen in ihren jungen Jahren eine Straftat begangen hat. Jugenddelinquenz gehört zu den meisten Biografien dazu und wächst sich regelmäßig mit dem Erwachsenwerden aus. Diese als Spontanbewährung bezeichnete plötzliche Abnahme von strafbewehrten Verhalten geschieht bei jungen Männern ab einem Alter von etwa 16 Jahren und bei Frauen etwas früher.

Schon mit 19 Jahren begehen sogenannte Intensivtäter oft deutlich weniger Straftaten als mit 13 Jahren. Kriminelles Verhalten endet sehr oft im Verlauf der zwanziger Jahre - in der Regel unauffällig, ohne jegliches Zutun von Polizei oder von Justiz. Stattdessen zeigt sich der massive Einfluss des Umfeldes, wie der von Lehrer*innen oder Freund*innen.

(Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Striegel, einen Augenblick. Wenn diejenigen, die sich anderweitig oder bilateral unterhalten wollen, das nicht unbedingt im Plenarsaal täten, dann könnten wir alle besser zuhören.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Das scheint mir auch dem Thema angemessen. - Auch deswegen bleibt es richtig, junge Erwachsene im Anwendungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes zu belassen.

Jetzt hätte ich noch viele fachliche Ausführungen, die ich machen könnte, aber in der wirklich gelungenen Komposition der bisherigen Rednerinnen und Redner spare ich mir das. Ich will noch zu einem Punkt kommen, den ich wichtig finde und den ich gern der Frau Justizministerin zur Aufmerksamkeit bringen möchte; denn das, was mich schon bedrückt, sind die signifikanten Unterschiede, die wir in der Anwendung des JGG im Bundesvergleich haben.

Nur rund 47 % der Heranwachsenden werden in Sachsen-Anhalt nach dem JGG verurteilt, während es in den alten Bundesländern 63 % sind. In kleinen Städten bis 30 000 Einwohner sind es nur 47 %, während es in Städten mit mehr als 500 000 Einwohnerinnen und Einwohnern 81 % sind. Dort ist das aus meiner Sicht ein Problem; denn wir laufen dabei Gefahr, die Möglichkeiten der Diversion, die wir im JGG für die Heranwachsenden haben, zu verpassen und der jungen Generation größere Steine in den Weg zu legen als nötig. Ich glaube, wir sollten an der Stelle gucken, wie wir besser an die Zahlen herankommen und wie wir zu einer höheren Quote kommen. Das wäre besser. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)