Tagesordnungspunkt 21

Erste Beratung

Vielfalt und Antidiskriminierung an unseren Schulen stärken - Für mehr kultursensible Bildung in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1246


Den Antrag wird Frau Sziborra-Seidlitz einbringen. - Frau Sziborra-Seidlitz, bitte schön.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank. - Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Rassismus ist eine verbreitete Erfahrung in Deutschland. Viele Menschen werden auf verschiedene Weise mit ihm konfrontiert. Zu dieser Erkenntnis kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, kurz DEZIM.

(Unruhe)

Wie vermutlich die meisten hier im Saal wünsche ich mir, es wäre anders. Wir haben ein anderes Bild von unserer Gesellschaft und wünschen uns, in einer Welt zu existieren, in der wir Rassismus überwunden haben und niemand mehr aufgrund seiner oder ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Kultur diskriminiert werden würde.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Leider ist dies in Sachsen-Anhalt und in ganz Deutschland eben nur Wunschdenken. Denn die Realität sieht ganz anders aus. In der Realität geben 22 % aller Menschen in Deutschland an, eigene Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung gemacht zu haben. Nicht selten äußert sich Rassismus in körperlicher und verbaler Gewalt und kann lebensbedrohliche Folgen haben. Rassismus verletzt und tötet Menschen. Rassismus kann aber auch zu bleibenden Schäden der psychischen Gesundheit führen.

(Unruhe)

Nicht immer drückt sich Rassismus durch körperliche und verbale Gewalt aus. Oftmals zeigt sich Rassismus auch durch unbewusste oder bewusste Diskriminierung im alltäglichen Leben. Rassismus kann schon die Jüngsten betreffen. Leider sind auch Schulen für von Rassismus betroffene Kinder und Jugendliche nicht immer ein sicherer Ort. Auch dort können sie verbale und körperliche Angriffe erleben. Auch dort erleben junge Menschen unbewusste oder bewusste Diskriminierung. So zeigt zum Beispiel eine andere Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den Fächern Deutsch und Mathematik     

(Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Meine Damen und Herren, bitte: So geht das nicht! Frau Sziborra-Seidlitz ruiniert sich ihre Stimme.

(Zuruf von der AfD)

Der Antrag wird überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Das hat er nicht verdient. Das hat kein Antrag verdient, der von irgendeiner Fraktion hier gestellt wird. Keiner von Ihnen will das.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Eva von Angern, DIE LINKE, und von Katrin Gensecke, SPD)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - So zeigt zum Beispiel eine andere Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den Fächern Deutsch und Mathematik bei gleicher Leistung durchschnittlich schlechter benotet werden und seltener eine Gymnasialempfehlung erhalten als Kinder ohne Migrationshintergrund - trotz gleichwertiger Leistung.

(Oliver Kirchner, AfD: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

- Doch, ich glaube an Wissenschaft und ich glaube an Studien.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das unterscheidet uns im Übrigen.

Eine kultursensible und bewusst rassismuskritische Bildungslandschaft hilft, Rassismuserfahrungen zu reduzieren. Sie sorgt für mehr Bildungsgerechtigkeit und trägt zur Überwindung rassistischer und diskriminierender Vorurteile und Stereotype in unserer Gesellschaft bei.

Ein essenzieller Bestandteil einer kultursensiblen Bildung ist die Förderung der interkulturellen Kompetenz an der Schule. Denn unsere Schulen und insbesondere die Lehrkräfte dort tragen einen großen Teil zur Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen bei. Um es ganz deutlich zu machen: Ich möchte auf keinen Fall suggerieren oder implizieren, dass sich die Lehrkräfte in unserem Bundesland mit böser Absicht diskriminierend gegenüber Schülerinnen und Schülern verhalten würden.

(Daniel Rausch, AfD: Mit böser Absicht! - Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Denn das Gegenteil ist der Fall: Die Lehrkräfte und alle Mitarbeiterinnen an Sachsen-Anhalts Schulen geben seit 2015, aber insbesondere auch jetzt zu Zeiten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine alles, damit die schulische Integration von geflohenen Schülerinnen und Schülern gelingt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

An dieser Stelle möchte ich stellvertretend für meine Fraktion meinen ausdrücklichen Dank an all die Lehrkräfte, Sozialarbeiterinnen, Schulleitungen und alle anderen Beteiligten richten, die sich täglich darum bemühen, dass sich Schülerinnen und Schüler, egal welcher Herkunft, in unseren Schulen willkommen fühlen und erfolgreich sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dennoch sind alle Menschen, auch wir in Sachsen-Anhalt, als Teil einer weißen Mehrheitsgesellschaft durch rassistische Stereotype und Zuschreibungen geprägt und reproduzieren sie vielfach und oft unabsichtlich.

Deswegen kann es uns allen, explizit auch mir, passieren, dass wir Menschen anderer Hautfarbe, anderer Kultur oder anderer Herkunft anders behandeln oder in irgendeiner Form diskriminieren. Wie gesagt: Die meisten von uns tun dies ohne böse Absicht bzw. ohne bewusst so zu handeln.

