Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich vorwegschicken: Man kann diese Diskussion sine ira et studio führen. Man kann sie auch ganz sachlich und nüchtern führen. Aber natürlich scheint es viele von uns immer noch sehr zu bewegen. Und in der Tat hat die Präsidentin völlig recht. Viele von uns erinnern sich aus ihrer Schulzeit an die Anfänge dieser Diskussion.

Ein zweiter Gedanke vorweg. Selbstverständlich sind die Gedanken frei. Man darf selbstverständlich getroffene politische Entscheidungen immer wieder mal infrage stellen. Das gilt für Minister genauso wie für Abgeordnete.

(Zurufe)

Drittens. Wir sind eine Landesregierung und halten uns an das geltende Recht.

(Beifall)

Deshalb will ich versuchen, Ihnen den Ausgangspunkt dieser Debatte noch einmal in Erinnerung zu rufen; denn sie scheint   jedenfalls auf der Seite von mir aus gesehen   hoch emotionalisiert zu sein. Es geht um die Frage der Atomenergie.

Wir haben uns in Deutschland nach langen gesellschaftlichen Debatten und zum Teil harten Auseinandersetzungen im Jahr 2011 - daran erinnern Sie sich - im Lichte der Fukushima-Reaktorkatastrophe auf einen Ausstieg aus der Atomkraft bis zum Ende des Jahres 2022 geeinigt; wir haben es gesetzlich fixiert. Ich betone ausdrücklich „gesetzlich fixiert“, weil wir in Sachsen-Anhalt sehr viel Wert darauf legen, dass gesetzliche Fixierungen eingehalten werden - nicht nur bei diesem Energieträger, sondern auch bei einem anderen, der für unser Land eine noch größere Bedeutung hat, nämlich bei der Braunkohle.

Die Entscheidung seinerzeit erfolgte parteiübergreifend mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP, SPD und den GRÜNEN. Die LINKEN stimmten nur dagegen, weil sie den Ausstieg zu halbherzig, nämlich nicht schnell genug, fanden. Das Ganze basierte auf den Empfehlungen der Experten der Reaktorsicherheitskommission und der Ethik-Kommission „Sichere Energieversorgung“. Die Regierung, die diese Entscheidung herbeigeführt hat, stand unter der Führung von Angela Merkel. Auch unsere aktuelle Regierung steht noch unter dieser Führung.

Wir haben unser Energiesystem, insbesondere die Netze, darauf ausgerichtet. Auch die Unternehmen haben diesen Kompromiss akzeptiert und haben sich auf die geplanten Abschaltungen eingestellt.

Es ist, was Verlängerung und Weiterbetrieb betrifft, im Moment für die drei Betreiber, die wir in Deutschland noch haben, nämlich RWE, Preussenelektra   also E.on   und EnBW, überhaupt nicht denkbar, hierbei weiterzumachen. Sie haben das in den letzten drei Jahren wiederholt betont, zuletzt vor zwei Wochen in einem lesenswerten „Handelsblatt“-Beitrag.

Ich möchte den E.on-Chef Birnbaum zitieren. Zitat:

„Kurz vor [dem] Abschalten in Deutschland eine Debatte darüber zu starten, ob Kernkraftwerke einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, ist befremdlich. Sie kommt zu spät und nutzt keinem mehr […] Ein Weiterbetrieb unserer Kernkraftwerke über den gesetzlichen Endtermin 2022 hinaus ist für uns kein Thema, und dabei bleibt es.“

Das ist einer der drei Anbieter. Dasselbe können Sie aus dem Vorstand von EnBW hören und dasselbe hören Sie von RWE: Das Kapitel Kernenergie ist für RWE „abgeschlossen.“

Es ist schlicht aus organisatorischen und technischen Gründen nicht mehr möglich, diesen Prozess bis Ende 2022 umzukehren. Es ist nicht so, dass man einen Schalter umlegen und sagen kann: Wir machen einfach weiter. Das ist eine geradezu naive Vorstellung. Die Konzerne brauchen dafür Personalplanung, Brennstoffbeschaffung und Planung für die Revisionen dieser Anlagen mit mehreren Jahren Vorlaufzeit. Und Sie haben sich jetzt elf Jahre lang darauf eingestellt, dass es anders kommt.

(Zuruf: So ist es!)

Das ist auch Verlässlichkeit von Politik, wenn man so etwas einmal durchhält, auch dann, wenn man sich immer wieder     

(Beifall - Zurufe)

- Das werden wir sehen.

(Zuruf: Ja!)

Deshalb: Es gibt im Moment nicht einmal mehr Betriebsgenehmigungen, die über den Termin 2022 hinausgehen. Wenn Sie die heute beantragen, brauchen Sie mehrere Jahre, um so etwas genehmigt zu bekommen. Sie sollten bedenken, wie lange der Kraftwerkbau dauert. Sie haben es gerade erwähnt, wer um uns herum alles baut. In Frankreich dauert das so zehn bis zwölf Jahre. In Finnland baut man gerade an einem Kraftwerk, das 2009 nach vier Jahren Bauzeit ans Netz gehen sollte. Man ist heute noch nicht fertig. Man rechnet jetzt mit 2024. Dann schafft man eine Bauzeit von 20 Jahren. Wie soll das gelingen, meine Damen und Herren?

