Juliane Kleemann (SPD):
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Debatte um die Frage der Laufzeiten von Atomkraftwerken ist schon überraschend. „Was hat Atomkraft mit nachhaltiger Energieversorgung zu tun?“ war eine der Fragen, die ich mir beim Lesen des Textes zur Aktuellen Debatte gestellt habe.
(Zurufe von der AfD: Viel! - Alles! - Weitere Zurufe von der AfD)
Auf der Suche nach Lösungen auf ein Auslaufmodell zu setzen ist aus meiner Perspektive weder innovativ noch kreativ. Die derzeit noch am Netz befindlichen drei Atomkraftwerke in der Bundesrepublik liegen alle drei nicht in Sachsen-Anhalt: Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern. Soweit mir bekannt ist, sind die Bewohnerinnen und Bewohner in diesen Regionen richtig froh, wenn diese Atommeiler endlich abgeschaltet werden.
(Zuruf von der AfD)
Als Altmärkerin - das sage ich Ihnen - bin ich hoffnungsvoll, dass aus Arneburg weiterhin Toilettenpapier, Küchenrollen und andere Papiererzeugnisse kommen und dass der alte Traum vom Kernkraftwerk Arneburg-Stendal nicht doch Wirklichkeit wird.
(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)
Ich glaube auch nicht, dass Mercer den Standort Arneburg freiwillig räumt, dass die Waldbauern sich freiwillig einen neuen Abnehmer für ihr Holz suchen und dass der ohnehin mühsame Rückbau der Kühltürme aufgegeben wird und dass die Kühltürme dann wieder aufgebaut werden.
Wir aktivieren die Kernkraft in der Altmark und wärmen die Elbe. - Ehrlich gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein nachhaltiges Zukunftsszenario. Die Betreiberfirmen der noch am Netz befindlichen drei Werke sind mit Blick auf Atomenergie längst im Ausstiegsszenario, sind längst im Einstieg in erneuerbare Energien unterwegs und bauen ihre Konzerne sukzessive um.
Für die Grundlast sind diese drei Atommeiler nicht nötig, wenn wir weiter in gesteigertem Maße in den Ausbau der Erneuerbaren investieren. Die Zögerlichkeit der vergangenen Jahre kommt uns jetzt teuer, sehr teuer zu stehen.
(Zuruf von Alexander Räuscher, CDU)
Für die Grundlastfähigkeit des deutschen und des europäischen Energienetzes ist eine flächendeckende Produktion von grünem Strom aus Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft nötig. Die Grundlastfähigkeit hängt an der Fähigkeit, dass der Strom dort ankommt, wo er gebraucht wird. Das geschieht eben nur dann, wenn die Verteilung funktioniert, sprich: Wir brauchen einen Ausbau der Stromnetze.
(Zurufe von der AfD: So ein Quatsch! - Ein Stromnetz kann keinen Strom speichern! - Das ist Blödsinn!)
Wir brauchen keinen neuen Atommüll, von dem wir bis heute nicht wissen, wohin damit.
Stichwort: Dunkelflauten. Sie sind eher ein lokales als ein überregionales Phänomen.
(Zuruf von der AfD: Völliger Schwachsinn! - Weitere Zurufe von der AfD)
Sie treten auf, wenn weder Wind noch Sonne zur Stromerzeugung nutzbar sind. Sie sind ein zeitlich begrenztes Phänomen. Und mit einem sogenannten Blackout, also einem großflächigen und lang anhaltenden Stromausfall, ist aufgrund des Stromnetzes und des europäischen Stromverteilnetzes und marktes nicht zu rechnen.
(Zurufe von der AfD - Unruhe)
Mit Dunkelflauten ist umso weniger zu rechnen, je besser das Netz der Erneuerbaren über eine große Fläche ausgebaut ist und je besser das Netz also über die gesamte Bundesrepublik und über Gesamteuropa existiert.
(Alexander Räuscher, CDU: Wer hat ihr das aufgeschrieben?)
Der Deutsche Wetterdienst veröffentlichte bereits im März 2018 in einer Pressemitteilung, in der er der Frage der Flauten für Deutschland mit Blick auf den Energieausfall nachging, Folgendes - Zitat : Der DWD kommt zu dem Schluss, dass die entsprechenden Ausfallereignisse sich schon bei deutschlandweitem Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen etwa um den Faktor 11 gegenüber reiner Inland-Windkraftnutzung von durchschnittlich 23 mal 48-Stunden-Dunkelflaute pro Jahr auf zwei mal 48-Stunden-Dunkelflaute pro Jahr reduzieren lassen. Bei europaweiter Betrachtung reduziert sich dieses Risiko abermals um den Faktor 10 auf 0,2 mal 48-Stunden-Dunkelflaute pro Jahr.
