Tagesordnungspunkt 16

Beratung

Lebensmittelverschwendung stoppen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1145

Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1179

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1173


Die Einbringerin ist die Abg. Frau Eisenreich. Frau Eisenreich steht bereits bereit und kann an das Mikrofon kommen. - Frau Eisenreich, Sie haben das Wort.


Kerstin Eisenreich (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Monaten sorgen steigende Preise bei Energie und Lebensmitteln und die aktuelle Inflationsrate von mehr als 7 % für tiefe Sorgenfalten und Einschränkungen bei vielen Menschen. Dazu haben wir hier im Landtag zahlreiche Debatten geführt und bisherige Lösungen zur Entlastung können die Not für viele Menschen nur zum Teil lindern.

Gleichzeitig sorgen der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und immer neue Meldungen über Allzeitrekordpreise an Getreidebörsen dafür, dass bis zu einer Milliarde Menschen weiter hungern bzw. von Hunger bedroht sind, weil sie keinen Zugang mehr zu Nahrungsmitteln, insbesondere zu Getreide, haben.

Auf der anderen Seite aber landen weltweit etwa 1,3 Milliarden t Lebensmittel auf dem Müll. Allein in Deutschland sind das laut einer Studie des Thünen-Instituts jährlich 12 Millionen t Lebensmittel. Andere Studien, z. B. des WWF, kommen sogar auf 18 Millionen t. Nimmt man dann die Gesamtmenge der Nahrungsmittel von 54,5 Millionen t zum Vergleich, ist dies dann fast ein Drittel Abfall.

Dabei wären fast 10 Millionen t dieser Abfälle vermeidbar. Das heißt, pro Sekunde landen unnötigerweise 313 kg genießbare Lebensmittel im Müll, und das über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, von der Erzeugung bis zu den Verbraucherinnen. In privaten Haushalten werden durchschnittlich pro Kopf und Jahr mehr als 75 kg Lebensmittel weggeworfen. Das ist mehr als die Hälfte des gesamten Aufkommens.

Ja, auf den ersten Blick erscheint es daher nachvollziehbar, dass sich der Bund und auch die Länder bisher darauf konzentrieren, Verbraucherinnen aufzuklären und zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen anzuhalten. Dies bleibt jedoch unserer Ansicht nach einseitig; denn einige Abfälle gehen auf den Handel zurück, weil z. B. zu große und nicht bedarfsgerechte Verpackungen angeboten werden und immer noch das Motto gilt: Je mehr Ware abgenommen wird, umso günstiger wird sie.

Mit dieser Herangehensweise, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir das von der UN-Vollversammlung mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beschlossene Ziel, Nahrungsmittelverluste und -verschwendung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu halbieren, nicht erreichen.

Dazu gehört auch, dass die Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums auf Lebensmitteln dazu führt, dass Menschen noch genießbare Lebensmittel wegwerfen, ohne erst einmal zu prüfen, ob sie nicht doch noch verwertbar sind. Hinzu kommt, dass diese Angabe im Übrigen häufig nicht realistisch ist, weil viele verschlossene Lebensmittel deutlich länger haltbar sind. Daher unser Vorschlag, künftig für bestimmte Produktgruppen nur noch mit dem Ablaufdatum zu arbeiten.

Allein bei der Erzeugung in der Landwirtschaft fallen etwa 12 % Lebensmittelabfälle an. Teilweise wird Gemüse auf den Äckern untergepflügt, noch bevor es geerntet wird, weil es mutmaßlich nicht verkauft werden kann, also den Handelsvorstellungen nicht entspricht. Bei der Verarbeitung sind es 18 % Lebensmittelabfälle bzw. -verluste, z. B. durch falsche Lagerung, Transportschäden oder technische Ursachen. Aber sie entstehen auch dadurch, dass z. B. bei einem Chargenwechsel in Molkereien die Leitungen statt mit Wasser mit dem neuen Produkt, also mit Milch, gespült werden. Was für ein Irrsinn, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Der nächste Punkt: Es sind ca. 14 % der Lebensmittelabfälle, die beim Außer-Haus-Verzehr entstehen. Im Einzelhandel sind es 4 %; das sind etwa 500 000 t, wobei hier z. B. die Retouren nicht berücksichtigt werden. Allein der Wert dieser Lebensmittel beläuft sich etwa auf 4,1 Milliarden €. Es gibt aber auch andere Zahlen, z. B. vom WWF, der insgesamt von fast 2,6 Millionen t im Handel ausgeht. Es wird auch gesagt, dass davon 90 % vermeidbar wären.

