Tagesordnungspunkt 8
Beratung
Transparenz zur Intel-Ansiedlung in Sachsen-Anhalt
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2134
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/2166
Herr Gallert ist der Einbringer. - Herr Gallert, Sie haben das Wort.
Wulf Gallert (DIE LINKE):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Antrag, den wir heute einbringen, reagieren wir eigentlich darauf, dass es keine Ankündigung gegeben hat, die wir nach den Debatten über die Intel-Ansiedlung hier in der Nähe von Magdeburg bzw. in Magdeburg eigentlich erwartet hatten. Wir sind nämlich davon ausgegangen, dass es in dieser Landtagssitzung eine Regierungserklärung dazu geben wird,
(Zuruf von Daniel Roi, AfD)
wie sich die verschiedenen Aussagen, die sich zum Teil widersprechenden Aussagen der Landesregierung, des Intel-Konzerns selbst, von Vertretern aus der Region zusammenführen lassen, was wir davon zu halten haben und dass wir hier heute erfahren, was die Landesregierung weiß oder woran sie nur glaubt. All das ist bisher nicht passiert. Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Antrag hier heute vorstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wissen, eine solche Regierungserklärung, die heute notwendig wäre, ist ersetzt worden durch ein Interview des Wirtschaftsministers in der „Volksstimme“. Wir sind damit, glaube ich, schon genau im Zentrum des Problems, um das es sich hier dreht.
Aber kommen wir noch einmal zurück zur eigentlichen Entscheidung. Zu Beginn des letzten Jahres ist die Entscheidung des Konzerns, der Intel Corporation, verkündet worden, in Magdeburg eine Gigafactory für die Halbleiterproduktion hinzustellen. Erste Aussagen rankten sich um eine Investitionssumme von 17 Milliarden € und 3 000 Arbeitsplätze.
Es sind dann innerhalb weniger Wochen mehrere weitere Aussagen über mögliche Erweiterungen getroffen worden bis hin zu acht solcher Fabriken bzw. bis hin zu 30 000 Arbeitsplätzen, nur dort in diesen Fabriken. Hinzu kommt natürlich eine vielfache Zahl von zusätzlichen Arbeitsplätzen im Kontext dieser Ansiedlung.
Gucken wir heute, ein Jahr später darauf, können wir nach wie vor festhalten, trotz aller Debatten und trotz aller Zweifel können wir mit gutem Gewissen davon ausgehen, dass es diese Ansiedlung hier in Magdeburg geben wird. Das ist ein Erfolg für diese Stadt, ein Erfolg für dieses Land Sachsen-Anhalt und ein positiver Ausblick für diese Region. - Das bleibt festzuhalten.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist die größte Auslandsinvestition hier in Deutschland zumindest in den letzten Jahrzehnten, wenn man die Preise miteinander vergleicht. Ob es sie noch sein wird, wenn nachher wirklich mit dem Bau begonnen wird, ist eine andere Frage.
Es ist eine Auslandsinvestition in eine Schlüsseltechnologie. Der CEO von Intel Gelsinger hat gesagt, Halbleiter werden in Zukunft das Öl sein, über das wir in der Vergangenheit geredet haben, also die zentrale Ressource für die Entwicklung neuer Industrien und neuer Wertschöpfungsketten.
Wir haben einen Schwerpunkt in Magdeburg, der im Kern einer europäischen Wirtschaftsstrategie liegt, also einen Kern der europäischen Wirtschaftsentwicklung, den wir hier nach Magdeburg bekommen. Wir haben eine Reihe von mit hoher Wahrscheinlichkeit gut bezahlten und gut gesicherten Arbeitsplätzen. Wir haben die Chance die Chance! , ein Innovationszentrum im Umfeld dieser Produktionsstätte zu werden. Wir haben die Chance, Internationalität und Attraktivität für diese Region zu organisieren. Manche träumen sogar von einem ICE-Anschluss für Magdeburg.
(Lachen bei der LINKEN)
All das steht auf der Habenseite. Aber das will ich sagen damit ist natürlich politische Verantwortung verbunden, und zwar politische Verantwortung dieses Hauses. Ich will zu dieser politischen Verantwortung kommen.
