Tagesordnungspunkt 19

Beratung

a)    Pflegende Kinder und Jugendliche („Young Carer“) ermitteln und unterstützen

Antrag Fraktion AfD - Drs. 8/1006

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1061

b)    „Young-Carer“ wertschätzen und in den Blick nehmen. Kinder- und Jugendbericht des Landes entsprechend ausrichten.

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1028

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1060


Der Einbringer zu a) ist zunächst Herr Köhler. Herr Köhler bitte, dann folgt Frau Sziborra-Seidlitz mit dem Antrag unter b).


Gordon Köhler (AfD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Schule gelte ich als still und verschlossen, dabei bin ich einfach nur ruhig, weil meine Erlebnisse nicht in die Gesellschaft passen, z. b. nach den Weihnachtsferien, wenn alle ihre tollen Geschichten erzählen und dann fragen: Was habt ihr Heiligabend gemacht? Wenn ich dann sage, Mama war am Heiligabend zwischen zwölf und 18 Uhr an der Dialyse, und als sie nach Hause gekommen ist, musste sie sofort schlafen gehen, weil es ihr dann doch sehr schlecht geht, dann wenden sich alle schnell von mir ab; denn dann mache ich ihre gute Stimmung kaputt. Dann werde ich den Rest des Tages gemieden, ich könnte ja noch mehr davon erzählen. Also schweige ich lieber und bin Teil einer Klasse. - Kilian, 12 Jahre alt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben hier eine sehr eindrückliche Geschichte eines Betroffenen, und er fügt sich ein in die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die regelmäßig die Pflege von schwer oder chronisch erkrankten Eltern, Großeltern oder Geschwistern übernehmen. Das umfasst bspw. Haushaltsarbeiten, die Beschäftigung mit jüngeren Geschwistern oder die Übernahme vollwertiger Pflegetätigkeiten. Die Vielschichtigkeit lässt sich anhand weiterer Erfahrungsberichte erahnen. Wer wirklich ernsthaftes Interesse daran hat, dem empfehle ich die Internetrecherche. Da gibt es sehr schockierende und traurige Berichte.

Doch welche konkreten Informationen haben wir über jene Kinder und Jugendlichen, die in der internationalen Fachsprache als Young Carer bezeichnet werden? Was wissen wir über ihre Anzahl, ihre Häufigkeit, das Alter und ihre genauen Umstände? Um hierüber mehr zu erfahren, haben wir als AfD-Fraktion im März 2020 unter der Drucksachennummer 7/5844 die Landesregierung befragt. Wir wollten wissen, in wie vielen Haushalten Kinder und Jugendliche generell Pflegeverantwortung für Familienmitglieder übernehmen.

Die Antwort hierzu war kurz und bündig. Es liegen bezogen auf Sachsen-Anhalt keine Daten vor. Auch die weitere Frage nach möglichen Unterstützungsangeboten für die konkreten Personen konnte ebenfalls nichts Konkretes genannt werden. Die Landesregierung hat geantwortet, wir haben Familienberatungsstellen, wir haben auch vereinzelt im stationären Bereich Angebote für Kinder von psychisch erkrankten Eltern. Wir reden hier aber nicht über Kinder, deren Eltern eine psychische Erkrankung haben, sondern über Kinder und Jugendliche, deren Eltern onkologisch erkrankt sind, deren Eltern einen Schlaganfall erlitten haben oder bspw. einen anderweitig gelagerten schweren Unfall erlebt haben.

Es lässt sich also festhalten, dass unstrittig Handlungsbedarf besteht.

Immerhin wird das Thema in den letzten Jahren zunehmend sichtbarer, und das nicht nur auf der wissenschaftlichen Ebene, sondern auch im Rahmen privater Initiativen, aber auch in Teilen der Massenmedien. Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein grobes Bild über die Ausmaße geben verschiedenste Studien bzw. Reports.

So hat etwa das Zentrum für Qualität in der Pflege im Jahr 2016 einen sehr interessanten Report hierzu veröffentlicht. Es wurden onlinebasiert insgesamt 1 000 Jugendliche in der Alterssparte von zwölf bis 17 Jahren befragt. Man wollte von Ihnen wissen, welche Erfahrungen sie mit Pflege konkret gemacht haben, inwieweit persönliche Erfahrungen mit dem Pflegen von Angehörigen vorliegen.

