Hendrik Lange (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seitdem die CDU die letzte Bundestagswahl verloren hat, wird sie im Ton zunehmend schriller. Insbesondere Friedrich Merz, der Bundesvorsitzende, fällt dabei immer wieder eher unangenehm auf. Seine Kampagnen leben vom Gegnerbezug. Besonders oft wird gegen Bürgergeldempfänger und gegen Geflüchtete ausgeteilt sowie der Ministerlohn, so wie wir es heute gehört haben, angegriffen.
(Zuruf von Kerstin Godenrath, CDU)
Übrigens: Das ist kein Gönnen des Mindestlohnes, sondern das ist ein Rechtsanspruch, Herr Thomas.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Wie wir gehört haben, sind diese Debatten jetzt also auch in Sachsen-Anhalt angekommen. Die CDU stellt hier zwar die Spitze der Landesregierung, macht aber Opposition zum Bund.
Der heutige Antrag der CDU berührt Steuerpolitik, Sozialpolitik und die letzte Bürgergeldreform. Das alles sind bekanntlich Angelegenheiten des Bundes. Anders gesagt: Die CDU hat da nichts mitzubestimmen, tut aber einfach mal so.
(Guido Heuer, CDU: Das wird sich wieder ändern!)
Dafür betreibt auch die hiesige CDU-Fraktion einigen Aufwand. Jetzt werden solche Anträge schon vor der Landtagssitzung in der Zeitung annonciert.
(Ulrich Thomas, CDU: Ach! - Weiterer Zuruf: Ach, Gott!)
Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen, Sie tragen doch die Landesregierung.
(Ulrich Thomas, CDU: Lesen Sie mal was Sinnvolles!)
Sie brauchen keine Zeitungsannoncen über Debatten als Arbeitsnachweis; sie müssten handeln. Wir brauchen nämlich gute Maßnahmen in Sachsen-Anhalt.
(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Ulrich Thomas, CDU)
Wir brauchen gute Maßnahmen in Sachsen-Anhalt und wir brauchen gutes Regierungshandeln. Die nächste Bundestagswahl findet aber erst im Jahr 2025 statt.
(Zuruf von der CDU)
Sagen Sie uns bitte Bescheid, wenn Sie bis dahin nur Stimmungsmache und Theater machen wollen.
(Unruhe bei der CDU)
Nun schauen wir mal auf das, was Sie heute beantragt haben. „Leistung muss sich wieder lohnen“, heißt Ihr Antrag. Ja, dazu fiel mir bei der Vorbereitung auf diese Debatte einiges ein. Wir haben hier einen Durchschnittslohn, der deutlich hinter dem Lohn im Nachbarland Niedersachsen liegt. Schauen wir zum reichen Baden-Württemberg, dann stellen wir fest, dass der Abstand noch deutlicher ist.
(Ulrich Thomas, CDU: Und zu Thüringen? Kommen Sie zu Thüringen!)
Leistung lohnt sich in Westdeutschland also mehr.
Oder geht es Ihnen um den Lohnabstand zwischen Frauen und Männern? Oder geht es Ihnen um unbezahlte Sorgearbeit in den Familien? Das sind Leistungen, die sich unzweifelhaft lohnen, aber nicht entlohnt werden. Meinen Sie diese Ungerechtigkeiten?
Wenn Sie die meinen, dann sollten Sie gesetzlichen Eingriffen in den Arbeitsmarkt eigentlich aufgeschlossener gegenüberstehen. Und Sie sollten Gewerkschaften und der Verbindlichkeit von Flächentarifverträgen offen gegenüberstehen und sie sollten der Familienfreundlichkeit jede Unterstützung geben, die Landespolitik eben auch geben kann.
Oder Sie können einen Vergabelohn bei öffentlichen Aufträgen ansetzen, der wirklich armutsfest ist.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Oder Sie können bei der Förderpolitik für Unternehmen eine klare Sprache sprechen. Wer Geld von der Staatskanzlei zugesagt bekommt, muss seine Beschäftigten so bezahlen, dass sie ohne Geld vom Amt die Miete bezahlen können.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Zu solchen Sachen höre ich allerdings nichts von Ihnen, eher das Gegenteil.
In Bayern sind Ihre Kollegen übrigens auch für eine Steuerreform, nämlich bei der Erbschaftsteuer. Dabei zahlen die bestehenden Regelungen seit Jahrzehnten bei denen ein, die bereits ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben.
(Jörg Bernstein, FDP: Mit eigener Leistung! - Ulrich Thomas, CDU: Genau so ist es! - Jörg Bernstein, FDP: Das ist schon mal versteuert worden!)
