Tagesordnungspunkt 25

Beratung

Rücknahme des Landtagsbeschlusses „Energiepreise stabilisieren - Nord Stream 2 unverzüglich in Betrieb nehmen“ in der Drucksache 8/691

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1029

Alternativantrag der Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1053


Den Antrag bringt die Abg. Frau Lüddemann ein. - Frau Lüddemann, bitte.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Noch im Januar 2022, also im Januar dieses Jahres, fasste dieser Landtag mit den Stimmen aller anderen Fraktionen den Beschluss, die Pipeline Nord Stream 2 unverzüglich in Betrieb nehmen zu wollen.

(Beifall bei der AfD)

Es wurde die Forderung formuliert, dass auf der Bundesebene mit Nachdruck darauf hingewirkt werden soll, dass ausstehende Genehmigungen schnellstmöglich zu erteilen sind. Ein irriger wie falscher Beschluss.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Es war damals falsch und vor dem Hintergrund und unter dem Eindruck des Angriffskrieges Putins auf die Ukraine ist er erst recht falsch. Deswegen gehört dieser Landtagsbeschluss aufgehoben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schon die Annahme, dass die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 eine Auswirkung auf die Energiepreise hätte, war falsch. Eine Knappheit an Transportkapazitäten hat es nie gegeben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für russisches Gas über die Ukraine, also durch die ukrainischen Leitungen, gab es immer Kapazitäten. Sie waren nur zu 30 % ausgelastet.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Pipeline war eine ausschließlich politische Entscheidung. Es ging immer darum, die Ukraine von der EU zu trennen. Die Ukraine von den Werten der EU zu trennen, die sie heute mit dem Besten, was sie haben, nämlich mit dem Leben ihrer Männer verteidigt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Daniel Roi, AfD: Dort kämpfen auch Frauen! Das sind die alten Rollenbilder!)

Und es ging darum, Abhängigkeiten zu schaffen. Insbesondere die größte Wirtschaftsmacht in der EU sollte unauflöslich in der Abhängigkeit von fossilen Energien und von Energien von Putin, von Russland gehalten werden. Gegen den erklärten Willen unserer europäischen und transatlantischen Partner wurde das Projekt Nord Stream 2 hierzulande auf breiter politischer Front unterstützt und vorangetrieben.

Im Ergebnis werden horrende Entschädigungszahlungen im Raum stehen und ein Teil der bisherigen deutschen Außenpolitik muss auf den Prüfstand und gehört aufgearbeitet.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD)

An dieser Stelle sehe ich die SPD in unmittelbarer Verantwortung. Allein wenn ich nach Mecklenburg-Vorpommern blicke, werden die Abgründe Tag für Tag immer größer angesichts der sogenannten Klimastiftung in Mecklenburg-Vorpommern und dem wirklich dreisten Vorgehen von Gazprom, der, wie es eine Zeitschrift formuliert hat, quasi den Stift gehalten hat bei allem, was Ministerpräsidentin Schwesig dort aufgeschrieben hat; das war falsch.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Aber auch die CDU muss sich hinterfragen. Erstaunlicherweise hat ja der Kollege Merz genau dies versprochen. Denn die CDU hat fleißig Wandel durch Handel proklamiert und eine gute Freundschaft zu Russland gepflegt. CDU und SPD müssen sich fragen, warum sie das trotz Tschetschenien, trotz Georgien, trotz Syrien und trotz der Annexion der Krim getan haben.

Das kalte Schaudern und die Abscheu angesichts des aktuellen völkerrechtswidrigen Angriffskrieges und unvorstellbar schlimmer Kriegsverbrechen gegen die Ukraine und das ukrainische Volk machen es wirklich offensichtlich: Der Beschluss mit dem Titel „Energiepreise stabilisieren - und Nord Stream 2 unverzüglich in Betrieb nehmen“ ist zurückzunehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die zustimmenden Fraktionen bekräftigten mittels des Beschlusses damals, dass die Grundlage für gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen die Sicherung des Friedens in Europa ist.

(Dr. Katja Pähle, SPD: Ja! - Ulrich Thomas, CDU: Ja!)

Aber trotz allem, was Sie getan haben, ist kein Frieden in Europa.

(Zuruf von der CDU)

Wir müssen uns aber an dieser Friedensmarge messen lassen. Die Geltung des Völkerrechts muss wiederhergestellt werden. Wir müssen darauf hinwirken, dass Russland die Kampfhandlungen einstellt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür braucht es einschneidende Sanktionen.

(Zuruf von der AfD)

Diese treffen dann am Ende   jetzt ist der Wirtschaftsminister nicht mehr anwesend   natürlich auch uns, sonst wären es keine echten Sanktionen. Aber zu allererst müssen Sie Putin und seine Clique treffen. Wir brauchen Waffenlieferungen,

(Daniel Roi, AfD: Ja klar, Russen töten!)

finanzielle Unterstützung und Solidarität mit der Ukraine im Allgemeinen und mit den Geflüchteten, die auch zu uns nach Sachsen-Anhalt kommen, im Besonderen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür gilt es, die Bemühungen der Bundesregierung und der internationalen Staatengemeinschaft klar zu unterstützen. Dazu gehört es, klare Botschaften zu senden und deswegen auch diesen Beschluss klar abzuräumen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Als Folge daraus haben wir die Aufgabe, die Lasten der notwendigen Reaktionen und Sanktionen sozial gerecht abzufedern und die Wirtschaft dabei zu unterstützen, möglichst schnell vom Import und Export zu Russland und Belarus unabhängig zu werden   wir haben heute gehört, dass das nicht das große Problem ist   und die Energiesicherheit herzustellen. Das gelingt nur mit dem längst überfälligen und konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn es ist ganz klar: Wir haben eine Krise der fossilen Energien.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU: Oh!)

