Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In Notlagen haben wir in Deutschland meist ein gut funktionierendes Hilfesystem. Bricht jemand in der Öffentlichkeit zusammen und liegt ohnmächtig am Boden, dann dauert es in der Regel nicht lange, bis zunächst Ersthelfer und dann der Rettungsdienst vor Ort sind. Aber was ist, wenn jemand auf dem Boden liegt - allerdings nicht ohnmächtig, sondern notdürftig auf Decken, unter alten Schlafsäcken, umringt von seinen Habseligkeiten? Welches Hilfesystem springt dann an? Welche öffentliche Sofortreaktion erfolgt? In der Regel im Land Sachsen-Anhalt - das kann ich bei mir in Quedlinburg beobachten - keines von beiden. Wird das Recht auf Obdach und Wohnung vor aller Augen gebrochen, ruft das erst einmal keine Reaktion hervor. Wir steigen als Gesellschaft buchstäblich über die am Boden Liegenden hinweg und gehen weiter unseren eigenen Weg. Das ist beschämend.
Daher bin der Fraktion DIE LINKE ausdrücklich dankbar dafür, dass sie mit ihrem Antrag dieses Thema in den Landtag geholt hat; denn wir schauen als Gesellschaft nicht nur bei der offensichtlichen Notlage von obdachlosen Menschen in der Öffentlichkeit weg, sondern wir sind als Politik bisher weitgehend blind in diesem Bereich.
Statistiken zum Ausmaß von Wohnungs- und Obdachlosigkeit gab es bisher nicht. Die grüne Bundestagsfraktion hat jahrelang bundesweite Statistiken gefordert, passiert ist dazu lange Zeit nichts. Mediale Aufmerksamkeit gibt es im Grunde genommen immer nur saisonal, wenn im Winter die Kälte offensichtlich ist und auch uns warm Angezogenen mit der warmen Stube zwickt oder wenn wir in der Weihnachtszeit grundsätzlich etwas weicher sind oder aber, wenn obdachlose Menschen zu Opfern von Gewalttaten wurden.
Erst im September dieses Jahres wurden erstmals belastbare Zahlen erhoben, die zeigen, dass in Deutschland mehr als 37 000 Menschen auf der Straße leben; die meisten davon natürlich nicht in Sachsen-Anhalt. Die große Zahl an Menschen ohne Wohnung, die bei Freunden und Verwandten zeitweise unterkommen, ist dabei noch nicht mit erhoben.
Ja, es gibt Kommunen wie die Stadt Magdeburg, die sich mit dem Ansatz des Housing First auf den Weg gemacht haben, das Problem jetzt endlich angehen und auch untersuchen und damit z. B. den Teufelskreis „keine Wohnung - keine Arbeit - keine Wohnung - keine Arbeit“ durchbrechen wollen. Weil dieses Konzept in Deutschland ein eher neuer, aber Erfolg versprechender Ansatz ist, bin ich wirklich sehr an einem fachlichen Austausch und an ersten Erfahrungsberichten von Kommunen aus Sachsen-Anhalt und vor allem aus Magdeburg interessiert.
Steigen wir nicht mehr über die Wohnungslosen hinweg, bleiben wir stehen und starten auch im Land Sachsen-Anhalt ein Hilfesystem. Lassen Sie uns diesen Antrag im Sozialausschuss beraten. Ich bin dankbar, dass das auch der Alternativantrag vorsieht. Ansonsten hätten wir die Überweisung beantragt. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)