Rüdiger Erben (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Möglichkeit, in Sachsen-Anhalt Opfer eines Verbrechens zu werden, ist in den vergangenen Jahren zum Glück geringer geworden. Insbesondere Gewaltdelikte gingen in unserem Land stark zurück. Unser Land ist eigentlich sicher. Nur, diese Feststellung ist kein Trost für diejenigen, die solchen Verbrechen ausgesetzt waren oder als Angehörige mit den Folgen solcher Verbrechen leben mussten.
So zählte die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2021 immer noch 16 000 Körperverletzungen, 570 Vergewaltigungen oder 104 Straftaten gegen das Leben. Hinter jeder einzelnen Zahl steckt immer ein Tatverdächtiger. Aber es stecken auch immer eines oder mehrere Opfer dahinter.
Sachsen-Anhalt hat bereits in der Vergangenheit umfassend Sorge dafür getragen, dass für die Opfer und deren Angehörige ein breites Netz an Hilfsangeboten bereitgestellt wird. Hierzu zählen die nebenamtlichen Opferschutzbeauftragten bei der Polizei, der soziale Dienst der Justiz, Vereine wie der Weiße Ring, Frauenhäuser und zahlreiche ehrenamtliche Beratungsstellen. Hinzu kommen Maßnahmen wie die Vermögensabschöpfungen oder die Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz des Bundes.
Sie tragen dazu bei, dass die Opfer von Verbrechen und deren Angehörige wenigstens seelisch und finanziell einen Ausgleich für den erlittenen Schaden erhalten. Das wiegt das erlittene Unrecht zwar nicht auf, lässt aber niemanden nach einem Verbrechen alleine.
(Siegfried Borgwardt, CDU, unterhält sich mit Sebastian Striegel, GRÜNE)
- Muss ich jetzt fürchten, dass hier drüben irgendetwas passiert? - Nein. - Dennoch kann es in seltenen Fällen passieren, dass jemand durch dieses Netz hindurchfällt. Insbesondere bei Verbrechen mit körperlichen Schäden drohen den Opfern oder ihren Angehörigen finanzielle Nöte, bspw. weil medizinische Behandlungen oder Hilfsmittel von keiner Seite übernommen werden.
Deswegen bin ich sehr froh darüber, dass die Koalition in dem Ihnen vorliegenden Antrag mit der Schaffung eines Opferhilfsfonds Maßnahmen gegen solche Fälle ergreift. Wir zeigen damit, dass das Land Sachsen-Anhalt kein Opfer von Verbrechen im Regen stehen lassen will.
Bereits im laufenden Verfahren zum Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2022 haben wir Haushaltsmittel in Höhe von 50 000 € für einen Opferhilfsfonds eingestellt. Dieser Betrag soll zukünftig jährlich für Opfer von Gewaltdelikten und deren Angehörige bereitstehen. Dem einen oder dem anderen mag das als eine vergleichsweise geringe Summe erscheinen. Aber diese Haushaltsmittel sind als allerletzte Instanz gedacht; denn sie sollen dann helfen, wenn keine andere Stelle mehr helfen kann. Wichtig ist daher ein möglichst unbürokratisches Antragsverfahren. Ich bin mir sicher, dass der Fonds im zuständigen Ministerium entsprechend eingerichtet und mit den entsprechenden Rahmenbedingungen versehen wird.
Wünschenswert wäre es zudem, wenn wir auf Dauer eine Regelung hinbekommen würden, wie es von der Frau Ministerin beschrieben worden ist, dass nämlich bei schweren Straftaten wie bei Terroranschlägen der Fonds auch für die Kosten für Nebenkläger im Gerichtsverfahren aufkommen kann.
Der Prozess gegen den Halle-Attentäter hat hierbei Lücken im Unterstützungsnetz aufgezeigt. Die Betroffenen mussten zunächst in nicht unerheblichem Maße Reise- und Übernachtungskosten an den Prozesstagen größtenteils selbst tragen. Auch dahingehend vertraue ich auf eine gute Ausrichtung unserer Richtlinie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Schaffung des Opferhilfsfonds werden wir unserer staatlichen Verantwortung für Opfer von Gewaltverbrechen gerecht. Auch Härtefälle müssen nicht fürchten, von der Politik alleine gelassen zu werden. Der Opferschutz hat für uns weiterhin eine sehr hohe Priorität. Ich hoffe, Sie sehen das genauso. Ich bitte dieses Hohe Haus um Zustimmung zu diesem Antrag, den wir Ihnen als Koalitionsfraktionen vorgelegt haben. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Danke, Herr Erben. Ich sehe keine Fragen. - Doch! Eine Frage von Frau von Angern. - Herr Erben, wollen Sie diese Frage beantworten?
Rüdiger Erben (SPD):
Ja.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Dann bitte.
Eva von Angern (DIE LINKE):
Herr Erben, ich habe Ihnen gerade zugehört. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie Bezug auf ein Thema genommen, das wir als Fraktion DIE LINKE im Parlament diskutiert haben, zu dem wir vor allem parlamentarisch initiativ geworden sind. Es geht nämlich um die Zeugen, die im Verfahren gehört worden sind und die aufgrund der persönlichen Situation ein Interesse daran haben, weiter an den Verfahren teilzunehmen, aber denen die Kosten nicht ersetzt werden. Sie erinnern sich? Wir hatten dazu einen Antrag im Landtag.
Rüdiger Erben (SPD):
Ja.
Eva von Angern (DIE LINKE):
Ich habe Sie insoweit verstanden da möchte ich gerne wissen, ob das tatsächlich so ist , dass Sie durchaus einen Diskussionsspielraum dafür sehen, dass wir über diese Fälle reden sollten. Denn das sind genau die Fälle, die bisher durch nichts abgedeckt wurden, durch nichts abgedeckt sind, bei denen keinerlei Rechtsanspruch besteht und bei denen wir als ein Land, in dem dieses schreckliche Attentat stattgefunden hat, bewusst gesagt haben, dass wir eine besondere Verantwortung haben, dass wir ihre Opferrolle anerkennen und dass wir sie sehr wohl aus Landesmitteln finanziell unterstützen wollen. Habe ich Sie dahingehend richtig verstanden? Falls nicht, würde ich es bedauern, aber trotzdem gerne die Gründe dafür kennen.
Rüdiger Erben (SPD):
Erstens habe ich vorhin von Nebenklägern gesprochen und nicht von Zeugen.
(Eva von Angern, DIE LINKE, nickt)
Das kann sowohl als auch sein. Es ist aber nicht zwingend.
Zweitens habe ich das genau so gesagt, wie Sie das eben wiederholt haben, dass ich ein Loch im Unterstützungsnetzwerk sehe und dass darüber geredet werden muss.