Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Vielen Dank. Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Schulen im Land brennt die Luft.
(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Oh!)
Bei dem massiven Ausfall von Unterricht war es auch nur eine Frage der Zeit, bis sich Brandbriefe und Notappelle aus den Schulen und aus besorgten Kommunen stapeln würden.
Inzwischen kritisieren also nicht nur wir als Opposition die Schulpolitik der Landesregierung; jetzt wachen auch die eigenen Leute und Protagonisten auf. Landräte und Oberbürgermeister, Stadträte und Kreistage, Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft melden sich zu Wort und verlangen Korrekturen und wirksame Maßnahmen. Plötzlich reagiert der Ministerpräsident, zwar nicht dadurch, dass er der Debatte beiwohnt, aber - man hört und staunt - er will das Desaster in den Schulen zur Chefsache machen und zu einem Schulgipfel einladen.
(Eva von Angern, DIE LINKE: Das hat er doch schon mal gemacht! - Zurufe von der AfD)
Nur wird auch dieser Gipfel wahrscheinlich wieder nur eines bringen, nämlich enttäuschte Hoffnungen. Denn wie es läuft, wenn man zwar den Mund sehr voll nimmt, aber mit leeren Händen kommt, hat der sogenannte Schulfrieden gezeigt. Das war eine Wahlveranstaltung für die CDU und eine nutzlose Zeitverschwendung für alle Beteiligte.
(Beifall bei der LINKEN - Marco Tullner, CDU: Sie waren doch gar nicht da!)
Der Schulgipfel soll offenbar nicht anders laufen. Denn Herr Haseloff ließ schon letzte Woche in der „Volksstimme“ Folgendes verlauten - ich zitiere : Wir können das Grundproblem zwar nicht lösen; wir werden aber in einer Gesamtschau nach Lösungen suchen, die den Mangel zumindest lindern.
(Guido Kosmehl, FDP: Das ist doch schon mal ein Schritt!)
Ich glaube es ja nicht: Ihm bricht das Haus zusammen und er will ein bisschen Staub wischen.
(Beifall bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Ja, ja, ja!)
Was für eine fatalistische Ankündigung für einen Ministerpräsidenten und was für eine Zumutung für alle, die unter den Folgen der jahrelangen Kürzungspolitik leiden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Landesregierung trägt die Verantwortung für das, was in der Schulpolitik im Lande schiefläuft und, verdammt noch mal, Sie können das Grundproblem nicht nur lösen; Sie müssen es lösen.
(Beifall bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Aber wie denn? Wo ist denn die Lösung?)
Denn der Lehrkräftemangel fällt doch nicht vom Himmel.
(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)
Er wurde sehenden Auges herbeigeführt gegen unsere ständigen Warnungen. Das Regierungshandeln wird seit Jahren an absurden Planungen zum Lehrkräftebedarf ausgerichtet, die vor mehr als 20 Jahren entwickelt wurden und die den tatsächlichen Lehrkräftebedarf jahrelang um mehr als 5 000 Stellen unterschätzt haben.
(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Vor mehr als 20 Jahre haben Sie noch eine Rolle gespielt! Da gab es das Magdeburger Modell! - Zuruf von Marco Tullner, CDU)
- Ja, ja. Dopatka(?)-Kommission. Schauen Sie nach. Unter Ministerpräsident Höppner hat das angefangen, ja, und dann wurde es durchgezogen, die ganze Zeit. Dann schauen wir in das Personalentwicklungskonzept von 2009. Darin wird für das Jahr 2020 von einem Lehrkräftebedarf von weniger als 10 000 Stellen geträumt. Das ist alles nachlesbar.
(Guido Kosmehl, FDP: Richtig!)
Das sind nur 65 % unseres tatsächlichen Bedarfs. Diese massive Unterversorgung kriegen wir jetzt auch, zumindest was den Bestand an ausgebildeten Lehrkräften betrifft. In den Schulen der Sekundarstufe I werden selbst mit den Lehrkräften im Seiteneinstieg letztlich nicht mehr als diese 65 % zu schaffen sein. Wir ernten jetzt das, was CDU und SPD jahrelang gesät haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Den meisten dürfte inzwischen klar geworden sein, dass alles Quatsch war, was damals in die Personalentwicklungskonzepte des Finanzministeriums hineingeschrieben wurde. Trotzdem lässt man seit mehr als 15 Jahren den Finanzminister bestimmen, was den Schulen personell und finanziell erlaubt wird und was nicht. Personalpolitik für die Schulen ist insofern schon lange Chefsache, nur eben nicht für den Chef der Landesregierung.
Wenn also die Schulbildung jetzt nach jahrelangem Wegducken doch noch in der Staatskanzlei ankommen soll, dann geht das nur über andere Entscheidungen zum Geld. Im Moment darf der Finanzminister jährlich mit einem dreistelligen Millionenbetrag für nicht verausgabte Lehrergehälter Haushaltslöcher stopfen, anstatt diese Mittel für Investitionen in Bildung einzusetzen.
(Tobias Rausch, AfD: Es ist doch keiner da, der eingestellt werden kann - Guido Kosmehl, FDP: Uh, uh, uh!)
Wenn der Ministerpräsident dem Finanzminister nicht die Kasse öffnet und wenn er zum Schulgipfel außer netten Worten nichts im Beutel hat, dann wird der Gipfel genauso ergebnis- und folgenlos scheitern wie schon der glorreiche Schulfrieden.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Ministerpräsident hat zu der „Mitteldeutschen Zeitung“ gesagt, er wolle alle Beteiligten haben, die Ideen zur Problemlösung haben. Ich gehe allerdings davon aus, dass der Bildungsausschuss des Landtages damit wieder einmal nicht gemeint ist, wie schon beim Schulfrieden, und dass er auch zum Schulgipfel nicht eingeladen wird.
Ich finde es mehr als befremdlich, dass immer wieder Formate erfunden werden, um die Fachleute im Parlament außen vor zu lassen. Deshalb erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass es seit Jahren auch hier im Parlament jede Menge Ideen gibt.
Der von uns im Oktober 2022 eingebrachte Masterplan zur Sicherung der Schulbildung liegt derzeit zur Beratung im Bildungsausschuss. Darin sind die wichtigsten Baustellen benannt, an denen sich die Zukunft der Bildung und somit des Landes entscheidet. Es wäre höchst peinlich, wenn parallel zu den Beratungen im Bildungsausschuss auf dem Schulgipfel die Vorschläge aus dem Parlament keine Beachtung finden würden. Deshalb will ich die fünf größten Baustellen kurz in Erinnerung rufen.
Erstens: die Lehramtsausbildung. Sie muss an der Otto-von-Guericke-Universität deutlich ausgeweitet und an der Martin-Luther-Universität stärker am Bedarf ausgerichtet werden.
(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)
Für die Martin-Luther-Universität wäre es schon einmal ein guter Anfang, wenn sie von der unnötigen Ausbildung für katholische Religion wieder entlastet werden würde.
(Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)
- Ja, den haben aber Menschen gemacht, verdammt noch mal! Menschen können den ändern! Man kann es doch nicht laufen lassen. Das ist doch irre, was dort läuft! Es gibt Staatskirchenverträge.
(Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD - Zuruf: Haben Sie etwas gegen katholische Religion?)
Mein Gott, wir können überall Blockaden aufbauen.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Die studieren doch aber deshalb nicht Mathematik!)
- Die bilden doch aber Ressourcen. Das studiert ja niemand. Gott sei Dank.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Aber die studieren dann doch keine Mathematik!)
- Ja, aber die Ressourcen würden frei werden.
Zweitens: die Lehrkräfte im Seiteneinstieg. Sie müssen vollwertige Lehrkräfte werden, pädagogisch qualifiziert und vollwertig bezahlt, und zwar auch ohne ein zweites Fach nachstudieren zu müssen.
Drittens: die Lücken in den Stundentafeln.
(Matthias Redlich, CDU: Gehen Sie einmal in die Schulen!)
- Sie kommen ja aus der Schule.
(Zuruf von Daniel Sturm, CDU - Weitere Zurufe: Na ja! - Das ist viel zu lange her!)
Die Lücken in den Stundentafeln müssen durch Bildungsangebote von Nichtlehrkräften und von Bildungsträgern gefüllt werden. Wir brauchen dafür unter anderem deutlich mehr pädagogische Mitarbeiterinnen, ein eigenes Landesprogramm für Schulsozialarbeit und ein flächendeckendes Angebot für berufspraktischen Unterricht an den Schulen der Sekundarstufe I.
(Beifall bei der LINKEN)
Viertens: die Unattraktivität der Sekundarschulen. Wir brauchen ein Konzept zur vollständigen Umwandlung dieser Schulform in attraktive Gemeinschaftsschulen,
(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Richtig!)
die nicht mehr hinter den Gymnasien zurückstehen.
(Beifall bei der LINKEN - Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Richtig! - Eva von Angern, DIE LINKE: Ja!)
Fünftens: die konkurrenzfähige Bezahlung aller Lehrkräfte. Wir brauchen noch im kommenden Jahr die Bezahlung aller Grundschullehrkräfte nach A 13/E 13. Dazu sage ich nachher noch etwas in den drei Minuten.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Fortschritte bei diesen zentralen Themen wird der Schulgipfel ausgehen wie das sprichwörtliche Hornberger Schießen. Oder frei nach Shakespeare: Viel Lärm um nichts!
Wir werden in den laufenden Haushaltsberatungen das benötigte Geld für die Umsetzung unseres Masterplans und für weitere Bildungsinvestitionen beantragen. Dann wird sich sehr genau zeigen, welchen Stellenwert Bildung für die Koalition hat. Bisher haben wir jedenfalls keine Erwartungen an diesen Schulgipfel. Wir lassen uns hierbei aber gern eines Besseren belehren.