Im Ergebnis haben die Autoren zusammengefasst, dass rund 5 % der befragten Jugendlichen regelmäßig substanzielle pflegerische Aufgaben übernehmen. Das kann durchaus bedeuten, dass in einer 20-köpfigen Klasse bereits ein Kind ist, das mit dieser Pflegeerfahrung leben muss. Wenn man diesen Anteil annimmt und hochrechnet, dann landet man bei einer erstaunlichen Zahl für die gesamte Bundesrepublik Deutschland von 230 000 Personen. Das ist in etwa die Einwohnerzahl einer Stadt so groß wie Magdeburg.

Andere Zahlen   diese gehen auf eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums zurück   sind weitaus höher. Das ist eine Studie der Universität Witten/Herdecke. Sie wurde im Juli 2018 veröffentlicht. Darin geht man sogar noch einen Schritt weiter und von einer Anzahl von bis zu einer halben Million Kindern und Jugendlichen in Deutschland aus.

Für Sachsen-Anhalt hat die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2018 gemeint, na ja, es könnte eventuell in Sachsen-Anhalt 5 200 Kinder und Jugendliche betreffen.

Auf Grundlage dieser ganzen Zahlen, wie ich sie gerade genannt habe, ist es für uns als AfD-Fraktion schwerlich nachzuvollziehen, dass dieses gewichtige Thema im Koalitionsvertrag doch wenig Raum erhalten hat.

Halten wir also fest, dass Pflegeverantwortung junger Menschen ein gesellschaftlich relevantes und wichtiges Thema ist, bei dem dringend Handlungsbedarf besteht.

Eines steht auch fest: Mit Schätzungen aus Studien auf übergeordneter Bundesebene kommen wir hier nicht weiter. Bevor wir weitere Schritte ergreifen, ist es wichtig, eine aussagefähige und quantifizierbare Datengrundlage zu schaffen. Erst auf der Grundlage der gewonnenen konkreten Daten lassen sich dann mögliche Maßnahmen in die Wege leiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur heutigen Debatte über die Young Carer habe ich für die AfD-Fraktion einen Antrag eingereicht. In der Drs. 8/1028 gab es einen weiteren Antrag der GRÜNEN-Fraktion mit dem Versuch, sich an dem Thema zu beteiligen. Inhaltlich möchte ich zum Antrag Folgendes loswerden. Wir halten es nicht für sinnvoll, diese Problematik als einen weiteren Punkt in den doch schon sehr aufgeblähten bzw. umfangreichen Kinder- und Jugendbericht mit aufzunehmen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich ist eine dauerhafte Berücksichtigung in diesem Bericht nicht falsch, aber unserer Auffassung nach brauchen wir für dieses Thema eine gesonderte, eine schwerpunktmäßige Betrachtung.

Inhaltlich haben Sie in Ihrem Antrag weiter gefordert, dem Thema der jungen Pflegenden auch auf Bundesebene mehr Gehör zu verschaffen. Selbstverständlich kann man sich dem nicht verschließen. Aber bevor wir jetzt versuchen, auf der Ebene des Bundesgesetzgebers Lösungen einzufordern, sollten wir doch versuchen, auf Landesebene das Mögliche herauszuholen.

In der Summe halte ich den Antrag der Fraktion der GRÜNEN in der Form noch nicht für zustimmungswürdig. Dennoch sollte der Themenkomplex der Young Carer einer möglichst unaufgeregten und undogmatischen Lösung zugeführt werden.

Auch für die Alternativanträge der Koalitionsfraktionen gilt: Es ist zwar richtig, was sie darin aufgeführt haben, aber meiner Meinung nach, unserer Meinung nach fehlt die Erhebung einer Datengrundlage. Wir brauchen diese, um tatsächlich adäquate und passgenaue Maßnahmen aufzulegen. Daher mein Angebot hier in diesem Plenum, auch im Namen meiner Fraktion: Lassen Sie uns sowohl die Alternativanträge als auch den Antrag der Fraktion der GRÜNEN und unseren Antrag an den Fachausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung überweisen und dort die weiteren Diskussionen zu dem Thema führen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)