(Ulrich Siegmund, AfD: Was erzählen Sie denn da? Oh Leute!)

Wir wissen es oft einfach nicht besser. Als Teil unserer Gesellschaft trifft das auf Lehrerinnen und Lehrer genauso zu wie auf Medizinerinnen, Busfahrerinnen, Pflegekräfte oder Landwirte. Aber Lehrerinnen tragen eben eine besondere Verantwortung an dieser Stelle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir als Gesellschaft haben sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihrem kulturellen Hintergrund die gleichen Bildungschancen wie andere haben. Eine Grundvoraussetzung dafür ist es, angehende und ausgebildete Lehrkräfte im Bereich Antidiskriminierung, Antirassismus und Kultursensibilität zu sensibilisieren. Dafür braucht es verpflichtende Lehr- und Lernangebote für Lehramtsstudierende und für das Referendariat, aber auch Fortbildungsangebote im Rahmen der verpflichtenden Fortbildung für Lehrkräfte, die bereits an unseren Schulen unterrichten.

(Unruhe)

Übrigens fordern dies eigentlich auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. In Ihrem Koalitionsvertrag formulieren Sie die verpflichtende Vermittlung interkultureller Kompetenz in der Ausbildung von Lehrkräften. Gern sind wir an der Stelle wieder Service-Opposition und erinnern Sie daran.

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe bei der AfD)

- Möglicherweise können Sie ein bisschen herunterfahren. Gerade in dem Bereich haben Sie noch ein bisschen Nachholbedarf. Lernen Sie vielleicht auch einmal etwas.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD - Weitere Zurufe von der AfD)

Mit den Fortbildungen in diesem Themenbereich möchten wir Bündnisgrüne den Lehrkräften das notwendige Werkzeug geben, mehr Wissen und sichere Kompetenzen vermitteln. Gleichzeitig ermöglichen solche Fortbildungen auch, dass Lehrkräfte besser darin geschult werden, interkulturelle Kompetenz an ihre Schülerinnen und Schüler zu vermitteln.

Für alle Fortbildungsangebote für Lehrkräfte ist das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt - Lisa - zuständig, das zahlreiche Fortbildungen in großer und relevanter Vielfalt anbietet und dessen Kapazitäten gut ausgelastet sind. Dennoch beträgt der Anteil von Fortbildungen für Lehrkräfte im Bereich Antirassismus und Kultursensibilität gerade einmal 2 % im Vergleich zum restlichen Angebot. Die Nachfrage ist übrigens doppelt so groß. Um der Notwendigkeit der Fortbildung in diesem Bereich gerecht zu werden, müsste also das Angebot erhöht werden.

(Unruhe)

Es ist sinnvoll, dafür im Land vorhandene Ressourcen zu nutzen.

(Unruhe - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Können wir mal eine Pause machen? Das geht so nicht!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Sziborra-Seidlitz, warten Sie ein bisschen. - Wenn die Rede jetzt nicht mehr als Hintergrundgeräusch wahrgenommen wird, dann stellen die anderen Kollegen vielleicht ihre Gespräche ein, sind dann etwas aufmerksamer und fragen: Wo ist es denn? Wir müssen nicht mehr dagegen anreden.

(Tobias Rausch, AfD: Das liegt am Inhalt! - Marco Tullner, CDU: Es kommt auf die Argumente an!)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Es ist sinnvoll, dafür im Land vorhandene Ressourcen zu nutzen und das Fortbildungsangebot und Kooperationen auszubauen. Gut vorstellbar ist z. B. die Landeszentrale für politische Bildung. Sie hat genau diese Angebote in Sachsen-Anhalt bis in die 2000er-Jahre gemacht.

Sprache beeinflusst und formt unser Denken. Sie beeinflusst z. B. auch, mit welchen Charaktereigenschaften und Zuschreibungen wir bestimmte Personengruppen verbinden. Es muss deshalb essenzieller Bestandteil von moderner Bildung sein, dass in Schulen im Unterricht auf diskriminierende Sprache und Darstellung in Lehr- und Lernmitteln verzichtet wird.

Wir schlagen deshalb vor, dass im Bildungsministerium eine Anti-Bias-Stelle eingerichtet wird. Bias ist das englische Wort für Vorurteil. Es soll also eine Stelle sein, die sich mit allen Diskriminierungsformen befasst, die Schülerinnen und Schüler sowie das Lehrpersonal betreffen können, und auf der Basis dieses Wissens die Lehr- und Lernmaterialen systematisch auf diskriminierende Sprache und Gestaltung überprüft. Andere Bundesländer machen uns das schon vor.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Doch Bildungserfolg und Bildungsgerechtigkeit hängen nicht allein von Lehrerinnen und Lehrern ab. Tatsächlich können Eltern einen großen Anteil zum Schulerfolg beitragen: Unterstützung bei den Hausaufgaben, Teilnahme an Schulveranstaltungen und Elternabenden sowie die Mitarbeit in schulischen Gremien. Die Möglichkeiten, wie Eltern sich am Schulalltag beteiligen können, sind vielfältig. Aber leider fällt diese Beteiligung Eltern mit Migrationshintergrund oft schwer. Denn häufig fehlt es an dem notwendigen Wissen und an den eigenen Erfahrungen im deutschen Bildungssystem. Es ist deswegen wichtig, im Land Konzepte für eine gezielte Ansprache und Beteiligung migrantischer Eltern zu entwickeln und umzusetzen.

