Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die regierungstragenden Fraktionen nehmen sich des Nahverkehrs an. Das finde ich richtig gut. In den letzten zehn Monaten haben wir gefühlt sehr viel über den Automobilverkehr gesprochen; jetzt mal den Nahverkehr in den Mittelpunkt zu stellen, finde ich klasse. Auch das 365-€-Ticket finde ich wirklich gut; das will ich ausdrücklich sagen.

Uns GRÜNEN ist es ein wichtiges Anliegen, den Umweltverbund zu stärken. Ich möchte, dass auch die Menschen, die sich entscheiden, weniger oder gar kein Auto zu fahren, tatsächlich eine echte Wahlmöglichkeit haben, und dazu braucht es einen starken Nahverkehr.

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)

Die Koalition stellt das 365-€-Ticket in den Mittelpunkt. Das ist ein schönes Ziel. Für 1 € am Tag kann ich durch den ganzen Landkreis fahren. Wer möchte das nicht, frage ich jetzt mal. Wir haben aber im Land Sachsen-Anhalt die Situation, dass der Nahverkehr - vorsichtig gesagt - wenig ausgebaut ist. Ein solches Ticket trifft auf eine unvorbereitete Infrastruktur. In manchen Orten fährt nur alle zwei Stunden ein Bus. Der Schülerverkehr ist früh und nachmittags der einzige Nahverkehr. Am Wochenende gibt es gar keinen Nahverkehr. Es gibt Dörfer, die überhaupt nicht an den Nahverkehr angebunden sind. Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass die wirklich gute Idee des 365-€-Tickets hier „verbrannt“ werden können, wie man immer so schön im politische Raum sagt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Guido Henke, DIE LINKE)

Es gibt viele Studien, die sehr klar besagen: Der Preis für ein Nahverkehrsticket ist ein wichtiges, aber nie das entscheidende Kriterium, damit man auf den Nahverkehr umsteigt. Ich verweise dazu auf eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung zum kostenlosen ÖPNV; das gilt dann wohl erst recht für den kostengünstigen ÖPNV. Ich zitiere:

    „…, dass ein kostenloser ÖPNV nicht automatisch zu einer umfassenden Verkehrswende führt: Nach den bisherigen Erfahrungen wird die Autonutzung kaum reduziert, stattdessen sinken die gelaufenen oder mit dem Fahrrad zurückgelegten Kilometer.“

Es kommt also nicht zu einer Verschiebung innerhalb des Modal Split in Richtung Umweltverbund. Der entscheidende Punkt ist, vorher zu überlegen, bevor man hier tätig wird. Will man lediglich die bestehende Verkehrspolitik mit kleinen Ausprägungen fortsetzen, indem man da und dort vielleicht ein bisschen mehr schafft, aber hauptsächlich die Tickets preiswerter macht, oder will man - dankenswerterweise hat der Kollege Vorredner schon darauf hingewiesen - eine tatsächliche Mobilitätswende, bei der man durchaus auch sehr offensichtlich den Modal Split in Richtung Umweltverbund verändern will.

Ich bin fest davon überzeugt - das sehe ich auch anhand der genannten Studien -, dass es erst einen Ausbau des Angebots und eine tatsächliche Attraktivitätssteigerung des ÖPNV braucht und es sich erst dann lohnt, die Tickets so zu verbilligen, dass mehr Menschen den ÖPNV nutzen. Wir brauchen flächendeckende Angebote, erreichbare Linienführungen, häufigere Taktungen, und wir brauchen den ÖPNV am Wochenende. Wir dürfen auch den Sicherheitsaspekt nicht vernachlässigen. Insbesondere junge Menschen, Frauen, Menschen mit Handicap nutzen den Nahverkehr dort, wo es ihn gibt, nur selten, weil sie sich tatsächlich Sorgen um ihre Sicherheit machen.

Wien ist immer so ein Beispiel, das angeführt wird und auch in dieser Debatte schon genannt worden ist. Wien hat massiv in den Nahverkehr investiert, und zwar über Jahrzehnte.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Wien hat - auch das steht noch in Rede in diesem Hohen Haus - die Parkgebühren in der Innenstadt so weit angehoben haben, dass das Parken dort nicht mehr als sinnvoll erschien und die Nutzung des ÖPNV die preiswertere Variante war.

Auch die jährliche Befragung der Kreditanstalt für Wiederaufbau, also das sogenannte Energiewendebarometer, das sich aktuell dem Bereich Mobilität widmet, zeigt, dass die Befragten insbesondere in den ländlichen Regionen und in kleinen und Mittelstädten ein besseres Angebot als Voraussetzung und als Hauptkriterium für die Nutzung des ÖPNV benennen. In Großstädten - das hat die Frau Ministerin im Grunde genommen auch schon gesagt - wie Halle, Magdeburg oder teilweise auch Dessau - wobei es spannend und sportlich ist, in meiner Heimatstadt Vororte am Wochenende zu erreichen - spielt natürlich der Preis eine größere Rolle, weil das Angebot einfach schon da ist. Aber das trifft nicht auf die Landkreise zu.

Wir brauchen eine bessere Versorgung in der Fläche. Dabei ist durchaus auch Fantasie gefragt. Es geht um einen Nahverkehr, der wirklich die Fläche abdeckt. Das heißt nicht, dass da ein großer Bus in jedes Dorf fährt. Aber warum denn nicht ein öffentlich gefördertes Elektroauto zum Teilen in jedes Dorf stellen und das dann als Teil von Nahverkehr begreifen? Wir müssen hierbei kreativer werden. Wir müssen mehr Fantasie an den Tag legen.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Ich finde es extrem schade, wenn diese Versuche, die jetzt auf den Weg gebracht werden sollen, auf diesem extrem niedrigen Ausbaustandard bleiben.

Das Pilotbeispiel des kostenfreien Nahverkehrs, in Köthen, Region Anhalt, verortet, hat gezeigt: Allein das preiswerte oder kostenfreie Ticket bringt es nicht.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Ich will abschließend noch einen Satz - -


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Lüddemann, ganz schnell abschließend.

 

Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich will abschließend einen Satz sagen zum wesentlichen Unterschied im Antrag der Koalitionsfraktionen. Uns geht es darum, um eben diese Attraktivitätssteigerung vorantreiben zu können, dass wir wirklich alles Geld, das uns vom Bund zur Verfügung gestellt wird, sprich: alle Regionalisierungsmittel, auch die 31 Millionen € für den Schülerverkehr, die ca. 6 Millionen € für das Azubi-Ticket, wirklich für den ÖPNV zur Verfügung stellen. Es darf keine Zweckentfremdung von Geldern


Vizepräsident Wulf Gallert:

Das ist jetzt aber schon der zweite Satz, Frau Lüddemann.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

für den ÖPNV mehr geben. - Danke.

(Zustimmung von den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Mit dem Satz und den Kommata. Aber Sie haben ja noch einmal die Chance, weil Herr Borgwardt nämlich eine Frage hat. Wenn Sie diese beantworten wollen, dann hätten Sie noch einmal die Chance.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich werde es versuchen.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Borgwardt, Sie haben das Wort.


Siegfried Borgwardt (CDU):

Herr Präsident, herzlichen Dank. - Liebe Kollegin Lüddemann, ich habe sehr genau zugehört.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Obwohl Sie mit Frau Feußner geschwatzt haben?

(Ministerin Eva Feußner: Wir haben zugehört!)


Siegfried Borgwardt (CDU):

Multitasking! Ich kann das natürlich nicht so wie Frauen, aber ich bemühe mich jeden Tag mehr.

(Lachen bei der CDU und bei der SPD)

Spaß beiseite!


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Dann ist ja doch von „Kenia“ etwas übrig geblieben.


Siegfried Borgwardt (CDU):

Unser Ansinnen war es natürlich, möglichst viele Bürger in den Genuss zu bringen. Deswegen frage ich nach, weil ich das nicht richtig verstanden habe. Wie viele Bürger sollen sich denn pro Gemeinde ein Elektroauto teilen? Drei Bürger? Vier Bürger? Wie kann ich mir das praktisch vorstellen.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich kann nur empfehlen, sich mal eine Probemitgliedschaft in einem der Carsharing-Unternehmen zu gönnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann kann man das nämlich am eigenen Leibe mal ausprobieren.

(Guido Kosmehl, FDP: Ja, „eines pro Dorf“ haben Sie gesagt! - Zurufe von der CDU)

Tatsächlich funktioniert es genauso - -

(Zurufe: Eins pro Dorf!)

- Ich war noch nicht fertig. Wenn man wirklich an einem fachlichen Austausch interessiert ist, dann ist es eine gute Idee, erst einmal zuzuhören,

(Guido Kosmehl, FDP: Ich höre Ihnen zu!)

und dann können wir weitermachen. - Jetzt antworte ich erst einmal Ihnen, Herr Kollege Borgwardt. Daran sieht man, dass das sehr unterschiedlich ist. Es gibt Dörfer, in denen wohnen nur 13 Menschen, und es gibt Dörfer, in denen wohnen 95 Menschen. Dann stellt sich vielleicht sogar heraus, dass es sinnvoll und wirtschaftlicher zu betreiben ist, wenn man ein zweites Auto dort hinstellt. Das ist auch ein Erfahrungswert. Genau dafür plädiere ich ja.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Wenn man sagt, man will ein Modellprojekt machen, dann ist es wichtig, auch mal modellhaft wirklich neue Wege zu gehen und auch kreativ zu sein. Schauen Sie es sich an: Die Kollegen, die in Halle oder in Magdeburg - Dessau hat nun nur drei; das ist jetzt auch schwierig     Aber dort sind die Nutzungen der Autos sehr unterschiedlich.

(Zurufe von Frank Bommersbach, CDU, und von Guido Heuer, CDU)

Dort gibt es Autos unterschiedlicher Größe. Es stehen auch Transporter zur Verfügung.

Ich glaube, so etwas sollten wir auch mal austesten.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Darf ich eine Zusatzfrage stellen?)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Okay, danke. - Nein, das können wir hier nicht machen, weil immer nur Fragen gestellt werden können, wenn die während des Hauptbeitrages angemeldet worden sind. Insofern war auch das Versprechen von Frau Lüddemann, wir können dann weitermachen, ein falsches. - Frau Lüddemann, ich bedanke mich ganz herzlich für Ihren Redebeitrag. Aber der ist jetzt zu Ende, und jetzt können wir weitermachen.

(Beifall bei den GRÜNEN)