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Plenarsitzung

Transkript

Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Ulrich Siegmund, AfD: Aber nicht festkleben am Pult!)

Die Klimakrise ist Tatsache. Die Erderhitzung ist menschengemacht. Die Klimakrise und die Industrialisierung sind miteinander verbunden. Seit dem Menschen organisiert und in einem in der Menschheitsgeschichte nicht bekannten Maß fossile Rohstoffe nutzen und vor allem verbrennen, eskaliert sie.

Die Mechanismen der Erderhitzung sind verstanden. Kein vernünftiger Mensch kann behaupten, wir wüssten nicht, was geschieht, wenn wir mit Kohle, Erdöl und Erdgas über Jahrmillionen gespeicherte Kohlenstoffvorräte in die Atmosphäre verbringen. Die zerstörerischen Effekte unseres menschlichen Tuns sind seit Jahrzehnten klar.

Und doch überall das gleiche Bild, ob in Sachsen-Anhalt, der Bundesrepublik Deutschland, Europa, der Welt: Bislang verfehlen 197 Vertragsstaaten zum internationalen und verbindlichen Klimaabkommen von Paris gemeinsam die Verpflichtung, die sie zum Schutz des Klimas eingegangen sind.

Die Weltgemeinschaft ist in keinem Bereich auf dem Weg zur 1,5-Grad-Grenze unterwegs. Die Klimakrise eskaliert. Aktuell steuern wir auf 2,4 bis 2,6 °C Erderhitzung bis Ende dieses Jahrhunderts zu. Das ist weit weg von deutlich unter 2 °C oder - besser - 1,5 °C, was Ergebnis eines langen Aushandlungsprozesses aller Staaten war.

Bereits diese Erderwärmung erforderte riesige menschliche Anpassungsleistungen. Die Erdüberhitzung, auf die wir aktuell zusteuern, aber macht weite Teile unserer Erde unbewohnbar. Tödliche Hitzewellen und Hungersnöte sind die Folge.

(Zurufe)

Die NASA geht von mehreren bevölkerungsreichen Regionen aus, die schon in 30 bis 50 Jahren unbewohnbar werden:

(Zuruf: Ach was!)

Iran, Kuwait, Oman. Schwer ertragbar wird in diesen Szenarien das Leben in Saudi-Arabien, Ägypten, Jemen, Sudan, Äthiopien, Somalia sein. Bis zum Jahr 2070 werden auch große Teile Brasiliens, der Mittlere Westen der USA, Arkansas, Missouri, Iowa kaum mehr bewohnbar sein. Aber auch Regionen in Südostasien und in Indien sind betroffen.

Von der Verknappung von Siedlungs- und Ackerflächen durch steigende Meeresspiegel habe ich da noch gar nicht gesprochen. Die Klimakrise eskaliert und wir tun zu wenig, viel zu wenig, um daran etwas zu ändern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Ulrich Siegmund, AfD: Sie, ja!)

Um die 1,5-Grad-Grenze noch mit 50 % Wahrscheinlichkeit zu erreichen, wäre das CO2-Äquivalent-Budget für unser Bundesland Sachsen-Anhalt schon im Jahr 2029 aufgebraucht, und zwar bei linearer Reduktion unseres Treibhausgasausstoßes ab sofort. Von diesem Reduktionspfad sind wir meilenweit entfernt.

Der Name „Letzte Generation“ nimmt zu Recht die in der Wissenschaft unzweifelhaft festgestellten Kippelemente auf, die zu einer abrupten und unumkehrbaren Änderung des Erdsystems führen können. Ausgelöst werden können diese Kipppunkte bereits bei einer Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze.

Im Namen der heute hier in Rede stehenden Protestbewegung steckt also die richtige Feststellung, dass es unsere Generation als die letzte Generation ist, die Entscheidungen zu einer Eingrenzung der Klimakrise treffen kann, an die wir uns noch gut anpassen können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf)

In dieser Situation stellen Abgeordnete hier im Raum diejenigen Menschen als Radikale, ja, Terroristen hin, die unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten,

(Zuruf: Ja!)

die das Menschheitsversagen als Problem benennen und Lösungen einfordern, die helfen, die Erderhitzung zu begrenzen.