Wir haben es damit zu tun, dass mehr als 7 Milliarden € öffentliches Geld für diese Investition veranschlagt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich mehr, öffentliche Mittel, die zur Ermöglichung dieser Investition notwendig sind. Wir haben es mit Steuergeldern zu tun. Und Menschen, die Steuern bezahlen, haben ein Recht darauf zu erfahren, wie diese Mittel eingesetzt werden, was dadurch erreicht wird, welche Konditionen es dafür gibt.
Wir haben es mit einem riesigen Flächenmanagement zu tun. Natürlich das will ich hier auch sagen verstehe ich hier und da Stirnrunzeln, wenn eine solche Industrieinvestition auf einer Fläche von 100 ha oder noch mehr hier ausdrücklich auf dem hochwertigsten landwirtschaftlichen Boden erfolgt.
Wir sagen aber natürlich, gerade das zwingt uns dazu, einen Erfolg auch in dieser Richtung zu organisieren und die Folgen für die Landwirtschaft und natürlich auch für den Boden und für das gesamte Bodenmanagement so günstig wie möglich zu gestalten.
Wir haben eine riesige Herausforderung im Bereich der Wasserversorgung und des Energieausbaus. Wir benötigen ein intellektuelles intellektuell vielleicht sogar auch, aber ich weiß nicht, ob es hierbei richtig wäre , ein intelligentes Verkehrskonzept. Wir brauchen die Sicherung von Fachkräften. Wir brauchen eine Internationalisierungsstrategie. Wir brauchen ein Innovationskonzept.
Wir brauchen die Entwicklung sozialer Infrastruktur, um Engpässe vorausschauend zu vermeiden. Wir brauchen die Unterstützung der Kommunen, die davon betroffen sind. Wir brauchen insgesamt eine Kommunikationsstrategie sowohl für Verantwortungsträger als auch für die gesamte Öffentlichkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist die politische Verantwortung, und für diese politische Verantwortung ist eben auch gerade dieses Haus verantwortlich.
Natürlich, das ist schon im Wirtschaftsausschuss deutlich geworden, gibt es dazu sehr unterschiedliche Meinungen. Wir hatten dazu eine kurze Debatte in der öffentlichen Sitzung des Wirtschaftsausschusses. Es war schon interessant, was man hört. Eine der Aussagen eines Koalitionsabgeordneten fand ich ganz besonders interessant. Er guckt mich gerade an. Ich sage den Namen nicht; das sollte man nicht machen.
(Lachen bei der CDU)
Zentrum seiner Aussage war: Ich glaube an dieses Projekt.
(Wulf Gallert, DIE LINKE, schlägt die Hände wie zum Gebet zusammen)
Ja, Intel hat eine Dimension mit einer fast schon pseudoreligiösen Tragweite, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht um Religion. Es geht um Politikgestaltung. Es geht darum, was wir wissen und was wir wollen, liebe Kollegen. Es geht nicht um Glauben.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein anderer Vertreter der Koalition meint: Nicht darüber reden! Ihr schon gar nicht! Wer darüber redet, der zerredet dieses Projekt.
(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine typische Reaktion von Koalitionsfraktionen: Lasst die Regierung bloß machen, nur nicht darüber reden. - Entschuldigung, bitte. Gucken Sie sich bitte einmal das an, was in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen über dieses Projekt diskutiert worden ist.
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ja!)
Dazu sage ich, an manchen Stellen haben Vertreter der Landesregierung viel zu viel geredet und an manchen Stellen haben sie viel zu wenig geredet. Ganz Sachsen-Anhalt, ganz Deutschland, Europa diskutiert öffentlich über dieses Projekt, über Chancen und Risiken. Deswegen gehört diese Debatte genau hierher, in den Landtag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben z. B. die Debatte um den Baustart. Wissen Sie, Herr Schulze, in letzter Zeit kamen öfter Aussagen von Ihnen, ein paar Monate mehr oder weniger tun uns nicht weh. Wissen Sie, Sie haben recht. Aber wissen Sie, wie große eine Pressemappe wäre, die ich hier heute nach vorne bringen könnte, wenn ich alle Aussagen und Spekulationen des Ministerpräsidenten und anderer Vertreter der Landesregierung über den Baustart sammeln würde? - Die wäre so groß.
