Dr. Katja Pähle (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrtes Hohes Haus! Es ist schade, dass wir die Landtagssitzung inhaltlich ausgerechnet mit dieser Aktuellen Debatte beginnen; denn was die AfD den Abgeordneten hier zumutet, ist Punkt für Punkt blanker Unsinn.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Ich will versuchen, das Wichtigste zurechtzurücken für all diejenigen, die tatsächlich an einem Diskurs interessiert sind.
Erstens.
(Hannes Loth, AfD: Also nicht für Klimaaktivisten! Schade!)
- Die sitzen anscheinend nicht hier, Herr Loth.
(Hannes Loth, AfD: Doch! Da drüben!)
- Diskurs bedeutet auch erst einmal zuzuhören. - Also, erstens: Die AfD bezeichnet die Besetzer des Auditoriums maximum in Halle als Klimaextremisten.
(Christian Hecht, AfD: Das sind sie auch!)
Die Forderungen und Positionen von „End Fossil: Occupy!“ sind aber alles andere als extrem. Die Senkung von Treibhausemissionen zum Abbremsen der Erderwärmung ist keine Klimaideologie, sondern ein völkerrechtlich verbindlich vereinbartes Ziel der internationalen Gemeinschaft.
(Zustimmung bei der SPD, von Hendrik Lange, DIE LINKE, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)
Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 ist ein verbindliches Ziel der Europäischen Union. In Deutschland ist die Zielstellung für das Jahr 2045 geltendes Recht.
Der Ausstieg aus der Kohle ist in Deutschland ein breit getragener Konsens, dem auch der Landtag von Sachsen-Anhalt zugestimmt hat. Wie wichtig es ist, insgesamt aus der Nutzung fossiler Energien auszusteigen, das sehen wir an unseren internationalen Abhängigkeiten und an den dramatischen Preissteigerungen auf unseren eigenen Rechnungen für Strom und Gas.
Was die Besetzer des Hörsaals von der offiziellen Klimapolitik unterscheidet, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nicht das Ziel, das ist ihre Ungeduld. Ganz ehrlich: Dass junge Leute, zumal politisch engagierte Studierende, den Älteren Dampf machen wollen, die schon länger Verantwortung tragen, das war schon immer so, das wird immer so sein und das ist auch nötig.
(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
An meine geschätzten halleschen Kollegen: Wo wäre Halle mit seiner Medizinischen Fakultät, wenn im Jahr 2013 nicht Tausende von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Halle und Studierende richtig Dampf gemacht und zumindest in meiner Erinnerung zum Dampfmachen auch das Instrument der Besetzung des Melanchthonianums genutzt hätten? Wo wären Halle und ganz besonders die Medizinische Fakultät bzw. das Universitätsklinikum?
(Zustimmung bei der SPD und von Hendrik Lange, DIE LINKE - Unruhe bei der AfD)
Zweitens. Die AfD erweckt den Eindruck, als wäre eine ideologische Klimabewegung quasi von außen in die Universität eingedrungen und drohe die Lehrinhalte abzuändern. Auch das ist Unsinn. Der Einsatz zur Rettung des Weltklimas
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD, lacht)
kommt aus der Wissenschaft. Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über den menschengemachten Klimawandel sind unbestreitbar, die interdisziplinären Erkenntnisse über die Risiken für Ernährung, Wohlstand, Sicherheit und Demokratie ebenfalls. Die Einsicht, dass wir diese Entwicklung aufhalten müssen, verdanken wir der jahrzehntelangen unermüdlichen Aufklärungsarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die nicht lockergelassen haben, um die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft zu überzeugen. Das wissen alle.
(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Nur, wer sich wie die AfD in einem Bunker der Realitätsverweigerung verschanzt hat,
(Zurufe von der AfD: Das stimmt doch gar nicht! - Unsinn!)
der kann davor natürlich die Augen verschließen.
Drittens. Angesichts der Rolle der Wissenschaft - übrigens: Hochschulen sind nicht nur Orte der Lehre, sondern eben auch der Wissenschaft
(Jan Scharfenort, AfD: Es geht nicht um Wissenschaft!)
für den Klimaschutz können wir feststellen: Die Gruppe „End Fossil: Occupy!“ blockierte zwar Hörsäle, bei Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen rennt sie aber offene Türen ein. Ich nenne ein paar Beispiele. Die Humboldt-Universität Berlin will bis zum Jahr 2030 klimaneutral werden. Die Fraunhofer-Gesellschaft, die in ihrer Forschung bekanntermaßen eng mit der Industrie zusammenarbeitet, will ebenfalls bis zum Jahr 2030 klimaneutral sein. Bei der Max-Planck-Gesellschaft arbeitet ein Nachhaltigkeitsnetzwerk und bei der Helmholtz-Gemeinschaft das Netzwerk „Helmholtz klimaneutral“ an diesen Zielen. Sie sind damit nicht allein - die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat sich dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu arbeiten.
