Tagesordnungspunkt 11
Beratung
Hasskriminalität effektiv verfolgen. Auch im Netz!
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1284
Einbringer für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist Sebastian Striegel. Er ist sich bereits auf dem Weg ans Rednerpult. - Herr Striegel, Sie haben das Wort. Bitte sehr.
(Das Mikrofon am Rednerpult ist nicht angeschaltet - Tobias Rausch, AfD: Mikro! Wir verstehen Sie nicht!)
- Probieren Sie es noch einmal.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Ich versuche es noch einmal. Jetzt scheint das Mikrofon zu funktionieren. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hasskriminalität will Menschen zum Schweigen bringen. Betroffene sollen sich aus dem öffentlichen Raum und aus Diskussionen zurückziehen. Die Täter*innen wollen sie mit psychischer und ggf. auch physischer Gewalt aus gesellschaftlichen Debatten und Diskussionsräumen verdrängen. Betroffene sollen unsichtbar gemacht werden.
Schon allein deshalb muss unsere Solidarität allen von Hass und Hetze Betroffenen gehören, sind wir alle aufgerufen, uns Beleidigung, Diffamierung, Aufwiegelung und Gewalt von Anfang an entgegenzustellen und klar Position zu beziehen. Staatlicherseits passiert das aktuell noch nicht in ausreichendem Maße. Betroffene von Hass und Hetze bleiben zu oft alleingelassen zurück. Der staatliche Strafverfolgungsanspruch wird bei Hasskriminalität, insbesondere im Netz, nicht ausreichend untersetzt.
Hasskriminalität ist dabei kein strafrechtlicher Begriff, sondern umfasst eine Vielzahl von Delikten, in denen die Täter und die Täterinnen die Betroffenen aufgrund deren tatsächlicher oder vermeintlicher Gruppenzugehörigkeit auswählen und zur Zielscheibe machen.
Tatort ist zum einen die analoge Welt, zum anderen das Netz. Die Ursache ist jedoch die gleiche. Die hinter Hasskriminalität stehenden Motive sind rassistisch, antisemitisch, ausländerfeindlich, misogyn,
(Zuruf von Hannes Loth, AfD)
LSBTIQ-feindlich oder in anderer Weise von Ideologien der Ungleichwertigkeit beeinflusst. Die Beschreibung von Hasskriminalität sollte sich, wie vieles in diesem Antrag, bereits im Kopf festgesetzt haben. Die konsequente Bekämpfung von Hasskriminalität sollte für Strafverfolgungsbehörden, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte selbstverständlich sein. Dass diese Strafverfolgung nicht selbstverständlich ist, macht die Angelegenheit zu einem politischen Problem.
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität im Jahr 2021 und mit der Einigung der EU über den Digital Services Act im April dieses Jahres hat die Politik wichtige Schritte zur konsequenteren Bekämpfung von Hasskriminalität unternommen. Nur: Was die tatsächliche Verfolgung von Hasskriminalität durch die staatliche Seite angeht, sind wir eben noch nicht weit genug gekommen. Das hängt insbesondere mit Hass im Netz zusammen.
Die jüngsten Recherchen des ZDF-Moderators Jan Böhmermann haben einmal mehr gezeigt,
(Lachen bei der AfD - Zurufe von der AfD: Oh! - Oliver Kirchner, AfD: Jan Böhmermann!)
dass einige Bundesländer enorme Probleme bei der Verfolgung von Hasskriminalität im Netz haben. Die Journalist*innen aus dem Team Böhmermann wurden in unserem Bundesland zunächst sogar daran gehindert, eine Anzeige aufzugeben. Ermittlungen wegen Strafvereitelung im Amt gegen den betroffenen Polizisten sind nur folgerichtig. Sie können aber nicht die einzige Reaktion bleiben. Denn es ist weder Zufall, noch ist es auf ein strafrechtlich zu verfolgendes Fehlverhalten eines Einzelnen zurückzuführen, dass sich Sachsen-Anhalt in die Gruppe dieser Länder einreiht.
Die Probleme sind wesentlich grundlegender und umfassender. Sie sind insbesondere auf mangelnde Kenntnis und Sensibilität bei den Strafverfolgungsbehörden sowie auf strukturelle Defizite in der Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften zurückzuführen.
(Chris Schulenburg, CDU: So ein Unsinn!)
Es bedarf daher einer politischen Schwerpunktsetzung in diesem Bereich und einer landesweiten Strategie zur Bekämpfung von Hasskriminalität sowohl online als auch offline.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)
Herr Kollege Schulenburg, ich glaube nicht, dass das Unsinn ist. Ich glaube, dass selbst in der von Ihnen getragenen Landesregierung der Handlungsbedarf bereits angekommen ist. Das zeigt das Agieren Ihrer Justizministerin. Das zeigen auch die Veränderungen, die in der Polizei in Sachsen-Anhalt schon seit einigen Jahren auf den Weg gebracht werden.
(Chris Schulenburg, CDU: Sie pauschalisieren alles! - Zuruf von der CDU: Genau!)
Aber wir sind noch nicht am Ziel. Zu häufig wird Hasskriminalität von staatlichen Stellen noch als Banalität angesehen, die den Rechtsfrieden nicht oder allenfalls kaum beeinträchtige. Hass wird zur Privatsache erklärt.
(Christian Hecht, AfD: Hass!)
Ich habe selbst viel zu oft erlebt, dass kaum ermittelt, schnell eingestellt und Betroffene allenfalls auf den Weg der Privatklage verwiesen werden.
(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)
Inkompetenz und die fehlende Bereitschaft, Hasskriminalität zu verfolgen, führen immer wieder dazu, dass Hass und Hetze im Netz unwidersprochen bleiben. Diese unwidersprochenen Aussagen, bei dem die Täter*innen keinerlei Konsequenz bemerken, führen zu einer erhöhten Gefahr, dass Äußerungen Netz in der analogen Welt in Gewalt umschlagen. Diese sogenannte stochastische Gewalt lässt erkennen, dass Hasskriminalität auch neben dem bereits für sich strafwürdigen Inhalt einer konsequenten Verfolgung bedarf. Wo Worte Gewalt verbreiten, dort wird körperliche Gewalt folgen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Zu oft ist bereits die Untätigkeit von Strafverfolgungsbehörden den gravierenden Folgen von Hass und Hetze vorausgegangen. Dies zeigten die Anschläge aus Gründen des Antisemitismus, des Rassismus und der Frauenfeindlichkeit in Halle und in Hanau sowie der Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Hessen.
Unter der mangelnden Strafverfolgung von Hass im Netz leidet das Vertrauen in die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit. Es lässt sich feststellen, dass es der Polizei und der Justiz an Kenntnissen über die Ursachen, die typischen Formen des Phänomenbereichs und vor allem an Wissen über die Folgen von Hass im Netz fehlt und es den Akteur*innen daher an Sensibilität in Bezug auf das Thema und im Umgang mit den Betroffenen mangelt.
Diesbezüglich bildet unser Antrag einen Schwerpunkt. Wir setzen auf verstärkte Wissensvermittlung und Sensibilisierung für das Thema in der Ausbildung der Polizeianwärter*innen und in der Fortbildung von Polizist*innen. Auch auf Seiten der Justiz sollte das Thema im Rahmen eines freiwilligen Angebots im juristischen Vorbereitungsdienst und in den Pflichtfortbildungen für Richter*innen und Staatsanwält*innen verankert werden.
Die Landesregierung ist hierzu gefordert. Es braucht Erlasse, die klarstellen, dass die konsequente Verfolgung von Hasskriminalität im Netz durch die Strafverfolgungsbehörden bis hin zur Anklageerhebung die Regel sein soll. Die Verweisung auf den Privatklageweg und die Einstellung aus Opportunitätsgründen müssen die Ausnahme bleiben. Eine standardisierte Abfrage von der Motivationslage Hass bei dem Anzeigenerstattungsvorgang soll sicherstellen, dass diese direkt erkannt wird und so auch konsequent verfolgt werden kann.
Durch den Tatort Internet haben wir es bei Hasskriminalität im Netz mit anderen Charakteristika zu tun. Hass im Netz ist geprägt durch die ortsunabhängige Begehungsweise der Delikte, die oftmals unbegrenzten Zugangsmöglichkeiten auf die veröffentlichten Inhalte und folglich auch die länderübergreifende Anzeigenerstattung. Diese Charakteristika verlangen eine Anpassung der Strafverfolgungsbehörden an die Gegebenheiten des Tatorts.
So sind neben einer auskömmlichen personellen und technischen Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden erleichterte Anzeigemöglichkeiten im Internet, bei der automatisierte Screenshots von inkriminierten Inhalten rechtssicher gespeichert und Strafanträge dem Schrifterfordernis entsprechend eingereicht werden können, notwendig. Darüber hinaus bedarf es endlich Anpassungen bei den Strukturen unserer Strafverfolgungsbehörden. Ich nehme wahr, dass die Justizministerin sie hat es heute bekannt gegeben diese Entwicklung auch in ihrem eigenen Hause durchaus schon im Blick hat und Veränderung vornehmen will. Offensichtlich ist Bedarf vorhanden. - Herr Schulenburg, ich glaube, es lohnt sich auch für Sie und Ihre Fraktion, genauer hinzuschauen.
Ein weiterer Schwerpunkt unseres Antrags setzt auf die Vernetzung der Akteur*innen. Für die Verfolgung von Hasskriminalität im Internet ist der Austausch zwischen den verschiedenen Behörden auch und insbesondere über Ländergrenzen hinweg zentral, um Dopplungen der Ermittlungsarbeit aufgrund von Mehrfachanzeigen zu vermeiden und die Rückkopplung von Ermittlungsergebnissen durch die Staatsanwaltschaften an die Polizei zu ermöglichen. Diesbezüglich gibt es ein Riesendefizit. Ich glaube, beide Häuser das Justizministerium und das Innenministerium müssen wirklich zu einer intensiveren Zusammenarbeit finden, damit tatsächlich auch Informationen rückgekoppelt werden können.
Wir setzen auch auf einen verstärkten Informationsaustausch und auf die Zusammenarbeit mit der Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet und mit den anderen Stellen der Länder. Wir fordern zudem, eine Zentralstelle für die Bekämpfung von Hasskriminalität beim LKA einzurichten und Kontaktperson zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Staatsschutz und in jeder Polizeiinspektion zu benennen.
(Ulrich Siegmund, AfD: Ach, Herr Striegel!)
Bei den Staatsanwaltschaften in Sachsen-Anhalt muss endlich eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Hasskriminalität im Netz aufgebaut werden.
(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
Die Ankündigung der Justizministerin zur Zentralisierung von Strukturen in diesem Bereich haben wir vernommen. Mehr als die bloße Ankündigung ist leider jedoch noch nicht erfolgt. Gern hätten wir die Landesregierung in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses zu diesem Thema befragt. Die FDP-Fraktion und die SPD-Fraktion haben die Befassung mit dem Thema Hasskriminalität verhindert. Das ist aus unserer Sicht ein Armutszeugnis.
(Rüdiger Erben, SPD: Das stimmt doch gar nicht!)
Sie lassen die Betroffenen von Hass im Netz allein. - Herr Erben, Sie haben Ihren Antrag zurückgezogen
(Rüdiger Erben, SPD: Stimmt nicht! - Dorothea Frederking, GRÜNE: Ich war aber da! Ich habe ordnungsgemäß berichtet!)
Damit müssen wir leben. Zur verbesserten Erfassung des Phänomens ist darüber hinaus die Einrichtung einer Monitoringinfrastruktur mit der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft sowie der Justiz und der Polizei vonnöten, um alle Bereiche im Blick zu halten. Wir wollen den Phänomenbereich Hass im Netz durch das Monitoringprogramm und die Förderung von Forschungsprojekten besser erfassen, um adäquat und wissenschaftsbasiert agieren zu können.
Bei der Bekämpfung von Hasskriminalität kommt auch den aufgebauten zivilgesellschaftlichen Strukturen eine hohe Bedeutung bei der Präventions- und Beratungsarbeit von Betroffenen zu. Sie leisten mit ihren Angeboten einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung und zum Schutz von Betroffenen. Sie müssen daher entsprechend bedarfsgerecht, auskömmlich und dauerhaft gefördert werden. Die Präventionsarbeit sollte sich vor allem an Menschen und Institutionen richten, die in besonderem Maße Hass und Hetze im Netz ausgesetzt sind. Dies sind zum einen Frauen und zum anderen Kinder und Jugendliche, bei denen die Vermittlung von demokratischer Bildung sowie von Medien- und Nachrichtenkompetenz im Vordergrund stehen muss. Weiterhin trifft es auch die Mitarbeiter*innen von Rundfunk, Presse- und Telemedien, welche insbesondere durch Handreichungen und Fortbildungsangebote im Umgang mit Hasskriminalität gestärkt werden müssen.
Die Bekämpfung von Hass im Netz ist auf staatlicher Seite eine Frage des Wollens. Zu Beginn dieser Woche gab es Durchsuchungen bei 75 Beschuldigten in 15 Bundesländern wegen des Verdachts von Hassdelikten im Zusammenhang mit dem Mord an zwei Polizeibeamten im Landkreis Kusel Anfang dieses Jahres. Insgesamt wird gegen 150 Beschuldigte ermittelt. Gut, dass die Billigung von Gewalt gegen Polizeibeamte Strafverfolgung auslöst. Schlecht, dass dies bei Billigung von oder Drohung mit Gewalt gegen engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft gegen Ehrenamtliche oder Mandatsträger in den Kommunen zu häufig eben nicht der Fall ist.
Die Strafverfahren im Kontext von Kusel zeigen, was bereits heute beim Willen zur Strafverfolgung möglich ist. Es wird Zeit, diesen Willen zur Strafverfolgung auch dann aufzubringen, wenn es nicht um Uniformträger als Betroffene geht.
Hass im Netz ist nicht zu tolerieren. Wir setzen deshalb neben Medienkompetenz auch auf eine konsequente Strafverfolgung. Was in der analogen Welt illegal ist, das darf in der digitalen Welt nicht legal sein.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)
Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit Betroffenen von Hass im Netz besser geholfen wird. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)