Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mit einer kleinen Replik an den Kollegen Sprachpolizisten von der CDU beginnen. Da ich ja weiß, wie sehr das Verwenden von geschlechtergerechter Sprache Sie und andere triggert, habe ich schon vor einiger Zeit begonnen, hier im generischen Femininum zu sprechen, also ohne Sternchen; aber Sie dürfen sich gern mitgemeint fühlen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
An die Ministerin: Liebe Frau Feußner, ich fand es etwas schade, wie wenig Sie sich mit Argumenten auseinandergesetzt und dass Sie vielmehr den Vorwurf der Ideologie in Ihrer Rede vorangestellt haben. An dieser Stelle: Ich empfinde den Vorwurf der Ideologie als Un-Argument, weil er die Auseinandersetzung in der Sache und mit den Argumenten der anderen verweigert. Ich finde, das ist der Auseinandersetzung unter Demokratinnen unwürdig. Es führt auch nicht dazu, dass wir gemeinsam zu guten Lösungen kommen. Insofern würde ich mich freuen, wenn Sie zukünftig weniger auf solche brachialen Bilder setzen und sich mehr mit den Argumenten der anderen beschäftigen.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken - Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD)
Uns wurde von verschiedenen Rednerinnen vorgehalten, § 24 der UN-Behindertenrechtskonvention würde nicht zu einem inklusiven Schulsystem verpflichten, und Sie haben recht. Es steht so eineindeutig lesbar nicht darin. Genau deshalb habe ich - das werde ich jetzt noch einmal tun - in meiner Eingangsrede aus dem letzten Bericht des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderung der Vereinten Nationen zitiert, der genau zu dieser Frage sehr eindeutig Stellung genommen hat. Zitat:
„In Deutschland herrscht in der Politik und auch in weiten Teilen der Gesellschaft ein verfehltes Inklusionsverständnis. So wird die Mehrheit der Kinder mit Behinderung weiterhin nicht inklusiv beschult und wächst ohne schulischen Kontakt zu nichtbehinderten Kindern auf. Das Ziel einer intensiven Gesellschaft ist so nicht zu erfüllen. Die Landesregierungen müssen ihre menschenrechtliche Umsetzungspflicht gezielter und engagierter wahrnehmen.“
An dieser Stelle stellt die UN-Konvention das Ziel dieses Paragrafen noch einmal sehr eindeutig klar und formuliert eineindeutig, dass ein Schulsystem mit Förderschulen kein inklusives Schulsystem ist.
(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE - Ministerin Eva Feußner: Nein, das stimmt nicht!)
Da das Thema Elternwille hier häufiger besprochen wurde: Selbstverständlich ist der Elternwille wichtig, und selbstverständlich ist er zu beachten. Aber ehrlicherweise gibt es das Wahlrecht für Eltern von Kindern mit Förderbedarf an dieser Stelle nicht. Denn wir haben in Sachsen-Anhalt - es ist eines von vielen Bundesländern, in denen das so ist; es gibt aber auch andere Bundesländer, in denen es nicht so ist - einen Ressourcenvorbehalt.
Der gemeinsame Unterricht in einer Regelschule ist den Schülerinnen und Schülern nur dann gestattet, wenn es an dieser Regelschule die Voraussetzungen dafür gibt. Wenn die Regelschule sagt, sie habe gerade keinen Förderschullehrer und finde auch keinen, dann haben die Eltern - das ist mir von Eltern berichtet worden; ich habe es jetzt nicht dabei, aber ich nenne Ihnen gerne zahlreiche Briefe dazu - eben nicht das Wahlrecht, sondern dann sind sie nach dem Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt dazu verpflichtet, das Kind an der Förderschule unterrichten zu lassen. Dann ist der Besuch der Förderschule verpflichtend. Zumindest dies müssen wir umdrehen. Der gemeinsame Unterricht muss Vorrang haben, wenn die Eltern es wünschen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Natürlich ist an den Regelschulen, so wie sie sind - das habe ich in meiner Rede auch gesagt , die Voraussetzungen für gemeinsamen Unterricht an ganz vielen Stellen überhaupt nicht gegeben. Es gibt weder die räumlichen noch die personellen Voraussetzungen dafür. Natürlich wählen Eltern unter diesen Voraussetzungen in aller Regel die Förderschule, weil es dort eben die Förderlehrkräfte und die räumlichen Voraussetzungen gibt.
Uns geht es darum, genau dafür die Voraussetzungen zu schaffen, dass Eltern an dieser Stelle nicht mehr die Förderschule wählen, weil es an den Regelschulen nicht genügend Förderung gibt. Wir brauchen die Förderung an den Regelschulen. Wir brauchen die räumlichen Voraussetzungen an den Regelschulen. Das ist ein dickes Brett. Aber wenn wir damit nicht endlich anfangen, dann ist das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern Makulatur
(Beifall bei den GRÜNEN)
und wir werden der Chancengerechtigkeit für diese Kinder nicht gerecht. - Vielen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt eine Nachfrage. - Herr Kosmehl, bitte.
Guido Kosmehl (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich will Sie doch noch einmal fragen: Welcher Text ist für den Gesetzgeber in Deutschland, z. B. den Landtag von Sachsen-Anhalt, bindend, die UN-Behindertenrechtskonvention, so wie sie ratifiziert worden ist, oder der Bericht eines Ausschusses, der eine Einschätzung vornimmt? Welcher Text ist bindend?
(Beifall bei der FDP - Zuruf von der FDP)
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Sie sind ja der Jurist und nicht ich, deshalb können Sie die Frage, die ich an dieser Stelle als rhetorisch verstehe, wahrscheinlich sehr viel besser als ich beantworten. Ich versuche es trotzdem: Selbstverständlich ist die UN-Behindertenrechtskonvention in ihrer Textform bindend. Aber ganz offensichtlich gibt es unterschiedliche Interpretationen dieses Gesetzestextes.
(Ministerin Eva Feußner: Ja, gibt es! - Olaf Meister, GRÜNE: Das ist eine Auslegung!)
Worauf ich mich bezog, ist die sehr eindeutige Klarstellung der quasi verfassenden Instanz zu diesem Text, wie das an dieser Stelle zu lesen ist. Natürlich kann man an dieser Stelle unterschiedlicher Meinung sein.
Ich freue mich sehr auf die Behandlung im Ausschuss; denn wir haben uns auch im Vorfeld unseres Antrags sehr intensiv mit der Instanz, die hier in Sachsen-Anhalt für die Belange von Behinderten zuständig ist, nämlich mit dem Landesbehindertenbeauftragten sowie im Behindertenausschuss genau mit dieser Frage befasst. Und ich freue mich sehr, dass auch Sie im Bildungsausschuss hören werden und vielleicht auch zuhören werden, wie die Interpretation des Landesbehindertenbeauftragten ist. Kleiner Teaser: Vielleicht ändern Sie dann Ihre Meinung.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke.