Tagesordnungspunkt 21
Beratung
Mehrkindregelung im Kinderfördergesetz verstetigen - Übergang zur beitragsfreien Kita vorbereiten!
Antrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/4427
Alternativantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4514
Einbringerin für die Fraktion DIE LINKE ist Frau Anger. Sie ist bereits auf dem Weg zum Rednerpult. - Sie haben das Wort, bitte sehr.
Nicole Anger (Die Linke):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Das Interesse an dem Thema ist ja deutlich erkennbar ziemlich groß, wenn ich das einmal mit Blick in den Plenarsaal feststellen darf.
(Zuruf von Detlef Gürth, CDU)
Die Finanzen werden knapper. Die angemeldeten Bedarfe des Ressorts steigen und die Kolleginnen der CDU haben als aller Erstes im Sinn: Bei den Jüngsten muss man sparen. Denn sie sind Ihnen augenscheinlich viel zu teuer. Die CDU sieht sie als Kostenfaktor an.
Das macht wieder deutlich: Kinder sind die Zukunft. Aber Ihrerseits ist das sehr schnell gesagt, meinen scheinen Sie augenscheinlich etwas anderes.
(Zustimmung bei der Linken)
Meine Damen und Herren, ganz ehrlich, fällt Ihnen eigentlich auf, dass Sie immer zuerst bei den jüngsten und jungen Menschen in der Gesellschaft sparen wollen? Zuletzt der Vorschlag der Bildungsministerin, einmal eben die Zahl der Schüler*innen in den Klassen zu erhöhen und jede vierte Grundschule damit einzusparen oder das andauernde Aussitzen der Einführung eines Landesprogramms Schulsozialarbeit, das erneute Abwarten bei der Fortführung der Sprach-Kitas oder auch der Nichtabfluss der Mittel in den Ferienzeiten. Allen fünf antragstellenden landesweiten Trägern wurde mitgeteilt, dass ihre Anträge nicht beschieden werden.
Ich könnte noch viele weitere Beispiele aufzählen, wo an allen Ecken und Enden an unseren jungen Menschen im Land gespart wird: ob nun in der Bildung - Stichwort: Unterrichtsausfall - oder bei der medizinischen Versorgung - Stichwort: Schließung von Geburtsstationen - oder auch im ÖPNV. Wo fährt denn noch der Bus im ländlichen Raum am Nachmittag, sodass Kinder und Jugendliche zum Sport, zum Jugendclub oder zu ihren Freund*innen im übernächsten Dorf kommen?
(Lachen bei der AfD - Zuruf von der AfD: Freund*innen!)
Meine Damen und Herren! Dann lese ich das Zitat vom Abg. Ruland: „Solide und zukunftssichere Finanzpolitik an der Realität ausrichten“.
(Jörg Bernstein, FDP: Ja!)
Ich frage Sie: In welcher Realität leben Sie eigentlich, dass Sie all diese Lücken nicht sehen, dass Sie Kostensteigerungen zu Lasten von Familien ausrichten wollen? Ich beschreibe Ihnen gern mal die Realität, die Sie augenscheinlich nicht wahrhaben wollen, die Sie offensichtlich verdrängen.
Die Armutsquote bei Kindern und ihren Familien in unserem Bundesland ist dramatisch. In Sachsen-Anhalt wächst jedes vierte Kind in Armut auf. Wer in Armut aufwächst, hat weniger Geld für Bildung, Freizeit und Erholung. Das wirkt sich unmittelbar auf die kindliche Entwicklung aus. Es sorgt dafür, dass Kinder gesellschaftlich abgehängt werden, dass ihnen schlichtweg Teilhabe nicht ermöglicht wird.
Kinder, die in Armut aufwachsen, gehen nicht zu anderen Kindergeburtstagen. Sie laden auch selten jemanden zu sich ein. Kinder, die in Armut aufwachsen, fahren nicht in den Urlaub, auch nicht eben einmal zu einem Ausflug am Wochenende. Diese Kinder schweigen montags in der Kita, weil sie über derartige Erlebnisse, Kindergeburtstage, Ausflüge oder anderes nicht berichten können.
An dieser Stelle mein großes Dankeschön an all die pädagogischen Fachkräfte, die armutssensibel agieren und sich bewusst sind, was es mit unseren Jüngsten macht.
(Zustimmung bei der Linken und von Olaf Meister, GRÜNE)
In Sachsen-Anhalt sind das 82 000 Kinder, jedes vierte Kind. Dem Fraktionsvorsitzenden der CDU fällt dazu nur ein, die Kinder in der Kita nach erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Eltern zu unterscheiden, eben die Zwei-Klassen-Kita wieder einzuführen und damit all diesen Kindern auch noch die Kita-Zeit zu nehmen oder aber zumindest zu verkürzen.
Statt in die Jüngsten in der Gesellschaft zu investieren, damit alle Kinder gute Startbedingungen haben und frühkindliche Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt, wollen Sie nun die Familien deutlich mehr belasten, und das, indem sie die Geschwisterermäßigung umdrehen.
Die Eltern sollen dann einmal eben für den teuersten Betreuungsplatz zahlen, statt für den günstigsten im Hort. Das hieße bspw. für die Eltern in Wallhausen, im Landkreis Mansfeld-Südharz, der teurere Krippenplatz für das jüngere Kind statt des Hortplatzes für das große Geschwisterkind würde 200 € mehr im Monat kosten, 2 400 € mehr im Jahr für die Familie. Oder in Ihrem Wahlkreis, Herr Ruland, wären es im Schnitt 150 € mehr pro Monat, immerhin noch eine Mehrbelastung von 1 800 € im Jahr.
Meine Damen und Herren! Wer Kürzungen bei Kindern, bei ihren Familien vorschlägt, vertieft die Krise und treibt die gesellschaftliche Spaltung voran.
(Zustimmung bei der Linken)
Investitionen in die Jüngsten sind Investitionen in die Zukunft. Denn jeden Euro, den Sie frühzeitig für Kinder ausgeben, sparen Sie in Zukunft dreifach ein. Denn die beste Investition ist eine Investition in Prävention, frühzeitig in die Kinder unseres Bundeslandes, für einen guten Start.
Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion habe ich bereits im letzten Jahr einen Vorschlag unterbreitet, wie die Kita-Finanzierung neu aufzustellen ist. Wenn Sie - ich zitiere einmal aus dem Beschluss der CDU - mit einer grundlegenden Neuaufstellung „eine faire und finanzierbare Aufgabenverteilung zwischen Land und kommunaler Familie“ erreichen wollen, dann ist es für mich unerlässlich, dass Sie sich ernsthaft mit unserem Vorschlag auseinandersetzen. Ich weiß, es passt Ihnen nicht, weil er von uns kommt.
(Guido Heuer, CDU: So ein Quark!)
Ich kann Ihnen aber versichern, prüfen Sie ihn, er lohnt sich. Ich fasse ihn natürlich gerne noch einmal für Sie zur Erinnerung zusammen. Denn Sie wissen ja: Lernen durch Wiederholung als pädagogisches Mittel.
Die bisherige Finanzsystematik über die Kindpauschalen hat sich nicht bewährt. Die Gesamtkosten der Kinderbetreuung sind nicht bekannt und können in den Pauschalen auch nicht abgebildet werden. Die Gemeinden tragen ein unkalkulierbares finanzielles Risiko und infolgedessen steigen auch die Elternbeiträge.
In dieses Finanzierungssystem gehört endlich mehr Transparenz. Als Finanzer muss Ihnen Transparenz doch wichtig sein. Auch das bisher unkalkulierbare Finanzrisiko aus dem sogenannten gemeindlichen Defizit bei den Gemeinden und damit bei den Eltern aufzulösen, muss Ihnen doch ein Anliegen sein.
Wir wollen Transparenz sowie Bürokratieabbau bei allen Beteiligten herstellen; die finanzielle Beteiligung des Landes nicht mehr als Kindpauschale, sondern als festen Anteil an den tatsächlichen Personalkosten des pädagogischen Personals ermitteln und damit künftig automatisch dynamisieren.
Die Gesamtverantwortung liegt dann bei den Landkreisen sowie den kreisfreien Städten. Die Gemeinden müssen das gemeindliche Defizit aus der Gesamtfinanzierung nicht mehr selbst tragen. Sie bleiben aber über die Kreisumlage an der Finanzierung der Kinderförderung beteiligt.
Die Umstellung des Finanzierungssystems ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass Umfang und Qualität der Kinderförderung nicht mehr von der finanziellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Gemeinden abhängen.
Das Beste daran ist - deswegen sage ich Ihnen das heute noch einmal : Mit der Umstellung machen wir uns auf den Weg zur beitragsfreien Kita. Denn durch mehr Transparenz im System, als auch durch die Finanzierung der Personalkosten, und zwar der tatsächlichen Personalkosten, werden Mittel frei. Wir sparen uns damit auch diese unsägliche Debatte über die Umkehr der Mehrkindregelung.
Denn dieser Vorschlag, liebe Kolleg*innen der CDU, trägt nur zur Verunsicherung und Unzufriedenheit der Menschen im Land bei und steht ganz im Gegensatz auch zu Ihren Aussagen auf der Fraktionswebsite, wonach Familien besonders zu fördern seien. Im Zweifel müssen Sie mal die Texte auf Ihrer Website Ihrer Realität anpassen.
Meine Damen und Herren! Legen Sie auch mal das Ohr wieder stärker an die Basis. Hören Sie den Kommunen zu, den Bürgermeister*innen.
(Zuruf von der AfD: Bürgermeister*innen!)
Die Kommunen wollen mindestens die aktuelle Regelung beibehalten. Sie befürchten bei einer Änderung eine Kostenverschiebung zu Lasten der Kommune, steigende Antragszahlen auf Beitragsermäßigung und damit steigende Ausgaben, steigende Belastungen sowie reduzierte Betreuungszeiten. Das kann doch nicht in Ihrem Interesse sein.
(Zustimmung bei der Linken)
Ich sage es Ihnen einmal ganz deutlich: Mit Blick auf die Generationengerechtigkeit müssen Sie endlich den Fuß von der Schuldenbremse nehmen und alles dafür tun, damit Kinder in Sachsen-Anhalt gut aufwachsen können,
(Zuruf von Guido Heuer, CDU)
dass kein Kind in armutsgefährdeten Lebenslagen leben muss, dass jede Kommune im Land gleiche Lebensbedingungen ermöglichen kann und für Familien attraktiv ist.
(Eva von Angern, Die Linke: Sie können alternativ die Vermögenssteuer einführen!)
Suchen Sie sich meinetwegen andere Einsparposten in den Ressorts. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dort findet sich etwas jenseits des Sozialen. Ich sage nur Beraterverträge, doppelte Verwaltungsstrukturen, Dienstwagen. Da wäre jede Menge Einsparpotenzial. Warum fällt Ihnen das eigentlich nicht ein?
Meine Damen und Herren! Es ist kein Luxus, wenn eine Gesellschaft ihren jungen Menschen die Voraussetzungen für eine gute Kindheit erfüllt. Es ist kein Überfluss, Kindern Zeiten, Räume und qualifiziertes Personal zur Verfügung zu stellen, um ihnen Erfahrungen, Erlebnisse, Spiel und Werte zu vermitteln.
Es ist im Übrigen kein Rechenfehler, wenn die Wirkungen aller Anstrengungen nicht in Daten allein zu fassen sind. Im Gegenteil, genau das alles dient der Zukunftsentwicklung unseres Landes. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.
(Beifall bei der Linken)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Anger! Es gibt Fragen von Herrn Ruland und von Herrn Heuer. Wollen Sie sie beantworten? - Herr Ruland, bitte sehr. Denken Sie daran - wir sind in einer Dreiminutendebatte : eine Minute.
Stefan Ruland (CDU):
Ich gebe mir Mühe, Herr Präsident. - Kurze Einleitung zur Frage. Elternbeiträge können, wenn sie denn gezahlt werden müssen, als Sonderausgaben zu zwei Dritteln in der Steuererklärung geltend gemacht werden. Ich weiß, das ist für Sie nicht ganz so spannend. Ich wollte es Ihnen einmal gesagt haben.
Ich muss Ihnen an einer Stelle leider beipflichten; bei dem Thema Transparenz in der Mittelverwendung ist Luft nach oben. Das würde ich dann auch gerne monieren, wenn die Fachministerin dazu spricht.
Mit Blick auf Ihre Globalkritik und Ihre ohnmächtige Weisheit darüber, was wir alles über unsere Realität wissen müssten: Wir sind halt in einer echten und nicht in einer sozial-romantischen Realität gefangenen wie Sie.
(Eva von Angern, Die Linke: Welche Armut ist denn eine sozial-romantische Situation?)
Welchen unmittelbaren Nutzen haben denn die Kinder von der Mehrkindregelung, sei es der einfachen oder der erweiterten? - Denn wenn Sie alles, was wir formuliert haben, einmal zu Ende lesen würden und nicht nach der Überschrift - ich weiß, das verfängt ja öfter einmal - aufhören würden, weil es einfach unbequem ist und die Schriftart im Artikel kleiner ist, dann wüssten Sie, dass wir das Geld nicht im Gesamthaushalt versenken wollen, sondern dass wir in die Zukunft der Kinder investieren wollen. Die gehen im Übrigen nicht nur in die Krippe und in die Kita.