Die Unternehmen der Energiewirtschaft selbst raten zum Ausbau der erneuerbaren Energien; denn hierin liegt die Zukunft der Energieversorgung. RWE hat kürzlich ein umfangreiches Investitionsprogramm für erneuerbare Energien angekündigt. Es nützt nichts, an dieser Stelle auf die alte Technologie zu setzen. Und: Die Energiewirtschaft bewegt sich weg von unflexiblen Großkraftwerken hin zu intelligent vernetzten erneuerbaren Kraftwerken und Speichersystemen.

Auch die neu in die Debatte neu eingebrachten Small Modular Reactors sind derzeit reine Theorie. Bitte, wer von Ihnen da auf Herrn Macron schaut und sagt, der plant doch irgend so etwas, sollte zur Kenntnis nehmen, dass das über einzelne Pilotvorhaben hinaus doch nichts ist, was dauerhaft planbar wäre. Selbst in Frankreich geht man davon aus, dass zehn bis zwölf Jahre vergehen, bis das eine markfähige Reife hat. Diese Jahre können wir doch nicht ungenutzt verstreichen lassen, während wir unsere Energiewirtschaft umstellen.

(Beifall)

Was wir benötigen, sind vor allem gut regelbare Gaskraftwerke, die man langfristig mit grünem Wasserstoff klimaneutral betreiben kann. Bis dahin: Natürlich brauchen wir Gaskraftwerke. Natürlich brauchen wir Versorgungssicherheit und - das ist auch klar - die darf nicht gefährdet sein. Sie wird es aber durch den Ausstieg aus der Atomkraft auch nicht. Die Modelle und Szenarien, die Sie immer wieder beschreiben, sind solche, die gleichzeitig einen Ausstieg auf allen Ebenen vorsehen und dann auch noch sicherstellen, dass wir von niemandem von außen mehr mitversorgt werden. Wir bewegen uns aber in einem europäischen Versorgungsnetz. Das ist nicht mehr die nationale Stromversorgung; das Ganze funktioniert international.

Dieses Szenario, dass unsere Versorgungssicherheit nicht gefährdet ist, belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien unterschiedlichster Auftraggeber. Sie wurden in den letzten Jahren immer wieder, zuletzt auch vom Bundeswirtschaftsministerium unter meinem Kollegen Altmaier, ausdrücklich dafür zitiert. Es ist völlig klar, dass die Energiewende in Deutschland bis ins kleinste Detail durchgerechnet ist. Man kann doch nicht hingehen und glauben, dass da lauter Menschen sitzen, die unverantwortlich einen Beschluss umsetzen, der vor zehn Jahren getroffen wurde und uns in energiepolitische Nirvana führen. Eine solche Vorstellung ist doch einfach absurd.

(Beifall)

Noch mal zur Kernenergie. Es geht in Deutschland bei den verbliebenen Meilern um solche, die zwischen 32 und 37 Jahre alt sind. Sie stehen vor dem Ende ihrer geplanten Laufzeit. Sie weiter zu betreiben erhöht gewiss das Störfall- und Unfallrisiko. Neue Kraftwerke zu bauen wie die Projekte in Finnland und Frankreich, von denen ich berichtet habe, dauert zu lange. Deshalb ist das jedenfalls nicht der richtige Weg.

Noch ein Letztes als ehemaliger Wirtschaftsminister. Meine Damen und Herren! In diesem Land gibt es rund 20 000 Arbeitsplätze. Die sind durch erneuerbare Energien entstanden. Durch Atomkraft ist kein Arbeitsplatz entstanden.

(Beifall)

Durch die Verlängerung ihrer Laufzeit, meine Damen und Herren, wird auch kein einziger Arbeitsplatz entstehen.

(Beifall)

Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns diese Debatte beenden. Man kann darüber theoretisch nachdenken. Praktisch wird man sie in Deutschland nicht umsetzen können. Die Atomkraft wird am 31. Dezember 2022 Geschichte sein.

Dann haben wir immer noch reichlich Schwierigkeiten, den Müll, den diese Produktion erzeugt hat, zu entsorgen. Und, meine Damen und Herren, das ist dann die letzte Frage, der wir uns ethisch stellen dürfen: Wenn wir hier heute sagen, wir wollen die Laufzeit der Atomkraft verlängern, bitte ich Sie, aufzustehen und uns die Diskussion um das Endlager nicht weiter zu erschweren.

(Zuruf)

Wer das in Sachsen-Anhalt will, läuft Gefahr, dass er genau damit konfrontiert wird. Diese Debatte wollen wir aber eben nicht. Deshalb, meine Damen und Herren: Die Atomkraft hat ein zeitliches Ende, und das ist gut so. - Vielen Dank.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Prof. Willingmann. - Der Abg. Herr Scharfenort hat eine Frage.