(Zuruf von der AfD: Das funktioniert also ohne Besetzung!)
Also: Die Wissenschaft in Deutschland geht voran mit ihrem Einsatz für den Klimaschutz.
(Daniel Rausch, AfD: Das ist doch nur Schwindel!)
Dabei ist in unserem eigenen Land nicht zuletzt auch die Rolle der Leopoldina in Halle als Nationale Akademie der Wissenschaften hervorzuheben, die als Ratgeber für die Politik immer wieder ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen fordert und dazu ermahnt.
Viertens. Angesichts dieser Sachlage ist es nicht nur eine Unverschämtheit, sondern auch einfach abwegig, von einer Unterwerfung der Hochschulleitung zu sprechen. Was als Verhandlungsergebnis zwischen dem Rektorat und den Besetzern des Audimax herausgekommen ist, das zielt vor allem darauf ab, die schon längst bestehende Kompetenz der Martin-Luther-Universität in Sachen Klimaschutz und die vielfältigen Lehrangebote und Forschungsansätze stärker herauszustellen und bekannter und sichtbarer zu machen.
(Zustimmung von Juliane Kleemann, SPD, und von Hendrik Lange, DIE LINKE)
Das ist allemal im Sinne der Universität und ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Fünftens möchte ich dem neuen Rektorat für den besonnenen Umgang mit der Besetzung und für das erreichte Verhandlungsergebnis ausdrücklich danken;
(Zustimmung von Juliane Kleemann, SPD, und von Hendrik Lange, DIE LINKE)
denn es gehört zur Hochschule dazu, dass Proteste produktiv in einen Dialog umgesetzt werden, dass junge Menschen Diskurs und Kompromiss einüben und dass im Interesse des offenen wissenschaftlichen Meinungsstreits ein Klima in der Hochschule herrscht, in dem Auseinandersetzungen nicht eskalieren, wie es die AfD offensichtlich gern gesehen hätte.
Fazit: eine Hörsaalbesetzung, die nach einer Woche friedlich zu Ende geht, ein Audimax, das danach sauberer ist als im normalen Vorlesungsbetrieb und ein Dutzend Veranstaltungen, die digital stattfinden mussten. Der Wind, den die AfD hier zu machen versuchte, reicht nicht einmal für den sprichwörtlichen Sturm im Wasserglas.
(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will dennoch klarstellen, dass bei aller Dringlichkeit des Anliegens nicht jede Protestform gerechtfertigt ist und nicht jede Aktion dem Klimaschutz nützt.
Die Vorstellung, durch die Besetzung eines Hörsaals die komplizierten Prozesse zur Erreichung des Zweigradziels zu beschleunigen, ist vielleicht etwas naiv, aber die Besetzer bleiben damit auf der Ebene von symbolischem politischen Protest. Aktionen, bei denen Aktivisten und Aktivistinnen sich und andere in Gefahr bringen, wie es beim Festkleben auf der Straße der Fall ist, sind aus meiner Sicht anders zu bewerten. Das Gleiche gilt auch für die sinnlose Beschädigung von Kunstwerken und ähnliche Aktionen.
(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Mit solchen Handlungen bringen die Beteiligten auch gutwillige Menschen gegen sich auf und schaden damit dem Anliegen des Klimaschutzes.
Ich setze darauf, dass sich diese Einsicht durchsetzt. Man kann auch spektakulär auf seine Anliegen aufmerksam machen, ohne Menschen vor den Kopf zu stoßen. Aber die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Ergebnis des Klimawandels und mit der Bedrohung unserer aktuellen Lebensart durch den Klimawandel muss in die Öffentlichkeit getragen werden. Ich glaube tatsächlich, hierbei ist auch von der Politik an manchen Stellen ein bisschen mehr Tempo gefordert, aber das ist eine andere Debatte. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke, Frau Pähle. - Herr Lizureck möchte gern eine Intervention machen.
Frank Otto Lizureck (AfD):
Sie sprechen hier viel von Wissenschaft. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, dass es genug Wissenschaftler gibt, die auch diese, Ihre Thesen widerlegen. Aber lassen wir das jetzt einmal sein.
