Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Extremistische Weltbilder sind der denkbar größte Gegenentwurf zu unserer freiheitlichen Gesellschaft und zum demokratischen Staat. Extremisten nehmen für sich in Anspruch, dass sie die einzig wahren Vertreter eines Volkes, einer Klasse oder einer Religionsgemeinschaft seien. Zur Legitimation berufen Sie sich auf vermeintlich ewige und unverrückbare Wahrheiten. Daher dulden sie weder Pluralität noch Vielfalt, auch nicht den politischen Ausgleich verschiedener Meinungen. Wir im Innenministerium nehmen den Rechts- und den Linksextremismus gleichermaßen in den Blick und gehen dagegen entschlossen vor.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Bevor ich zum Linksextremismus komme, muss ich doch noch eines sagen: Einen rechtskräftigen festgestellten Verdachtsfall gibt es hier nur in einem Fall.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den Grünen)

Zum Linksextremismus. Der Linksextremismus ist ein Phänomen, das durch Vielschichtigkeit gekennzeichnet ist.

(Christian Hecht, AfD: Ah! Das klingt so blumig!)

Er stellt ein Sammelbecken

(Christian Hecht, AfD: Ganz bunt!)

für unterschiedliche Strömungen dar, die sich alle gegen die Werte und die Verfahrensregeln der freiheitlich-demokratischen Grundordnung richten. Den kleinsten gemeinsamen Nenner finden Linksextremisten in dem Ziel der Errichtung einer herrschafts- bzw. klassenlosen Ordnung. Unabhängig von der jeweiligen Strategie arbeiten alle Linksextremisten auf das Ziel hin, über kurz oder lang unsere demokratische Rechts- und Gesellschaftsform abzuschaffen.

(Zustimmung bei der CDU)

Um dieses Ziel zu erreichen, setzen vor allem Autonome auf das Mittel der Gewalt, um mit Ausschreitungen, Anschlägen oder Überfällen ihre linksextremistischen Ziele zu erreichen.

Der Schutz der Demokratie und die Bekämpfung von Extremismus ist eine der grundlegenden Aufgaben von Staat und Gesellschaft. Ein effektiver Schutz von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit verlangt, Gefahren für die Demokratie frühzeitig zu erkennen. Deshalb hat die Landesregierung auch frühzeitig auf den in den letzten Jahren zu beobachtenden Anstieg von extremistischen Einstellungen in Teilen der Bevölkerung reagiert und unter anderem auch Strukturen des Verfassungsschutzes angepasst.

Herr Abg. Büttner, Sie haben auf die Bilanz der politisch motivierten Straftaten Bezug genommen. Wir haben die Bilanz vor wenigen Wochen vorgestellt. Auch ich sage hier, dass im letzten Jahr die Zahl der politisch motivierten Gewaltstraftaten im Phänomenbereich links im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 % gestiegen ist. Die Zahl der Körperverletzungen verdoppelte sich sogar von 16 Fällen auf 32 Fälle.

Auch ich habe mir das Video zu dem Überfall auf den Thor-Steinar-Laden in Erfurt angesehen. Ohne die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen dort bewerten zu wollen, war das Maß an Gewaltbereitschaft, das gegen die Verkäuferin ausgeübt wurde, erschreckend.

Positiv   auch das gehört zu der Bilanz der politisch motivierten Straftaten für das Jahr 2021   ist, dass die Aufklärungsquote bei politisch motivierten Gewaltstraftaten von links gleichzeitig erheblich angestiegen ist und mittlerweile bei fast 63 % liegt. Ich finde, das zeigt, dass die bestehenden Strukturen und Zusammenarbeitsformen im Verfassungsschutz und im polizeilichen Staatsschutz wirken.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch die Präventionsarbeit im Bereich Linksextremismus hat sich in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Ich verweise bspw. auf die Bundesfachstelle „Linke Militanz“ und auf das Aussteigerprogramm des Bundes für Angehörige der linksextremistischen Szene, das beim Bundesamt für Verfassungsschutz angesiedelt ist.

In Sachsen-Anhalt hat die Landeszentrale für politische Bildung diverse Veranstaltungen in Bezug auf die linksextremistische Szene und auch mit Blick auf Handlungsempfehlungen zur Prävention von Linksextremismus thematisiert und durchgeführt. Auch unsere Verfassungsschutzabteilung informiert nicht nur im jährlichen Verfassungsschutzbericht, sondern auch mit weiteren Informationsmaterialien regelmäßig über Linksextremismus. Sie hat zuletzt im Jahr 2020 auch eine Fachtagung dazu durchgeführt.

