Tagesordnungspunkt 28
Beratung
Bildung in Sachsen-Anhalt: Queer und bunt! - Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt an unseren Schulen stärken.
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1856
Einbringerin ist Frau Sziborra-Seidlitz. Bitte sehr.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erinnern Sie sich auch zu so später Stunde noch an diesen Sommer? Die Sonne schien schon ab April und es war warm draußen. Diejenigen, die dabei waren, erinnern sich auch daran: Die Straßen waren voller bunter Flaggen, Menschen mit ausgelassener Stimmung liefen in Sachsen-Anhalt den ganzen Sommer über Wagen mit lauter Musik hinterher. Sie feierten ihre Errungenschaften und demonstrierten für ihre Rechte.
(Zurufe von der AfD)
Ja, wenn man im Sommer an den mittlerweile zahlreichen CSD- und Pride-Paraden in Sachsen-Anhalt teilnahm, konnte man schnell vergessen, dass queere Menschen in unserer Gesellschaft auch heutzutage noch benachteiligt werden, dass auch heutzutage queere Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung diskriminiert werden und Mobbing sowie Gewalt erfahren. Manchmal sind queere Menschen nicht einmal bei CSD- und Pride-Demonstrationen vor queerfeindlichen Übergriffen sicher, wie z. B. bei dem diesjährigen CSD in Halle,
(Zurufe von der AfD)
bei dem die Teilnehmenden einer Demonstration von einem Rechtsextremisten als Parasiten bezeichnet wurden und rechte Gruppen den Demonstrationszug mehrfach störten.
(Unruhe)
Um solche queerfeindlichen Vorfälle in Zukunft zu verhindern, muss die Prävention früh beginnen, und zwar bereits in der Schule; denn Schulen sind ein wichtiger Lebens- und Erfahrungsort für unsere Schülerinnen und Schüler. Leider erfahren Schülerinnen und Schüler oftmals Leid, Gewalt und auch Diskriminierung in der Schule.
(Ulrich Siegmund, AfD: Lasst die Finger von den Kindern! Das ist ja schlimm! - Zuruf von der AfD: Genau!)
Wir Bündnisgrünen kämpfen dafür, dass Schulen für alle Schülerinnen und Schüler zu einem sicheren Ort werden, egal welche Hautfarbe, welchen kulturellen Hintergrund, welche körperliche oder geistige Einschränkung und eben auch welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung die Schülerinnen haben.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Denn obwohl unsere Gesellschaft eigentlich weiter sein sollte, sich auch weiterentwickelt hat, werden Schülerinnen und Schüler, die vom typischen Rollen- oder Geschlechterverständnis abweichen, noch immer anders behandelt oder diskriminiert. Denn leider ist es auch in den Schulen nicht egal, ob Jonas in Leonie oder in Tim verliebt ist. Es ist nicht egal, dass Rieke eine Frau ist und als diese benannt werden möchte, unabhängig davon, dass sie mit einem Penis geboren wurde.
(Unruhe)
Es ist auch leider immer noch nicht egal, dass Kim als Mensch angesprochen werden möchte, weil Kim sich keinem Geschlecht zugehörig fühlt,
(Lachen bei der AfD)
und dabei sollte das egal sein. Egal wen man liebt, egal welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt
(Zurufe: Weil ein Kind sich keinem Geschlecht zugehörig fühlt! Selbstverständlich! - Ah, Hilfe! - Ruhe da drüben!)
oder ob man sich eben über kein Geschlecht definiert
(Daniel Rausch, AfD: Mensch, das redet ihr denen doch ein! So ein Scheiß! - Unruhe)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Sziborra-Seidlitz, warten Sie einmal kurz.
(Daniel Rausch, AfD: Das ist krank! - Weitere Zurufe)
- Nein, warten Sie jetzt einmal kurz. - Meine Lebenserfahrung hat es mir sozusagen schon prognostiziert, dass das Hohe Haus heute zum Ende dieses langen Tages wahrscheinlich an seine Grenzen kommt.
(Eva von Angern, DIE LINKE: Aber nicht das gesamte Hohe Haus!)
Das erleben wir gerade. Ich bitte einmal darum, dass auch dieser Tagesordnungspunkt in einer Art und Weise bewältigt wird, die mit der Würde dieses Hauses vereinbar ist, und dass wir unser Programm heute vernünftig zu Ende führen können. Ich bitte Sie darum, auch an dieser Stelle die Dinge in einer Art und Weise zu behandeln, wie sie eines Landtags würdig sind. Das, glaube ich, sollte uns gemeinsam verbinden.
(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Sie haben das Wort, Frau Sziborra-Seidlitz.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Unsere Schulen in Sachsen-Anhalt sind bereits jetzt schon bunt, vielfältig und ja, sie sind auch queer. Denn queere Schülerinnen, queeres Schulpersonal und queere Eltern sowie Regenbogenfamilien sind Teil unserer Schulen.
(Lachen bei der AfD)
Doch sie finden an unseren Schulen oft keinen Ort, an dem sie einfach sein können, wie sie sind.
(Zurufe von der AfD)
Deshalb möchten wir mit unserem Antrag etwas dafür tun, die Vielfaltskompetenz an unseren Schulen zu stärken,
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
weil auch queere Schülerinnen und Schüler, queeres Schulpersonal und queere Eltern einen diskriminierungsfreien Arbeits-, Lern- und Lebensort Schule verdienen.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Natürlich ist uns bewusst, dass auch andere Personengruppen an den Schulen von Diskriminierungserfahrungen betroffen sind. Schülerinnen mit Migrationshintergrund machen Rassismuserfahrung. Schülerinnen mit Behinderungen leiden unter mangelnder Inklusion. Das alles sind ernst zu nehmende Probleme, die angegangen werden müssen und an denen wir schon arbeiten.
Ja, uns ist auch bewusst, dass der Lehrkräftemangel ein akutes und dringendes Problem in unserem Bundesland ist und weiterhin sein wird, das größte und schwierigste Bildungsproblem. Wir müssen uns dem entschlossen entgegenstellen, aber ich glaube, wir haben schon oft bewiesen, dass wir genau dabei an der Seite aller anderen Bildungspolitikerinnen sind.
Dennoch finden wir nicht, dass uns der Lehrkräftemangel davon abhalten sollte, jetzt Maßnahmen zu ergreifen, die Schulen zu modernisieren und an die Maßstäbe moderner Zeiten anzupassen. Schule muss sich auch dann entwickeln, wenn es schon eine Herausforderung ist, dass sie einfach nur stattfindet. Ansonsten bleibt Entwicklung auf Jahre auf der Strecke.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Selbstverständlich - und das ist mir auch wichtig - unterstellen wir nicht, queere Schülerinnen, Eltern oder Lehrkräfte würden absichtlich diskriminiert werden. Wir Bündnisgrünen sind fest davon überzeugt, dass Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles geben, um unsere Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu bilden und ihnen ein gutes Lernumfeld zu bieten. Sie sind aber genauso wie wir alle mit dem Weltbild eines binären Geschlechtersystems aufgewachsen, also in der Annahme, dass es nur zwei Geschlechter gäbe.
(Zustimmung bei der AfD - Zuruf von der AfD: Das ist auch richtig! - Weitere Zurufe von der AfD)
- Vielleicht hören Sie einmal auf, allzu deutlich zu beweisen, dass dieser Antrag notwendig ist.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Sebastian Striegel, GRÜNE: Chapeau! - Zurufe von der AfD)
So wie wir alle sind auch sie mit den typischen Rollenverständnissen aufgewachsen, die Männer und Frauen definieren,
(Unruhe)
und wie wir alle haben auch Lehrkräfte den Anspruch, sich bestmöglich weiterzubilden, um in unserer vielfältigen und modernen Gesellschaft bestehen zu können und ihr gerecht zu werden.
(Zurufe von der AfD)
Aber leider gibt es bisher nicht genügend Werkzeuge und Weiterbildungsangebote, die die Lehrkräfte an dieser Stelle in dem Anspruch unterstützen können. Deswegen fordern wir Bündnisgrünen mit unserem Antrag, dass Themen der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt verpflichtend in der Lehramtsausbildung und weiterbildung vermittelt werden.
(Zuruf von der AfD: Nein! - Unruhe)
Damit wäre dann auch die Grundlage dafür geschaffen, dass genau diese Themen fächerübergreifend in den Lehrplänen abgebildet und entsprechende queersensible Lernmaterialien entwickelt und eingesetzt werden können. Helfen beim Umsetzen dieser Maßnahmen kann übrigens das Schulnetzwerk „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“, das schon jetzt im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, die Themen einer geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt in seinen Angeboten aufzugreifen. Natürlich muss dazu das Schulnetzwerk entsprechend personell und finanziell ausgestattet werden.
