Wulf Gallert (Die Linke): 

Ich muss sagen, dass ich außerordentlich dankbar für diese Debatte bin. Ich sage das deswegen, weil ich erwartet habe, dass hier heute die Absurdität der AfD-Argumentation in der Art und Weise offengelegt wird, wie es Herr Tillschneider dankenswerterweise gerade getan hat. 

(Zustimmung bei der Linken, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen aber auch Folgendes: Ich werde im zweiten Teil meiner Rede auf die Absurdität der Reaktion der Koalitionsfraktionen, und zwar in Bund und in Land eingehen, weil sie im Grunde genommen die Rede von Herrn Tillschneider, nein, nicht von Herrn Tillschneider   das will ich nicht sagen  , sondern von Herrn Siegmund selbst geschrieben haben, und zwar alle, wie Sie hier für Ihre Parteien sitzen.

(Ulrich Siegmund, AfD: Oh, schön, danke!)

Wir kommen einmal zu folgender Situation: Was haben wir hier eigentlich vor? - Es ist tatsächlich so, dass nicht nur Herr Tillschneider, sondern unter anderem auch der Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, gesagt haben, dass 2018 die Situation in Syrien völlig sicher ist und dass man unter der Herrschaft von Assad, die Leute eigentlich 2018 sofort zurückschicken müsste. Das war die Argumentation, auch von einem Herrn Pasemann, der nun nicht mehr existiert. Das war die ursprüngliche Argumentation. 

(Oliver Kirchner, AfD: Der lebt noch!)

Herr Siegmund hat nun krampfhaft versucht, sich dort herauszuwinden. Er hat gesagt, ihnen interessieren die Dinge in Syrien nicht.

(Ulrich Siegmund, AfD: Nein, ich habe gesagt, ich kann sie nicht ändern!)

Herr Tillschneider ist ihm dann voll in die Parade gefahren; besser ging es überhaupt nicht. Insofern, das sage ich noch einmal, ist es doch ganz deutlich, was die Absurdität dieser Aktuellen Debatte ist. Die AfD stellt einen Antrag bzw. bringt die Argumentation ein, dass alle sofort wieder zurück müssen, nachdem die Ordnung, die sie zuvor hervorragend gefunden hat, jetzt zusammengebrochen ist. Der Kollege von der AfD stellt sich dann hierhin und sagt: Es wird schlimmer, als es jemals gewesen ist. Deswegen müssen die Leute dahin zurück. Verstehen Sie einmal die Absurdität der AfD-Argumentation. 

(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Natürlich wird das jedem, der einmal eine Minute darüber nachdenkt, klar sein. Deswegen macht Herr Siegmund einen Trick. Er geht nämlich auf die Argumentation und die Absurdität von Ampel und von CDU ein. Das ist sein starker Part hier an dieser Stelle. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Das ist doch kein Trick!)

Ich will sagen, warum es der starke Part ist. Das ist ein starker Part; denn   ich wiederhole es   seine Rede wurde von CDU und von Ampel geschrieben.

(Ulrich Siegmund, AfD: Stimmt doch gar nicht, das mache ich alles selbst! - Lachen bei der AfD)

Nehmen wir einmal Herrn Scholz: Wir müssen endlich in großem Stile abschieben. Das ist das Ergebnis eines Bundeskanzlers der SPD, das Sie heute hier durch Herrn Siegmund dargeboten bekommen haben.

(Ulrich Siegmund, AfD: Jawohl! - Oliver Kirchner, AfD: Aber der hat das schon wieder vergessen, was er gesagt hat, Herr Gallert!)

Herr Merz, der Bundeskanzlerkandidat der CDU, hat am Sonntag nichts anderes gesagt als Herr Siegmund hier eben am Pult - nur etwas leiser; genau dieselben Argumentationen; genau dieselben Forderungen. Und dann wundern Sie sich hier in diesem Haus, dass Herr Siegmund Sie damit konfrontiert. Es war ein CDU-Abgeordneter in diesem Haus, der dieses   wörtlich   „Pack“ endlich abschieben wollte. Es war der grüne Landwirtschaftsminister der Bundesregierung, der vor Kurzem darauf hinwies, dass sexuelle Übergriffe ja wohl meist Migranten verübt werden.