Ich muss Ihnen sagen: Sie können es einfach nicht, weil Sie unfähig sind. Wann ist es denn zur größten Abholzung des Amazonasregenwaldes gekommen? - Als Sie angefangen haben, Biodiesel einzuführen, sind dort die Bäume gefallen, weil dort landwirtschaftliche Flächen geschaffen wurden.
Dann noch etwas: Frankreich z. B. hat einen halb so hohen CO2-Ausstoß wie Deutschland und nur halb so hohe Energiepreise. Wie kann das denn sein?
Letztendlich sind Sie nicht in der Lage, die Dinge zu regeln. Also würde ich sagen: Treten Sie ab!
(Zuruf von der AfD: Treten Sie ab! - Lachen bei der AfD)
Dr. Katja Pähle (SPD):
Herr Lizureck, mit Ihnen diskutiere ich dank Ihrer profunden Kenntnisse immer wieder gern. Ich fange einmal mit Frankreich an. Wir wissen beide, dass Frankreich den überwiegenden Teil seiner Stromversorgung über Atomkraftwerke regelt. Bevor das „Juhu!“ und „Oho!“ in der AfD-Fraktion losgeht,
(Oho! bei der AfD - Lachen bei der AfD)
- darauf habe ich gewartet ,
(Matthias Lieschke, AfD: Extra für Sie!)
nur ein Hinweis: Schauen Sie sich bitte einmal über das letzte Jahr hinweg an, woher der Strom in Frankreich tatsächlich kam.
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Aus Deutschland! - Weitere Zurufe: Aus Deutschland!)
Sie werden sehen: Der kam aus Deutschland,
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ja!)
weil nämlich über den Sommer hinweg die Atomkraftwerke zum Großteil nicht am Netz waren, weil das Wasser fehlte.
(Frank Otto Lizureck, AfD: Das ist totaler Quatsch! Das ist Blödsinn! - Ulrich Thomas, CDU: Und heute, gestern, vorgestern?)
Man kann übrigens sagen, das hat etwas mit dem Klimawandel zu tun.
(Daniel Roi, AfD: Dafür haben wir einen Haufen Gas verbrannt! - Weitere Zurufe von der AfD: Gaskraftwerke! - Ihnen ist nicht zu helfen! - Ulrich Thomas, CDU: Und heute, gestern, vorgestern?)
- Herr Thomas, Sie können sich gern auch melden oder wir diskutieren darüber einmal in der Kantine.
(Ulrich Thomas, CDU: Sie reden vom Sommer, ich rede von der Realität!)
Dann haben wir festgestellt, dass auch am heutigen Tag, im Winter, mit Wasser, nicht alle Atomkraftwerke in Frankreich am Netz sind, weil es Probleme mit der Sicherheit gibt, weil sie in Überholungsprozessen stecken. Tun Sie doch nicht so, als ob das alles großartig wäre, weil die Franzosen den richtigen Weg gegangen sind. Wenn sie Deutschland und deutsche Stromexporte nicht gehabt hätten, dann wäre es dort zappenduster gewesen, insbesondere im letzten Sommer.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Vor Ihrem Hintergrund hätte ich, ehrlich gesagt, Freude daran - vielleicht machen wir das einmal im Wissenschaftsausschuss ,
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Um Himmels willen!)
wenn wir uns tatsächlich einmal zwei Vertreter der Wissenschaft, die Sie vorschlagen, und eine Reihe anderer Wissenschaftler zum Thema Klimawandel einladen.
(Beifall bei der AfD - Oliver Kirchner, AfD: Genau! Super! Bravo! - Weitere Zurufe von der AfD)
Ich wäre sehr erfreut über das, was wir dort zu hören bekommen; denn ich sage Ihnen: In der Wissenschaft sind die Wissenschaftler, die den menschengemachten Klimawandel abstreiten, in der Mindermeinung. Diese gibt es immer, deshalb gibt es wissenschaftlichen Diskurs.
(Unruhe bei der AfD)
Aber nehmen Sie die Realitäten doch einfach zur Kenntnis. Das fällt schwer, weil es an den eigenen tiefen Überzeugungen von Ihnen und Ihrer Fraktion rührt.
(Unruhe bei der AfD)
Aber, bitte, tun Sie mir einen Gefallen: Lesen Sie mehr, verstehen Sie mehr und fangen Sie dann zu diskutieren an. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der SPD)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke. Es gibt keine weiteren Fragen. - In der Sache werden keine Beschlüsse gefasst. Damit ist der Tagesordnungspunkt 2 erledigt.