Tagesordnungspunkt 3
Beratung
Voraussetzung für Bildungsgerechtigkeit vor der Einschulung schaffen: Landesweite Sprachstandserhebung und ein neues Sprachförderkonzept für alle Kinder in Sachsen-Anhalt einführen
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4995
Einbringerin ist Frau Sziborra-Seidlitz. - Sie haben das Wort. Bitte sehr.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Können Sie sich vorstellen, wie es für ein Kind sein muss, mit Sprachproblemen in die Schule zu kommen, von Mitschülerinnen gemobbt zu werden, weil es nicht genauso gut sprechen kann wie andere Kinder, wenn es ständig Enttäuschungen erlebt, weil es schlechtere Schulleistungen erbringt als andere Kinder? - Wenn Kinder nicht richtig sprechen lernen, dann wird es in der Schule schwer. Nicht nur, weil jede Abweichung von Normalität in der Schule oft als Grundlage für Mobbing und Ausgrenzung zwischen den Kindern genutzt wird, sondern auch, weil Sprache die Grundlage für Bildungserfolg ist.
Der Unterrichtsstoff wird vor allem über Sprache vermittelt. Ein eingeschränktes Sprachverständnis kann von Anfang an zu Wissenslücken und erschwertem Lernen führen. Und letztendlich dann zu schlechteren Noten, einem schlechteren Bildungsabschluss und weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ich bin selbst Mutter und kann deswegen aus tiefster Überzeugung sagen: Das wünscht sich niemand für sein Kind.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Kein Elternteil, keine Familie möchte, dass ihr Kind von Anfang an schlechtere Chancen auf gute Noten, auf einen guten Schulabschluss und auf dem Arbeitsmarkt hat. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in der Schule gehänselt werden. Was ich als Mutter, was wir als Eltern stattdessen möchten, ist, dass unsere Kinder von Anfang an die bestmöglichen Chancen auch auf Erfolg haben, egal, ob es dabei um Erfolg in der Schule, um Erfolg im sozialen Leben oder später um den Erfolg in der Arbeitswelt geht.
Deswegen möchte ich nicht, dass mein Kind mit Sprachproblemen in die Schule kommt. Das möchte niemand. Aber woher weiß ich überhaupt, ob mein Kind wirklich ein Sprachproblem hat? Woher weiß ich als Elternteil, welchen Wortschatz mein Kind haben sollte? Vielleicht ist mein Kind auch einfach nur ein Spätzünder und das wächst sich irgendwie noch aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern mit diesen Fragen konfrontiert werden, wird immer größer.
Eine Studie der Barmer stellte fest, dass fast 14 % aller Kinder in Sachsen-Anhalt ein Defizit in der Sprachentwicklung haben. Die Techniker-Krankenkasse berichtete unlängst sogar, dass in unserem Land bei mehr als jedem fünften Kind im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung eine Sprachstörung festgestellt wurde. Das Problem, dass immer mehr Kinder Sprachdefizite haben, ist also da und es ist akut. Was kann man dagegen tun? - Natürlich hilft es generell, die Sprachbildung bei Kindern im Vorschulalter zu stärken und regelhaft in der Kita zu verankern, so wie es unser Landesprogramm „Bildung: elementar“ formuliert und wie es in unseren Kitas auch Alltag ist.
Aber offensichtlich reicht das allein für die Kinder nicht aus, jedenfalls nicht für alle Kinder. Manche Kinder brauchen mehr Hilfe bei der sprachlichen Entwicklung, manche Kinder brauchen gezielte Sprachförderung und manche Kinder brauchen eine Sprachtherapie. Herauszufinden, welches Kind einen zusätzlichen Bedarf hat, herauszufiltern, welches Kind eine zusätzliche Sprachförderung braucht, um ohne Sprachprobleme in die Schule zu kommen, darum geht es in unserem Antrag.