(Zustimmung von Jörg Bernstein, FDP)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Danke. - Sie können antworten.
Nicole Anger (Die Linke):
Herr Ruland, dass Sie einleitend sagen müssen, mir leider beipflichten zu wollen, sagt doch bereits alles aus. Wir reden über ein Finanzierungssystem, das wir viel klarer, viel transparenter gestalten müssen. Das ist doch nicht zu bedauern, oder?
(Stefan Ruland, CDU: Natürlich ist das zu bedauern!)
Das müssen wir einfach einmal tun. Dazu sollten Sie unseren Vorschlag annehmen.
Vielleicht können Sie sich es nicht vorstellen, aber in Armut zu leben ist in keiner Weise sozial-romantisch. Vielleicht sollten Sie sich wirklich einmal aus Ihrer Bubble herausbewegen und mit den Familien ins Gespräch kommen, die jeden Monat den Euro drei, vier, fünf Mal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben können, bevor Sie solche Statements ablassen. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der Linken - Stefan Ruland, CDU: Die zahlen doch gar keine Elternbeiträge! Sie haben die Frage noch nicht beantwortet!)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Dann haben wir mit Herrn Heuer den nächsten Fragesteller. - Bitte sehr.
Guido Heuer (CDU):
Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kollegin Anger, bevor Sie sich hinstellen und uns als christlich-demokratische Union bei sozialen Themen permanent belehren wollen sowie uns unsoziales Agieren unterstellen wollen, sollten Sie sich erst einmal mit manchen Fakten beschäftigen.
Erstens. Haben Sie unseren Vorschlag aus dem Jahr 2017 zur Kenntnis genommen, bei dem uns unterstellt wurde, dass wir den Zehnstundenanspruch abschaffen wollen? - Das haben Sie mit Sicherheit nicht. Das sind so Dinge, bei denen ich sage: Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben, bevor Sie uns belehren wollen. - Danke schön.
(Zuruf von Stefan Ruland, CDU)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie können antworten.
Nicole Anger (Die Linke):
Ich suche gerade die Frage. Aber vielleicht ist das genau die Herausforderung, mit dem Puls, der hier in der Luft hängt, eine Fragestellung zu formulieren.
Guido Heuer (CDU):
Wir können Ihnen das gerne zukommen lassen. Das ist vom 14. August 2017. Die Frage ist einfach. Wenn Sie das nicht getan haben, bevor Sie uns unterstellen, wir wollten die Betreuungszeiten heruntersetzen, dann ist alles Kokolores, was Sie dazu erzählen; das ist so. Beschäftigen Sie sich damit.
Wir haben gesagt - das habe ich gesagt , dass wir natürlich den Fokus auf Bildung und auch auf die Berufstätigen legen; das ist so. Das habe ich gesagt, dazu stehe ich auch. Und eines ist Fakt: Die vorschulische Bildung findet in der Regel vormittags statt. Das ist und bleibt eine Wahrheit. Ob Sie das wissen wollen oder nicht, interessiert mich an der Stelle herzlich wenig.
(Zustimmung)
Nicole Anger (Die Linke):
Herr Heuer, es tut mir furchtbar leid, ich muss Sie an dieser Stelle, mit Ihren Worten gesprochen, noch einmal belehren.
(Alexander Räuscher, CDU: Belehren!)
Denn Bildung findet in der Kita nicht allein am Vormittag statt. Bildung findet in jeder Minute zu jedem Zeitpunkt in einer Kita statt,
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP - Alexander Räuscher, CDU: So etwas Herablassendes! - Weitere Zurufe)
und zwar vom „Guten Morgen“ bis zum „Auf Wiedersehen“ am Nachmittag. Das nennt sich dann teilweise auch informelle und non-formale Bildung. - Es freut mich, dass ich Ihr Wissen an der Stelle erneut erweitert konnte.
(Zustimmung von Henriette Quade, Die Linke)
Guido Heuer (CDU):
Wir haben nämlich eine Einigung mit dem SGSA und der Landkreisfraktion.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Wir versuchen jetzt, zur parlamentarischen Ordnung zurückzukommen. Wir hatten das heute schon einmal; Frau Vizepräsidentin hat darauf hingewiesen. Wir sollten wenigstens den Versuch unternehmen, zwischen Intervention und Frage zu unterscheiden. Wir haben eine Regel: Wer eine Intervention tätigt, der stellt sich bitte während der Rede an das Mikrofon, und wer eine Frage hat, der meldet sich und kann auf seinem Platz sitzen bleiben. - Gut.