Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):
Ich habe ja nur noch eine Rede. Deshalb muss es jetzt die richtige sein. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Auch ohne landespezifische Datenlage sind wir beim Thema Pflegende Kinder und Jugendliche durchaus aussagefähig und müssen nicht erst anfangen, eine neue Statistik oder eine neue Studie zu bemühen.
Das Thema fand bereits in den vergangenen Jahren Aufmerksamkeit. Die Landesregierung ist sich der besonderen Situation bewusst, in der sich pflegende Angehörige und insbesondere die pflegenden Kinder und Jugendlichen befinden.
Nach der oft zitierten Studie „Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige“, die, vom Bundesgesundheitsministerium gefördert, in den Jahren von 2015 bis 2017 durchgeführt wurde, leben rund 20 % der Zehn- bis 18-Jährigen in Familien mit einem Angehörigen, der einen krankheitsbedingten Hilfebedarf hat.
In etwa einem Drittel dieser Familien erfolgt die Versorgung der Angehörigen ohne Beteiligung der Kinder. In einem weiteren Drittel der Familien helfen die Kinder bei der Versorgung mit. Sie unterstützen bspw. im Haushalt oder holen das Geschwisterkind von der Kita ab. Das letzte Drittel umfasst die Gruppe der sogenannten Young Carer. Diese Kinder und Jugendlichen helfen nicht nur im Haushalt oder bei der Medikation, sie unterstützen die Familienangehörigen zusätzlich in der Mobilität, beim Ankleiden, bei der Ernährung und bei der Körperpflege.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Nach der Einschätzung des Zentrums für Qualität in der Pflege übernehmen rund 5 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren regelmäßig pflegerische Aufgaben bei der Versorgung ihrer Angehörigen.
Für Sachsen-Anhalt ist demnach eine Anzahl von ca. 5 000 jungen Menschen anzunehmen, die regelmäßig chronisch kranken Familienmitgliedern helfen oder bei der Pflege unterstützen. Wie viele Kinder eine über die eigenen Kräfte gehende Unterstützung leisten müssen, wissen wir nicht genau. Das liegt zum einen daran, dass das Alter von pflegenden Angehörigen nicht statistisch erfasst wird; zum anderen entwickeln sich Krankheitsverläufe oder Pflegesituationen in den Familien, die von außen nicht wahrgenommen oder auch nicht wahrgenommen werden können, weil die Kinder und Jugendlichen nicht oder nicht offen über ihre häusliche Situation sprechen.
Aus der Kinder- und Jugendhilfe sowie aus der Suchtkrankenhilfe sind zudem Entwicklungen bekannt, bei denen die Kinder innerfamiliär alle Abläufe zur Versorgung der Familienmitglieder sichern. Dabei wird von der gesamten Familie penibel darauf geachtet, dass über die Situation in der Familie nichts nach außen dringt.
Genau hier, meine Damen und Herren Abgeordneten, müssen die vorhandenen Dienste und Träger aufmerksam sein, damit die Belastung für die Kinder in erträglichen Grenzen bleibt und sich nicht zu einer nachhaltig schädigenden Überforderung entwickeln kann. Die betroffenen Familien fühlen sich stigmatisiert. Das muss geändert werden.
Kliniken, Arztpraxen, Pflegedienste, Angebote zur Unterstützung im Alltag stehen hier mit Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, der Familienberatung und auch der Schule sowie der Schulsozialarbeit in einer Verantwortung. Es geht darum, zu sensibilisieren, damit das Thema z. B. bei einer Entlassung aus der Klinik mitgedacht und gegenüber der Familie angesprochen wird.
Wir wollen darüber hinaus die örtlich zuständigen Behörden, die Träger der bestehenden Beratungsstrukturen wie auch die Träger der Jugend-, Jugendsozial- und Schulsozialarbeit hinsichtlich der besonderen Situation von pflegenden Kindern und Jugendlichen verstärkt sensibilisieren. Den Nachbarschaftshilfe-Strukturen im Land werden wir geeignete Schulungsangebote zur frühzeitigen Erkennung von Überforderungssituationen für Nachbarschaftshelfer anbieten.
Gestatten Sie mir abschließend mit Blick auf den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch den Hinweis, dass das SGB VIII bereits verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung bietet. Diese zur Verfügung stehenden Instrumente hat der Bundesgesetzgeber - davon haben wir gerade gesprochen - in der vergangenen Legislaturperiode mit der umfassenden SGB-VIII-Novelle weiter ausgebaut. Es gilt nun, das endlich wirklich bekannt zu machen. Viele wissen gar nicht, dass es Leistungen gibt,
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Ministerin, darf ich Sie daran erinnern, dass Ihre Redezeit abläuft?
Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):
- das ist mein letzter Satz, wie ich schon gesagt habe, zum Abschluss meines Redebeitrages , die man in Anspruch nehmen könnte.
Wissen Sie, ich finde, das sind Themen, die ziemlich wichtig sind. Ich weiß, dass ich eine Redezeit von lediglich drei Minuten habe. Aber es bringt auch nichts, so schnell zu reden, dass man dabei überholt, ohne einzuholen. Ich denke, man kann es mir als Ministerin zugestehen, das letzte Wort dazu zu sprechen, ohne unterbrochen zu werden. - Herzlichen Dank.
(Zustimmung bei der SPD)