Tagesordnungspunkt 28
Erste Beratung
Demokratische Kultur in den Spezialeinheiten der Polizei stärken
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/2146
Herr Striegel steht schon vorn. - Sie haben das Wort.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die aktuellen Berichte über disziplinarrechtliche Ermittlungsverfahren gegen vier Polizeibeamte des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt sind Ihnen und der Öffentlichkeit bekannt. Mich besorgen diese Berichte, auch weil Informationen auf etwaiges Fehlverhalten nicht aus unserem Land kamen, sondern unsere Behörden erst nach einem Hinweis aus einem anderen Bundesland tätig werden konnten.
Zwei Beamte waren beim Spezialeinsatzkommando, SEK, die anderen beim Personenschutz des Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff eingesetzt.
Wir warnen vor einer Vorverurteilung der derzeit auch zu ihrem eigenen Schutz suspendierten bzw. versetzten Polizeibeamten. Die Landesregierung hat nach unserem Kenntnisstand sehr schnell und nach den uns im Innenausschuss übermittelten Informationen auch verantwortungsvoll reagiert. Die gegen die Beamten erhobenen Vorwürfe müssen jetzt sehr zügig, vorurteilsfrei und umfassend ausermittelt werden. Dafür muss das notwendige Personal bereitstehen. Nach Abschluss der Ermittlungen ist dem Landtag vollumfänglich zu berichten.
Eines aber muss uns über den konkreten Fall von vier Beamten, denen Fehlverhalten vorgeworfen wird, klar sein: Die Polizei und mit ihr alle Polizist*innen, hat zur Aufgabe, alle Menschen in diesem Land zu schützen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren und die Demokratie und den Rechtsstaat zu verteidigen. Sie darf sich nicht verdächtig machen, Personen mit nationalsozialistischen Einstellungen in ihrer Mitte zu tolerieren oder gar zu schützen.
Diesen Verdacht wird sie nicht los, wenn jegliche Hinweise auf Rassismus oder Probleme in der Polizei per se negiert werden. Sie wird ihn nicht los, wenn nur auf Hinweise von außen reagiert wird. Die Polizei kann diesem Verdacht nur begegnen, indem auf struktureller Ebene wirklich alles dafür getan wird, um widerstandsfähiger gegen Verfassungsfeinde zu werden und transparenter mit den Gefahren von Rechtsextremismus für die Polizei umzugehen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir wollen die Verdachtsfälle zum Anlass nehmen, genauer auf die strukturellen Herausforderungen bei der Polizei Sachsen-Anhalts zu blicken und dabei insbesondere die geschlossenen Einheiten und die Spezialeinheiten in den Blick nehmen. Das sind insbesondere die Spezialeinheiten und Kräfte des Landeskriminalamtes, wie das SEK, das Mobile Einsatzkommando, kurz: MEK, und der Personenschutz, sowie die Bereitschaftspolizei mit ihren Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, kurz: BFE. Diese Einheiten heben sich hinsichtlich ihrer Aufgaben und Anforderungen an die Mitglieder deutlich von denen anderer Dienstposten ab.
Die Bereitschaftspolizei kommt z. B. bei Großlagen zum Einsatz. Diese sind geprägt von sich sehr dynamisch entwickelnden Geschehnissen. Sie erfordern eine hohe Professionalität bei Ansprache, Deeskalation und dem Einsatz von Gewalt. Sie erfordern eine geschulte Einschätzung der Lage, um einen jederzeit rechtmäßigen und verhältnismäßigen Einsatz zu garantieren.
Das SEK bspw. ist in besonderen Gefährdungslagen unterwegs. Sie sind dafür speziell ausgebildet, geschützt und bewaffnet, um schnell und robust vorzugehen.
Speziell ausgebildet ist auch der Personenschutz. Er muss sich auf sich plötzlich ändernde Sicherheitslagen einlassen und darauf reagieren können. Er hat aufgrund seiner Verwendung beim Schutz von Verfassungsorganen regelmäßig Zugang zu sensiblen Informationen und steht in einem außerordentlich tiefen Vertrauensverhältnis zu den Schutzpersonen. Das erfordert daher in besonderem Maße Integrität und Loyalität.
Es sind also unterschiedliche Einheiten, die auch eine differenzierte Betrachtung erfordern. Gemein aber haben sie Folgendes: Sie gehören zu den Eliten unserer Landespolizei; und weil sie so exponiert sind, müssen sie sich auch eine stärkere Kontrolle gefallen lassen.
In der Soziologie und Polizeiwissenschaft ist seit langem bekannt, dass auch innerhalb der Polizei voneinander abgrenzbare Organisationskulturen mit eigenen Umgangsformen bestehen, mit Werten und Basisannahmen, z. B. zum Menschenbild, vorhanden sind. Diese sind wichtig. Sie helfen der jeweiligen Einheit, Handlungsmuster im komplexen polizeilichen Alltag zu entwickeln und sie geben Sicherheit.
