Wulf Gallert (DIE LINKE):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das ist jetzt innerhalb von zwei Tagen die fünfte Debatte zum selben Thema. Natürlich stellt man sich als Redner die Frage, was das Auditorium überhaupt noch interessieren könnte. Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Ich denke, dass das, was Sie interessiert, relativ wenig mit dem Antrag zu tun hat. Deshalb will ich mich auf ein paar andere Dinge konzentrieren, die in den Debatten der letzten beiden Tage aus meiner Sicht zu kurz gekommen sind oder auch falsch dargestellt worden sind.

Ich will noch einmal klar sagen, wie der Sanktionsmechanismus gegenüber Russland funktioniert. Natürlich gab es in Deutschland Forderungen nach einem sofortigen Stopp der Energieimporte aus Russland. Die gab es. Dazu nenne ich zwei Namen. Das war Friedrich Merz plus Kiesewetter usw. und das war Strack-Zimmermann. Die beiden haben explizit einen sofortigen Stopp gefordert. Das Interessante ist, dass sie Habeck massiv dafür kritisiert haben, dass er das nicht getan hat. - Das ist die Ausgangssituation vom Frühjahr und Sommer dieses Jahres.

Bis heute gibt es diese Sanktionen nicht. Aber es gibt die klare Aussage aus dem Kreml, dass sie diesen Stopp von ihrer Seite aus durchgeführt haben. Das heißt, diese Aussage gibt es eigentlich auch nicht. Aber wir wissen, dass es so ist und dass wir uns darauf einstellen mussten.

(Markus Kurze, CDU: Aber Sie wissen auch, was Frau Baerbock gesagt hat!)

- Kollege Kurze, machen wir es an der Stelle so, dass Sie vielleicht erst einmal zuhören, mir danach eine Frage stellen und ich sie dann beantworte? Machen wir es so? - In Ordnung.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wovon hängt ab, dass wir Erdgas bekommen? Das ist nicht etwa abhängig von einzelnen Wirtschaftssanktionen, die wir gegenüber Russland ausgesprochen haben, z. B. dass sie keine Billardkugeln mehr bekommen. Das ist übrigens tatsächlich so.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Leute, das ist aber schon ein bisschen mehr! - Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Die Voraussetzung dafür, dass Putin den Erdgashahn wieder aufdreht, ist die Akzeptanz der Invasion in der Ukraine und der imperialen Ziele Russlands. Das ist das Problem.

Nun können wir uns entscheiden, was wir wollen. Wollen wir den serbischen Weg oder ein Stück weit auch den ungarischen Weg gehen und sagen: Alles super, was du da machst; wir versuchen, dir zu helfen? Oder wollen wir sagen: Nein, das ist für uns keine Option, weil das die europäische Ordnung bis ins Mark erschüttern würde, dass wir nicht wissen, wie die politische Ordnung in fünf bis zehn Jahren aussehen wird?

Deswegen sage ich noch einmal ausdrücklich: Nein, es ist kein verlässlicher Weg zu sagen: Putin, wir machen, was du willst, schick uns bitte billiges Erdgas; wir schauen mal, ob du dich auf den Deal einlässt. - Das funktioniert nicht.

Was wollen wir denn als Nächstes machen, wenn Polen oder Litauen infrage kommen? Klar, man kann als Sachsen-Anhalter auch sagen: Ach weißt du, bis Berlin ist es auch nicht so schlimm. Nein, Leute, das ist keine Alternative. Die Variante, darauf einzugehen, ist deswegen für uns nicht gangbar.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun haben wir aber diese Situation und jetzt müssen wir damit umgehen. Ich möchte noch etwas zu der Energiepreisentwicklung sagen. Das war wieder typisch, Herr Rausch nimmt zwei Zahlen. Er vergleicht das Jahr 2020 mit dem Jahr 2022.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Jetzt gucken wir uns einmal den Gaspreis an der Leitbörse in Holland für den europäischen Markt an. Im Jahr 2020 kostete eine Megawattstunde fast das gesamte Jahr über 15 €, Ende 2021  80 € und heute 160 €. Das heißt, es hat bereits lange vor dem Krieg eine Verfünffachung des Gaspreises im Verhältnis zum Jahr 2020 gegeben.

(Tobias Rausch, AfD: Nee, weil wir angefangen haben, das Gas zu verstromen! Das ist eure Scheißenergiewende!)

Das hatte mit der Geschichte in der Ukraine noch gar nichts zu tun. Zwischenzeitlich lag der Gaspreis bei 35 € pro Megawattstunde.

Einen Tag später, also nach diesem Peak, sagt von der Leyen, sie möchte einen europäischen Einkaufsgaspreisdeckel haben, und der Gaspreis rauscht innerhalb von Stunden auf die Hälfte des Preises herunter.

Deswegen - das sage ich ganz klar   ist es eine Frage der Preisgestaltung. Deswegen, so sage ich, haben wir neben einer Energiekrise eine Energiepreiskrise und diese kann man politisch in den Griff bekommen. Eines der ganz wesentlichen Elemente, die wir dazu brauchen, ist ein europäischer Einkaufspreisdeckel für Gas und Öl.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zustimmung von Jörg Bernstein, FDP)

Diesbezüglich sage ich ganz deutlich: Es gibt einen Mitgliedstaat in der Europäischen Union, der den Gaspreis   übrigens auch für LNG   bis in unermessliche Höhe getrieben hat. Fragen Sie bitte unsere Nachbarländer, wer das war. - Deutschland.

Deutschland hat sich dieser Idee von von der Leyen, einen europäischen Einkaufsgaspreisdeckel zu realisieren, eindeutig verweigert. Scholz noch vor 14 Tagen: Dann kriegen wir nicht genug. - Nein, wir sind in der Welt herumgerannt   also nicht wir, sondern Habeck und Scholz   und haben überall jeden Höchstpreis angeboten, was wiederum dazu geführt hat, dass unsere Nachbarländer gesagt haben, Leute, so funktioniert es nicht; denn dann kauft ihr den Markt leer und wir sind nicht mehr in der Lage, das Zeug einzukaufen, weil wir solche Preise nicht mehr bezahlen können, ihr seid die Preistreiber.

Vor fünf Tagen stellt sich Habeck hin und beschwert sich über die Mondpreise auf dem Gasmarkt und verlangt ein europäisches Einkaufsmanagement, und zwar nachdem unsere Gasspeicher voll sind. Dazu sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen    


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gallert, achten Sie bitte auf die Redezeit.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Ich hatte sie tatsächlich vergessen, Frau Keding. Ich entschuldige mich vielmals.

(Lachen bei allen Fraktionen)

Gerade in diesem Bereich ist die Argumentation tatsächlich kompliziert und schwierig. Das, was die AfD erzählt, ist es nicht. - Danke, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Es gibt eine Frage von Herrn Roi.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Ja, gut.

(Lachen bei der FDP   Guido Kosmehl, FDP: Was macht man nicht alles für mehr Redezeit!)


Daniel Roi (AfD):

Es geht schnell, versprochen. Herr Gallert!


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Sie wissen nicht, ob ich schnell antworte.


Daniel Roi (AfD):

Ich will aber schnell fragen. - Sanktionen schaden nur uns und nicht Russland. Das ist ein Zitat Ihrer Parteifreundin Sahra Wagenknecht. Sie forderte jüngst in ihrem aktuellen Podcast oder in ihrer Wochenschau, die Sanktionen aufzuheben und den Konflikt einzufrieren, ähnlich wie Prof. Varwick von der Universität Halle. Wie stehen Sie zu dem, was Frau Wagenknecht sagt?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Frau Wagenknecht erzählt eine ganze Menge. Manchmal sind es kluge Dinge und manchmal sind es weniger kluge Dinge. Den Zusammenhang   das sage ich ausdrücklich   zwischen den EU-Sanktionen auf der einen Seite und dem Gasstopp auf der anderen Seite, den sie herstellt, gibt es so nicht. Vielmehr ist die Akzeptanz der russischen Aggression gegen die Ukraine die Voraussetzung dafür, dass Putin den Gashahn wieder aufdreht. In diesem Kontext irrt sie ausdrücklich.

Ich will aber an der Stelle zu einem anderen Thema etwas sagen. Das große Problem der Europäischen Union ist, dass sie die Sanktionen weder zielorientiert definiert   was wollen wir eigentlich wirklich mit diesen Sanktionen erreichen?  , noch ein Ausstiegsszenario aufzeigt. Das ist das Problem.

Wir haben in unserer Partei eine Beschlusslage. Diese besagt: Erstens brauchen wir Sanktionen gegen politisch Verantwortliche, vor allen Dingen, wenn sie, wie in der russischen Situation, eine ganze Menge von Vermögensanlagen in Europa haben. Das sind personifizierte gezielte Sanktionen. Zweitens brauchen wir gezielte Sanktionen gegen den militärisch-industriellen Komplex, um die Kriegsfähigkeit Russlands zu untergraben.

Was wir nicht brauchen   das ist eine dysfunktionale Position, die übrigens auch die Widerstände innerhalb Russlands eher lähmt als befördert  , ist die Ansage, wir müssten Russland ökonomisch vernichten. Natürlich gab es Aussagen aus der Bundesregierung heraus, die sich genauso interpretieren ließen. Das ist ein Fehler, weil dies dazu führt, dass auch innerhalb Russlands die Brüche, die inzwischen deutlicher geworden sind, zugekleistert werden. Das führt dazu, dass es innerhalb Russlands keine wirkliche Opposition gegen Putin gibt. Wir brauchen eine Option, die diesen Ausweg zeigt. Der Ausweg muss bedeuten, dass es eine Perspektive gibt, wenn dieser Krieg beendet wird.

Dazu muss ich klar sagen, dass wir massive Kritik am derzeitigen Handeln der Bundesregierung haben.