Henriette Quade (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Jan Böhmermann unter dem Hashtag „#polizeikontrolle“ einem breiten Publikum transparent machte und unter „Tatütata.fail“ nachlesbar ist, verblüffte viele Menschen und sorgte für vielfältige Berichterstattung. Das ist auch dringend notwendig; denn im ungläubigen Staunen vieler angesichts der Recherchen liegt etwas sehr Bitteres.
Für Menschen, die von Hasskriminalität betroffen sind, also von Straftaten, die gegen sie verübt werden, weil sie einer Religion oder ethnischen Gruppe zugeschrieben werden, wegen ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität, aufgrund von Frauenfeindlichkeit oder Homophobie, aus rassistischen oder antisemitischen, aus sozialdarwinistischen oder ableistischen Gründen, ist der Befund, nicht auf die Hilfe der Polizei und der Strafverfolgung bauen zu können, keineswegs neu, sondern Alltag.
(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Ich persönlich finde, wie viele wissenschaftliche Betrachtungen im Übrigen auch, den Begriff der Hasskriminalität nicht besonders treffend. Denn es ist kein Zufall, wen der Hass trifft. Es sind die Vorurteile und die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit der Täter, die den Hass generieren. Wenn wir also von Hasskriminalität sprechen, sprechen wir über vorurteilsgeleitete Kriminalität und eine große Teilmenge rechtsextrem motivierter Straftaten.
Hasskommentare sind dabei eine besondere Facette, aber keineswegs die einzige Spielart und schon gar nicht auf den digitalen Raum beschränkt; im Gegenteil. Richtig ist, dass Hassposts zunehmen, dass sie durch die digitalen Möglichkeiten eine Wucht, eine Schnelligkeit und eine Masse bekommen, die vor 20 Jahren so nicht möglich gewesen wäre, dass sie die technologischen Entwicklungen, die Austausch, Verständigung und Vielfalt möglich machen, durch ihren erzreaktionären Inhalt geradezu in ihr Gegenteil verkehren.
Natürlich stellen sie spezifische Anforderungen an Behörden, an Ermittlungs- und Digitalkompetenzen. Sie passieren aber nicht wirklich im Netz, sie passieren in der Gesellschaft. Sie gehen mit analoger und körperlicher Gewalt einher. Sie werden von einer extremen Rechten befeuert, die den Raum des Sagbaren immer weiter ausweitet, und sie können wie in Halle, Hanau oder Idar-Oberstein in rechten Terror münden.
Ja, es gibt unzählige Berichte von Betroffenen, die keinen Sinn mehr darin sehen, Anzeigen zu stellen, die die Erfahrung machen mussten, dass diejenigen, die ihnen helfen sollten, sie zu Verdächtigen machen und ihnen Mitschuld geben, die sich dumme Sprüche anhören müssen, wenn sie Hasskommentare in den sozialen Netzwerken zur Anzeige bringen wollen und die erleben müssen, dass mitunter nicht einmal geprüft wird, ob sich Nutzerdaten ermitteln lassen oder ob eine Straftat vorliegt, sondern weggeschickt und ausgelacht werden.
Sachsen-Anhalt braucht eine Strategie gegen vorurteilsgeleitete Kriminalität. Wir haben ein riesiges Defizit bei der Verfolgung rechtsmotivierter Straftaten.
(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Allein bei der Optimierung von Verfahren der Anzeigenerstattung und -aufnahme in den Polizeirevieren stehenzubleiben, wird aber wenig helfen. Denn zum Erleben der Betroffenen von vorurteilsgeleiteter Kriminalität gehört auch, worauf der Bundesverband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt unter dem Hashtag „#justizkontrolle“ hinweist, dass selbst dann, wenn Taten zur Anklage kommen, die politische Dimension und Motivation der Taten und des Hasses, der in ihnen sichtbar wurde, nicht adäquat berücksichtigt werden.
Wer also zu recht die Frage stellt, was eigentlich in Polizeirevieren los ist, die sich weigern, Anzeigen aufzunehmen, der muss auch die Frage stellen, was in Staatsanwaltschaften los ist, die immer und immer wieder die dummen Ausreden von Rassisten, es hätte sich ja nur um schlechte Laune gehandelt, oder die Musik sei zu laut gewesen, bevor sie die Leute zusammengeschlagen haben, Glauben schenken, statt die politische Motivation der Taten juristisch zu würdigen.
Es ist angesprochen worden: Im Jahr 2019 hat eine Anhörung im Rechtsausschuss eindrücklich dokumentiert, dass die Richtlinie zum Umgang mit politisch motivierter Kriminalität, die genau das sichern sollte, in Sachsen-Anhalt reihenweise nicht umgesetzt wird.
Ich weiß, dass mittlerweile an einer neuen Richtlinie gearbeitet wird, geändert hat sich aber seit 2019 für die Betroffenen bis heute nichts. Ohne eine tiefgreifende Fehleranalyse und Evaluation, woran es denn lag, dass diese Richtlinie nicht umgesetzt wurde es lag nicht daran, dass die Richtlinie schlecht war , wird sich auch nichts ändern.
Alles zu tun, um Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken, ist etwas, das die demokratischen Fraktionen dieses Hauses und anderer Parlamente regelmäßig bekunden, meist dann, wenn ein Gewaltakt besonderer Dimension geschehen ist. Dieses Versprechen bleibt unerfüllt, solange Polizei und Justiz nicht alle Mittel des demokratischen Rechtsstaates nutzen, um vorurteilsgeleitete Straftaten auch als solche zu ahnden.
Es ist bezeichnend für diese Gesellschaft und den politischen Betrieb, dass es ein Satiriker ist, der mit einem simplen Experiment das eklatante Versagen des Staates in diesem Bereich sichtbar gemacht hat. - Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)