Tagesordnungspunkt 6
Aktuelle Debatte
Halle zum erfolgreichen Standort des Zukunftszentrums für Europäische Transformation und Deutsche Einheit machen
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/2266
Zuerst kann ich Halle, also allen Beteiligten, noch einmal von meiner Seite aus gratulieren. Ich habe mir im Vorfeld diese vielen Botschafter noch einmal angeschaut. Viele sitzen hier in den Reihen. Manche sitzen dort oben. Ich denke, das war ein sehr erfolgreiches Stück.
Herr Geier hat mir berichtet, wie er das aus seiner Sicht gesehen. Ich kann freundlich darüber berichten, dass mich die „Die Zeit“ angerufen hat. Wir werden demnächst in der „Zeit“ einen Artikel über Halle finden, in dem Halle für die gute Arbeit gelobt wird. Ich glaube, das tut Sachsen-Anhalt gut. Ich freue mich, dass Sie heute die Möglichkeit haben, ein Stück weit Ihre Früchte zu genießen. Deshalb freue ich mich auf die Aktuelle Debatte.
Die Redezeit beträgt in der Aktuellen Debatte zehn Minuten je Fraktion. Für die Landesregierung wird sich das der Ministerpräsident natürlich nicht nehmen lassen. Logischerweise fangen wir mit der Antragstellerin an.
Ich begrüße noch rechtzeitig die Schülerinnen und Schüler des Lernzentrums Halle-Neustadt, die ebenfalls passend zur Aktuellen Debatte gekommen sind.
(Beifall im ganzen Hause)
Sie sitzen noch nicht ganz, aber sind schon begrüßt worden. Also, ich freue mich auf die Aktuelle Debatte. Es beginnt Herr Meister. - Bitte.
Olaf Meister (GRÜNE):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Entscheidung zur Ansiedlung des europäischen Zukunftszentrums in Halle ist der Stadt Halle und uns als Land Sachsen-Anhalt ein großer Wurf gelungen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Dies zum einen natürlich schlicht wegen der damit nach Halle kommenden neuen Ressourcen. Gemeint sind hoch qualifizierte Arbeitsplätze im Bereich Forschung und Kultur. Das Zentrum soll aber auch als beständiger Magnet für Besucherinnen und Besucher aus ganz Deutschland und hoffentlich auch darüber hinaus fungieren.
Nicht zu vergessen sind auch die städtebaulichen Chancen, die sich ergeben, wenn - wie angekündigt - ein architektonisches Highlight gesetzt werden soll. Hier kann etwas entstehen, das als modernes Identifikationssymbol sicherlich für Halle, aber auch für unser gesamtes Bundesland taugt. Stellen Sie sich so etwas vor wie die Elbphilharmonie an der Saale - vielleicht nicht ganz so teuer, aber doch so eindrucksvoll.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Dass dieses Symbol nun gerade ein Transformationszentrum sein könnte, bringt einen wesentlichen Teil unserer Geschichte und unserer Gegenwart, aber eben auch unserer Zukunft auf den Punkt. Wenige Regionen waren dermaßen von Transformationsprozessen geprägt wie unser Land. Es ist ein Land mit uralter Geschichte, als Bundesland jedoch jung. Und unser Bindestrich erinnert daran, dass es eine Einheit aus unterschiedlichen Territorien mit jeweils ganz eigener Geschichte ist.
In der Vergangenheit war es stark geprägt von einer rasanten Industrialisierung, von heftigen Brüchen im Zuge der deutschen Teilung und von drastischen Veränderungen nach der Deutschen Einheit. Kaum jemand in unserem Land hat Anfang der 1990er-Jahre noch das gemacht, was er Ende der 1980er-Jahre tat. Keine Familie in unserem Land war davon persönlich unberührt.
Die dramatischen Umbrüche, die es ab dem Jahr 1989 gab, haben Freiheit und Demokratie gebracht und führten auch zu mehr Wohlstand und zur Bewältigung bestimmter ökologischer Probleme. Aber sie erschütterten auch alte Gewissheiten und Sicherheiten, entwerteten Erwerbsbiografien und führten zu Abwanderung. Diese Erfahrungen haben sich tief in das Bewusstsein der Bevölkerung unseres Landes eingegraben. Sie prägen uns und wirken auch auf die nächsten Generationen.