(Zurufe von der AfD)

Das, meine Damen und Herren, ist eine verkehrte Welt.

António Guterres, nichts weniger als der UN-Generalsekretär, hat die Sache auf den Punkt gebracht. Ich darf ihn zitieren:

(Zuruf von der AfD: Ja!)

„Klimaaktivisten werden bisweilen als ‚gefährliche Radikale‘ dargestellt. Aber die wirklich gefährlichen Radikalen sind nicht die Aktivisten, sondern jene Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe erhöhen. Heute in neue fossile Infrastruktur zu investieren, ist moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn.“

Ich habe seiner Entscheidung und seiner Einschätzung nichts hinzuzufügen.

(Zurufe von der AfD)

Zunächst: Versammlungsrecht gilt auch und gerade für Protest, den man nicht befürwortet.

(Zuruf von der AfD: Gut!)

Das ist Demokratie.

(Zuruf von der AfD: Ach so!)

Und ja, die Aktivist*innen der Letzten Generation brechen bei ihren Versammlungen Regeln.

(Zuruf von der AfD: Sie sagen das!)

Ihr gewaltfreier Protest ist ziviler Ungehorsam.

(Zuruf von der AfD)

Ja, sie begehen Ordnungswidrigkeiten und gegebenenfalls sogar Straftaten. Die Beurteilung der konkreten Handlungen und auch von etwaigen Rechtfertigungsgründen - ich komme später darauf zurück - obliegt dabei den unabhängigen Gerichten, nicht einem Volkstribunal aus „Bild TV“, rabiaten Autofahrern, einzelnen Landtagsfraktionen oder der Innenministerkonferenz.

Die Aktivist*innen laufen nicht weg. Sie geben sich zu erkennen und sie tragen die Folgen ihres Handelns. Sie zeigen damit letztlich Respekt vor der Rechtsordnung und tragen mögliche rechtliche Konsequenzen, und das ganz im Gegensatz zu uns,

(Zuruf von der AfD)

die wir die Folgen unseres Ausstoßes von Treibhausgasen einfach auf kommende Generationen verlagern.

(Ulrich Siegmund, AfD: Machen Sie doch auch!)

Vor allem unser Lebensstil ist radikal und gefährlich, nicht der Protest.

(Ulrich Siegmund, AfD: Ja, Ihrer! Nicht unserer! Ihrer!)

Ich will das auch mit Blick auf die Protestaktion der Letzten Generation hier in der Landeshauptstadt Magdeburg am 21. November 2022, also vor knapp vier Wochen, noch einmal aufzeigen, im Übrigen bislang die einzige Aktion als Straßenblockade.

Der Protest wurde vier Tage vorher per Pressemitteilung - die Ministerin hat es gesagt - auch gegenüber der Polizei angekündigt. Insgesamt drei Klimaaktivist*innen gelang es dann am Morgen, sich auf der Bundesstraße 1 auf zwei von drei Fahrspuren festzukleben. Der Verkehr wurde auf diese Weise gestört, jedoch nicht blockiert. Kfz konnten weiterhin passieren; auch für Rettungsdienst und Feuerwehr war ein Durchkommen jederzeit möglich.

Die Polizei war aufgrund der Ankündigung mit einer Vielzahl auch ziviler Kräfte im Vorfeld vor Ort. Die Polizeibeamtinnen und  beamten sicherten den Protest ab und verhinderten das Festkleben von weiteren Aktivist*innen. Die Beamten warteten zunächst auf das Eintreffen des medizinischen Personals, bevor sie die Aktivist*innen ablösten, ihre Identifizierung sicherten, Anzeigen schrieben und letztlich Platzverweise erteilten. Ich habe das Handeln der Polizei als ruhig und professionell erlebt.

(Zuruf von Kathrin Tarricone, FDP - Unruhe)

Viele der Passant*innen reagierten verärgert und sogar wütend auf den Protest, vereinzelt war auch Zustimmung und Ermunterung für die Aktivist*innen zu hören.

(Zuruf von Ministerin Eva Feußner)

Die Forderungen der Letzten Generation bei dieser Demonstration waren laut Pressemitteilung ein Tempolimit auf den Autobahnen und die Einführung eines 9 €-Tickets.