Um die angeblich drohende Verarmung derjenigen, die im schönen Bayern eine Villa oder ein Häuschen erben,
(Zurufe von der CDU: Oh!)
weil sie dort so viel wert sind,
(Tobias Rausch, AfD: Das liegt daran, dass du ein Nichtskönner bist, ein originaler Nichtskönner! - Unruhe)
zu vermeiden, hat die CSU eine ganze Kampagne gestrickt. Auf Immobilienbesitz kann man in einem ostdeutschen Bundesland wie Sachsen-Anhalt allerdings nicht so eine gute Kampagne aufbauen.
(Tobias Rausch, AfD: Ah!)
Nein, im Osten sagen Sie lieber: Sozial ist, was Arbeit schafft. Das ist doch Ihr Credo seit 30 Jahren. Übersetzt heißt das: 30 % im Niedriglohn, Sachsen-Anhalt steht damit im Bundesvergleich ganz weit vorn. Die Landesregierung wirbt bis heute mit geringen Produktions- und Standortkosten.
(Tobias Rausch, AfD: In Thüringen sieht es nicht anders aus! Wer regiert denn da?)
Dass der Staat dafür lieber Milliarden an Wohngeld, an Aufstockerleistungen und später an Grundrente zahlt, fällt da gern unter den Tisch. Zugegebenermaßen haben dafür damals die Treuhand und später die Hartz-Reformen unter Rot-Grün den Boden bereitet. Aber auch die schwarze Wirtschaftspolitik hat Unternehmen beim Drücken der Lohnkosten immer den roten Teppich ausgerollt.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Worum geht es also wirklich? Wir haben es von der CDU immer wieder gehört. Die Bürgergeldreform sei falsch. Seit Herbst des letzten Jahres ätzt die CDU gegen Arbeitslose.
(Unruhe bei der CDU - Zurufe von der CDU)
Nach den enormen Preissprüngen infolge Corona und Krieg
(Guido Heuer, CDU: Mein Gott!)
machen Sie hier allen Ernstes den Leuten die Erhöhung des Regelsatzes streitig. Denn im Übrigen: Viel mehr ist bei der Reform ja auch nicht rumgekommen. Ich frage also die CDU: In welchem trüben Wasser fischen Sie eigentlich?
(Zuruf von der CDU: Ach, Gott!)
Angespielt wird damit auf eine angebliche Versorgungsmentalität. Angespielt wird damit auf ein Menschenbild, das sich vielleicht am Stammtisch, aber sehr wenig in der Realität wiederfinden dürfte.
(Guido Kosmehl, FDP: Das stimmt in Sachsen-Anhalt überhaupt nicht!)
Wer sich ernsthaft mit Langzeitarbeitslosigkeit auseinandersetzt, der weiß, wie gering die Vermittlungschance bei einer kleinen Gruppe von Betroffenen ist. Derjenige, der sich mit Arbeitslosigkeit beschäftigt, weiß auch von einem Bildungssystem, das sich gerade in Sachsen-Anhalt eine hohe Schulabbrecherquote leistet. Derjenige, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass migrantische Bewerberinnen und Bewerber zum Jobinterview erst gar nicht eingeladen werden
(Tobias Rausch, AfD: Das stimmt doch gar nicht! - Guido Kosmehl, FDP: Das ist nicht richtig!)
und dass Ostdeutsche in den Unternehmen und Behörden sehr selten die Spitzenjobs erhalten. Mit all dem haben Sie als regierungstragende Fraktion viel mehr zu tun. Die CDU besetzt das Bildungsministerium, das Wirtschaftsministerium und die Staatskanzlei. Da gibt es genug zu tun.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Angesichts der historisch hohen Inflation in Sachsen-Anhalt und der über Jahre politisch kleingerechneten Hartz-IV-Regelsätze war eine spürbare Erhöhung des Bürgergeldes ein längst überfälliger Schritt.
Ich kann mich noch gut an die Diskussion dazu, die wir im letzten Herbst und Winter geführt haben, erinnern.
(Zuruf: Ja!)
Die CDU drehte da noch einmal richtig auf. Kurz vor der Einführung im November 2022 erklärte der Bundesvorsitzende der CDU, er stimme der Erhöhung des Regelsatzes zu, Hauptsache, alles bleibe im alten Hartz-IV-System geregelt. Das heißt, selbst die CDU hatte eingesehen, dass Betroffene nicht wochenlang von Nudeln und Margarine leben sollten. Aber trotzdem machen Sie ein Jahr später fröhlich weiter mit einer Schmutzkampagne und tun damit so, als ob ausgerechnet der Sozialstaat die Arbeitsmoral im Land bedrohen würde.
Meine Damen und Herren! Hören Sie auf, sich die Verletzlichen herauszupicken. Hören Sie auf Zerrbilder von Problemen zu zeichnen. Und ganz ehrlich: Es ist vorhin ein bisschen was zum Lohnabstandsgebot gesagt worden. Sie können sich das gern angucken. Es gibt ja viele verschiedene Tabellen, denen man entnehmen kann, wie es mit der Steuergerechtigkeit aussieht und wie man dafür sorgen kann, dass diejenigen, die weniger Geld verdienen, steuerlich tatsächlich entlastet werden.
(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)
Diese Tabellen sind in verschiedenen Publikationen zu finden. Ich nehme einmal eine aus dem „Handelsblatt“. Das Steuerkonzept der LINKEN würde einen Einpersonenhaushalt um 1 210 € entlasten, das Steuerkonzept der Union um 70 € - wohlgemerkt bei einem Einkommen von 20 000 €. Wenn Sie also das, was sie predigen, wollen, nämlich dass sich Arbeit wieder lohnen soll und dass es einen Lohnabstand geben soll zu denjenigen, die wenig verdienen, dann müssten Sie eigentlich ein anderes Steuerkonzept ansetzen. Das machen Sie aber nicht.
Ihr Steuerkonzept möchte dafür sorgen, dass bei einem Einkommen von 300 000 € die Menschen um 8 000 € entlastet werden. Das ist Ihre Politik: die Reichen entlasten,
(Zustimmung bei der LINKEN)
die Armen belasten und dann noch gegen Arme und Ärmere hetzen. Das machen wir nicht mit. Deswegen fordere ich Sie auf: Bleiben Sie redlich bei Ihrer Politik und hören Sie auf, solche verschobenen Debatten zu führen. - Danke.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Lange, wenn Sie Herrn Teßmann stehen sehen, dann wissen Sie, was jetzt kommt.
Hendrik Lange (DIE LINKE):
Will er?
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Er will eine Intervention geben. Aber bevor Herr Teßmann dran ist, begrüßen Sie mit mir Damen und Herren des CDU-Regionalverbandes Wörlitzer Winkel und den Bürgermeister der Stadt Oranienbaum.
(Beifall im ganzen Hause)
Jetzt kann Herr Teßmann seine Intervention vortragen.
Tim Teßmann (CDU):
Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege, ich weise erst einmal von mir, dass wir als CDU-Fraktion gegen Arbeitslose oder irgendetwas anderes hetzen.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)
Es muss doch möglich sein, gewisse Sozialreformen auch einmal anzusprechen oder Ideen dazu zu geben, ohne gleich immer in eine Ecke geschoben zu werden und ohne die Diskussion schon vorher totzuschlagen.
Das, was Sie machen, ist meiner Meinung nach viel mehr Hetze. Sie spalten zwischen Ost und West und zwischen Arm und Reich. Das sollten Sie vielleicht auch einmal überdenken. - Danke schön.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)
Hendrik Lange (DIE LINKE):
Wissen Sie, nicht wir spalten,
(Guido Kosmehl, FDP: Ach!)
sondern wir sind diejenigen, die das Problem ansprechen.
(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Oh!)
Nicht diejenigen, die das Problem ansprechen, spalten.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Wenn man bei einer Analyse erfährt, wie die Einkommensbedingungen zwischen Ost und West aussehen und wie die Erbbedingungen zwischen Ost und West aussehen, dann kann man diese Analyse auch einmal zur Kenntnis nehmen.
(Guido Kosmehl, FDP: Das liegt doch an 40 Jahren SED-Regierung!)
Dann möchte ich noch
(Guido Kosmehl, FDP: 40 Jahre SED!)
- Jetzt bleib doch mal ruhig. Bleiben Sie doch mal ruhig, Herr Kosmehl.
(Guido Kosmehl, FDP: Wo kommt das denn her?)
- Atmen Sie tief durch
(Guido Kosmehl, FDP: Nee!)
und denken Sie noch einmal an Rückgabe
(Guido Kosmehl, FDP: Wie kann man so geschichtsvergessen sein?)
Denken Sie noch einmal an Rückgabe vor Entschädigung. Aber wir können da gern über vieles diskutieren.
(Guido Kosmehl, FDP: Wir haben Rückgabe vor Entschädigung gemacht!)
- Genau, eben drum. So.
Und dann, Herr Teßmann, die ganze Frage nach der Kluft zwischen Arm und Reich.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Wir haben tatsächlich ein riesiges Problem, nämlich dass sich die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten 30 Jahren immer weiter auseinanderdividiert hat.
(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: So ein Quatsch! - Zuruf: Jawohl!)
Wer das anspricht, ist nicht derjenige, der spaltet,
(Anne-Marie Keding, CDU: Spalten kann!)
sondern derjenige, der diese Politik organisiert hat. Und das sind Sie.
(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Nee, Mann, Mann, Mann, Mann! - Zuruf: Jawohl! - Unruhe)