(Unruhe)
In einer Studie aus dem Jahr 2019 wird dies noch einmal detaillierter betrachtet. In einem Rückblick auf 21 Jahre konnten nicht einmal fünf Ereignisse ausgemacht werden, in denen es eine Problemlage von 48 Stunden für Deutschland gegeben hat. Für Europa gab es null entsprechende Ereignisse, und das bei einer nicht 100-prozentigen Auslastung der Nennleistung von Wind und Sonne.
(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)
Die Herausforderung, vor der wir also stehen, ist der weitere Ausbau des Stromnetzes und der erneuerbaren Energien. Wichtig bleibt eine gut funktionierende Abstimmung der unterschiedlichen Stromerzeuger untereinander und die Regulierbarkeit der unterschiedlichen Kraftwerkstypen. Diese ist bei Kernkraft und Kohlekraft eben so stark nicht gegeben.
(Unruhe)
Der Ausbau der Erzeugung von Erneuerbaren und der Ausbau der Netze sowie der Aufbau einer Speicherinfrastruktur ist weiterhin das, was jetzt zu tun ist. Die Nachhaltigkeit, die die Antragstellerin mit ihrer Aktuellen Debatte anmahnt, kann ohne Atomstrom, ja, sie muss sogar ohne Atomstrom hergestellt werden. Es geht um Versorgungssicherheit und um Daseinsvorsorge, ja. Darin sind wir uns sicherlich alle einig. Aber um zu diesem Ziel zu kommen, braucht es verschiedene andere Perspektiven, aber ganz klar nicht den Ausbau von Atomstrom.
Wir brauchen mehr Digitalisierung, um schneller, flexibler und genauer auf Nachfragen reagieren zu können. Wir müssen die Stromproduktion weiter dezentralisieren und auf kleinere Cluster herunterbrechen.
(Unruhe)
Und wir müssen die Anpassung des Energieverbrauchs in der Industrie zu bestimmten Hochlastzeiten umbauen
(Zurufe: Aha, aha!)
und dazu ermutigen, um so viel wie möglich grünen Strom aus Wind und Sonne nutzen zu können
(Zuruf: Ach ja!)
und Abschaltungen wegen drohender Netzüberlastung - das ist es nämlich häufig, dass wir Erneuerbare wegen drohender Netzüberlastung abschalten - möglichst zu minimieren.
Warum Atomkraft aus unserer sozialdemokratischen Sicht nicht Teil der Lösung ist, sage ich hier gern erneut: Es gibt nach wie vor weltweit kein Endlager für schwer radioaktiven Müll. In Schweden wird nach 50 Jahren Suche nun ein solches gebaut. Es wird das erste sein. In Deutschland läuft die Suche nach einem Endlager. Diese Suche wird aber noch Jahre brauchen, und auch dann, wenn mehrere potenzielle Standorte gefunden sind, ist weder die Genehmigung da noch werden die Anwohner vor Freude in die Höhe springen bzw. vor Begeisterung strahlen.
(Zuruf: Ein böses Wort!)
Und ich bin jetzt schon gespannt, wie die Debatten in diesem Hohen Hause laufen werden, wenn unter den vorgeschlagenen Endlagerorten ein sachsen-anhaltischer vorkommen sollte. Wie wäre es denn, wenn eine Endlagermöglichkeit im halleschen Kaligebiet vorgeschlagen würde?
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Das ist nicht unwahrscheinlich!)
Wer geht dann dorthin und sagt den Menschen: Ihr wohnt demnächst neben einem Atommüllendlager?
(Zuruf von der AfD: Ich mache das!)
- Gut, na wunderbar. Viel Spaß dabei!
Wenn die Atomkraftwerke weiterlaufen, dann fällt auch mehr Müll an. Warum das ein Thema ist? - Siehe oben.
Übrigens sind Kernfusionsforschung und nutzung in Serie zwei sehr verschiedene paar Schuhe. Forschung ist das eine, das in Serie-Gehen das andere. Bis wir damit möglicherweise in Serie gehen - ob sich das lohnt, wird sich zeigen , gehen noch Jahre ins Land.