(Unruhe)
Es ist auch jetzt schon stark überlastet; denn die Landeskoordination des Netzwerkes, die Landeszentrale für politische Bildung, erhält noch immer genau so viele finanzielle Mittel für diese Aufgabe wie zu dem Zeitpunkt, als nur 50 Schulen in Sachsen-Anhalt Teil des Netzwerkes waren. Inzwischen sind es 160. Das ist ein großer Erfolg, den wir als Landtag wirklich würdigen sollten.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Natürlich braucht es für die Schulen auch Handlungsrichtlinien mit konkreten Beispielen und Vorschlägen, wie sie den Bedürfnissen von queeren Personen im Schulalltag gerecht werden können. Denn wie Praktikerinnen und LSBTQIA- - da vergisst man dann immer noch ein Sternchen - Verbände uns berichten, sind die bisher existierenden Handlungsrichtlinien dafür nicht ausreichend.
(Unruhe)
In unserem Antrag setzen wir uns auch für Maßnahmen ein, die für mehr Sicherheit und Schutz vor Gewalt für queere Schülerinnen, Lehrkräfte und Eltern sorgen. Für diese Personengruppen sind mobile Beratungsangebote nötig, insbesondere im ländlichen Raum; denn bisher übernehmen meistens Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter diese Aufgabe, da die Beratungsstrukturen momentan auf die Städte Magdeburg und Halle konzentriert sind.
Uns allen ist doch bewusst, dass Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter bereits mehr als genug Aufgaben haben, die ihre Arbeitszeit füllen. Natürlich müssen wir auch Vertrauenspersonen, an die sich Schülerinnen in den Schulen wenden können, so ausbilden, dass sie Kompetenzen in den Themenbereichen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt haben.
(Beifall bei den GRÜNEN)
In einer Studie der EU-Grundrechteagentur FRA haben fast die Hälfte der befragten queeren Schülerinnen und Schüler in Deutschland angegeben, dass sie aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung gemobbt und diskriminiert wurden oder queerfeindliche Gewalt erlebt haben. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, auf wie viele Schülerinnen und Schüler das in Sachsen-Anhalt zutrifft; denn queerfeindliche Vorfälle an Schulen werden in unserem Bundesland nicht gesondert erfasst.
Deswegen beantragen wir, dass das Bildungsministerium das tut und Vorfälle von Diskriminierung, Gewalt und Mobbing differenziert nach Kriterien wie Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit oder auch Ableismus aufnimmt und statistisch erfasst; denn so können dann gezielte und wissenschaftlich begründete und auf unser Bundesland angepasste Präventions- und Schutzkonzepte entwickelt werden.
Eines möchte ich an dieser Stelle noch loswerden. Ich gehe davon aus, dass wir uns - bis auf ganz rechts - bei aller möglichen Kritik an dem Thema und bei aller unterschiedlichen Bedeutung, die diesem Thema beigemessen wird, an dieser Stelle trotzdem darin einig sind: Jede Schülerin und jeder Schüler, die bzw. der Mobbing oder Gewalt an unseren Schulen erlebt, ist eine bzw. einer zu viel. Es ist unsere Aufgabe, jede Einzelne und jeden Einzelnen von ihnen vor dieser leidvollen Erfahrung zu schützen. Queere Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern, sind besonders gefährdet durch diese schlimmen Erlebnisse, die ihr Leben nachdrücklich verändern können - die Mobbingforschung sagt darüber sehr deutlich etwas aus , da sie von bis heute in unserer Gesellschaft existierenden Rollenbildern abweichen.
Es ist deswegen unsere Pflicht, diese Schülerinnen und Schüler besonders zu schützen. Kämpfen Sie mit uns Bündnisgrünen gemeinsam dafür, dass Bildung in Sachsen-Anhalt, so vielfältig, so bunt und, ja, auch so queer gestaltet wird, wie es auch die Schülerinnen und Schüler, das Schulpersonal und die Eltern sind.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Kämpfen Sie mit uns dafür, die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt an unseren Schulen zu stärken.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.
(Beifall bei den GRÜNEN)