Wenn es zu rassistischen und diskriminierenden Vorfällen an Schulen in Sachsen-Anhalt kommt   egal ob gegenüber Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften, dem weiteren Schulpersonal oder den Eltern   brauchen die Betroffenen die Gewissheit von struktureller und strukturierter Hilfe. Bisher sind alle Beteiligten an den Schulen bei solchen Vorkommnissen auf sich selbst gestellt. Hilfe und Auseinandersetzung mit der Situation funktioniert je nach den Erfahrungen und den Situationen an der jeweiligen Schule oder sie funktioniert nicht. Deswegen brauchen wir in Sachsen-Anhalt unabhängige Beschwerdestellen für Diskriminierungs- und Rassismusvorfälle an Schulen, an die sich das Schulpersonal, die Eltern sowie die Schülerinnen und Schüler wenden können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen Sie uns jetzt hier im Landtag gemeinsam den Grundstein dafür legen, dass jedes Kind und jede und jeder Jugendliche in Sachsen-Anhalt unabhängig von der Herkunft, der familiären Migrationsgeschichte oder dem kulturellen Hintergrund die gleichen Chancen an unseren Schulen hat. Setzen Sie sich gemeinsam mit uns dafür ein, dass Antidiskriminierung, Antirassismus und Vielfalt an unseren Schulen gestärkt werden. Kämpfen Sie mit uns gemeinsam für mehr kultursensible Bildung an unseren Schulen in Sachsen-Anhalt.

Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD)

Im Übrigen: Wenn wir hier als demokratische Parteien mit dem gleichen Respekt mit Ihren schrägen Anliegen umgehen würden, wie Sie es hier tun,

(Zurufe von der AfD: Oh!)

dann würden wir über Ihre Anträge überhaupt nicht mehr diskutieren.

(Oliver Kirchner, AfD: Wer ist „wir“? Wer sollen „wir“ sein? - Weitere Zurufe der AfD)

Denn ich wüsste nicht, auf welcher Basis Sie heute irgendwelche Antworten geben könnten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir geben uns immerhin die Mühe, Ihnen zuzuhören, um Sie hinterher auseinanderzunehmen. Sogar diesen Respekt lassen Sie hier vermissen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Tobias Rausch, AfD: Ja, nimm ein Taschentuch!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Sziborra-Seidlitz, Ihre Ausführungen geben Anlass zu einer Frage von Herrn Köhler. Wollen Sie diese zulassen? - Das ist nicht der Fall. Aber Herr Dr. Tillschneider möchte eine Intervention machen. - Herr Dr. Tillschneider, bitte.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Frau Sziborra-Seidlitz hat am Beginn ihrer Rede erklärt, dass Ausländerkinder schlechte Noten in Deutsch haben, und hat das damit erklärt, dass diese armen Kinder von bösen, rassistischen Lehrern diskriminiert werden. Ich frage jetzt einmal in die Luft: Könnte es auch daran liegen, dass Deutsch für Ausländerkinder nicht die Muttersprache ist und sie deshalb schlechtere Noten in Deutsch haben?

Die Studien, die Sie erwähnt haben, beanspruchen ja, nachzuweisen, dass bei gleicher Leistung schlechter bewertet wurde. Da Sie als kritisch denkende Frau sicherlich nicht einfach nur ungefragt irgendwelche Studienergebnisse zitieren, sondern sich auch mit der Methodik befasst haben, möchte ich Sie fragen: Wie weist eine solche Studie nach, dass bei exakt gleicher Leistung schlechter bewertet wurde?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Dr. Tillschneider, das war aber eine Frage und keine Intervention.

(Marco Tullner, CDU: Das war ein Tillschneider!)


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Entschuldigung.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Sziborra-Seidlitz, es steht Ihnen jetzt frei: Wollen Sie darauf reagieren oder nicht?


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Ja, darauf reagiere ich gern. - Diesen Ball, Herr Tillschneider, haben Sie sich gerade selbst vors Tor gelegt, weil das nämlich sehr deutlich zeigt, dass Sie mir nicht zugehört haben. Punkt 1.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Punkt 2. Sie als ausgewiesener Wissenschaftler werden selbst in der Lage sein, die Studie zu lesen. Ich lasse Ihnen gern zukommen, welche Studie das war. Im Gegensatz zu Ihnen setze ich mich mit Studien auseinander und argumentiere nicht aus dem Bauch raus oder weil ich irgendwie so ein Gefühl habe.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD)