Hendrik Lange (DIE LINKE): 

Das klang ja wie beim Arzt.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ja, klar. Aber jetzt verlangen Sie nicht den Witz von mir. - Alles klar. Danke. - Der Nächste bitte.

(Stefan Ruland, CDU, lacht)


Hendrik Lange (DIE LINKE): 

Das mache ich nicht. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 1. September 1914 starb Martha im Zoo von Cincinnati als letzte ihrer Art. 100 Jahre später starb Angalifu im Zoo von San Diego. Und vier Jahre später starb dann Sudan als letzter Bulle seiner Art. Warum diese Tiere berühmt sind und wofür sie stehen, dazu komme ich noch.

Meine Damen und Herren! Auf der Erde gab es immer wieder Auslöschungen von Arten. Paläontologen definieren meist fünf dieser Ereignisse. Ihnen ist gemein, dass in geologisch relativ kurzer Zeit Arten verschwunden sind.

Diese Auslöschungsereignisse führen Geologen meist auf die herrschenden bzw. sich ändernden Umweltfaktoren zurück, sei es eine fast komplette Vereisung der Erde, die Bildung eines Megakontinents oder dessen Auseinanderbrechen oder aber der berühmte Meteoriteneinschlag, dessen Folgen zum Ende der Kreidezeit die Dinosaurier haben aussterben lassen.

(Zurufe von der CDU: Das ist eine Theorie! Das ist nicht bewiesen!)

Spannend ist auch, dass es Lebewesen selbst sein können, die ohne Bewusstsein eine solche Auslöschung hervorrufen bis hin zur Gefährdung der eigenen Existenz. So waren es Cyanobakterien, die im Präkambrium Sauerstoff produzierten. Das war gut für uns, da sich der überschüssige Sauerstoff in der Atmosphäre anreicherte und die Methanatmosphäre ersetzte.

Schlecht war es aber für alle Lebewesen, die in dieser Zeit keinen auf Sauerstoff basierenden Stoffwechsel hatten. Sie konnten sich dem Zellgift Sauerstoff also nicht entziehen und damit nicht umgehen. Und wahrscheinlich hat dieser Vorgang zu einer sogenannten Schneeballerde geführt, also eine Totalvereisung, die fast alles Leben auslöschte.

Meine Damen und Herren! Warum erzähle ich Ihnen das? Wie die Wissenschaftler Richard Leakey und Roger Lewin in ihrem Buch „Die sechste Auslöschung“ beschrieben haben, sind wir mittendrin in einem erneuten Auslöschungsereignis.

Allerdings wird dieses Auslöschungsereignis durch ein sich selbst bewusstes und reflektiertes Lebewesen vorangetrieben, nämlich dem Menschen. Und hier setzt eines der Ziele der Weltnaturschutzkonferenzen an. Der Mensch muss sich über die Zusammenhänge und die Auswirkungen seines Handelns bewusst sein. - Leichter gesagt als getan, zwingen doch kapitalistische Produktionsbedingungen täglich Milliarden von Menschen in einen Überlebenskampf.

Interessant könnte dabei aber eine Erkenntnis sein: Je größer die Biodiversität ist, desto größer ist die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Ökosystems. Sprich: Eine große Biodiversität sichert auch unser eigenes Überleben.

Meine Damen und Herren! Was Lekey und Lewin in ihrem Buch auch darstellen: Die Simulationen zeigen, dass sich ein und dasselbe Ökosystem mit gleichem Artbestand unterschiedlich entwickeln kann. Die Regeln dazu sind also wohl eher in der Chaostheorie zu finden als monokausale Zusammenhänge. Was nun aber kompliziert scheint, ist für den Naturschutz recht einfach: Schützt die Arten und damit die Biodiversität! Damit sichern wir unser Überleben am besten.

Meine Damen und Herren! Was müssen wir für uns daraus ableiten und was Haben Martha und Sudan damit zu tun? - Nun, eigentlich haben wir kein Erkenntnisproblem. Wir wissen, was den Verlust der Arten und damit der Biodiversität vorantreibt, sei es die Zerstörung von Lebensraum, die intensive Landwirtschaft, Umweltgifte, der Klimawandel oder ungehemmte Jagd und Überfischung. All das bedroht viele Arten auf unserem Planeten. Und deswegen muss dringend gehandelt werden.

Es gibt Arten, die groß genug sind, sodass es jedem auffällt, wenn sie nicht mehr da sind. Ein Beispiel dafür ist die Wandertaube, die Anfang des 19. Jahrhunderts noch einen geschätzten Bestand von mehr als fünf Milliarden Individuen hatte. Durch exzessives Bejagen und das Zerstören der Brutplätze wurde der Bestand massiv dezimiert, bis die Population komplett einbrach und Martha wohl als Letzte ihrer Art bereits im Jahr 1914 im Zoo von Cincinnati verstarb, ein Endling, der heute als mahnendes Beispiel im Smithsonian Institut ausgestellt ist.