In der Einheit wird Privates und Berufliches geteilt. Es wird auch einmal Dampf abgelassen über den Frust, den der polizeiliche Alltag auch aufgrund unserer Äußerungen, Forderungen und Entscheidungen mit sich bringt. In den alltäglichen Gefahrensituationen ist es für die Beamt*innen ganz entscheidend, sich auf die Kolleg*innen verlassen zu können. All das schweißt zusammen und es bildet sich eine starke Loyalität im Kolleg*innenkreis aus.
Ein gutes soziales Klima für die Polizeibeamt*innen ist zentral. Polizeiliche Subkulturen erweisen sich jedoch dann als problematisch, wenn sie polizeiliches Fehlverhalten tolerieren, begünstigen oder sogar fördern. Sie erweisen sich dann als problematisch, wenn die Loyalität gegenüber den Kolleg*innen die Integrität als Beamter oder Beamtin überwiegt und Fehlverhalten nicht thematisiert, aufgeklärt und wirksam verhindert wird.
Die Folge in diesen Fällen ist: Polizei verlässt ihren rechtsstaatlich legitimierten Auftrag, zu dem in engen Grenzen auch der Einsatz von Gewalt gehört. Und in der Folge verlieren die Bevölkerung oder Teile der Bevölkerung, insbesondere jene, die öfter mit Polizei zu tun haben, das Vertrauen in die Polizei.
Es ist bekannt, dass Spezial- und geschlossene Einheit stärkere Subkulturen entwickeln, offenbar begünstigt von folgenden Faktoren: Diese sind überwiegend mit Männern besetzt. Sie haben eine starke Innen- und Außenwahrnehmung. Und sie werden eher in einem Umfeld eingesetzt, das die betreffenden Beamtinnen und Beamten als feindlich wahrnehmen.
Spezialeinheiten sind nicht nur untererforscht, sondern möglicherweise auch vulnerabler für die negativen Seiten polizeilicher Subkulturen. Das macht sie in der Konsequenz auch vulnerabler für verfassungsfeindliche und rechtsextreme Einstellungen innerhalb ihrer Einheiten. Insofern ist es wichtig und richtig, wenn wir uns mit unserem heutigen Antrag insbesondere auf diese Einheiten fokussieren.
Wir sind überzeugt, dass die weit überwiegende Mehrheit der Beamt*innen des Landes auf dem Boden unserer Verfassung steht und ihren Dienst gesetzestreu verrichtet. Wir fordern strukturelle Maßnahmen, die es den Polizeibeamt*innen erleichtern sollen, ihren Auftrag rechtmäßig auszuführen und sich und die Organisation gegenüber rechtsextremen Fällen widerstandsfähiger zu machen.
Wir fordern strukturelle Maßnahmen, um eine bessere Fehlerkultur zu etablieren. Dazu gehören nach unserer Ansicht erstens Supervisionen, in denen regelmäßig Probleme und Konfliktlagen angesprochen oder Einsätze auf problematisches Verhalten hin nachbesprochen und analysiert werden können. Dies betrifft Einzelgespräche, Gruppengespräche und insbesondere auch Gespräche mit Führungskräften der Polizei.
Zweitens. Die Polizeibeamt*innen dieser Einheiten müssen Strafverfolgung und die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchsetzen, oftmals zu einem Zeitpunkt, zu dem andere gesellschaftliche Kompromiss-, Kommunikations- und Hilfsmittel gescheitert oder nur unzureichend vorhanden sind. Es finden also regelmäßig Überforderungen statt. Daher ist es wichtig, Reflexionsräume zu ermöglichen, sowohl für die Einheiten als auch für ihre Führungskräfte. Es ist elementar, sich ihres Auftrags und ihrer Rolle in der demokratischen Gesellschaft bewusst zu sein und das eigene Selbstbild immer wieder neu zu reflektieren.
Drittens. Wir benötigen auch Unterstützung auf disziplinarrechtlicher Ebene, um z. B. tätige Reue im Beamtenrecht einzuführen. Und wir müssen den Whistleblower-Schutz ausbauen. Wir halten es aber bei der Etablierung einer neuen Fehlerkultur für hinderlich, wenn keine disziplinarrechtlichen Schutzräume geschaffen werden. Es bedarf auch einer vertrauensvollen und offenen internen Kommunikation, um Fehlverhalten abzubauen.
Ganz wichtig hierfür sind die Führungskräfte, die eine demokratische, offene Fehler- und Lernkultur prägen, aber auch immer wieder und sehr regelmäßig einfordern müssen. Dafür müssen sie strukturell gestärkt werden.
Ich freue mich, wenn Sie mit einer Zustimmung zum Antrag helfen, unsere Polizei widerstandsfähiger gegenüber Verfassungsfeinden zu machen und das innere Klima der Organisation weiter zum Positiven zu verändern. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN)