Henriette Quade (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass die CDU nach 16 Jahren Regierungsverantwortung im Bund und aus der Regierung im Land heraus über das Thema Migration reden will. Ich sage Ihnen aber ganz ehrlich, mein Eindruck ist, dass es dabei erstens eher um die Tatsache geht, dass die Bundesinnenministerin jetzt von der SPD ist, als um einen ernsthaften Vorschlag.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Und zweitens - das ist noch schlimmer - sind die CDU-Spitzen im Bund und im Land von der aus humanitärer, aber auch aus ganz rational bilanzierender Sicht der dringend notwendigen Modernisierung konservativer Migrationspolitik mit einer klaren Abgrenzung nach Rechtsaußen, wie sie im Burgenlandkreis mit dem Landrat Götz Ulrich gelebt und praktiziert wird, genauso weit entfernt wie in der Vergangenheit.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren! Wer heute wie Friedrich Merz von „Sozialtourismus“ spricht, weil Frauen und Kinder, die aus der Ukraine flüchten mussten, ihre Familien besuchen und sie unterstützen, oder wer wie Alexander Dobrindt davon spricht, dass der deutsche Pass „verramscht“ werden soll,
(Markus Kurze, CDU: Das ist ja auch so! - Zurufe von der AfD: Das ist so!)
und wer glaubt, man müsse Asyl- und Aufenthaltsrecht nur noch restriktiver machen, als sie ohnehin schon sind,
(Zuruf von der AfD)
um rassistischen Kampagnen und Einstellungen den Boden zu entziehen, der hat aus den letzten 30 Jahren nichts, aber auch wirklich nichts gelernt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will auf die in der Begründung der Aktuellen Debatte angesprochenen und auch auf die nicht angesprochenen Punkte zu sprechen kommen. Natürlich war und ist die Flucht von Menschen aus der Ukraine eine große Herausforderung und es ist den Kommunen und unzähligen Engagierten ausdrücklich zu danken.
Ich sage: Der beste Dank an die Kommunen wäre, sich jetzt nicht hier hinzustellen und zu sagen, die Kommunen sind überfordert, wir können keine anderen Geflüchteten mehr aufnehmen, sondern für eine an den tatsächlichen Aufgaben und Bedürfnissen orientierte Finanzierung der Kommunen und z. B. für personelle Verstärkung, wo sie nötig ist, bspw. in den Ausländerbehörden, zu sorgen,
(Beifall bei der LINKEN)
statt - das ist der eigentliche Hammer - mit dem aktuellen Haushaltsplanentwurf Zuweisungen für die Gemeinden für Integration um mehr als 600 000 € zu kürzen.
(Zuruf von der AfD: Das reicht noch nicht!)
Der Staat hat im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine in diesem Jahr gezeigt, was möglich ist, wie unkomplizierte und schnelle Entscheidungen herbeigeführt werden können und wie Willkommen auch in die Verwaltungspraxis übersetzt werden kann, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Für viele, die seit Jahren in der Geflüchtetenhilfe arbeiten, war und ist es aber auch bitter zu sehen, dass das zu Geflüchteten erster und zweiter Klasse geführt hat.
Für uns als LINKE-Fraktion ist sehr klar: Die gute Aufnahmepolitik für Ukrainerinnen muss als Vorlage für die Humanisierung des Asyl- und Aufenthaltsrechts im Allgemeinen genommen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Offensichtlich sind Sie sich der Probleme, mit denen sich Asylsuchende und Geflüchtete seit Jahren herumschlagen müssen, die sich unmittelbar aus dem Asyl- und Aufenthaltsrecht ergeben, wie langer Aufenthalt in Ankerzentren, wie fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt, wie die Separierung von der Mehrheitsgesellschaft, durchaus bewusst, sonst wären die Regelungen nicht gezielt für die Ukrainerinnen und Ukrainer gezielt ausgesetzt und verändert worden.
Aber statt den von der Ampelkoalition angekündigten und überfälligen Paradigmenwechsel vorzunehmen, enttäuscht die Bundesregierung mit zu zögerlichen und hinter dem Koalitionsvertrag zurückbleibenden Regelungen im neuen Chancenaufenthaltsrecht und geht selbst davon aus, dass nur ca. 34 000 Menschen überhaupt die Chance bekommen werden, die für alle versprochen wurden und nötig wäre.
Fortschritt wagen, das wurde im Koalitionsvertrag auf der Bundesebene versprochen und außerdem faire, zügige und rechtssichere Asylverfahren. Geliefert hat die Bundesregierung eine weitere Einschränkung der ohnehin schon beschnittenen Prozessrechte Asylsuchender im Asylverfahren. Das, meine Damen und Herren, ist nicht weniger als ein Skandal.
Auch uns treibt das Thema „Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Ortskräfte aus Afghanistan“ um. Anders als die CDU werfen wir der Bundesregierung allerdings nicht vor, dass sie ein solches Programm aufgelegt hat, sondern dass sie es verschleppt hat, dass es keine Priorität hat und dass deshalb Menschen sterben.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Dass Sie sich hier hinstellen und in dem Wissen darum, dass dieses Ausnahmeprogramm real nicht läuft - nicht eine Person ist bisher über dieses Programm aufgenommen worden , dass Menschen deswegen sterben, die abstrakte Aufnahme skandalisieren, sich dafür den Applaus der AfD abholen,
(Christian Hecht, AfD: Ja!)
spricht Bände über die praktische Relevanz christlicher Nächstenliebe in der Politik und über die Absicht dieser Debatte.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch das größte Integrationshindernis in Sachsen-Anhalt, der Rassismus, spielt in Ihrem Debattenbeitrag keine Rolle. Die ewige Wiederholung des Mantras „Mehr Abschiebungen sorgen für mehr Offenheit für die, die nicht abgeschoben werden“ entbehrt nicht nur jeder empirischen und soziologischen Evidenz,
(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
sondern es bestärkt sogar diejenigen, die mit Gewalt gegen Geflüchtetenunterkünfte vorgehen, weil die Problembeschreibung auch von der CDU und dem Innenministerium geteilt wird.
(Daniel Roi, AfD: Sie wollen doch gar nicht abschieben!)
Das ist verheerend und brandgefährlich.
Rassismus unterscheidet nicht nach Status. Er wirkt für alle, und zwar sowohl für den Geflüchteten als auch für den Intel-Manager. Die Antwort darauf ist nicht ein VIP-Bereich in der Ausländerbehörde für erwünschte Fachkräfte. Die Antwort ist Antirassismus und Solidarität.
(Zustimmung bei der LINKEN - Zurufe)
Wer illegale Migration bekämpfen will,
(Thomas Korell, AfD: Wie viele dürfen es denn sein?)
der muss Fluchtursachen, wie den Klimawandel bekämpfen und legale Fluchtwege schaffen.
(Zuruf von der AfD: Wer bezahlt das denn?)
Nicht die Verschärfung der Grenzkontrollen und Gewalt zur Abschreckung an den Außengrenzen der EU, sondern endlich ein solidarisches und menschenrechtssicherndes europäisches Asylsystem muss die Antwort auf das Scheitern des Dublin-Systems sein.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Und ja, man muss die CDU fragen, was sie denn in den letzten 16 Jahren getan hat, um das nach allgemeiner Auffassung gescheiterte Dublin-System endlich zu überwinden.
(Unruhe)
Dass diktatorische Regime Menschen, Schutzsuchende als Waffe instrumentalisieren und damit entmenschlichen, funktioniert nur, weil sie auch von demokratischen Regierungen so verstanden werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist kein Notstand der Migration; es ist ein Notstand der Menschlichkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Letztlich, meine Damen und Herren, besteht die Frage, ob wir ein Europa der Mauern und Grenzen wollen, in dem „der Pass der edelste Teil von einem Menschen“ ist, wie Berthold Brecht es sagte, oder ob wir ein Land wollen, das Humanität und Menschenwürde verteidigt, endlich anerkennt, dass Migration stattfindet, und die Bedingungen dafür schafft, dass weniger Menschen zwangsweise migrieren müssen. Wir werben sehr klar für Letzteres. Und Sie, meine Damen und Herren von der CDU, müssen sich entscheiden, auf welcher Seite der Gesellschaft Sie stehen wollen. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)