Das kann man durch eine in Stand jetzt 14 von 16 Bundesländern bewährte und erprobte Methode erreichen, indem man auch in Sachsen-Anhalt eine landesweite und standardisierte Sprachstandserhebung einführt und mit einem kindgerechten Testverfahren bei allen Kindern im Alter von etwa viereinhalb Jahren überprüft, ob sie ein Problem beim Spracherwerb haben oder nicht; durchgeführt von Fachleuten mit der dafür notwendigen Expertise, egal, ob das dafür entsprechend ausgebildete Kita-Fachkräfte, Logopädinnen oder Ärztinnen sind.
Übrigens wurde jetzt auch in Thüringen festgelegt, dass eine landesweite Sprachstandserhebung eingeführt wird. Wenn wir also in Sachsen-Anhalt weiterhin keine haben, dann wäre das ein Sonderweg, auf dem wir uns bundesweit befinden. Aber natürlich bringt es auch nichts, einfach nur festzustellen, ob ein Kind zusätzliche Förderung benötigen würde oder nicht. Konsequenterweise muss eine Sprachstandserhebung damit Hand in Hand-Gehen, dass es für das Kind bei einem festgestellten Sprachdefizit auch eine zusätzliche Sprachförderung gibt,
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
kindgerecht, praktisch und vor allem einfach zugänglich und zusätzlich zu der Sprachbildung, die die Kinder in der Kita ohnehin jetzt schon erhalten. Oder sie erhalten eine Sprachtherapie, wenn das notwendig ist. Dafür muss die Berufsgruppe der Logopädinnen in Sachsen-Anhalt gestärkt werden und sie muss auch in den Fokus. Denn auch hierfür muss der Zugang, wenn er benötigt wird, leicht sein.
Und natürlich muss bei der Sprachförderung wie auch bei der Sprachstandserhebung darauf geachtet werden, dass dabei alle Kinder erfasst werden, nicht nur die Kinder, die in die Kita gehen. Denn gerade bei denen, die nicht in eine Kita gehen, bleiben Sprachprobleme oft unerkannt. Gerade diese Kinder gehören ohnehin oft zu den Risikogruppen, die häufiger mit einem Sprachdefizit in die Schule kommen. Denn oftmals sind es die Kinder aus den einkommensschwächeren Familien, aus Familien, in denen die Eltern arbeitslos sind oder aus Familien mit Migrationshintergrund, in denen Kinder aus den verschiedensten Gründen nicht in die Kita gehen. Ich will das gar nicht bewerten. Aber genau diese Kinder gehören eben auch in die Gruppe der Kinder, die öfter Sprachprobleme haben als Kinder aus reicheren Familien, aus Familien, in denen die Eltern höhere Bildungsabschlüsse haben oder beide berufstätig sind.
Damit verstärken sprachliche Defizite die Bildungsungerechtigkeit in Sachsen-Anhalt. Wenn du in unserem Land aus einer Familie mit geringem Haushaltseinkommen oder geringeren Bildungsabschlüssen kommst, dann sind deine Chancen auf einen guten Bildungsabschluss oder überhaupt aufs Gymnasium zu gehen einfach schlechter. Das hat unterschiedliche Gründe. Dazu gibt es Studien, aber die Chancen sind schlechter. Ein guter Bildungsabschluss ist damit für Kinder aus reicheren und gut gebildeten Familien viel wahrscheinlicher als für andere Kinder. Das ist echt ungerecht. Das ist vor allem auch deswegen ungerecht, weil es sich bis ins spätere Berufsleben durchzieht und man mit einem schlechteren Bildungsabschluss auch schlechtere Chancen hat, einen gut bezahlten Job zu finden.
Aufstieg durch Bildung - das ist in Deutschland theoretisch absolut möglich, aber - dabei spreche ich aus eigener Lebenserfahrung - unfassbar anstrengend und mit Hürden und mit Widerständen verbunden. Es ist in Deutschland zwar ein gern gegebenes Versprechen und bei Wahlen ein gern plakatiertes Ideal, spannenderweise aber meistens von denen erzählt, die sich nicht im Ansatz die Realität hinter dieser theoretischen Möglichkeit vorstellen können.
(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)
In dieser Realität ist Aufstieg durch Bildung oft nur ein Ammenmärchen.