(Wulf Gallert, DIE LINKE, hält die Hände einen halben Meter auseinander - Ulrich Thomas, CDU: Das stimmt doch gar nicht! Quatsch!)
Ich nenne jetzt nur zwei Beispiele. - Herr Thomas, wenn Sie keine Zeitung lesen, dann tut es mir leid.
(Beifall bei der LINKEN - Ulrich Thomas, CDU: Nein! Das ist Quatsch!)
- Dann tut es mir leid. - Zum Beispiel kommt der Ministerpräsident im Oktober aus Brüssel zurück und verkündet im Oktober des letzten Jahres! , dass er davon ausgeht, dass noch im Jahr 2022 öffentliche Beihilfen in Höhe von 2,2 Milliarden € fließen sollen. Dann sagt der Ministerpräsident am 15. Dezember, dass er damit rechnet, dass die ersten öffentlichen Mittel im ersten Quartal 2023 fließen werden und dass der Baustart im Frühjahr 2023 passiert.
(Ulrich Thomas, CDU: Das hat er vermutet, nicht behauptet!)
Zwei Tage später sagt Gelsinger, dass er keine Aussage über den Baustart mehr macht. Drei Wochen nach der Aussage von Gelsinger sagt sein Verantwortlicher hier vor Ort, Baustart werde im Jahr 2024 sein. Was ist Informationschaos, liebe Kolleginnen, wenn nicht genau das? Das kritisieren wir.
(Beifall bei der LINKEN - Ulrich Thomas, CDU: Das ist ein Zerrreden!)
Wenn wir weitergehen, dann kommt der Wirtschaftsminister und sagt,
(Zuruf von Sven Rosomkiewicz, CDU)
der Baustart ist nicht so ganz sicher, aber er ist sich eigentlich sicher, dass die Produktion im Jahr 2027 beginnt. Das war vor 14 Tagen; heute sagt er, 2027 oder 2028. - Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht extrem wichtig, ob der Produktionsstart im Jahr 2027 oder im Jahr 2028 ist, aber bitte doch nicht permanent irgendwelche Spekulationen darüber. Dann kann man doch sagen, erst wenn die Voraussetzungen garantiert sind, wird es losgehen, und darum geht es.
(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)
Deswegen sage ich, dieses Informationschaos hat zum Teil natürlich der Konzern selber, allerdings ganz maßgeblich auch die Landesregierung zu verantworten. Das werden wir hier kritisieren, Herr Thomas, ob es Ihnen passt oder nicht, liebe Kolleginnen.
(Beifall bei der LINKEN - Ulrich Thomas, CDU: Mir passt es immer, Herr Gallert!)
Jetzt kommen wir einmal zu den Problemen, um die es eigentlich in der Sache geht. Wir brauchen diese Investition und wir müssen diese Investition zum Erfolg führen, aber das passiert eben nicht von allein. Natürlich, klar, gibt es Risiken, auf die man hinweisen kann, Risiken, die wir hier allerdings das will ich auch sagen nicht beeinflussen können.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen bei dem IHK-Neujahrsempfang hier in Magdeburg gewesen ist.
(Zuruf von Matthias Lieschke, AfD)
Vielleicht haben einige, die dort waren, nicht genau zugehört. Der Präsident der IHK Magdeburg hat einige interessante Sätze gesagt, unter anderem, dass er der Meinung ist, dass sich Deutschland inzwischen nicht nur in einem Wirtschaftskrieg mit Russland und China, sondern auch mit den USA befindet.
Eigenartigerweise ich hätte ein tiefes Raunen dort im Saal erwartet gab es keine Reaktion darauf. Ich würde den Begriff „Wirtschaftskrieg“ gegenüber den USA nicht in den Mund nehmen, aber er ist der Fachmann; ich akzeptiere seine Position. Natürlich müssen wir wissen, dass das, was Biden mit dem Inflationsbekämpfungsgesetz macht, natürlich nichts anderes ist als eine etwas grün angestrichene America-First-Politik.