Die Ursachen hierfür sind wiederum vielfältig. Es ist doch so, dass ein verdorbenes Stück Obst, das sich in einem Netz oder in einer Kiste befindet, dazu führt, dass das gesamte Netz oder die Kiste in den Müll fliegt. Krummes, angestoßenes, zu großes, zu kleines Obst und Gemüse werden aussortiert. Warenregale, z. B. bei Backwaren, werden bis zum Ladenschluss immer wieder voll aufgefüllt, weil die Kundinnen das vermeintlich so wollen. Die Produkte werden aber am nächsten Tag häufig nicht mehr verkauft und landen im Abfall.

Immerhin finden sich Supermärkte und auch Einzelhändler, die Teile dieser unverkauften Waren als Spenden an soziale Einrichtungen bzw. Wohltätigkeitsorganisationen weitergeben. Aber das passiert eben auf freiwilliger Basis. In der gegenwärtigen Situation, in der immer mehr Menschen in unserem Land auf die Tafeln angewiesen sind, was ohnehin schon ein sehr schwieriger Fakt ist, gehen diese Spenden nun auch noch zurück. Im Übrigen werden von den ca. 500 000 t nur ca. 125 000 t weitergereicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Andere Länder, z. B. Frankreich und Tschechien, haben sich bereits vor Jahren für eine gesetzliche Regelung entschieden, und verpflichten Lebensmittelmärkte ab einer bestimmten Größe zur Weitergabe an soziale Einrichtungen. Wir finden, diesen Schritt sollten wir in der Bundesrepublik endlich ebenfalls gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Einen ersten Anlauf hat unsere Fraktion bereits in der letzten Legislaturperiode unternommen. In der damaligen Anhörung hat sich der Beauftragte für „Brot für die Welt“ der Diakonie Mitteldeutschland in seiner Stellungnahme deutlich für eine bundesweite gesetzliche Regelung bis spätestens zum Jahr 2020 ausgesprochen. Doch bis heute - wir sind bereits im Jahr 2022 - hat sich diesbezüglich leider noch immer nichts getan.

Hinzu kommt, dass Wohltätigkeitsorganisationen wie die Tafeln derzeit nicht nur mit einem viel größeren Ansturm von bedürftigen Menschen und weniger verfügbaren Lebensmitteln konfrontiert werden, sondern zugleich auch die Kosten für Strom und Kraftstoff längst aus dem Ruder gelaufen sind, sodass die ohnehin nur auf Spendenbasis und überwiegend nur mit Ehrenamtlichen arbeitenden Tafeln längst in finanzielle Not geraten sind. Hierbei sehen wir das Land in einer besonderen Verantwortung und wollen daher, dass die Tafeln kurzfristig unterstützt werden, um ihnen vor allem beim Aufbau und bei der Unterhaltung der Infrastruktur für Transport und Lagerung unbürokratisch zu helfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt aber auch viele Menschen, die sich dessen bewusst sind, dass Lebensmittel wertvoll sind; vielleicht sind sie auch gezwungen, sich aus Lebensmittelabfällen noch Genießbares herauszusuchen. Doch schauen Sie: Noch immer wird das sogenannte Containern strafrechtlich verfolgt, obwohl sich auch hier im Land immerhin mehr als 80 % der Menschen dafür aussprechen, dass das Retten noch genießbarer Lebensmittel aus der Mülltonne erlaubt werden sollte.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Deshalb plädieren wir mit unserem heutigen Antrag dafür, dass das Containern endlich straffrei wird.

Neben den auf der Bundesebene notwendigen und in unserem Antrag geforderten Maßnahmen benötigen wir auch als Land endlich und dringend eine eigene Strategie zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen, die alle Akteure, und zwar vom Acker bis zum Teller, einbindet. Diese Strategie muss dann auch konkrete Vorschläge, Maßnahmen und Unterstützungsformen enthalten. Andere Bundesländer, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind im Vergleich zu uns schon ein riesiges Stück weiter.

Leider ist es in Sachsen-Anhalt so, dass wir trotz vollmundiger Erklärungen - auch in der letzten Legislaturperiode - hierbei noch nicht vorangekommen sind. Daher bitte ich Sie dringend um Unterstützung unseres Antrages. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)