Die Bildungsgerechtigkeit fängt in Deutschland eben schon im Vorschulalter bei Kindern an. Geht man in eine Kita oder nicht? Haben Eltern Zeit und Muße oder auch nur die Lust, mit den Kindern viel gemeinsam zu lesen oder nicht? Haben Eltern selbst überhaupt die sprachlichen Fähigkeiten, mit ihrem Kind in einem ausreichenden Maß zu kommunizieren, sodass es selbst gute Sprachfähigkeiten entwickeln kann oder nicht? Haben Eltern die Aufmerksamkeit und die Fähigkeit zu erkennen, ob ein Kind eine spezielle Förderung braucht oder nicht? - So viel, viel zu viel, hängt vom Elternhaus ab.
Deswegen brauchen wir nicht nur Bildung von Anfang an, sondern auch mehr Bildungschancen, mehr Bildungsgerechtigkeit von Anfang an, damit jedes Kind die Chance auf bestmöglichen Bildungserfolg hat, auch dann, wenn die Eltern nicht das geeignete Umfeld dafür bieten können, egal, ob es aus einer reichen oder aus einer armen Familie kommt, egal, ob die Eltern Lust, Zeit oder Kraft für Sprachbildung haben.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Wir in der Politik haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es mehr Bildungsgerechtigkeit gibt. Ein Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit kann die Einführung einer landesweiten Sprachstandserhebung in Sachsen-Anhalt sein, mit anschließender zusätzlicher sprachlicher Förderung gezielt und genau da, wo es notwendig ist.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Und ja, ich gebe es zu, ich bin keine Fachexpertin im Bereich sprachlicher Bildung bei Kindern im Vorschulalter. Ich lehne mich einmal aus dem Fenster und behaupte, dass niemand oder wahrscheinlich kaum jemand hier im Plenum Experte oder Expertin genau in diesem Bereich ist. Aber es gibt sie. Es gibt die Fachexpertinnen genau für den Bereich. Genau deshalb legen wir Bündnisgrüne in unserem Antrag uns nicht darauf fest, wie ein Sprachförderkonzept inklusive der Sprachstandserhebung exakt aussehen soll. Denn wir haben im Vorfeld unseres Antrags mit Expertinnen in diesem Bereich gesprochen und festgestellt, dass es viele mögliche Wege gibt, so etwas umzusetzen. Man könnte es im Rahmen der Grundschuleingangsuntersuchung machen. Dafür müsste die dann aber wirklich immer im Alter von viereinhalb Jahren stattfinden, damit bis zur Einschulung genügend
(Unruhe)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Sziborra-Seidlitz, warten Sie einmal ganz kurz. - Bei der Sprachstandsfeststellung geht es möglicherweise auch um Zuhörkompetenz. Nun müssten die Abgeordneten wahrscheinlich eine solche Prüfung nicht mehr machen, aber trotzdem wäre es gut, wenn wir einmal demonstrieren könnten, dass wir das beherrschen. - Danke. - Sie haben das Wort.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Man könnte eine solche Sprachstandsfeststellung im Rahmen der Grundschuleingangsuntersuchung machen, dann müsste diese aber immer im Alter von viereinhalb Jahren stattfinden, damit bis zur Einschulung noch genügend Zeit für gezielte Förderung vor dem Schuleintritt ist. Das ist momentan viel zu oft nicht der Fall; das passiert oft erst viel später. Oder man schult z. B. die Kita-Fachkräfte entsprechend und beauftragt sie, die Sprachstandserhebung durchzuführen; sie kennen die Kita-Kinder oft am besten.
Aber auch die Nutzung der ohnehin dokumentierten Entwicklungsbeobachtungen in Kitas innerhalb eines stufigen Verfahrens als erste genaue Betrachtung der Sprachstandsentwicklung bei Kindern wäre ein denkbarer Weg. Wir als Politik müssen die Zielrichtung festlegen, das ist unsere Aufgabe.
Wir wollen, dass die Kinder eine Sprachstandserhebung durchlaufen und bei Bedarf gezielte Sprachförderung erhalten, damit kein Kind mehr mit Sprachproblemen in die Schule kommt. Lassen wir die Fachexpertinnen - wie Logopädinnen, Ärztinnen, Kita-Fachkräfte, Grundschulpersonal und Wissenschaftlerinnen, die wirklich fundierte Ahnung vom Thema Sprachentwicklung haben - ein neues Sprachförderkonzept für Sachsen-Anhalt entwickeln - kindgerecht und bedarfsdeckend.
