Nicole Anger (Die Linke):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleg*innen der GRÜNEN, mit Sicherheit haben Sie mit Ihrem Antrag einen zentralen Punkt adressiert. Die sprachliche Entwicklung unserer Kinder zeigt seit Jahren alarmierende Defizite. In meinen Kleinen Anfragen zu den Ergebnissen der Schuleingangsuntersuchungen und dem daraus abgeleiteten Förderbedarf ist deutlich erkennbar: Jedes vierte Vorschulkind hat einen Förderbedarf im Bereich der Artikulation und fast jedes fünfte Kind benötigt Unterstützung in der Grammatik.
Meine Damen und Herren! Diese Tatsachen sind uns allen nicht unbekannt. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir dieses Thema aufgreifen. Allerdings müssen wir kritisch hinterfragen, ob der von Ihnen, liebe GRÜNE, vorgeschlagene Weg tatsächlich so zielführend ist.
Es wurde schon gesagt, im Jahr 2009 wurde in unserem Bundesland ein verbindlicher Sprachtest mit dem Titel „Delfin 4“ eingeführt. Doch dieser Test wurde im Zuge der Einführung des Bildungsprogramms wieder abgeschafft. Warum?
(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Weil er schlecht war!)
Weil er nicht kompatibel mit dem pädagogischen Ansatz des Bildungsprogramms war, welches nämlich eine ganzheitliche Entwicklung des Kindes in den Mittelpunkt stellt und pädagogische Fachkräfte als Begleiter*innen in der Entwicklung versteht.
Der Test stand im Widerspruch zum Bildungsprogramm. Denn der Alterszeitraum zwischen vier und acht Jahren ist als ein Entwicklungszeitraum zu betrachten, in welchem die einzelnen Entwicklungsschritte diskontinuierlich und in unterschiedlicher Reihenfolge, Gewichtung und Geschwindigkeit je Kind verlaufen.
Meine Damen und Herren! Ohne Frage ist Kommunikation für die Kindertageseinrichtungen ein zentraler Bestandteil der ganzheitlichen Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder. Im Sinne der Chancengleichheit ist es selbstverständlich, dass Kinder in ihrer Entwicklung die notwendige Unterstützung durch die Fachkräfte erhalten.
Dies gilt besonders für die Sprachentwicklung, die an den individuellen Voraussetzungen der Kinder orientiert ist. Dementsprechend ist es das Ziel, dass jedes Kind die pädagogische Unterstützung zur Verbesserung seiner Sprachkompetenz bekommt, die es braucht. Deswegen ist das Programm der Sprachfachkräfte ein so wichtiges. Doch leider profitiert nur jede achte Kindertageseinrichtung davon.
Statt Verbesserungen und mehr Sprachfachkräfte in den Kitas anzusiedeln, erleben wir das Gegenteil. Mit der Änderung des KiFöG kam es sogar zu einer Kürzung bei den Sprachfachkräften. Das ist schlichtweg absurd.
(Beifall bei der Linken)
Liebe Susan Sziborra-Seidlitz, wir beide wissen, dass der Personalschlüssel und die hohe Belastung des pädagogischen Personals keine Kapazitäten für zusätzliche Aufgaben in den Kitas lassen. Die Idee der Sprachstandsfeststellung und dabei Dokumentationsbögen auf Erzieher*innen zu übertragen, halte ich für kaum umsetzbar, wenn unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht sogar für fahrlässig. Weitere Aufgaben können nicht auf die ohnehin schon überlasteten Erzieher*innen oder die wenigen verbliebenen Sprachfachkräfte abgewälzt werden.
Allerdings müssen wir in der Tat und im wahrsten Sinne des Wortes über eine Verbesserung der sprachlichen Defizite reden. Wir müssen dabei klären, wer den Sprachstand erheben soll und wie das geschehen soll. Vor allen Dingen das ist am allerwichtigsten müssen wir klären, was nach der Feststellung passiert und wie der Sprachstand verbessert wird.
Sprachtests allein reichen nicht aus, um den Sprachstand eines Kindes und den Förderbedarf zu bestimmen. Faktoren wie Testinhalte, der Bezug zur Lebensrealität, das Alter, die Erfahrung des Kindes sowie die Testsituation selbst, ob ungewohnte Umgebung oder fremde Personen, können die Ergebnisse erheblich beeinflussen.
Unsicherheit kann insbesondere bei jüngeren Kindern zur Sprachscheu oder gar zu einer Verweigerung führen. Zudem handelt es sich bei einem Sprachtest immer um eine Momentaufnahme, die oftmals auch der Tagesform des Kindes unterliegt.
Aber auch bestehende Verfahren, wie die U-Untersuchungen und die Schuleingangsuntersuchungen, sind veraltet. Auch sie müssen dringend aktualisiert werden, um die tatsächlichen Entwicklungsbedarfe besser abzubilden. Wichtig ist dabei, die mehrsprachige Entwicklung bilingualer Kinder angemessen zu berücksichtigen. Denn das passiert bisher nicht.
Meine Damen und Herren! Unser Ziel muss es sein, den Jüngsten die besten Startchancen zu ermöglichen. Dafür müssen wir die Kitas endlich stärken, und zwar durch eine spürbare Entlastung des Personals. Das haben wir wiederholt gefordert. Lassen Sie uns einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, wie er im Bildungsprogramm verankert ist. Statt immer nur Flickschusterei an einzelnen Stellen zu betreiben, müssen wir die frühkindliche Bildung als Ganzes ernst nehmen und gezielt stärken.
Wir werden der Überweisung des Antrages zustimmen, in der Hoffnung, dass dies den Weg für eine breite und ernsthafte Diskussion ebnet. Denn unsere Kinder verdienen deutlich mehr als warme Worte. Sie verdienen echte Verbesserung in der Kindertagesbetreuung. - Vielen Dank.