Die damit einhergehenden Leistungen der Menschen zu würdigen, aber auch aus diesen Transformationserfahrungen zu lernen, ist wichtig. Wir sind nämlich bereits mitten in den nächsten Umbrüchen. Sie finden globaler statt, werden unser Leben aber trotzdem stark beeinflussen. Die Welt verändert sich rasant und ist von Krisen gezeichnet. Wir stehen vor disruptiven Veränderungen in verschiedensten Bereichen.
Über die nötigen Veränderungen bei der Energieversorgung und über den damit einhergehenden Strukturwandel ist breit und kontrovers diskutiert worden. Digitalisierung und künstliche Intelligenz verändern die Arbeitswelt, aber auch das gesellschaftliche Miteinander fundamental und werden es weiterhin tun. Der Klimaschutz und die erforderliche Dekarbonisierung, letztlich aber das Erfordernis, nachhaltig mit unseren Ressourcen umzugehen, stellen die Art des bisherigen Wirtschaftens auf den Kopf. Die Globalisierung ohnehin, der demografische Wandel, aber auch Migrationsbewegungen sind Herausforderungen für die Gesellschaft. Soziale Fragen werden sich stellen.
Zumeist weniger beachtet und häufig gar nicht als Strukturwandel verstanden, aber gerade für Sachsen-Anhalt prägend, sind die Normenveränderungen im ländlichen Raum in den letzten 30 Jahren. Innerhalb kürzester Zeit verschwanden die Landwirtschaft und die Lebensmittelproduktion als Haupterwerbszweige - die Landwirtschaft ist noch da, aber sie ist nicht mehr der Haupterwerbszweig - der Menschen aus unseren Dörfern.
All das und noch einiges mehr erfolgt aktuell an Transformationen. Die Geschwindigkeit nimmt eher zu. Dies stellen wir fest, wenn wir sowohl auf die technisch als auch auf die ökologisch induzierten Umwälzungen schauen.
Umso wichtiger ist es, aus den Erfahrungen, aber aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Schlussfolgerungen zu ziehen, wie wir solche Prozesse besser gestalten können. Auch das ist eine wissenschaftliche Aufgabe des Transformationszentrums, das eben nicht nur irgendeine weitere museale oder touristische Einrichtung ist; Sachsen-Anhalts Forschungslandschaft wird um einen gewichtigen Brocken reicher.
Eine Schlussfolgerung wage ich schon zu ziehen. Wir müssen durchaus bei einer gesunden Hinterfragung moderner Heilsversprechen aufgeschlossen sein gegenüber sich anbahnenden Veränderungen. Nicht das häufige miesepetrige „Das haben wir noch nie so gemacht!“, nicht Angst vor der Zukunft zu haben, sondern Gestaltung derselben, nicht der vermeintlich guten alten Zeit nachzutrauern, sondern die Umbrüche zu nutzen und selbstbewusst zu gestalten, das ist eben nicht selbstverständlich.
Kurioserweise ist schon diese junge Geschichte der Ansiedlung des Zukunftszentrums selbst ein Beispiel für diese verschiedenen Herangehensweisen an die Zukunft.
Als wir Bündnisgrünen hier im September 2021 mit dem Antrag zum Zukunftszentrum aufschlugen, trafen wir durchaus in den meisten Fraktionen auf freundliches Interesse. In dem Antrag wurden schließlich faktisch auch nur Chancen beschrieben mit ganz wenigen Risiken. Trotzdem gab es aber auch Kontra. Für die FDP war es damals neumodischer Kram. O-Ton im September 2021 ich zitiere einmal :
„Was soll dieses Transformationszentrum also können, was in den bestehenden Strukturen nicht bereits möglich ist?“
(Lachen bei den GRÜNEN)
„Wir brauchen keine Zentren mit wenig Inhalt, wir brauchen Lösungen.“
(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Aha!)
Heute, nach dem Erfolg, wird sicherlich auch die FDP feiern.
(Zuruf von Andreas Silbersack, FDP)
Das ist durchaus eine Transformation, die wir wollen, nur halt früher.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)
Diese fehlende Offenheit und Bereitschaft, auch jenseits der FDP natürlich,
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Erwischt!)
sich neuen Dingen auch nur zu stellen und sie zu gestalten, ist in unserem Land vielleicht auch eine Folge der Erfahrungen der Vergangenheit durchaus ein Problem.
Wir führen hier Debatten über einen Kohleausstieg im Jahr 2038, wissend, dass unsere Kohle im Jahr 2034 alle sein wird, ahnend, dass die Wirtschaftlichkeit der Kohleförderung und verstromung abhängig von der Entwicklung der Rahmenbedingungen schon deutlich vor dem Jahr 2030 nicht mehr gegeben sein könnte.