(Zuruf von Matthias Redlich, CDU

Weder die Protestform noch diese inhaltlichen Forderungen heben unser demokratisches Grundgefüge aus den Angeln. Das ist unbequemer, ja, ausgesprochen nerviger und störender Protest, aber kein Terror, der willkürlich Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreitet.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Bei dem Protest der Letzten Generation handelt es sich um eine klassische Form des zivilen Ungehorsams.

(Marco Tullner, CDU: Ach du meine Güte! Verharmloser!)

Die Aktivist*innen sind mit guter Begründung, wie ich am Anfang meiner Rede deutlich machte, der Ansicht, der Staat tue in Sachen Klimaschutz im Allgemeinen und im Bereich Verkehr im Besonderen nicht genug. Mit ihrer Einschätzung sind sie auch nicht allein. So sprechen sich 93 % der Befragten in Deutschland für einen kostengünstigen ÖPNV und 64 % für ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen aus. 80 % finden, dass nicht genügend Anstrengungen unternommen werden, um die Treibhausgasemissionen durch Verkehr zu reduzieren.

(Zuruf von der AfD: Die sind doch alle geframed! - Zurufe von Eva Feußner, CDU, und von der AfD)

Gerade im Bereich der Mobilität braucht es handfeste Taten und konkrete Einsparungen, und zwar schnell. Denn momentan sind wir dort weit entfernt, CO2 einzusparen. Wir schaffen es noch nicht einmal, den Ausstoß auf das Niveau der Vorjahre zu begrenzen.

Nach dem geltenden Klimaschutzgesetz müssen Sektoren im Fall des Nichterreichens der Klimaschutzziele in ihrem Bereich konkrete Sofortprogramme zum Erreichen der Ziele aufsetzen. Das gilt eigentlich auch für den Verkehr. Der Expertenrat sah jedoch von einer Prüfung des Sofortprogramms im FDP-geführten Bundesverkehrsministerium ab, da dieses die Anforderungen an ein Sofortprogramm nicht einmal im Ansatz erfüllte.

Hierbei steht der Rechtsbruch, das Nichteinhalten der Klimaziele, im Raum. Es wäre notwendig, dass auch der Bundesverkehrsminister und die FDP endlich Respekt vor der Rechtsordnung zeigen und geeignete Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele im Verkehr umsetzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Ulrich Siegmund, AfD: Sie fahren doch selber mit einem Diesel herum!)

Ob die von der Letzten Generation gewählten Protestformen geeignet sind, darüber darf gestritten werden. Mich überzeugt die Protestform nicht, weil sie kommunikativ am Ziel vorbeiführt

(Guido Kosmehl, FDP: Ach!)

und Menschen aufbringt, ohne sie für das überlebenswichtige Anliegen des Klimaschutzes einnehmen zu können. Ohne Zweifel gelingt es den Aktivist*innen, ihr Thema zu setzen, aber auch diese Debatte hier zeigt: Wir ringen um Positionen zur Protestform, streiten um B Noten für Aktionismus, während die Klimakrise weiter eskaliert. Gleichzeitig bleibt festzuhalten: Als „Fridays for Future“ mit Millionen Menschen auf die Straße ging, folgte aus diesem Protest kein politisches Handeln, das die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze garantiert hätte.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal die Frage der möglichen Strafbarkeit bei Straßenblockaden der Letzten Generation thematisieren. Festzuhalten ist: Es kommt immer auf den konkreten Sachverhalt an. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist auch in der strafrechtlichen Bewertung zu beachten.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Der Prüfungsmaßstab der Zweck-Mittel-Relation bei der Verwerflichkeit einer Nötigung ist ebenso beachtlich wie das Vorliegen eines ggf. rechtfertigenden Notstandes.