Jan Scharfenort (AfD):

Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass erst gestern Frau Merkel sagte, Atomkraft als grüne Technologie könne kaum noch abgewendet werden? Sie muss sich also auch der Realität stellen und das mittlerweile anerkennen. Ich hoffe, das tun Sie auch noch.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Sie wollen mir jetzt sicherlich sagen, dass es um die Einschätzung der Taxonomie in der EU geht. Sie wollten damit möglicherweise einen weiteren Aspekt in die Diskussion einführen, der in der Tat in der europäischen Diskussion im Moment äußerst umstritten ist. Deutschland, Österreich und Dänemark stehen auf einem anderen Standpunkt. Frau Merkel hat gesagt, dass es eine harte Konfrontation zu dieser Frage gibt, und zwar mit der französischen Regierung und mit einigen osteuropäischen Ländern, die glühende Atomkraftbefürworter sind. Das muss man in der Europäischen Union aushandeln. Das ist ein üblicher Prozess. Nur eines wird Atomkraft damit nicht: grün.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Lizureck.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Wenn Sie hier von der Schaffung von Arbeitsplätzen durch grüne Energie sprechen, dann müssen wir auch berücksichtigen, wie viele Arbeitsplätze abgewandert sind, welche Teile der energieintensiven Industrie sich in den östlichen Raum verlagert haben und inwieweit unsere Energiepolitik zur Verteuerung und zur Verschlechterung der Marktsituation für unsere Betriebe geführt hat. Wenn man das betrachtet, dann muss man das wirklich umfassend tun und nicht einseitig.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Es ist nett, dass Sie mich darauf hinweisen, dass ich Dinge möglicherweise zu einseitig betrachte.

(Lachen)

In den letzten fünf Jahren, meine Damen und Herren   das dürfte die AfD vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen  , haben wir 6 500 Arbeitsplätze im Bereich von Zukunftstechnologien geschaffen - 6 500! Wir konnten 4 Milliarden € an Investitionen in diesem Land in Ansiedlungen generieren. Das ist die Zukunft dieses Landes. Gewiss haben wir auch Arbeitsplätze verloren, aber durch Atomkraft gewinnen wir keinen einzigen hinzu.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Weitere Fragen sehe ich nicht.

(Hannes Loth, AfD: Frau Präsidentin, hier oben!)

Ach, da oben.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Der Abg. Loth winkt aus dem Off.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Es gibt noch eine dritte Frage aus den Reihen der AfD-Fraktion. Diese lasse ich noch zu, aber danach bitte keine mehr.


Hannes Loth (AfD):

Ich verstehe das. Man sieht es nicht gleich, wenn sich hier oben jemand meldet und auch die Saaldiener schauen nicht mehr nach oben.

Ich habe eine Nachfrage, Herr Minister Willingmann. Sie haben gesagt: Wer „A-tomlager“ sagt, muss auch „E-ndlager“ sagen, also A und E in dem Fall. Wenn man in Sachsen-Anhalt nicht Atomkraft sagt, sagt man auch automatisch nicht Endlager. Damit haben Sie jetzt die Aussage getroffen, dass Sachsen-Anhalt nicht mehr als Endlagerstandort infrage kommt.

(Zurufe: Oh!)


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Herr Loth, der Versuch ist gut, aber er ist zu sch     einfach.

(Lachen)

Ich habe Ihnen eingangs meiner Rede gesagt   das zieht sich durch fünf Jahre Ministertätigkeit  , wir halten uns an das geltende Recht.

(Zustimmung)

In Bezug auf die Endlagersuche gibt es einen klaren Rechtsrahmen, den wir einhalten. Ich weise nur auf die Widersprüchlichkeit unserer Argumentation an zwei Stellen hin. Erstens. Wer die Laufzeit von Atomkraft verlängern will, muss die Endlagerdiskussion offener führen. Denn die, die sie länger haben wollen, sollten dann auch dafür sorgen, wie der Müll entsorgt wird.

(Zustimmung)

Zweitens. Wenn wir einen gesellschaftlichen Konsens, wie er 2011 gewiss unter dem Eindruck von Fukushima erreicht wurde und der gesetzlich im Atomgesetz umgesetzt wird, aufbrechen, dann sollten wir uns nicht wundern, dass an anderer Stelle ein anderer gesetzlicher Konsens, für den auch diese Landesregierung und auch dieser Ministerpräsident hart gekämpft haben, nämlich der Kohleausstieg 2038, auch wieder infrage gestellt wird.

(Unruhe - Zurufe)

Wir sind einfach in der Argumentation sauberer, wenn wir uns an beiden Stellen an das geltende Recht halten.

(Zuruf: Die GRÜNEN machen es doch jetzt schon!)

Wir halten uns an das geltende Recht, Herr Abgeordneter.