Wir Bündnisgrüne haben hier im Landtag im letzten Dezember ein Fachgespräch zum Thema Sprachförderung durchgeführt - ich habe das schon erwähnt - mit Fachexpertinnen, mit Praktikerinnen und Wissenschaftlerinnen. Daraus ist nicht nur dieser Antrag entstanden. Es wurde uns auch von mehreren Seiten berichtet, dass es Kommunikationsprobleme gibt: Informationen über den Sprachstand der Kinder werden z. B. oftmals nicht zwischen Kita und Grundschule ausgetauscht. Es gibt den Kita-Entwicklungsbögen - das sind diese Mappen -, die aber gar nicht in den Grundschulen landen. Das heißt, in den Grundschulen fehlt oft die Kenntnis über den Entwicklungsstand der Kinder. Es gab insbesondere bei den Praktikerinnen den begründeten Eindruck, dass auch auf ministerieller Ebene die Kommunikation zwischen dem Sozialministerium und dem Bildungsministerium nicht besonders gut läuft.
(Tobias Krull, CDU: Nein!)
Ich will hier gar nicht die Schuldfrage stellen, wirklich nicht. Ich habe da keinen Einblick; das ist nur der Eindruck, der uns geschildert wurde. Aber es darf gerade beim Thema Sprachförderung für Kinder nicht so weiterlaufen. Sprachförderung muss in der Kita beginnen und in der Schule fortgeführt werden. Um das ordentlich zu koordinieren, braucht es eine Arbeitsgruppe bestehend aus dem Sozialministerium, in dem die Kitas angesiedelt sind, und dem Bildungsministerium, in dem die Schulbildung organisiert wird, damit es einen guten Übergang von Kita zu Grundschule gibt. Nur wenn auch auf ministerieller Ebene der Informationsaustausch stimmt, kann die Kommunikation zwischen Kitas und Schulen von Grund auf verbessert werden.
Wenn wir in Sachsen-Anhalt ein Problem feststellen, dann lohnt sich oft der Blick in andere Bundesländer und welche Problemlösungen es dort gibt. Bei der Sprachförderung lohnt sich z. B. der Blick nach Sachsen. Dort gibt es Zentren für sprachliche Bildung. In ihnen werden nicht nur die Fort- und Weiterbildung für Kita- und Grundschulfachkräfte in dem Bereich organisiert, damit diese im Umgang und beim Erkennen von Sprachproblemen bei Kindern geschult werden. In ihnen werden insbesondere auch Beratungsleistungen für Kita- und Grundschullehrkräfte, aber auch für Eltern angeboten.
Denn wir Eltern wissen, wie unsicher man sich in manchen Situationen mit Kindern fühlen kann, wie oft man nicht weiß, wo man am besten anfängt, wie man Hilfe bekommen kann oder ob es nur um eine Spätzündung oder ein tatsächliches Problem geht. Beim Thema Sprachprobleme sind Zentren für sprachliche Bildung genau dann ein Anlaufpunkt. Deswegen fordern wir Bündnisgrüne, dass in Sachsen-Anhalt wie in Sachsen Zentren für sprachliche Bildung eingerichtet werden.
Um den Elefanten im Raum anzusprechen: Ja, es gab in Sachsen-Anhalt schon einmal eine Sprachstandserhebung, lange vor meiner Zeit, aber ich hörte davon. Diese wurde im Jahr 2013 aus guten Gründen eingestellt. Auch wir Bündnisgrüne waren damals dafür, auch aus gutem Grund; denn das damalige Verfahren, so berichteten uns in unserer Anhörung damals Involvierte, war schlecht gemacht.