(Stefan Ruland, CDU: Wie lange soll denn das dauern? - Guido Kosmehl, FDP: Ist klar! - Zuruf von Daniel Sturm, CDU)
Denn die Schulen, unsere Kinder und unsere Jugendlichen würden einen Erfolg so dringend benötigen.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb unsere dringende Bitte an den Ministerpräsidenten - schön, dass Sie jetzt da sind :
(Zuruf von der LINKEN: Na immerhin!)
Legen Sie das Staubtuch weg und nehmen Sie die Schaufel in die Hand. - Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Lippmann, es gibt eine Frage von Herrn Kosmehl.
Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Ja.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Kosmehl, bitte.
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Der war damals auch mit dabei! - Zuruf: Das stimmt!)
Guido Kosmehl (FDP):
Herr Lange, bleiben Sie ganz entspannt. - Herr Lippmann, ich habe zwei Fragen.
Erste Frage. Können Sie mir bestätigen, dass wir Anfang der 2000er-Jahre Prognosen hatten, die, glaube ich, auch von der GEW nicht bezweifelt wurden und die besagt haben,
Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Ach wo!
Guido Kosmehl (FDP):
dass wir bis zum Ende des Jahrzehnts sinkende Schülerzahlen erwarten dürfen?
(Thomas Lippmann, DIE LINKE, lacht)
Also nur, damit wir einmal darüber reden, was die Entscheidungsgrundlage im Landtag Anfang der 2000er-Jahre war.
Zweite Frage. Ich würde gern wissen, was Sie konkret j e t z t anders machen würden, damit ab morgen,
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Oh! - Zuruf von Monika Hohmann, DIE LINKE)
ab nächster Woche, meinetwegen ab dem 1. Januar 2023 die Unterrichtsversorgung besser ist. Was sind konkrete Maßnahmen? Nicht, was man in der Ausbildung anders machen muss, sondern was wollen Sie jetzt konkret verbessern?
(Zurufe - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Das ist unglaublich flach, lieber Kollege Kosmehl, was ich von Ihnen so gar nicht gewohnt bin.
(Zuruf: Das dauert mir zu lange!)
Erstens. Ich mache seit gefühlt 30 Jahren, ich sage einmal, seit 25 Jahren - ich will einmal den Anfang der 1990er-Jahre weglassen - beruflich gesehen nichts anderes, als mich mit den Fragen zur Unterrichtsversorgung, zur Lehrerausbildung und zu den Schülerzahlprognosen usw. zu beschäftigen. Ich weiß gar nicht, wie lang der Bart ist, den ich dazu schon habe, dass ich immer die Schülerzahlprognosen abgelehnt habe.
Es war immer klar, dass diese Diskrepanz von 5 000 Stellen vorhanden ist. Wie gesagt, im Personalentwicklungskonzept stehen 9 850 Stellen für das Jahr 2020 und nicht 15 000 Stellen, die wir jetzt brauchen. Es war immer klar, dass es der Wille war, das Geld, sowohl an den Universitäten für die Ausbildung als auch später im Schuldienst für die Einstellung, nicht ausgeben zu wollen. Die Schülerzahlprognosen waren immer, die ganze Zeit - es gab nie eine Unterbrechung , zu schlecht. Sie sind alle zwei Jahre korrigiert worden. Ich habe sie alle noch da. Ich habe sie alle verfolgt. Sie mussten alle zwei Jahre immer nach oben korrigiert werden - immer!
Das hat nie dazu geführt, dass man Eckwerte, die dafür zugrunde liegen, einmal anders justiert hat. Es gab auf der einen Seite immer die Hoffnung, dass es doch nicht so viele werden. Auf der anderen Seite ist der Lehrkräftebestand immer überschätzt worden. Es gab immer die Hoffnung, dass sie doch nicht gehen werden, dass sie doch noch bleiben werden, dass sie doch noch bis zum Schluss durchziehen usw. Das geht seit 15 Jahren und länger so.
Wie gesagt, ich habe in dieser Dopatka(?)-Kommission gesessen. Da ging es um die Lehrertarifverträge. Dopatka(?) war so ein Kollege, der aus Niedersachsen hergeholt wurde, für diejenigen, die das jetzt nicht einordnen können. An dieser Systematik, die immer zu falschen Prognosen geführt hat und die immer für diese Spannbreite gesorgt hat, ist im Prinzip nie etwas geändert worden. Die begleitet uns seit 15 Jahren. Diese Prognosen sind von uns nie akzeptiert worden. Wir haben immer gesagt, dass das um Tausende zu wenig sind.
Das Entscheidende ist nicht das, was auf dem Papier steht, sondern das Entscheidende ist, dass aus diesen Fehlprognosen heraus die Begründung für den Abbau und für das Niedrighalten der Lehrerausbildung gezogen wurde. Das war der Hard fact. Der Hart fact ist, dass wir nicht ausgebildet haben. Dass wir daran kurzfristig nichts ändern können, muss ich Ihnen, Herr Kosmehl, nicht erzählen. Aber was wir trotzdem machen können, steht in unserem Masterplan. Den referiere ich jetzt nicht.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
- Nein, der hat kurzfristige, mittelfristige und langfristige Maßnahmen.
(Zurufe: Nein!)
- Ja, klar.
(Beifall bei der LINKEN)