Selbstverständlich muss man Übergänge auch das eine Lehre aus den Erfahrungen vernünftig gestalten, muss man Angst nehmen, muss man soziale Sicherheit geben, muss man bewährte Traditionslinien fortführen. Kern dieser Debatten ist aber häufig Hand aufs Herz, liebe Kolleginnen und Kollegen der Wunsch, es möge sich möglichst lange möglichst nichts ändern.
Wir hatten unter gleichen Vorzeichen auch schon Debatten über den Diesel- und den Verbrennungsmotor. Der eigentlich nette und lebensbejahende Begriff der Technologieoffenheit wird ausschließlich achten Sie einmal darauf verwandt, um am Althergebrachten festhalten zu können.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Kathrin Tarricone, FDP: Das stimmt doch gar nicht, Herr Meister! Was ist das für ein Quatsch! - Unruhe bei der FDP)
Probleme aussitzen zu wollen, ist meist keine gute Idee.
(Andreas Silbersack, FDP: Das ist ja unglaublich!)
Will man sie als Chance nutzen,
(Kathrin Tarricone, FDP: Also!)
muss man bei Veränderungen vorn mit dabei sein.
(Alexander Räuscher, CDU: GRÜNE vorne, ha, ha, ha!)
Sie sehen, Transformation ist ein hochpolitischer, hochrelevanter Begriff.
(Sandra Hietel-Heuer, CDU: Was halten Sie für eine Rede? - Andreas Silbersack, FDP: Was halten Sie für eine Rede!)
Dass Sachsen-Anhalt die Forschung in das Zentrum rückt, ist kaum hoch genug einzuschätzen.
(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Ich habe mich, auch wenn wir bei der Beurteilung aktuell notwendiger Transformationen politisch durchaus unterschiedlicher Auffassung sind,
(Unruhe)
sehr gefreut zu sehen, dass der Ministerpräsident gleich in der Debatte spricht. Das ist der Bedeutung des erreichten Erfolgs angemessen.
(Beifall bei den GRÜNEN - Sven Rosomkiewicz, CDU: Tata, tata, tata!)
- Sie sehen, es ist politisch. Es freut mich, dass Sie es so aufnehmen.
(Daniel Roi, AfD: Sie haben den falschen Zettel! - Lachen bei der AfD - Sven Rosomkiewicz, CDU: Falscher Zettel! - Lachen bei der CDU und bei der FDP)
- Beruhigen Sie sich wieder! - Abschließend möchte ich den Verantwortlichen in der Stadt Halle und auch den Verantwortlichen darüber hinaus mehrere Verantwortliche sitzen dort oben zu diesem spektakulären Ansiedlungserfolg gratulieren.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)
Diese mit viel Engagement errungene Entscheidung ist ein ganz wichtiger Erfolg für die Zukunft der Stadt Halle, aber eben auch für die ganze Region und für das ganze Land.
Lasst uns nun froh beschwingt in die Mühen der konkreten Umsetzung gehen. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke, Herr Meister. Ihnen wird nicht entgangen sein, es gibt zwei Herren, die sich hingestellt haben, zwei Interventionen. - Herr Pott als Erster, bitte.
Konstantin Pott (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Meister, da Sie aus meiner Rede im September zitiert haben, möchte ich das schon ein bisschen klarstellen.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Er muss seine eigene Rede einordnen!)
Zu diesem Zeitpunkt lagen nämlich noch keine genauen Konzepte auch der Bewerberstädte vor, sodass man sich durchaus diese Fragen stellen musste: Wie binden wir das Zukunftszentrum, wenn es nach Sachsen-Anhalt kommen sollte, in bestehende Strukturen ein,
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das haben Sie aber nicht so gesagt!)
um keine Doppelstrukturen zu schaffen?
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Wer sich rechtfertigt, der klagt sich an!)
Das hat sich aber geklärt in dem gesamten Bewerbungsprozess und mit dem Konzept, das die Stadt Halle vorgelegt hat. Deswegen finde ich es ein bisschen schwierig, einzelne Zitate aus einer Rede herauszunehmen
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Oh!)
und hier so darzustellen,
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das merke ich mir!)
als wäre das immer noch die Meinung oder hätten sich diese Frage im Prozess nicht geklärt.
(Zustimmung bei der FDP)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Meister, bitte.