Es war nicht orientiert am Kind, und vor allem wurden die Kita-Fachkräfte nicht ausreichend geschult und darauf vorbereitet, diese Sprachstandserhebung gut umzusetzen - so berichteten es uns die Fachkräfte. Aber nur, weil das Instrument damals nicht gut funktioniert hat, heißt das nicht, dass eine Sprachstandserhebung nicht notwendig wäre. Man muss einfach ein besseres Verfahren entwickeln, so wie es andere Bundesländer auch erfolgreich getan haben. Andere Bundesländer führen erfolgreich eine Sprachstandserhebung mit anschließender Sprachstandsförderung durch - und es hilft.
Ein im Studium für Bildungsgerechtigkeit oft genanntes Positivbeispiel ist Hamburg, das eine Sprachstandserhebung mit anschließender Sprachförderung eingeführt hat, die regelmäßig wissenschaftlich evaluiert und überarbeitet wird. Dort gibt es eine gezielte und zusätzliche Sprachförderung für Kinder mit Sprachproblemen, die nicht mit dem Austritt aus der Kita endet, sondern nahtlos in der Grundschule weitergeführt wird und bei der in regelmäßigen Abständen überprüft wird, wie die Sprachentwicklung bei den Kindern voranschreitet und ob Anpassungen notwendig sind. Genau so etwas oder etwas Ähnliches kann ich mir auch für Sachsen-Anhalt sehr gut vorstellen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Wir Bündnisgrüne kämpfen dafür, dass kein Kind mit Sprachproblemen in die Schule kommt. Deswegen braucht es eine landesweite Sprachstandserhebung für alle Kinder im Alter von viereinhalb Jahren und - bei festgestellten Defiziten - eine verpflichtende Sprachförderung oder Sprachtherapie. So schafft man mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung, und zwar von Anfang an, damit der Aufstieg durch Bildung nicht mehr nur ein Wahlversprechen ist, sondern viel öfter auch Realität sein kann - und das auch nicht immer nur hart erkämpft.
Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt zwei Interventionen, zuerst von Frau Kühn. - Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Xenia Sabrina Kühn (CDU):
Vielen Dank. - Frau Sziborra-Seidlitz, Sie haben jetzt ganz viel erzählt: Kita, Krippe, Grundschule. Ich vermisse die Eltern. Artikel 6 des Grundgesetzes: Den Eltern obliegt primär die Pflicht, ihre Kinder auf den Weg zu bringen.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Dann sind wir wieder beim Thema von gestern Abend: vorlesen. Die Schulen und die Kindergärten sind nicht primär dafür da, das geradezubiegen, was im Elternhaus schiefgegangen ist.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Thomas Lippmann, Die Linke: Doch!)
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Ich darf reagieren?
Vizepräsident Wulf Gallert:
Ja, machen Sie mal.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Sie haben moralisch oder wenn man mit dem eigenen Selbstverständnis darauf guckt, selbstverständlich recht. Der Punkt ist: Es liegt weder in der Reichweite unseres politischen Arms noch haben wir Gestaltungsmöglichkeiten, Rahmenbedingungen in den Elternhäusern, zumindest was das Vorlesen betrifft, zu verändern. Wir können Eltern nicht gesetzlich verpflichten, zu Hause vorzulesen. Es wäre gut, wenn Eltern das täten, wir wissen aber, dass die Realität eine andere ist.
Wir müssen die Realität in unserem Land gestalten, und die Realität in unserem Land ist, dass Kinder oft aufgrund der Elternhäuser, die sie nun einmal haben, schlechtere Bildungschancen haben. Was wir tun können und deswegen auch tun sollten, ist, die Rahmenbedingungen, bei denen wir Gestaltungshoheit haben - Kita und Schule - so zu verändern, das es auch für diese Kinder bessere Chancen gibt.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der Linken)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Jetzt Frau Gorr. Bitte sehr.
Angela Gorr (CDU):
Danke, Herr Präsident. - Frau Kollegin, wir haben uns in der Tat in den zurückliegenden Jahren sehr ausführlich mit dieser Thematik befasst. Selbstverständlich teilen wir hier im Hohen Hause überwiegend die Zielrichtung: maximale Sprachförderung für Kinder.
Ich möchte aber eine kurze Anmerkung zum Übergang Kita - Schule machen, mit dem wir uns auch ausführlich beschäftigt haben. Dabei ist unter anderem der Datenschutz - und das betrifft etwas anderes als den Austausch zwischen Frau Grimm-Benne und Frau Feußner - zu berücksichtigen. An dem Thema ist auch seit Jahren schon gearbeitet worden.
Aber der eigentliche Punkt ist: Teilen Sie meine Meinung: Wenn die Einschätzung der Kinder, die in der Kita vorgenommen wird, direkt an die Schule weitergegeben wird, kann das dann nicht zu einer Voreingenommenheit gegenüber den Kindern und zu deren Stigmatisierung führen? Sie weisen besonders darauf hin, dass es sich oft um Kinder aus prekären Elternhäusern handelt. Ich kenne durchaus auch andere Kinder. Das ist damals in der Diskussion ein sehr ernst zu nehmender Punkt gewesen.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie können reagieren.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank, für die Intervention. Das beinhaltet zwei Dinge; ich fange mit Ihrer letzten Anmerkung an. Tatsächlich war das auch Teil der Debatten in unser Fachanhörung. Das betrifft im Übrigen nicht nur die Frage des Übergangs von Informationen an die Schule. Auch wenn bei einer zweistufigen Eingangsuntersuchung festgestellt wird, dass man sich das eine Kind noch einmal etwas genauer ansieht als das andere, stellt sich die Frage, ob das nicht auch zu einer Stigmatisierung innerhalb von Kita-Gruppen führen kann. Ja, das ist eine Gefahr, und das muss man sich genau angucken.
Deswegen gibt es an dieser Stelle auch noch nicht den einen Entwurf, von dem wir sagen, das ist der richtige Weg. Ich glaube, das müssen Fachleute miteinander beraten und auch abwägen, weil meiner Überzeugung nach ist die viel größere Gefahr von Stigmatisierung gegeben, wenn Kinder mit unerkannten und unbehandelten Sprachproblemen in die Schule kommen,
(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD)
keine entsprechende Förderung bekommen und dann für ihr restliches Leben mit den Folgen leben müssen. Aber das muss man tatsächlich klug abwägen.
Zur Frage des Datenschutzes: Ja, auch das ist ein Problem. Den Kita-Fachkräften und auch den Grundschullehrkräften, die beklagt haben, dass die Informationen aus den Entwicklungsbögen nicht in der Grundschule ankommen, ging es nicht um eine Schuldzuschreibung. Ihnen ist klar, dass das im Moment die Rahmenbedingungen sind. Aber genau deshalb wollen wir, dass das besser wird. In anderen Bundesländern, wo es diese übergreifenden Arbeitsgruppen gibt, wo es ein gemeinsames Sprachförderkonzept in Kita und Grundschule gibt, gibt es Lösungen genau dafür. Diese müssen wir in Sachsen-Anhalt entwickeln.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Gorr, ich entnehme Ihrer Gestik, dass Sie noch eine kleine Nachfrage haben. - Bitte.
Angela Gorr (CDU):
Eine kleine. - Ich habe darauf hingewiesen, dass wir die Zielstellung teilen. Ich bin Ihnen auch dankbar, dass Sie den Unterschied zwischen Problemen beim Sprechen, die therapiert werden müssen, und durch Sozialisation entstandenen Problemen gemacht haben. Das sind durchaus unterschiedliche Wege, und ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Lösung dieses Problems.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Wenn Sie wollen, können Sie reagieren
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Ich will wieder auf Ihre letzte Anmerkung zuerst eine Replik geben: Ich wünsche uns allen viel Erfolg bei der Lösung des Problems; denn das wird uns nur gemeinsam gelingen.
(Angela Gorr, CDU: Ja, natürlich!)
Ja, ich bin auch dankbar dafür, dass Sie darauf hingewiesen haben: Es gibt selbst verständlich einen Unterschied zwischen sprachlichen Problemen, die durch eine gezielte Sprachförderung zu lösen sind und solchen, die logopädischer Hilfe bedürfen. Deswegen müssen wir auch an beiden Stellen ansetzen. Wir brauchen einen leichten Zugang zu gezielter Sprachförderung, aber wir brauchen auch einen besseren Zugang zu logopädischer Hilfe, wenn diese nötig ist.