Tagesordnungspunkt 15
Beratung
Entwurf der Verordnung über bauliche Mindestanforderungen nach dem Wohn- und Teilhabegesetz (Wohn- und Teilhabegesetz-Mindestbauverordnung - WTG-MindBauVO)
Information der Landesregierung gemäß Abschnitt II Abs. 1 der Landtagsinformationsvereinbarung vom 14.03.2022 - ADrs. 8/SOZ/13
Unterrichtung Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - Drs. 8/968
Entscheidungsverlangen Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/978
Einbringerin ist die Abg. Frau Anger. Sie ist bereits auf dem Weg hier nach vorn und erhält gleich das Wort. - Bitte sehr.
Nicole Anger (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion fordert seit vielen Jahren eine Verordnung zu Mindestbaustandards im Bereich der Gesundheits-, Alten- und Pflegeeinrichtungen und besonders auch in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Dass wir das anpacken müssen, darin besteht hier wohl Konsens.
Bereits im Jahr 2016 hat der Landesbehindertenbeirat seinen Beschluss mit konkreten Vorschlägen dazu vorgelegt. Der nun noch laufende Prozess begann dann hier im Jahr 2018. Ganz konkret lief das in diesem Falle so ab: Der Landtag hat in seiner 49. Sitzung der siebten Wahlperiode am 25. Mai 2018 den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen zur Neufassung der Heimmindestbauverordnung zu unserem Ursprungsantrag in den Ausschuss überwiesen.
Seit Anfang Mai 2019 tagte eine Arbeitsgruppe im Sozialministerium, unter anderem besetzt mit Referaten des Sozialministeriums, dem Landesbehindertenbeauftragten, der Sozialagentur, der Liga, Pflegekassen, MDK, Landesseniorenvertretung. Ein ganz guter Start, mag man meinen, um die Interessen einzusammeln und sich auf den Weg mit Beteiligung zu machen. Allerdings hatten diese Expertinnen nur Gelegenheit, sich bis zum 6. Juni 2019 zu äußern, also exakt vier Wochen Beteiligung.
Im Sozialausschuss, in der 38. Sitzung der siebten Wahlperiode am 12. Juni 2019 wurde dann die Verordnung angekündigt. Im Anschluss gab es Stellungnahmen der Liga und der Lebenshilfe. Danach passierte nichts. Seit drei Jahren passierte einfach nichts mehr, bis wir zuletzt, dann im Dezember des letzten Jahres hier in diesem Plenum auf Antrag der GRÜNEN dazu beraten haben, mit dem Ergebnis, der Überweisung in den zuständigen Ausschuss, in den Sozialausschuss.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns doch noch einmal gemeinsam in das Plenarprotokoll vom 15. Dezember 2021 schauen, was dort so kundgetan wurde. Die Ministerin Frau Grimm-Benne betonte, dass sie natürlich hoffe, dass wir darüber im Sozialausschuss beraten werden. Herr Pott kündigte an, dass man darüber gemeinsam weiter im Sozialausschuss diskutieren müsse. Frau Dr. Schneider sagte, dass der Antrag der GRÜNEN in die richtige Richtung gehe und man Übergangsnormen brauche und auf Frau Gensecke hat sich ganz klar für die Überweisung in den Sozialausschuss und damit auch für die Fachdebatte ausgesprochen.
Und was ist dann im Sozialausschuss passiert? - Das können Sie alle im Protokoll des Sozialausschusses vom 30. März nachlesen. Aber ich sage es Ihnen gerne auch hier noch einmal: Der Ausschuss war aufgefordert, eine Stellungnahme zu erarbeiten. Herr Krull sprach gleich für die ganze Koalition, dass mit dem neuen Entwurf der Verordnung nun die Probleme gelöst seien das sieht die Liga allerdings anders und man ein positives Votum abgeben solle.
Auf meinen Einwand hin, den die Kollegin der GRÜNEN unterstützte, dass es keine entsprechende Beteiligung mehr gegeben habe, dass die Interessenvertretung und Betroffenen nicht bis zuletzt in den Diskurs involviert waren, versuchte die Ministerin es so aussehen zu lassen, dass dieser Verordnungsentwurf immer wieder mit allen Beteiligten beraten wurde.
