Henriette Quade (Die Linke):
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Urteil des OVG Münster zeigt anschaulich, dass Gerichte frei und unabhängig entscheiden. Es widerspricht den Lagebildern und Einschätzungen des Auswärtigen Amtes, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, der Europäischen Asylagentur, von Menschenrechtsorganisationen und UN-Hilfswerken ganz zu schweigen.
Das passt Menschenfeinden ganz gut in den Kram, wie wir gehört haben, die jetzt auch mit Verweis auf ein Urteil fordern, was sie schon immer wollten - „Syrerinnen und Syrer raus!“ und, wie wir gehört haben, eben nicht nur die, sondern alle, unabhängig davon, wie lange sie hier sind, wie gut integriert sie sind und wie bedroht sie sind. Das ist das Ziel dieses Antrags und deswegen ist er abzulehnen.
(Beifall bei der Linken)
Das Urteil des OVG Münster ist vieles. Was es aber nicht ist: ein Präzedenzurteil, aufgrund dessen die Sicherheitslage in Syrien neu zu bewerten wäre. Denn erstens ist das nicht die Praxis unseres Rechtssystems. Zweitens - das ist viel wichtiger - beschäftigt sich das Gericht beschäftigt sehr lang mit der Frage, ob diesen Kläger in Syrien durch Krieg oder Bürgerkrieg Gefahr droht und verneint dies. Schon dazu wäre viel zu sagen, z. B. dass der Europäische Gerichtshof die dem zugrundeliegende sogenannte Bodycount-Methode, also eine Zahl von Mindestopfern, die kriegerische Handlungen erfordern müssen, kritisiert hat.
Was das Gericht aber kaum prüft, ist die Gefahr der Folter oder der unmenschlichen Behandlung in Syrien. Dem sind ganze zwei von 80 Seiten Urteilsbegründung gewidmet. Genau das ist aber mittlerweile der Hauptgrund dafür, dass - das ist entscheidend - Syrerinnen und Syrern Schutz in Deutschland gewährt wird.
Im ersten Quartal 2024 basierten über 90 % der Entscheidungen eben nicht auf der Gefahr durch kriegsähnliche Handlung, sondern auf der Gefahr erniedrigender Behandlung, Folter oder Menschenrechtsverletzungen. Aus der Verneinung einer Bedrohung durch kriegerische Handlungen folgt also keineswegs, dass es keine Schutzgründe gäbe. Dass das für die AfD keine Rolle spielt - geschenkt. Dass aber die Koalitionsfraktionen das ignorieren, den Ball der AfD aufnehmen und ihr so zum Erfolg verhelfen, ist ein Schlag ins Gesicht derer, die vor Krieg, Menschenrechtsverletzungen und Folter geflohen sind. Syrien ist nicht sicher.
(Beifall bei der Linken)
Die aktuelle Information des BAMF aus dem Juli berichtet von der Inhaftierung von mindestens 126 syrischen Geflüchteten, die aus dem Libanon zurückkehrten oder abgeschoben wurden allein in diesem Jahr, darunter Frauen und Kinder, und auch von einem Todesfall in Haft, bei dem von Folter auszugehen ist.
Nach 13 Jahren ist in Syrien die Zahl derer, die auf humanitäre Hilfe angewiesen ist, mit 16,7 Millionen auf einem neuen Höchststand. 90 % der Gesamtbevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. 14 Millionen Syrerinnen und Syrer sind innerhalb oder außerhalb des Landes auf der Flucht. Menschenrechtsverletzungen und Willkür sind auf der Tagesordnung und Abschiebungen werden auch in Zukunft deswegen scheitern.
Statt elementare Prinzipien des Rechtsstaats infrage zu stellen, braucht es weiterhin Schutz für Syrerinnen und Syrer. Wir lehnen beide Anträge ab.