Sie sehen also, Ihre Behauptung, Herr Büttner, der Staat unternehme nichts, um junge Menschen von einem Abdriften in linksextremistische Weltbilder zu bewahren, ist schlicht unzutreffend.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Abschließend noch kurz zu Ihrer Forderung, konkrete Möglichkeiten für Vereinsverbote, die auch gegen Internetplattformen gerichtet seien, zu prüfen. Sie haben die Gruppierungen vorhin genannt. Diese sind ausschließlich bundesweit tätig. Die vereinsrechtliche Zuständigkeit liegt demzufolge beim Bundesministerium des Innern und für Heimat.

(Siegfried Borgwardt, CDU: So ist es!)

Die Landesregierung wird in ihrem Zuständigkeitsbereich auch weiterhin linksextremistische Entwicklungen im Blick haben und nicht nachlassen, über Extremismus in allen seinen Formen aufzuklären, Protagonisten zu benennen sowie Argumentations- und Agitationsmuster zu entlarven. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Zustimmung bei den GRÜNEN - Marco Tullner, CDU: Sehr gut!)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Es gibt eine Frage von Herrn Roi. - Bitte.


Daniel Roi (AfD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich habe eine Frage. Sie haben gerade auf den gewaltigen Anstieg der Zahl der von Linksextremisten begangenen Körperverletzungen und Gewalttaten hingewiesen. Das wirft in mir die Frage auf: Wissen Sie, wie viel Personal Sie in Sachsen-Anhalt beim Verfassungsschutz und im Landeskriminalamt zur Verfügung haben, das sich um Linksextremismus und um Rechtsextremismus kümmert? Mich würde das Verhältnis interessieren. Können Sie die Frage beantworten?


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Die Frage kann ich nicht aus dem Stegreif beantworten. Die Antwort reiche ich gern nach. Denn Sie benötigen offensichtlich personenscharfe Zahlen.

(Zuruf von der AfD: Prozentual!)


Daniel Roi (AfD):

Es reicht auch prozentual.

(Rüdiger Erben, SPD: Gibt’s nicht! - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Ich habe eine Nachfrage. Ich habe das in der letzten Legislaturperiode auch angesprochen. Es gibt den Phänomenbereich „Lina E.“, in dem auch vonseiten des Generalbundesanwaltes zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zum Thema Terrorismus von links ermittelt wird. Haben Sie sich als Innenministerin mit der Frage beschäftigt, wie es sein konnte, dass diese Dame, Lina E., hier an der Martin-Luther-Universität studierte und sich dort offenbar radikalisierte? Gibt es diesbezüglich irgendwelche Konsequenzen? Hat man einmal nachgeschaut, wie so etwas an einer Universität in unserem Bundesland passieren kann? Das ist der erste Fragenkomplex.

Zu dem zweiten Fragenkomplex. Haben Sie Maßnahmen zu dem Fall Ines F. eingeleitet? Als amtsbekannter Linksextremisten hatte sie Zugang zu personenbezogenen Meldedaten. Sie hat unter anderem von Abgeordneten der AfD-Fraktion und anderen Personen, darunter eine Immobilienmaklerin in Leipzig, die in ihrer Privatwohnung brutal überfallen wurde, Daten in unserem Bundesland ausgespäht. Gibt es Ihrerseits diesbezüglich Konsequenzen? Ist Ihr Haus vor allem auch dahingehend tätig, diejenigen, die von der im Bereich Linksextremismus amtsbekannten Dame ausgespäht wurden, zu schützen? Das würde mich interessieren. - Danke.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Zu der Frage des Schutzes. Sie wissen sehr genau, wenn jemand beraten werden will und sich auch sozusagen entsprechend seinem eigenem Sicherheits- und Schutzbedürfnis informieren will, dann steht das Landeskriminalamt genauso wie die Polizeireviere vor Ort Abgeordneten, aber natürlich auch Bürgerinnen und Bürger regelmäßig zur Verfügung.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Das ist das eine.

Zu den Geschehnissen in Leipzig. Weder das Verfahren noch die gesamte Ermittlungsarbeit sind in Sachsen-Anhalt geführt worden, sondern in Sachsen. Insofern muss man dorthin verweisen.

Das Thema Meldedaten haben wir intensiv auch im Innenausschuss erörtert. Wir haben ziemlich klar dargelegt, dass für die ordnungsgemäße Verwendung der Meldedaten die abrufende Stelle verantwortlich ist. Natürlich kann jede abrufende Stelle bei Anhaltspunkten, aber auch ohne Anhaltspunkte den Verfassungsschutz sozusagen im Rahmen einer Regelanfrage bitten, zu prüfen, ob diejenigen, die zu einem Abruf von Meldedaten berechtigt sind, womöglich links, rechts oder in sonstiger Weise extremistisch sind.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)