Daher frage ich Sie, Frau Grimm-Benne, als Ministerin, mit wem haben Sie diesen Entwurf denn bis zuletzt beraten? Welche Träger haben Sie denn von Anbeginn an, von 2018 bis heute aktiv eingebunden? Und wie haben Sie Ihre jetzt vorgelegten Änderungen gegenüber dem Entwurf aus dem Jahr 2019 transparent gemacht?
Eine Fachdebatte im Sozialausschuss, meine Damen und Herren - Fehlanzeige. Auf inhaltliche Nachfragen haben die Mitarbeitenden aus dem Sozialministerium geantwortet, Zitat 1: Mir wäre es ganz lieb, wenn wir die Frage im Nachgang aus der Abteilung zielgerichtet beantworten könnten. Zitat 2: Wir werden uns gern um eine konkretere Antwort der Abteilung 3 bemühen und diese im Nachgang übermitteln. - Meine Damen und Herren, das ist keine Fachdebatte.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Vorstellung von einer Fachdebatte ist, dass man auf Fragen, die im Diskurs gestellt werden, Antworten direkt bekommt und nicht erst Tage oder Wochen danach. Und dass man in diesem Zusammenhang auch noch einmal einzelne Punkte kritisch beleuchtet, einzelne Paragrafen abwägt und bei Bedarf auch noch einmal etwas ändert. Augenscheinlich waren sowohl Antworten als auch Änderungsvorschläge zum Entwurf nicht gewünscht.
Es ist für mich auch nicht die angemessene Sacharbeit, wie diese im Ausschuss erfolgen sollte. Und es sollte und das macht es noch viel kruder , ein Einvernehmen zu dieser Verordnung hergestellt werden, zu deren Inhalt die Fragen nicht beantwortet waren.
Meine Damen und Herren! Ergo: Sie haben hier im Plenum allen versichert, dass der aktuelle Verordnungsentwurf im Sozialausschuss fachlich diskutiert wird. Passiert ist das nicht. Sie stellen sich nicht der Fachdebatte, nicht mit uns im Ausschuss und noch viel schlimmer, nicht mit den Interessensverbänden und den Betroffenen.
Aufgrund dieses unprofessionellen Vorgehens der Landesregierung war unter anderem die Liga zuletzt diese Woche gezwungen, mit ihrem Schreiben vom 26. April einen Appell einzureichen und somit auch selbst noch einmal auf die fehlende Beteiligung und die schlechte Kommunikation zu verweisen. Diesen Appell unterstützt meine Fraktion und wir machen ihn uns zueigen.
Die Liga wie aber auch andere Träger hatten bereits im Jahr 2019 umfangreiche Stellungnahmen zum damaligen Entwurf der WTG-Mindestbauverordnung vorgelegt. Auf diese Stellungnahmen erhielten die Verbände so gut wie keine Rückmeldung, schon gar keine inhaltlichen. Es wird durch die Liga kritisiert, dass die aktuelle Wiederaufnahme des im Jahr 2019 abgebrochenen Prozesses zur Erarbeitung der Verordnung ohne erneute Kommunikation und Antwort auf damalige Stellungnahmen erfolgte. Und es wird ebenfalls kritisiert, dass nunmehr alles so schnell gehen muss, nachdem die Verordnung so lange gelegen hat. Der Eindruck stellt sich ein, dass eine Debatte nicht gewünscht sei.
Haben Sie sich nicht gefragt, was das bei den Beteiligten auslösen könnte? Und an der Stelle muss ich einmal ganz deutlich darauf hinweisen, dass dies sich nicht an den Forderungen der UN-BRK nach Einbeziehung der Menschen mit Behinderung in die Regelung ihrer Angelegenheiten orientiert.
Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass nicht nur der Ministerin, sondern Ihnen allen nicht nur die UN-BRK, sondern auch die Partizipationsstufen mehr als nur ein Begriff sind. Partizipation bedeutet nicht nur Teilnahme, sie bedeutet Teilhabe, Teilhabe bei allen wesentlichen Fragen der Lebensgestaltung und auch bei den Fragen des Wohnens.
Auf Nachfrage einzelner Verbände im letzten Jahr zum Sachstand der Verordnung hieß es seitens des Sozialministeriums lediglich, man beabsichtige, nach Befassung im Landeskabinett die Verbände zu informieren. Das, meine Damen und Herren, ist keine Beteiligung, das ist keine Mitbestimmung. Sie sehen, es fehlt an Mitbestimmung und Transparenz.
(Beifall bei der LINKEN)
Den Beteiligten aus dem Jahr 2019, wie auch von der Liga kritisiert, ist nicht klar, was mit ihren Stellungnahmen passiert ist, in welcher Form Anregungen in den nun veränderten Verordnungsentwurf eingeflossen sind, warum bspw. die Einzelzimmerquote nur noch eine Empfehlung ist. Im Übrigen wird genau diese Empfehlung den Trägern bei den Verhandlungen mit der Sozialagentur perspektivisch auf die Füße fallen. Denn es besteht, sollten Sie an diesem Verordnungsentwurf festhalten, keinerlei Verbindlichkeit. Damit würde den Trägern in den Verhandlungen ein Bärendienst erwiesen.
Das Problem ist doch, dass bei den Verhandlungen zu den Leistungen eben nicht die notwendigen Mittel bewilligt werden, mit der Begründung, dass sie die Standards überschreiten. Aus Mindestanforderungen werden so in den Verhandlungen ganz schnell durch die Sozialagentur Maximalanforderungen. Gleichzeitig verhindert dies auch bei dem Neubau von Einrichtungen wegen der fehlenden klaren Erfordernisse Einzelzimmer und persönliche Bäder. Und nach zwei Jahren Pandemie sollte uns doch noch einmal mehr vor Augen geführt werden, warum ein personenbezogenes Bad so wichtig ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Und so eine aktive und verbindliche Beteiligung hätte auch noch einmal sehr deutlich darauf hingewiesen, dass dieser Verordnungsentwurf zwei Perspektiven braucht: Einrichtung der Altenhilfe und Einrichtung der Eingliederungshilfe lassen sich nicht schablonenartig abbilden. Die einen, die der Altenhilfe, sind für einen bestimmten Lebensabschnitt gedacht und haben in Teilen andere Ansprüche und Anforderungen zu erfüllen, als Einrichtungen der Eingliederungshilfe, welche Lebensmittelpunkt sind.
Bei Zweitem braucht es bspw. nicht überall Handläufe. Auch sind Begriffe, wie stationäre Einrichtungen in der Eingliederungshilfe nicht mehr entsprechend der aktuellen Bundesgesetzlage. Das zeigt, es ist auch handwerklich nicht gelungen, die novellierte Bundesgesetzgebung in diese Verordnung einfließen zu lassen.
Warum dieses Entscheidungsverlangen? Wenn Sie gewiss jetzt meinen Ausführungen aufmerksam gefolgt sind und sich vorab selbst auch noch einmal informiert haben, und zwar nicht nur in Protokollen, sondern auch bei den Trägern, dann wissen Sie, dass es bisher nicht um Schnelligkeit ging. Der Prozess der Neufassung der Verordnung zur Heimmindestbauverordnung hat im Jahr 2018 begonnen. Deswegen müssen wir jetzt auch nicht hektisch werden.
Lassen Sie uns diese Verordnung gemeinsam mit denen, die sie anwenden sollen, qualitativ gestalten. Dann heißt es vielleicht bald aus Sachsen-Anhalt alle anderen Bundesländer haben ihre Verordnungen ja schon vorgelegt , die Letzten werden die Ersten sein. Denn wir können hier einen echten Qualitätsstandard setzen, für die Menschen, die in den Einrichtungen leben, die dort ihr Zuhause haben.
Ihnen allen liegt der erwähnte und aktuelle Appell der Liga der Freien Wohlfahrtspflege vor. Die Liga appelliert an uns, dass wir heute nicht das Einvernehmen zum vorgelegten Verordnungsentwurf herstellen, sondern diesen in den Sozialausschuss zurücküberweisen. Ich kann Ihnen nur dringend anraten, nehmen Sie diesen Appell hier und heute ernst.
Lassen Sie uns diese Verordnung mit einer Neuaufnahme des Beteiligungsprozesses aus dem Jahr 2019 in den Ausschuss zurückgeben und dort qualitativ, fachlich mit den Verbänden diskutieren. Zeigen Sie, dass Sie in den Koalitionsfraktionen die Kultur des Widerspruchs aushalten, dass Sie Partizipation ernst nehmen und stimmen Sie unserem Entscheidungsverlangen und damit der Rücküberweisung in den Sozialausschuss mit entsprechender Anhörung und Beteiligung zu. - Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)