Wahrnehmbar ist, dass auch bei Gerichtsentscheidungen die zunehmende Dringlichkeit des Klimaschutzes mit einer stärkeren staatlichen Verpflichtung zur Beachtung der Klimaschutzziele einhergeht. So entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die zukünftige Wahrnehmung grundrechtlich gesicherter Freiheitsrechte nicht durch heutiges Handeln unterbunden werden darf. Das Amtsgericht Flensburg kam unlängst zu der Auffassung, dass die Besetzung eines Baumes zur Rettung kein Hausfriedensbruch, sondern durch Notstand gerechtfertigt sei. Auch in Berlin wurden Aktivist*innen freigesprochen, weil sie rechtfertigenden Notstand für ihre Proteste geltend machen konnten. Weitere Entscheidungen, die den Klimaschutz stärken, werden folgen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich kann, wir können den Protest nicht gut finden. Ich halte die Form des Protestes für ungeeignet. Gleichzeitig ist klar: Protest bleibt notwendig, solange diese unsere Gesellschaft sich nicht umfassend auf den Weg zur Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze macht. Klimaschutzprotest reflexartig und parteipolitisch motiviert in die Ecke des Terrors zu stellen löst kein Problem. Tatsächlicher Klimaschutz wird gebraucht. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Henriette Quade, DIE LINKE)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Hövelmann will eine Frage stellen. Wollen Sie die beantworten?


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Das will ich gern versuchen.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Dann bitte, Herr Hövelmann.


Holger Hövelmann (SPD):

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Striegel, auch Ihnen würde ich gern diese Frage stellen wollen. Sie haben erklärt, dass aus Ihrer Sicht die Akteure sich im Bereich des zivilen Ungehorsams bewegen. Gehört für Sie dazu das Begehen von Straftaten? Ist das für Sie ein legitimes Mittel im zivilen Ungehorsam?


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Kollege Hövelmann, ich habe sehr deutlich gemacht, dass ich die Protestform nicht für abschließend überzeugend halte. Trotzdem sind das Wesen des zivilen Ungehorsams der Regelbruch und das Einstehen für etwaige Konsequenzen. Ich nehme wahr, dass dort niemand wegrennt, sondern dass sich die betreffenden Personen anschließend der Strafverfolgung stellen.

(Stefan Ruland, CDU: Die kleben ja auch fest! - Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Insofern ist neben der Gewaltfreiheit sozusagen genau das ein zentraler Inhalt von zivilem Ungehorsam.

(Guido Kosmehl, FDP: Das ist Gewaltfreiheit?)

Mir steht dazu eine weitere Bewertung nicht zu. Ich halte es für ungeeignet.

(Guido Kosmehl, FDP: Was ist denn Gewaltfreiheit?)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Lizureck hat noch eine Intervention. Bitte.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Vielleicht einmal ein paar Informationen der anderen Art. Sie haben hier ein Klimaszenario entworfen, danach müssten wir uns alle heute Abend aufhängen, weil das Leben sowieso bald zu Ende ist.

(Zuruf: Ja!)

In der Geschichte der Erde hat es schon immer Klimaveränderungen gegeben. Das ist ein unumstößlicher Fakt.

(Dorothea Frederking, GRÜNE: Aber da lebten noch keine Menschen!)

- Bitte einfach zuhören. - Dabei hat es schon wesentlich höhere CO2-Konzentrationen gegeben, als wir sie jetzt zu verzeichnen haben, bei wesentlich geringeren Temperaturen. Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

(Unruhe)

Wenn wir das alles außer Acht lassen, dann müssen wir sagen: Wir investieren jedes Jahr 50 Milliarden € von unserem sauer verdienten Geld wofür? Welche Erfolge können wir denn damit vorweisen? Was haben wir denn bisher damit erreicht? - Nichts. Demzufolge ist das nicht die letzte Generation, sondern die dümmste. - Danke.

(Lachen und Zustimmung bei der AfD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können reagieren, wenn Sie wollen.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Lizureck, gucken Sie einmal nach vorn.

(Der Redner hebt seine Geldbörse an und lässt sie auf das Rednerpult fallen)

Haben Sie das gesehen? Das ist Schwerkraft. Das ist ein Prinzip der Physik.

(Oliver Kirchner, AfD, lacht)

Ich diskutiere mit Ihnen nicht über physikalische Grundgesetze.

(Christian Hecht, AfD: Weil Sie die nicht verstehen - Frank Otto Lizureck, AfD: Das ist doch alles naseweis! Schwerkraft? Hallo? - Weitere Zurufe von der AfD)

Wenn Sie da Nachholbedarf haben, dann empfehle ich Ihnen: Gehen Sie zum Studienkreis, zur Schülerhilfe, vielleicht auch in den Volkshochschulkurs, und lassen Sie sich an der Stelle weiterhelfen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe bei der AfD)