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Jemand mit einem türkischen Migrationshintergrund regt sich darüber auf, dass die Migranten die Ursache für sexuelle Belästigungen sind. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Herr Striegel, hören Sie zu!)

Das ist der Hintergrund. Sie haben die Rede von Herrn Siegmund geschrieben. Es ist Ihre Politik, die jetzt eingefordert wird. Das ist die zweite Absurdität dieser Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der Linken - Beifall bei der AfD - Zuruf von der AfD: Jawohl!)

Deswegen ist diese menschenverachtende Rede des Herrn Siegmund auch Ergebnis dessen, was in Ihren Parteien diskutiert wird, werte Kolleginnen von CDU, von SPD und, ja, auch von GRÜNEN und von FDP. 

(Zustimmung bei der Linken - Thomas Korell, AfD: Das war ganz schlecht!)

Es gibt genug Reden und Zitate von Herrn Lindner. Ganz gefährlich ist es, wenn er in einer Warteschlange beim Bäcker ansteht. Dann ist alles zu spät für Herrn Lindner, was Migranten anbelangt. 

(Guido Kosmehl, FDP: Was? Das ist doch Schwachsinn! - Zuruf von der AfD: Das ist eine Wahlkampfrede! - Weitere Zurufe)

Wir alle wissen, dass diese Zitate existieren. Auch in meiner Partei gab es solche Zitate 

(Zuruf: Aha!)

von Leuten, die inzwischen ausgetreten sind, die eine eigene Partei gegründet haben und die natürlich mit CDU und mit SPD koalieren. 

(Zustimmung bei der Linken)

Sie sind ausgetreten, weil sie solche Sprüche gemacht haben; denn solche Sprüche hatten keinen Platz bei uns. Das ist der Unterschied, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Wir kommen einmal dazu, was eigentlich in Syrien passiert. Ja, das Assad-Regime ist gestürzt worden. Das Assad-Regime hat Hunderttausende Menschen ermordet, hat Hunderttausende Menschen eingesperrt. Das Assad-Regime hat gegen die eigene Bevölkerung Giftgas eingesetzt. Dass das für die AfD ein Identifikationsfaktor ist, haben wir eben ganz deutlich gehört. Dass sie jetzt nach dem Sturz massenhaft Abschiebungen fordert, ist ihre fatale Fehllogik, die allerdings wiederum mit ihr begründet werden kann. 

Jetzt sollten wir uns einmal die Situation vor Ort angucken. Ja, die HTS, die inklusive ihres Führers in Damaskus einmarschiert, ist eine Abspaltung der Al Qaida. 

(Oliver Kirchner, AfD: So ist es! - Nadine Koppehel, AfD: Genau!)

Sie gehörte der Al-Nusra-Front an; ist auch dort abgespalten worden. 

Jetzt fängt es an, die Dinge ein Stück weit differenziert zu betrachten. Erstens. Sie haben in Idlib in den letzten Jahren eine zivile Verwaltung aufgebaut. Der jetzt designierte Regierungschef für Damaskus ist der ehemalige Verwaltungschef der Region Idlib. Man muss sagen, dass es in dieser Region sehr wohl keine Verfolgung von christlichen Dörfern gegeben hat und dass es in dieser Region sehr wohl auch ein ungemeines Verständnis für unterschiedliche religiöse Ausrichtungen gegeben hat. 

Allerdings: Niemand von uns weiß, wie sich diese Regierung, die dort in Idlib einigermaßen zivilisatorisch mit den Leuten umgegangen ist   übrigens eine Region, in die sehr viele Menschen aus verschiedenen Gründen, auch aus ethnischen Gründen, geflüchtet sind  , jetzt in Damaskus verhält. Die ersten Zeichen sind nicht besonders ermutigend. Das will ich einmal klar sagen. Die ersten Zeichen sind deswegen nicht besonders ermutigend, weil alle Frauen sofort von ihren Richterposten abgezogen werden sollten.