(Zurufe)
Von den Betreibern von Emsland, Neckarwestheim und Isar 2 ist keiner mehr auf dem Pfad der Verlängerung über den 15. April hinaus unterwegs.
(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)
Warum also sollten wir politisch zu etwas motivieren, zu dem die Wirtschaft schon „auf Wiedersehen“ gesagt hat?
Alle Risiken der aktiven Meiler liegen derzeit komplett beim Bund. Die Betreiber haben keine Versicherung. Die Gewinne gehen an die privaten Energieunternehmen, die möglichen Schäden und Risiken tragen wir als Gesellschaft. Diese gehen, was bezifferbare Dinge betrifft, in die Milliarden. Die Schäden an Natur und Umwelt sind kaum zu beziffern.
Die Frage der Sicherheit der Meiler ist nicht beantwortet, auch weil mit dem Ausstiegsbeschluss von 2011 Wartungen und Reparaturen nur noch eingeschränkt vorgenommen wurden.
(Guido Kosmehl, FDP: Das stimmt doch gar nicht!)
Atomstrom deckt derzeit 6 % des Strombedarfs. Für diesen Anteil mehr Müll und erhöhte Risiken in Kauf zu nehmen, das erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht.
(Guido Kosmehl, FDP: Aber wo kommen denn die 6 % dann her?)
Auch die hybride Bedrohungslage spricht klar dafür, dass wir uns von der Atomkraft verabschieden müssen.
Ein Letztes: Atomstrom verstärkt die Energieabhängigkeit und ist am Ende eine sicherheitspolitische Sackgasse. Ich glaube auch, dass es sinnvoller ist, sich in die Bereiche hineinzuarbeiten und die Energie dort hineinzustecken, wo die Zukunft liegt. Denn ganz ehrlich: Atommüll ist keine lapidare Angelegenheit der Atomkraft, sondern ist eine die Sicherheit und die Umwelt belastende Angelegenheit für spätere Generationen. Unter dieser Überschrift ist für mich Nachhaltigkeit an dieser Stelle nicht verhandelbar. Atomstrom bleibt nicht nachhaltig und das wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Kleemann, es gibt eine Intervention von Herrn Scharfenort. Sie hätten dann die Chance, darauf zu reagieren. - Herr Scharfenort, Sie haben das Wort.
Jan Scharfenort (AfD):
Frau Kleemann, ich möchte mit ein paar Irrtümern aufräumen. Es ist bei Ihnen immer das Gleiche, man hört immer wieder: Netze ausbauen. Aber das haben Sie auch hier falsch gesagt; denn die Netze können keinen Strom speichern. Genau das ist das Problem. Wir brauchen konstant - das haben Sie gesagt - 50 Hertz. Bei Überlast - das ist richtig - müssen wir entweder abschalten oder, wie es Frau Pähle vorhin gesagt hat - das passt genau dazu , der Strom muss woanders hin. Das hat im Sommer gepasst; denn da ging er nach Frankreich. Aber wie sieht es bspw. heute aus? Schauen Sie sich das einmal auf der Website „Agora Energiewende“ an: Heute um 13 Uhr lag der Verbrauch bei 70 GW. Wir hatten aus Wasserkraft 1,4 GW, aus Biomasse 5 GW, aus Wind 6 GW und Solar 2 GW. Woher kommt der Rest? - Natürlich aus der konventionellen Erzeugung.
Solange Sie für Energie aus Sonne und Wind die Speicherkapazität nicht haben - und die haben Sie derzeit nicht , brauchen sie grundlastfähige Energien. Das sind nun einmal - Sie müssen sich entscheiden - Atom, Kohle. Die Grünen scheinen jetzt den Weg der Kohle zu gehen; Habeck sagt auch schon: Na ja, man könnte vielleicht auch über CO2-Abscheidung sprechen. Aber wie wollen Sie das Problem lösen? Wir brauchen jetzt noch die grundlastfähigen Energieträger und das sind nun einmal die fossilen Energien.
(Zustimmung bei der AfD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie könnten jetzt darauf reagieren, Frau Kleemann. - Aber ich sehe an Ihrer Körperhaltung keinen so ausgeprägten Bedarf dafür. - Okay, in Ordnung. Dann sind wir am Ende des Debattenbeitrages.