Sie sehen, hier kam alles zusammen, vor allem auch die Tatsache, dass es sich der Mensch schlichtweg nicht vorstellen konnte, dass ein solcher Massenvogel in kürzester Zeit ausstirbt. Und man kannte das Verhalten der Art zu wenig. Sonst hätte man wissen können, dass Aufzucht und Verteidigung der Brut nur in sehr großen Kolonien gelingen. Und sogar das wurde der Art gegenüber dem größten Räuber der Erde zum Nachteil. Denn zu Hunderten zogen Menschen in die Wälder, um die Bäume zu roden und um an die begehrten Nestlinge heranzukommen.

Wissen über die Natur - hier können wir gerade auch mit der Universität in Halle und mit der Hochschule Anhalt einen Beitrag in der ökologischen Forschung leisten. Das wurde vom Minister auch gerade schon gesagt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass Sudan der letzte nördliche Breitmaulnashornbulle war, der im Jahr 2018 verstorben ist, habe ich in einer Rede hier schon einmal erwähnt. Auch er ist ein Botschafter für den Erhalt der Biodiversität. Denn wenn eine so große Art ausstirbt, dann ist das eine sichtbare Mahnung.

Und wir werden alle ärmer. Wandertaube und Breitmaulnashorn sind sichtbar. Wie viele der meist unsichtbaren Arten hat unsere Art zu leben, schon auf dem Gewissen? Und wir machen ja nicht einmal vor den nächsten Verwandten halt, wie den Orang-Utans oder den Schimpansen, die der Gier nach Profit und nach Anbauflächen für Palmöl oder Soja weichen müssen.

Meine Damen und Herren! Umso wichtiger ist es, dass bei der jetzigen Weltnaturkonferenz verbindliche und abrechenbare Ziele vereinbart werden. Denn man muss feststellen, dass von den 20 Zielen, die in der japanischen Stadt Aichi vereinbart wurden, gerade einmal vier und diese auch nur teilweise erreicht wurden. Ich schließe mich daher der Forderung des NABU an die Staatenlenker an. Wir brauchen klare und messbare Ziele für das Jahr 2030.

Erstens. Mindestens 20 % der globalen Landes- und Meeresflächen müssen renaturiert werden.

Zweitens. 30 % der Landes- und Meeresfläche müssen in Form von Schutzgebieten unter Schutz gestellt werden. Dazu gehören Ausweitungen und effektiver Schutz unter Achtung der Rechte indigener Völker.

Drittens. Pestizid- und Nährstoffeinträge sollen global jeweils um die Hälfte reduziert werden.

Viertens. 25 % der agrarökologisch genutzten Flächen inklusive Ökolandbau sollen in dem Abkommen verankert werden.

Zudem muss klar und deutlich gemacht werden, welche Subventionen für die Natur schädlich sind und welche Investitionen in die Natur die Natur auch fördern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Rückschläge wie bei der EU-Agrarförderung können wir uns angesichts der Biodiversitätskrise nicht leisten. Deutschland muss dabei in einen Prozess starten, in dem die Verantwortung von Bund und Ländern geklärt wird und Ziele für die einzelnen Sektoren definiert werden. Mit einer Biodiversitätsstrategie und einen entsprechenden Aktionsplan muss der Weg hin zu einem Biodiversitätsgesetz führen.

Und, meine Damen und Herren, Klimaschutz und Biodiversität gehen Hand in Hand; denn wenn Ökosysteme wie Moore verloren gehen, dann entwickeln sich CO2-Senken zu Treibhausgasproduzenten. Und umgekehrt ist die Erderhitzung für viele Arten und für viele Lebensräume bedrohlich. Investitionen in den Klimaschutz sind daher auch die besten Investitionen in den Artenschutz.

Übrigens, einen Satz kann ich den GRÜNEN dann doch nicht ersparen. Ich fand alles ziemlich gut nachvollziehbar, was der Kollege Aldag vorgetragen hat. Wissen Sie, ich hätte mir einfach einen Antrag gewünscht. Wenn wir hier dazu noch einen Antrag gehabt hätten, dann wäre das so ein bisschen das Salz in der Suppe der Debatte gewesen. Dann hätten wir auch noch mal über was abstimmen können.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Man hätte auch die Kollegen noch mal ein bisschen zu einem Bekenntnis leiten können. Es ist leider nicht so gewesen. Aber man muss halt dann auch in der Opposition ankommen. Sie haben die schwarze Bremse nicht mehr, also können Sie sich ruhig etwas trauen.

Meine Damen und Herren! Hierfür haben wir als Land Verantwortung, sei es durch die Versiegelung und die Zerstörung von Lebensraum, durch mangelnde Renaturierung oder durch das Reißen der Klimaschutzziele. Das will ich mir nicht verkneifen - Herr Aldag hat das auch schon gesagt  : Die Artensofortförderung bis zur Unkenntlichkeit einzudampfen, ist in diesem Zusammenhang ein echtes Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Über vieles werden wir hier noch reden, seien es der Schutz Karstlandschaft oder die Investitionen in den Straßenverkehr statt in die Schiene. Auch über die Förderung der Artenkenntnis haben wir schon gesprochen. Fakt ist: Wir als Land müssen diesbezüglich unsere Verantwortung wahrnehmen, sei es durch Bildung, durch Förderung oder aber durch kluge Regulierung. Denn eines ist am Ende klar: Wir brauchen die Biodiversität unserer Erde für das eigene Überleben. Wir haben die ethische Verantwortung, die mit uns auf der Erde lebenden Arten zu schützen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)