(Guido Kosmehl, FDP: Fake News! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Nein, Herr Gallert, das ist widerlegt!)

Das war die erste Aussage des Designierten.

(Guido Kosmehl, FDP: Nein, das sind Fake News von einer ARD-Korrespondentin gewesen! Man, man, man! - Weitere Zurufe)

Zweitens. Sie können beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nachlesen, dass es sehr wohl auch Angst bei den christlichen Gemeinden gibt und dass es solche Aussagen gegeben haben soll, dass sie sich bitte zurückhalten sollen. 

Drittens. Es gibt eine syrische nationale Armee, die fünfte Kolonne Erdoğans, die massiv gegen den Norden und den Osten vorrückt, dort schon Zehntausende von Kurden vertrieben hat und die weiter von Erdoğan, dem NATO-Partner, dem wir aus Deutschland dafür übrigens Waffen liefern, unterstützt wird und die die Kurden   nicht nur die Kurden, sondern auch den Nordosten und vor allen Dingen den Osten; dort gibt es weniger Kurden   permanent dort angreifen. Das ist die Situation. 

Es gibt israelische Militärschläge en masse. Es gibt die militärische Besetzung der bisherigen Pufferzone vor den Golanhöhen. Es gibt eine massive Verunsicherung dort, was demnächst passieren wird. Wir wissen übrigens auch nicht, wie der Iran bald darauf reagieren wird. Wir wissen nicht, was Erdoğan weiter vorhat. Deswegen ist es völlig falsch, in einer solchen Situation die massenhafte Rückkehr und Abschiebung überhaupt nur zu diskutieren. Ich will hier meinen Parteivorsitzenden und seinen Begriff nicht wiederholen. Das ist nicht meine Sprache, aber dagegen kann ich auch schlecht argumentieren, werte Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der Linken - Ulrich Siegmund, AfD: Wer ist denn das gerade?)

Dazu will ich gar nichts mehr sagen.

Natürlich gibt es eine Menge Bürgergeldempfänger unter den Syrerinnen und Syrern. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Zehn Mal mehr!)

25 % der hier lebenden Menschen aus Syrien sind Schülerinnen und Schüler und befinden sich in einer Berufsausbildung. Man kann den Menschen vorwerfen, dass sie so jung sind. 

(Eva von Angern, Die Linke: Nein! Die arbeiten noch nicht!)

Man kann den Schülern vorwerfen, dass sie nicht selbst für sich Geld verdienen. Das kann man tun, aber das ist absurd vor dem Hintergrund unserer demografischen Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen. In diesem Land wären Schulen geschlossen worden, wenn es nicht auch dort syrische Schülerinnen und Schüler gäbe. Das ist auch unsere Zukunft.

(Zustimmung bei der Linken - Oliver Kirchner, AfD: Die sehen wir jeden Tag. Sie brauchen nur einmal an den Hasselbachplatz gehen! - Zuruf von der AfD: Ha, ha!)

Wer das nicht begreift, der hat ein nationalistisches Weltbild, der kann die Zukunft nicht erkennen, die diese Flüchtlinge, die bei uns leben und die wir entwickeln können, mit sich bringen.

Wir haben die Situation, dass es natürlich Anstrengungen kosten wird, diese Menschen, die zum Teil aus zwölf Jahren Bürgerkrieg geflohen sind, hier in die Situation zu bringen, dass sie im Arbeitsmarkt tätig sind. Aber ich will auch eines sagen: Der Anteil von Ärzten unter der syrischen Bevölkerung hier in der Bundesrepublik Deutschland ist genauso groß wie der Anteil von deutschen Ärzten unter der deutschen Bevölkerung. 