Olaf Meister (GRÜNE):
Also, es waren auch damals sechs Fraktionen hier, die eben alle zu dem Punkt gesprochen haben. Sie haben alle dieselbe Problematik gehabt wie Sie auch: Das Zentrum ist ausgeschrieben. Es hat eine bestimmte Aufgabe. Wollen wir uns bewerben oder nicht? Die Frage das war ja ein bisschen Teil meiner Rede, die gerade in dem Bereich für Aufregung sorgte ist ja: Wie geht man mit solchen Transformationsprozessen um? Ist man bereit, sich Neuem zu öffnen, oder sagt man, muss denn das sein? Das sind diese Rote-Laterne-Debatten. Ich fand schon damals, Sie waren der Einzige, der in diese Richtung argumentierte, der das wirklich kritisch in den Vordergrund stellte, und dann auch mit Punkten ich habe es zitiert wie „Wir brauchen keine Zentren mit wenig Inhalt.“ Das ist eine Aussage,
(Konstantin Pott, FDP: Aber es hat sich doch geändert im Prozess! Das habe ich doch gesagt!)
das in dieser Diskussion zu bringen.
(Kathrin Tarricone, FDP: Wir brauchen keine Zentren mit wenig Inhalt, das ist immer noch richtig!)
„Was soll dieses Transformationszentrum also können, was in den bestehenden Strukturen nicht bereits möglich ist?“
- Zitat. Ich zitiere Sie ja nur.
(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Konstantin Pott, FDP: Ja, aber Ich habe doch Oh! - Kathrin Tarricone, FDP: Es bleibt doch aber richtig, Herr Meister!)
Ich bitte doch nur darum, bei solchen Dingen tatsächlich die Offenheit zu haben.
(Konstantin Pott, FDP: Die hatten wir doch!)
Wenn Veränderungen auf einen zukommen, dann sind sie nicht immer schön und dann muss man sie nicht automatisch gut finden. Aber tatsächlich mit Offenheit heranzugehen und nach Lösungen zu suchen, genau das war eben in Ihrem Redebeitrag nicht der Fall.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Gut. Herr Meister, Sie sehen, es gibt eine zweite Intervention. - Herr Lizureck, bitte.
Frank Otto Lizureck (AfD):
Sehr geehrter Herr Meister! Sie haben hier so viel von CO2-Einsparung gesprochen. In Indonesien hat es im vorigen Jahr einen Vulkanausbruch gegeben. Er hat so viel CO2 ausgestoßen wie Deutschland in 600 Jahren. Jetzt setzen Sie einmal die 50 Milliarden € dazu in das Verhältnis, die wir jedes Jahr für Ihre verrückten Ideen heraushauen.
Dann bitte noch einen Schwerpunkt: Frankreich hat einen halb so hohen CO2-Ausstoß wie Deutschland, aber halb so hohe Energiekosten. Das ist ja wohl ein Indiz für absolut falsche Politik.
(Jan Scharfenort, AfD: GRÜNE können nur Armut und CO2 geht auch nach oben! Was anderes können sie nicht!)
Olaf Meister (GRÜNE):
Der Begriff „CO2“ ist in meiner ganzen Rede nicht einmal vorgekommen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Das hat den Hintergrund, dass das Transformationszentrum ja kein Klimazentrum ist oder so, sondern es geht um Transformation, also Veränderungen, die kommen. Gerade wenn wir Künstliche Intelligenz nehmen, dieser Chat GBT, dann muss man sich wirklich fragen: Was kommt damit auf uns zu? Was sind das für Dinge? Wie wird Gesellschaft darauf reagieren? An diese Transformation hat keiner gedacht, als dieses Zentrum ausgerufen wurde, dass diese Transformation kommen könnte, aber sie kommt. Damit muss man sich tatsächlich befassen. Das hat soziale Auswirkungen. Das hat gesellschaftliche Auswirkungen. Damit müssen wir umgehen.
Klimaschutz? - Ich bin bei der AfD völlig verwirrt. Gestern stand hier ein Kollege, hat diesen Alleen-Antrag eingebracht und sprach vom Klimaschutz. Sie müssen mir erklären, was Sie mit Ihrem Klimaschutzantrag machen wollten, den Sie gestern eingebracht haben, wenn doch dieser Vulkan ausgebrochen ist. Ihr Antrag war dann doch sinnlos. Also! Das Niveau! Leute!
(Beifall bei den GRÜNEN)