Tagesordnungspunkt 21

Beratung

Nachhaltigkeitsstrategie umsetzen und Flächenversiegelung verringern

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/2213


Die Abg. Frau Lüddemann wird den Antrag einbringen. - Frau Lüddemann, bitte schön.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Stellen Sie sich vor, Sie blicken vor sich auf die Erde. Es ist grau, aber ein kleines Pflänzchen bricht durch den morschen, rissigen Beton.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Und es ist ein Löwenzahn!)

Stellen Sie sich vor, das wäre eine ehemalige Landebahn, eine aufgegebene Gewächshausanlage oder eine ursprünglich einmal als Baustellenausfahrt genutzte Straße, die nie zurückgebaut wurde.

Manche kennen vielleicht die Dokumentationsreihe „Lost Places“. Dazu gibt es auch ein Buch. Das sind oft Orte, die sehr romantisiert werden und stark touristisch genutzt werden. Wir haben in Sachsen-Anhalt viele solcher Orte, die nicht immer so dramatisch schön sind und nicht immer so dramatisch schön genutzt werden, die aber nicht verloren gegeben gehören und schon gar nicht vergessen gehören.

Man könnte meinen, die Landesregierung hat diese Orte für sich entdeckt. Denn am 20. September 2022 sind diese Orte - anders, als man vielleicht denkt, aber immerhin - in der Nachhaltigkeitsstrategie dieses Landes aufgetaucht.

Bevor ich ins Detail unseres Antrages gehe, will ich noch auf eine Wortkongruenz eingehen. Es gibt nämlich Flächeninanspruchnahme und es gibt Flächenversiegelung. Wir haben uns in unserem Antrag an dem Wording der Landesregierung in der Pressemitteilung der Landesregierung orientiert und sprechen hier - auch weil es, glaube ich, für die Menschen im Land einsichtiger ist - von Flächenversiegelung.

(Elke Simon-Kuch, CDU: Weil es dramatischer klingt!)

Kommen wir jetzt zum Antrag zurück, zum Thema Nachhaltigkeitsstrategie Bereich Boden. Die Landesregierung hat sich vorgenommen, bis 2030 die Flächenversiegelung pro Tag auf unter 1 ha zu reduzieren. So haben wir es der Pressemitteilung entnommen und dieses Wording haben wir in unseren Antrag übernommen. Wir finden das auch sehr gut und sehr in Ordnung.

In der Nachhaltigkeitsstrategie selbst geht es um Flächeninanspruchnahme, wobei diese Flächen nur zu ca. 50 % tatsächlich vollständig versiegelt sind. In der Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregierung wird sogar eine Reduzierung der Flächeninanspruchnahme auf möglichst 0,75 ha pro Tag bis 2030 in Aussicht gestellt. Das ist ein hohes Ziel. Das ist ambitioniert. Im Moment haben wir laut Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung einen Wert von 0,9 ha pro Tag, der in Anspruch genommen wird.

Um das ein bisschen bildlich zu machen: In jeder Werkwoche wird die Grundfläche rund um die Burg Tangermünde - die kennen ja vielleicht viele von Ihnen - versiegelt. In den Zahlen der Landesregierung in der Nachhaltigkeitsstrategie war es vor 15 Jahren kurz ein negativer Wert. Vorher war der Wert deutlich höher. Dann stagnierte es wieder. Aber wir können festhalten: Es ist rund 1 ha.

Wenn wir uns jetzt - darüber haben wir heute auch schon gesprochen - die kommende Intel-Ansiedlung vorstellen und die Gewerbegebiete, die im Süden des Landes geplant sind, die Straßen, die im Zuge des Strukturwandels oder von Autobahnbauten gebaut werden, dann werden wir sicherlich deutlich über diesen Wert von rund 1 ha pro Tag kommen.

Ich möchte Sie heute namens meiner Fraktion motivieren, größer zu denken, was im Konkreten natürlich kleiner heißt. Denn auch 0,9 ha pro Tag bedeuten, dass wir Sachsen-Anhalt zupflastern, zubetonieren und versiegeln. Und wofür? Flächenversiegelung ist nämlich in keiner Weise mit wirtschaftlicher Entwicklung gleichzusetzen.

Wir wollen die Entwicklung des Landes vom Flächenverbrauch entkoppeln. Wir GRÜNE streben eine Flächenkreislaufwirtschaft an. Das ermöglicht - das will ich ausdrücklich sagen - durchaus neue und sinnvolle Bauprojekte. Aber wir wollen als Zielvision Folgendes erreichen: Wenn an einer Stelle versiegelt wird, soll an einer anderen Stelle entsiegelt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Ich finde, das ist ein sehr einfacher Beitrag zu Klimaschutz, Klimaanpassung, Artenschutz und Wasserverfügbarkeit. Wenn ich noch einmal etwas zum Thema Wasserverfügbarkeit sagen darf; das andere mag sich von selbst erklären. Ohne Versiegelung kann das Regenwasser im Boden versickern. Mit Versiegelung wird es abgeführt, meistens durch ein Rohrsystem, und landet nach neun Tagen in der Nordsee. Das können wir hier nicht wollen.

