Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Linke-Fraktion, bei Ihrer Kritik an der Landesregierung haben Sie uns ganz auf Ihrer Seite. Ja, es ist ein politisches Versäumnis ersten Ranges, dass das Land dem Härtefallfonds des Bundes nicht beigetreten ist. 

Natürlich war und ist dieser Härtefallfonds nicht die ideale Lösung. Nein, er schafft nicht einmal echte Gerechtigkeit. Jahrzehntelange Ungerechtigkeit ist nur schwerlich mit einer recht geringen Einmalzahlung wiedergutzumachen, insbesondere dann, wenn die Anspruchsberechtigung derart strikt geregelt ist, dass die wirklich ausgezahlten Gelder eher die Ausnahme als die Regel sind. Aber der Beitritt wäre wenigstens ein Zeichen gewesen. Das haben auch wir GRÜNE mehrfach in vergleichbaren Debatten hier im Haus betont. 

Zur Wahrheit gehört auch: Die Ampel-Regierung im Bund ist mit diesem Fonds in diesem Bereich tätig geworden. 16 Jahre Regierung einer ostdeutschen Kanzlerin verstrichen ohne die geringste Initiative an dieser Stelle. Auch hierbei hat die Ampel geliefert und 16 Jahre Stillstand beendet. 

Auch hier im Land hat vor allem die CDU im Sinne eines Stillstands argumentiert und sich, wie ich finde - das haben wir auch heute wieder gehört  , recht billig mit der Feststellung herausreden wollen, Rentenpolitik sei Bundessache. Ja, das ist so. Aber bei den Ungerechtigkeiten in Sachen Ostrenten geht es nicht um bloße Rentenpolitik, sondern auch darum, Wunden zu heilen, die im Prozess der Wiedervereinigung entstanden sind, Ungerechtigkeiten anzuerkennen und sich zu versöhnen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch unser Land betrifft. Da können wir uns nicht aus der Verantwortung schleichen. 

Liebe Linke, ich gehe an diesem Punkt ganz mit Ihrem Antrag mit. Aber jetzt kommt das Aber: Den 3. Punkt kann ich ganz und gar nicht unterstützen. Die von Ihnen geforderte Beibehaltung der Höherbewertung der Ost-Renten hinkt gleich zweifach. 

Zum einen würde dies formal sogar eine Besserstellung der Ost-Renten bedeuten; denn die Höherbewertung war - das wurde schon erläutert - an den unterschiedlichen Rentenwert in Ost und West geknüpft. Der Beitrag, den ein Rentenpunkt bei der Berechnung der Rente wert ist, war im Osten lange Zeit niedriger angesetzt als im Westen. Hier bestand de facto eine Ungleichbehandlung, die mit der Höherbewertung der Ost-Renten ausgeglichen werden sollte. Der Unterschied selbst wurde aber durch die jährliche Anhebung des Ost-Rentenwerts um 0,7 gegenüber dem West-Rentenwert Jahr für Jahr kleiner. 

Seit dem 1. Juli 2023 haben wir in Deutschland einen einheitlichen Rentenwert, und damit entfällt der Grund. Gemäß Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz aus dem Jahr 2017 war der einheitliche Rentenwert erst für Ende 2024 geplant. Die gute Lohnentwicklung im Osten hat allerdings dazu geführt, dass diese Harmonisierung früher erfolgte. Mit der Angleichung des Rentenwerts ist eben auch die Beendigung der Höherbewertung der Ost-Renten verknüpft. Das ist ein sehr logischer Zusammenhang. 

Jetzt könnte man natürlich sagen: Ja, die Rechengrößen sind nun in Deutschland identisch, aber die Einkommensunterschiede bestehen, und die Ost-Rentnerinnen und -Rentner haben eben doch weniger im Portemonnaie. Ja, das kann man sagen, aber auch sozialpolitisch ergibt die recht grobschlächtige Ost-West-Unterscheidung in Sachen Höherbewertung keinen Sinn. 

In der Tendenz ist es so: Die Ost- und die Westlöhne weisen Unterschiede auf. Aber oftmals ist es konkret doch nicht so. Die Tarifniveaus sind zu nahezu 100 % angeglichen. Wenn man sich einmal eine nach der Einkommenshöhe erstellte Liste der Landkreise in Deutschland anschaut - dazu gibt es schöne Sachen im Internet  , stellt man fest, beim Einkommensdurchschnitt liegen durchaus auch Landkreise im Osten in der oberen Hälfte. Am Ende dieser Liste finden sich überwiegend Regionen aus Nordrhein-Westfalen. Wir haben also vor allem ein Nord-Süd-Gefälle. Erklären Sie den Leuten aus diesen Niedriglohn-Landkreisen in NRW doch einmal, warum sie keine Höherbewertung ihrer Löhne erhalten, die Gutverdienenden im Osten hingegen schon. 

Wenn Sie Rentengerechtigkeit wollen, müsste es um eine Höherbewertung von niedrigen Einkommen oder um insgesamt weniger niedrige Einkommen in ganz Deutschland gehen oder etwa um eine Höherwertung der Einkommen von Frauen; denn es besteht weiterhin ein Gender-Gap bei den Löhnen, und da gibt es auch noch eine Ost-West-Lücke, was die Löhne der Gehälter und erst recht der Renten angeht. 

Natürlich ist für die Lebenswirklichkeit vieler Menschen hierzulande ihre ostdeutsche Herkunft zentral und biografisch ein wesentlicher Unterschied zu Menschen, die in den alten Bundesländern aufgewachsen sind. Das Erleben der friedlichen Revolution und vor allem die Transformationsprozesse danach prägten unsere Lebensläufe zutiefst. Für Menschen, die diese Prozesse nur aus der Ferne erlebten, ist das oft schwer nachvollziehbar. Das Benennen der Ost-West-Unterschiede ist deswegen deutlich mehr als nur Folklore. Ich will das an der Stelle wirklich nicht kleinreden. 

Aber diesen Unterschied in die Rentenberechnung zu überführen hat sich jetzt, im vierten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung, überlebt. Darauf ist, wie gesagt, hingearbeitet worden. So werden wir nächstes Jahr eine einheitliche Rentenberechnung in ganz Deutschland haben, und das ist auch gut so. Einer Beratung im Ausschuss stehen wir natürlich nicht entgegen. -Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)