(Zuruf von Felix Zietmann, AfD)

Das heißt, wir haben sehr wohl mit Potenzialen zu tun. Wir haben sehr wohl mit der Möglichkeit zu tun, Menschen hier in unsere Gesellschaft zu integrieren. Deswegen ist die ganze Debatte verräterisch, nationalistisch und zukunftsfeindlich. Deswegen lehnen wir sie ab. - Danke. 

(Beifall bei der Linken)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Gallert. Es gibt eine Intervention von Herrn Tillschneider. - Bitte, Herr Tillschneider.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Ich erkläre es Ihnen jetzt noch einmal ganz einfach, damit Sie es auch wirklich verstehen. Vor dem Dezember 2024 haben wir von der AfD gesagt   dazu hat übrigens auch Pasemann viel Wahres gesagt; das muss ich ihm lassen  , dass die Syrer alle zurückkehren können, weil man unter Baschar al-Assad leben kann. Das war unser Standpunkt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Korrekt!)

Die Altparteien haben gesagt: Nein, nein, nein, das geht überhaupt nicht, weil sie unter Baschar al-Assad alle verfolgt werden, und deshalb sind sie hier.

Jetzt ist Baschar al-Assad weg. Jetzt sagen wir: Sie können doch zurück. Jetzt haben Sie das Dilemma. Sie haben jetzt nämlich folgendes Dilemma: Entweder müssen Sie zugeben, dass das, was jetzt kommt, mindestens genauso schlecht ist, wenn nicht noch schlechter, oder wenn das nicht der Fall ist, dann müssen Sie sie zurückschicken. Das ist Ihr Dilemma. In diesem Dilemma winden Sie sich hier wie ein Aal und versuchen kümmerlich, uns irgendwelche Vorwürfe zu stricken.

Ich sage es Ihnen jetzt noch einmal auf einer etwas niederen, emotionalen Ebene. Die, die jetzt darüber jubeln, dass Baschar al-Assad weg ist, und die, die jetzt ihren törichten Jubel ausleben, sollen nach Syrien zurück, damit sie erfahren, wie ein Syrien ohne Baschar al-Assad aussieht.

(Zustimmung bei der AfD - Zuruf von der AfD: Jawohl!)


Wulf Gallert (Die Linke):

Herr Tillschneider, Sie zeigen jetzt deutlich, mit welcher Assad-Fangruppe wir es bei der AfD zu tun haben.

(Zurufe von der AfD: Oh! - Weitere Zurufe von der AfD - Olaf Meister, GRÜNE: Ja! Ja!)

In der Deutlichkeit überrascht es mich. Ihre Absurdität, Ihre fehlende innere Logik ist folgende: Sie haben vorher gesagt, dass die Leute zurücksollen, weil unter Assad alles in Ordnung ist. Jetzt sollen sie zurück, weil Assad gestürzt wurde.

(Zurufe von der AfD)

Die fehlende Logik von CDU und Ampel erweitern Sie mit Ihrer eigenen fehlenden Logik. Dazu sage ich: Nein, natürlich ist das eine wie das andere falsch. Wir wissen nicht, wie sich die Dinge dort entwickeln. 

Wir müssen einfach einmal ein paar Fakten zur Kenntnis nehmen. Allein in Syrien gibt es sieben Millionen Binnenflüchtlinge. Das von Ihnen so gefeierte Assad-Regime hat, als 2018 der IS geschlagen wurde, auf den Gebieten, die es dann befreit hat, verbrannte Erde hinterlassen. Ganze Dörfer und Städte sind vom Assad-Regime weggebombt worden, damit dort niemand mehr leben kann, und zwar nachdem es diese vom IS befreit hatte. - Das ist die Realität.

Deswegen können die Leute erst einmal nicht zurück. Wer zurück kann, soll auch zurück. Aber es ist doch völlig irre, in einer solchen Situation massenhafte Abschiebungen und eine massenhafte Rückkehr innerhalb kürzester Zeit zu fordern, wie es Herr Siegmund und Herr Merz getan haben. Beides ist völlig absurd, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der Linken)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke.