Dr. Katja Pähle (SPD):
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die unbestreitbaren Fakten zum Zustand der Schulen in unserem Land liegen auf dem Tisch. Frau Ministerin hat sie gerade noch einmal ausgeführt. Es gibt eine historisch niedrige Unterrichtsversorgung von 93,5 %; an einzelnen Schulen liegt sie weit darunter.
Bei den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen beträgt sie nur 88 %. Auch das Gymnasium ist von diesem Problem nicht mehr verschont. 800 Lehrkräfte und pädagogische Kräfte fehlen. Knapp 7 000 Kinder mehr sind in den Schulen, davon 5 700 Kinder, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Die Quote von Schulabbrechern ist weiterhin hoch.
Alarmierende Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends zeigen auf, dass eine zunehmende Anzahl von Schülerinnen und Schülern in der Grundschule nicht einmal die Mindeststandards in Deutsch und in Mathematik erreicht, wenngleich man hierbei sicherlich den Coronaeffekt nicht außer Acht lassen darf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das beunruhigt nicht nur mich als Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern, sondern viele andere Familien, viele Ausbildungsbetriebe und Hochschulen.
Die Magdeburger Erklärung, die uns in diesen Tagen erreicht hat, reiht sich ein in eine Kette von Briefen, mit denen insbesondere Elternvertretungen ihre Sorge ausdrücken. Um es klar zu sagen: Wenn es so weitergeht, dann steht die Zukunft unseres Landes auf dem Spiel, wenn es denn so weitergeht.
Eine weitere Verschlechterung können wir uns nicht länger leisten. Wir müssen in den nächsten Monaten einige Bremsen lösen, um wirksame Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Frau Ministerin hat gerade gesagt: Wir müssen jeden Stein umdrehen. Das ist richtig.
Auch meine Fraktion hat in den letzten Jahren oft Vorschläge unterbreitet und Lösungen aufgezeigt. An der Umsetzung einiger Vorschläge mangelt es jedoch leider noch immer.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich in der Zeitung von der Ankündigung des Herrn Ministerpräsidenten las, er wolle im Januar einen Bildungsgipfel einberufen, hatte ich tatsächlich ein kleines Déjà-vu. Ich fühlte mich an den einseitig ausgerufenen Schulfrieden im Frühjahr 2021 erinnert. Ehrlich gesagt: Einen weiteren Bildungsgipfel dieser Art brauchen wir nicht, wenn er nicht zu konkreten Handlungen führt.
Wir haben nämlich kein Erkenntnisproblem, auch nicht unter den Bildungspolitikern. Ministerpräsident Haseloff hat unsere Unterstützung, wenn es um die Umsetzung konkreter Maßnahmen geht, z. B. flexible Personalbudgets.
(Marco Tullner, CDU: Die hatten wir doch immer in der Koalition!)
Wenn Stellen für Lehrkräfte nicht besetzt werden können, dann muss es möglich sein, aus dem Budget des Bildungsministeriums andere Kräfte wie pädagogische Mitarbeiterinnen oder Schulverwaltungsassistenten einzustellen.
(Zustimmung bei der SPD)
Jede weitere besetzte Stelle hilft den Schulen. Wenn ein Bildungsgipfel dazu führt, dass das Finanzministerium seine Haltung überdenkt, dann wäre das ein Fortschritt. Das wäre zu begrüßen.
(Beifall bei der SPD)
Zu den Seiteneinsteigern. Unter den derzeitigen Neueinstellungen sind fast ein Drittel Seiteneinsteiger. Um sie aufgrund der Belastung nicht wieder zu verlieren, braucht es Verbesserungen bei der Betreuung und der Weiterbildung. Darüber werden wir morgen hier auch noch miteinander sprechen.
Zum Schulbudget. Die Schulen brauchen ein eigenes Budget und mehr Freiheiten. Wenn Engpässe vor Ort drohen, dann sollen sie zukünftig eigenständiger und vor allem selbstständiger handeln können, um Personal und Angebote einzukaufen.
(Unruhe)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Dr. Pähle, einen Augenblick bitte. - Wenn Diskussionsbedarf in einer Fraktion besteht
Dr. Katja Pähle (SPD):
Meine Redezeit läuft weiter.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Ja, ich schaue darauf. - Mir geht es jetzt um den Diskussionsbedarf in einer Fraktion. Wenn man eine kurze Abstimmung vornimmt, dann ist das das eine. Aber wenn man intensiv Themen diskutiert, dann bitte ich doch darum, dass außerhalb des Plenarsaals zu erledigen. Vielen Dank. - Frau Dr. Pähle bitte.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Dass dieses Budget auf einzelne Schularten beschränkt ist und z. B. für Gymnasien nicht zur Verfügung steht, ist nicht nachvollziehbar. Wir hatten erst kürzlich den Fall des Gymnasiums in Weferlingen. Auch dort kann und würde ein Schulbudget helfen. Wenn wir diesen Schritt wagen, wofür ich sehr bin, dann sollten wir das für alle Schulformen tun.
Zur Schulsozialarbeit. Auch das ist Bestandteil der Magdeburger Erklärung. Vor wenigen Monaten ist es uns innerhalb der Koalition gelungen, 14 Stellen mehr im Land zu schaffen. Lassen Sie uns über die Zukunft der Schulsozialarbeit im Land sprechen. Die SPD unterstützt ein eigenes Landesprogramm, um hier mehr auf den Weg zu bringen.
In der Magdeburger Erklärung heißt es: Wettbewerbsnachteile gegenüber benachbarten Bundesländern sollen ausgeglichen werden. Ja - ich komme zu der vorliegenden Beschlussempfehlung , diese Forderung ist Rückenwind für unsere Forderung, Grundschullehrkräfte nach E 13 bzw. A 13 zu bezahlen. Dennoch werden wir die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses heute mittragen. Ich sage aber ganz deutlich: Wir werden diesen Punkt innerhalb der Haushaltsberatungen wieder aufgreifen und miteinander darüber diskutieren.
Wir bilden heute Nachwuchs aus, der dann aufgrund der besseren Bezahlung nach Sachsen, Thüringen, Niedersachsen und Brandenburg abwandert. Wenn uns nachweisbar ein Drittel der jungen Lehrkräfte verlässt, dann haben wir ein Problem. Genau deshalb müssen wir erneut über diesen Punkt reden.
Was haben wir schon auf den Weg gebracht? - Ganz ehrlich: Auch darauf muss man hinweisen. Denn auch wenn die Situation so ist, wie beschrieben, haben wir in der Koalition doch schon einiges in Bewegung gesetzt. Zum Schulhalbjahr wird es Arbeitszeitkonten für Lehrkräfte geben. Für die Schule besteht die Möglichkeit, ihren Unterricht anders zu gestalten. Das 40-10-Modell ist hierbei das Schlagwort.
Das Ministerium plant für das nächste Jahr Stipendien für Lehramtsstudierende an Sekundarschulen, die MINT-Fächer studieren. Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst können ab der elften Unterrichtsstunde freiwillig mehr arbeiten.
Für diese und künftige Maßnahmen ist aber eines unverzichtbar: Sie dürfen nicht in einem Flaschenhals in der Schulverwaltung stecken bleiben. Viele Probleme, die an uns herangetragen werden, könnten vermieden werden, wenn die Schulverwaltung flexibler und moderner ausgestattet wäre. Dafür muss sie personell und fachlich gestärkt und an der Spitze professionalisiert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bildung ist die wichtigste Ressource, die wir in Sachsen-Anhalt haben. Wir tun gut daran, uns diesem schwierigen Thema intensiv zu widmen und nicht so zu tun, als wären einfach nur mehr Studienkapazitäten die Lösung für unsere Probleme,
(Zustimmung bei der FDP)
als wäre die Neuausrichtung an der OVGU die Lösung unserer Probleme. Es geht um kurzfristige Maßnahmen - dazu habe ich einige Dinge gesagt - und es geht um mittel- und langfristige Maßnahmen.
Bei aller Diskussion bitte ich alle engagierten Bildungs- und Wissenschaftspolitiker im Blick zu behalten, dass auf ein Tief in der Lehrerversorgung immer ein Hoch folgt. Genau an diese Konsequenz müssen wir bereits heute denken. Denn wir wissen, wie lange die Lehramtsausbildung dauert. Sie eignet sich im Übrigen kaum für das Umstellen auf eine Ausbildung auf Fachhochschulniveau. Deshalb ist es gut, diese Diskussion sachlich fundiert zu führen.
Die Grundidee, dass für den Norden des Landes Lehrkräfte nur gewonnen werden können, wenn sie im Norden des Landes ausgebildet werden, halte ich persönlich für falsch.
(Zustimmung bei der CDU)
Niemand von uns käme auf die Idee, Magdeburg benötige eine eigene juristische Fakultät, weil es im Norden des Landes zu wenige Juristinnen und Juristen gibt.
(Zustimmung bei der CDU und von Andreas Silbersack, FDP)
Niemand käme auf die Idee, Verwaltungsfachassistenten aus dem Harz abzuziehen, weil in Wittenberg Stellen unbesetzt bleiben. Genau vor diesem Hintergrund ist unsere vorderste Aufgabe, die Besetzungen zu beschleunigen, den Lehrerberuf in Sachsen-Anhalt attraktiv zu gestalten, die Bremsen, die wir haben, zu lösen, damit wir schneller und besser einstellen können als die uns umgebenden Bundesländer. Damit können wir im Sinne unserer Schülerinnen und Schüler und im Interesse unserer Schulen sehr schnell sehr viel erreichen. -Vielen Dank.
(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Dr. Pähle, Sie waren sehr schnell. Es gibt eine Intervention von Herrn Lippmann.
(Lachen bei der AfD - Zuruf von der AfD: Nein!)
Thomas Lippmann (DIE LINKE):
Ich betone, dass ich das jahrelange Festhalten, insbesondere auch der SPD, an der geschlossenen Lehrerausbildung in Magdeburg für Irrsinn halte; und dass das der Grund dafür sein wird, dass die Probleme, für die wir jetzt natürlich irrsinnige kurz- und mittelfristige Lösungen benötigen, über das Jahr 2035 bestehen bleiben werden.
Mit der gegenwärtigen Lehrerausbildung, mit den gegenwärtigen Kapazitäten,
(Christian Hecht, AfD: 30 Sekunden!)
ohne Magdeburg in einem Flächenland, verspielen wir jetzt die Chance, überhaupt irgendwann aus der Sache herauszukommen - es sei denn, wir setzen auf das Aussterben des Landes, nämlich auf sinkende Schülerzahlen.
Aber genau das hat sich in den letzten Jahren nicht bewährt. Die Schülerzahlen sind nicht gesunken, und wir wissen, dass sie auch bis zum Jahr 2030 - ich sage sogar, darüber hinaus - nicht sinken werden. Wir schaffen mit dieser Haltung heute die Probleme derer, die in zehn bis zwölf Jahren hier in diesem Haus sitzen und die gleichen Debatten führen werden, wie wir sie heute führen.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Dr. Pähle.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Sehr geehrter Herr Kollege Lippmann, Sie wissen, dass ich Ihre fachliche Expertise an vielen Stellen sehr schätze. Aber bei dieser werde ich immer und immer wieder widersprechen. Ich kann es Ihnen auch herleiten: Wir haben bundesweit aktuell einen Lehrkräftemangel. Wir haben überall das Ringen um Lehrkräfte.
(Hendrik Lange, DIE LINKE: Genau das ist das Problem!)
Ich frage Sie ganz ehrlich, ob es wirklich unser Ansatz sein muss, dafür zu sorgen, eine neue Ausbildungsstätte wiederaufzubauen mit einer Berufsperspektive für neu zu berufende Professorinnen und Professoren von 30 bis 35 Jahren, um dann Lehrkräfte auszubilden, die wir wahrscheinlich nicht alle benötigen werden.
Die wichtige Frage ist - Frau Feußner hat darauf hingewiesen : Die Anzahl der Abiturabgänger betrug im vergangenen Jahr knapp etwas mehr als 5 000 Abiturientinnen und Abiturienten. 1 200 Studienplätze werden im Erstsemester für das Lehramt in Halle plus einige zusätzliche Plätze in Magdeburg angeboten. Aus welchem Fundus wollen Sie denn den Aufwuchs von Studienkapazitäten besetzen?
Sollte es nicht unsere Aufgabe sein, z. B. die Frage zu stellen, warum wir Lehrkräfte aus Baden-Württemberg, die in den Sommerferien entlassen werden, mit einer Perspektive der Festanstellung nicht für Sachsen-Anhalt gewinnen können?
(Zuruf von Ministerin Eva Feußner)
Das ist doch in dieser Phase der wesentlich lohnendere Aspekt, als darüber zu spekulieren, in fünf oder sechs Jahren aus einem neu aufgebauten Studiengang zusätzlich ausgebildete Lehrkräfte zu haben, die wir dann aus einem Abiturfundus schöpfen, der sowieso viel zu klein ist, um alle Bedarfe im Land zu decken.
(Zustimmung bei der SPD)