Dr. Anja Schneider (CDU):

Vielen lieben Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mein lieber Tobias, vielen Dank für die Überleitung.

In der Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE mit 82 Fragen ist eine der Kernfeststellungen   Vereinsamung ist ein Problem der hochaltrigen Menschen   bei der allerletzten Frage aufgeführt. Das hat mich zunächst ein bisschen verwundert, muss ich sagen, sind doch alle anderen Umsetzungs- und Strukturfragen, die sich letztendlich fast immer ums Geld drehen, mit diesem Kernthema verknüpft.

Am Älterwerden an sich können wir nichts ändern, auch nichts an den zunehmenden körperlichen Defiziten. Hierfür gibt es   das haben wir bereits gehört   Unterstützung und vielfältige Angebote. Ich möchte an dieser Stelle einmal anregen, dass wir, wenn wir immer von Versorgungsstrukturen, Pflegestrukturen sprechen, uns vielleicht auch des Terminus „gesellschaftliche Sorgekultur“ mehr annehmen, weil dieser für dieses Thema sehr viel passender ist.

Auch am Abbau geistiger Fähigkeiten im Alter können wir nicht viel ändern. All das ist nämlich ein Stück weit normal und führt nicht per se zu Vereinsamung und den damit verbundenen Problemen für alte Menschen und für ihr Umfeld.

Ich erlaube mir an dieser Stelle, einen ganz kleinen Exkurs mit Ihnen zu machen. Zur Vereinsamung im Alter führen vordergründig multiple Rollenverluste wie Ruhestand und Witwenschaft und vor allem mangelnde gesellschaftliche Partizipation. Das haben wir gerade schon gehört. In Fachkreisen wird das Wort „alt“ sehr oft auch mit „rollenlos“ assoziiert.

So bedeutet der Ruhestand für viele, insbesondere für Männer,

(Juliane Kleemann, SPD, und Katrin Gensecke, SPD, lachen)

einen potenziellen Verlust der Selbstdefinition. Arbeitskollegen, Freundeskreise, teilweise familiäre Positionen - all das ändert sich im Alter. Das nennt man häusliche Anomie, also mangelnde gesellschaftliche Integration. Vereinsamung kann zu depressiven Verstimmungen und Todeswünschen führen. Das erklärt unter anderem   hören Sie mir zu  , dass wir in Deutschland ab einem Alter von 75 Jahren die höchste Suizidrate in der Gesamtbevölkerung haben. Das bedeutet auch, dass wir im Interesse alter Menschen deutlich stärker präventiv tätig werden müssen.

(Unruhe)

Lassen Sie uns zurückkommen. Wie bereits ausgeführt: Nicht die Situation des Altseins an sich ist problematisch, sondern     

(Unruhe)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Warten Sie einmal, Frau Dr. Schneider. - Es mag ja sein, dass diese grundoptimistische Perspektive nicht jeden interessiert,

(Lachen bei der CDU und bei der SPD)

aber trotz alledem würde ich darum bitten, den Geräuschpegel nicht nur aus Respekt gegenüber der Rednerin, sondern auch aus Respekt gegenüber unseren Besuchern ein Stück weit zu reduzieren.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)


Dr. Anja Schneider (CDU):

Vielen lieben Dank. - Also noch einmal: Nicht die Situation des Altseins an sich ist das Problem, sondern die passgenaue Zurverfügungstellung von Angeboten. Das haben wir heute schon gehört.

Eines liegt mir sehr am Herzen: Wir müssen die Möglichkeiten der Inanspruchnahme voranbringen, die Annahme von Verarbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten, und zwar durch die alten Menschen selbst. Das zu verbessern ist eine gesamtgesellschaftliche, eine Querschnittsaufgabe. Auch das hat die Fraktion DIE LINKE in ihrem Antrag durchaus deutlich gemacht.

Dass das nicht ganz einfach ist, weil insbesondere alte Menschen mitunter altruistische oder fatalistische Verhaltensweisen haben, ist uns bekannt. Deswegen muss es passgenau für diese Altersgruppe erfolgen.

In der Großen Anfrage und auch in dem Entschließungsantrag werden durchaus richtige Aspekte angesprochen. Zu dem Aspekt der Einsamkeitsbekämpfung wurden auf der Bundesebene bereits Projekte mit einem Fördervolumen von insgesamt 5 Millionen € initiiert.

Aus meiner Sicht und aus der Sicht der Koalitionsfraktionen wird es darauf ankommen, die Ergebnisse dieser Modellprojekte auf ihre regionale Anwendbarkeit und Inanspruchnahme hin zu prüfen; denn jetzt nur mehr Geld   ich meine das Wort „nur“ nicht despektierlich   in bestehende Programme zu geben, bringt aus unserer Sicht keine schnelleren Lösungen.

Schauen Sie sich den Koalitionsvertrag an. Darin sind gerade zum Thema „Pflege im Quartier“ Maßnahmen, Initiativen und Programme initiiert worden, die zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Perspektivisch müssen wir überlegen, welche gewünschten Strategien und Maßnahmen in allen politischen Handlungsfeldern zielführend sind, um die Folgen der Vereinsamung und damit eines der wesentlichen und belastenden Probleme alter Menschen abzumildern. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)