(Oliver Kirchner, AfD: Richtig! - Jan Scharfenort, AfD: Richtig! Jawohl!)
Natürlich setzt das amerikanische Konzerne unter Druck, starke Auslandsinvestitionen zu realisieren, und zwar mit einem erheblichen Subventionsversprechen für amerikanische Standorte.
Ich will vielleicht noch kurz ein anderes Risiko benennen: Intel ist inzwischen wahrlich nicht mehr der Einzige. Wolfspeed, ein innovativer Chiphersteller aus den USA, und zwar explizit von Halbleitern für die Automobilindustrie, hat für Saarbrücken eine Viermilliardeninvestition genau in diesem Bereich angekündigt.
Intel ist weltweit nicht der Marktprimus. Der Marktprimus ist der taiwanische Großkonzern. Er hat angekündigt, nach Deutschland zu kommen und mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Dresden, zu denjenigen, die in der Standortsuche knapp unterlegen waren.
Infineon hat mehrere Milliardeninvestitionen in Deutschland für die Halbleiterindustrie angekündigt. Wolfspeed will übrigens im Jahr 2026 produzieren. Wir haben ähnliche Positionen von Bosch und anderen.
All das würde, wenn sie alle mit einer 40-prozentigen Förderquote ausgestattet wären, Fördermittel allein aus der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von rund 15 Milliarden € bedeuten. Gucken wir uns die Dimension des Chips Act an, wissen wir, wir sind bald an einer Grenze. Man muss das einfach benennen. Man muss einfach wissen, dass diese Rahmenbedingungen existieren. Gerade deswegen ist es wichtig, das Projekt hier vor Ort schnell und gut zu einem Ende zu bringen.
Dazu zählen eben all diese Rahmenbedingungen: Internationalisierungsstrategie, Fachkräftegewinnung, Wasserbewirtschaftung, Energieproduktion.
Wir erfahren heute aus der Zeitung, dass es irgendein Projekt geben soll, bei dem Intel für seine Ansiedlung mit einem Arbeitspreis von 10 ct/kWh versorgt werden soll. Ich habe meine Kolleginnen im Energieausschuss einmal gefragt, ob es bislang irgendeine Debatte oder irgendeinen Bericht der Landesregierung zum Stand dieser Geschichte gab - nichts, gar nichts! Das erfahren wir heute aus der „Volksstimme“.
Wir erfahren übrigens, dass es natürlich eine Stabsstelle dafür in der Staatskanzlei gibt. Wir erfahren, dass es im Wirtschaftsministerium eine Stabsstelle gibt. Wir erfahren, dass es im Bildungsministerium eine Stabsstelle geben soll und vieles andere. Wir erfahren allerdings nicht, wie dort die Kompetenz und Kommunikationsverteilung ist und wer uns gegenüber eigentlich rechenschaftspflichtig ist.
Ich sage noch einmal ganz klar: Diese 500 Millionen €, die der Wirtschaftsminister hier als Landesgeld für diese Investition ansagt, müssen hier in diesem Parlament beschlossen werden. Das ist unsere Aufgabe. Es ist aber auch unser Recht und unsere Pflicht, dieses Projekt so zu begleiten, dass wir es wirklich einschätzen können. Deswegen haben wir heute diesen Antrag gestellt. Deswegen wollen wir diesen zeitweiligen Ausschuss. Ich denke, es ist wichtig und vernünftig, im Interesse der Selbstachtung dieses Parlamentes, die Dinge so anzugehen und nicht einen Haushalt zu verabschieden, in dem eine Generalklausel steht, die lautet: Wenn die Landesregierung Geld haben will, soll sie es bekommen, egal woher, interessiert uns nicht.
(Zustimmung bei der LINKEN - Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
Das ist nicht unser Rollenverständnis, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Danke.
(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von Hannes Loth, AfD)