Wir unterbreiten einen ganz konkreten Lösungsvorschlag. Wenn wir uns diesen Vorschlag anschauen - ich gehe davon aus, Sie haben den Antrag gelesen  , dann sehen Sie, dass es ein relativ kleines Projekt, ein sehr schlichtes Projekt ist. Im Grunde genommen geht es darum, dass wir eine onlinegestützte Datenbank wollen, in der die Flächen, die zur Entsiegelung anstehen, einsehbar sind.

Wir glauben auch, dass unsere Forderung relativ leicht umsetzbar ist. Wir haben nämlich im Haushaltsplan im Einzelplan 14 einen Posten von 70 000 € gefunden. Dieser ist unter dem Stichwort „Dienstleistungen Außenstehender“ unter dem Punkt „Umsetzung Potenzialflächenkataster“ aufgeführt. Wir glauben, das wäre ein Betrag, der reichen würde, um den Start dieser Datenbank und ein Entsiegelungskataster auf den Weg zu bringen. Dieses soll, wie gesagt, onlinegestützt erfolgen, nicht mit Ordnern oder irgendetwas Kompliziertem. Das müsste der FDP als Digitalisierungspartei entgegenkommen.

Ein weiteres inhaltliches Argument scheint mir der Gesundheitsschutz zu sein. Wer im Hochsommer - und wir haben ja immer mehr solcher Hitzetage - einmal in seinem Bett gelegen hat und am Schwitzen war, weil die Temperatur nicht unter 20° C fiel, der hat nicht nur gemerkt, dass es nicht so attraktiv ist, wie wir das vielleicht noch vor 15 Jahren dachten, wenn wir Tropennächte haben. Derjenige wird auch Frischluftschneisen vermisst haben.

Mittels Entsiegelung lässt sich nicht nur die Wasserhaltung in der Fläche besser darstellen, sondern es lassen sich auch Frischluftschneisen herstellen, was ein deutliches Mehr an Lebensqualität bietet.

Mit unserem Entsiegelungskataster schlagen wir nichts Neues vor. Die Hallenser werden sich möglicherweise daran erinnern, dass es dort - natürlich territorial begrenzt - in den 90er-Jahren ein solches Kataster gab. In der Stadt Darmstadt gibt es ein solches Kataster bereits in digitaler Form. Wir glauben, dies lässt sich ebenso in Sachsen-Anhalt als Land umsetzen.

Ganz konkret heißt das, wenn ich dazu noch kurz ausführen darf, für einen Bauherrn oder eine Bauherrin, der oder die etwas bauen will, dass etwas versiegelt wird. Gestern war ich z. B. im Digitalisierungszentrum Bau. Kollege Pott war, glaube ich, ebenfalls zugegen. Dort wurde sehr viel über ökologisches Bauen und über Niedrig- oder Positivenergiehäuser gesprochen. In einem solchen Fall sind Bauherren auf der Suche nach Flächen, die sie entsprechend entsiegeln können, nach Flächen, die sie begrünen können, auf denen Pflanzen wachsen und auf denen es wieder kreucht und fleucht.

Es gibt bereits nach heutiger Gesetzeslage die Möglichkeit, dass Bauherren von den Behörden die Auflage bekommen, etwas zu entsiegeln, bspw. auf der Grundlage des Wassergesetzes. Die Koalition im Bund, die Ampelregierung, hat sich zudem zusätzlich vorgenommen, über Änderungen im Bundesbodenschutzgesetz und im Baugesetzbuch des Bundes, weitere Möglichkeiten zu schaffen, um die Beauflagung von Entsiegelung zu erleichtern.

Dann sind sie auf der Suche. Dann muss eine Fläche gefunden werden, die entsiegelt werden kann. Diese Fläche muss halbwegs in der Nähe sein, es muss logistisch passen, die Fläche muss die richtige Größe haben, sie muss entsiegelbar sein. Dann muss man schauen, wem die Fläche gehört und wie dies alles geregelt werden kann. Um dies zu erleichtern und den Einstieg in diesen Prozess zu erleichtern, würde es dem Bauherrn sicherlich helfen - das ist sicherlich leicht vorstellbar  , wenn er die digitale Möglichkeit hätte, zu schauen, an welcher Stelle mit welcher Größe eine solche Fläche in Sachsen-Anhalt angeboten wird. Danach lassen sich die Kontaktaufnahme und alles Weitere sicherlich organisieren.

Das verbindet, wie bereits erwähnt, die Digitalisierung und den Umweltschutz, und die Entbürokratisierung und die Wirtschaftsförderung hat man im selben Zug ebenfalls erledigt. Das wäre zudem das Herzstück für einen Bodenschutzplan. Das ist natürlich ein sehr viel umfangreicheres Werk und es braucht einen längeren Vorlauf.

Ich glaube, so wie wir es uns vorstellen, könnte ein schlichtes online-gestütztes Entsieglungskataster ein Anfang sein. Ein relativ unaufwendiger Beitrag zu dem Ziel, Flächenverbräuche zu reduzieren, ein Beitrag zum Klimaschutz und ein Beitrag zur Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregierung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)