Windräder drehen sich, auch wenn Sie das alle belächeln, die Sonne scheint, Biomasse fällt an, Wasserkraft steht zur Verfügung.

(Unruhe)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht nur um den Aspekt der unabhängigen Versorgungssicherheit, sondern es geht natürlich auch um die Rentabilität und den Preis. Die deutsche Wirtschaft und die Menschen im Land brauchen verfügbare und bezahlbare Energien.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Das Fraunhofer Institut für solare Energiesysteme   ISE   hat in einer aktuellen Studie nachgerechnet, welcher Energieträger in Deutschland den Strom zu welchem Erzeugerpreis liefert. Es gibt einen eindeutigen Sieger. Das war nicht überraschend. Am günstigsten produzieren, und das bereits vor dem Überfall auf die Ukraine, große Fotovoltaikanlagen auf Freiflächen. Die Entstehungskosten liegen bei 4 Cent bis 5 Cent pro Kilowattstunde, danach folgen Wind an Land und Wind auf See.

Schon jetzt sind die erneuerbaren Energien ein eindeutiger, belegbarer Standortvorteil.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Intel hat es bspw. gerade für uns in Sachsen-Anhalt, für Magdeburg und die Börde sehr deutlich gesagt. Die Entscheidung, hier zu investieren   im Moment sind 17 Milliarden € aufgerufen  , beruht darauf, dass wir 100 % Ökostrom zur Verfügung haben. Das war der Grund, weshalb Intel hierherkommt, das ist die Messlatte.

(Beifall bei den GRÜNEN - Minister Sven Schulze: Das nur zur Hälfte! - Unruhe)

„Das Land, das als Erstes die Klima- und Ressourcenneutralität erreicht, hat seine wirtschaftliche Basis auf den Weltmärkten für Jahrzehnte gesichert.“ - Es ist kein neues Zitat von Jens Südekum, dem Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, aber es ist umso dringender. Denn eine fehlgeleitete Energiepolitik und falsch verstandene Russlandfreundlichkeit haben Deutschlands Abhängigkeit von fossilen Energieträgern immer weiter ausgebaut und uns in die Umklammerung eines menschenverachtenden Diktators getrieben.

Das dies kein guter Weg war, den SPD und CDU auf Bundesebene beschritten haben, war schon deutlich vor dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine erkennbar, wenn man es denn sehen wollte. Es gibt im Fernsehen gerade in den Kanzlerinnenduellen wesentliche Bemerkungen und Beweise dafür, dass man das alles hätte auch im letzten Jahr schon behandeln können, wenn man es denn gewollt hätte. Aber anstatt die Energieunabhängigkeit über den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, wurde eine völlig unnötige, energiepolitisch falsche Pipeline forciert.

(Guido Heuer, CDU: Aber an Nord Stream 1 wart ihr beteiligt! Rot-Grün, das habt ihr alles vergessen! Das ist ja unglaublich!)

Was wirklich tragisch ist: In dem Zeitraum, in dem Nord Stream 2 von SPD, CDU und auch in Teilen von der LINKEN vorangetrieben wurde, wurde der Ausbau der erneuerbaren Energien unter anderem von den Bundesministern Gabriel, Rösler und Altmaier abgewürgt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auch hier im Land sieht es nicht besser aus. Meine kleine Anfrage hat eine deutliche Diskrepanz zutage gefördert zwischen dem, was Umweltminister Willingmann immer sagt, dass wir 2 % Landesfläche für Windenergie brauchen und dem, was die Ministerin für Landesentwicklung in ihren landesplanerischen Grundlagen vorhat.

Wir sollten insgesamt, Kolleginnen und Kollegen, bei allem was wir in diesem Hohen Hause besprechen und vor allem, was wir hier entscheiden, immer bedenken, was es für mittel- und vor allen Dingen langfristige Folgen hat. Wie viel besser stünden wir da, hätten wir den Schwung der erneuerbaren Energien schon seit Anfang der 2000er-Jahre fortwährend genutzt. Wie weit wären wir beim Klimaschutz, würden energetisch unabhängiger sein und hätten noch größere Standortvorteile.
Deshalb ist der Ausbau der erneuerbaren Energien das Gebot der Stunde. Es gilt, sich entschlossen von fossilen Energien und damit auch von der Abhängigkeit von Putin und seiner Gewaltherrschaft zu befreien und alle Pipelines abzubrechen.

Es ist klar, Kolleginnen und Kollegen, der Landtag trifft hier keine kriegsentscheidenden Beschlüsse, keine kriegsentscheidenden Entscheidungen. Aber wir haben alle in den letzten Monaten gelernt, wie wichtig Symbole sind und dass in unserer vernetzten Welt alles, was wir hier tun und entscheiden, auch in der Ukraine wahrgenommen wird.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Ja, ja!)

Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns jetzt hier klar positionieren, dass wir ein klares Zeichen setzen und uns von diesem verdammt falschen Beschluss distanzieren. Deswegen rufe ich Sie alle auf: Haben Sie den Mut sich zu korrigieren und den Beschluss zurückzunehmen! - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Lüddemann. Es gibt zwei Meldungen zur Zwischenintervention und eine Nachfrage von Herrn Bernstein. Frau Lüddemann, wollen Sie die Nachfrage zulassen?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Können wir machen.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Gut, dann machen wir das in der Reihenfolge. Erst Herr Scharfenort, dann Herr Bernstein, dann Herr Loth. - Herr Scharfenort, bitte.


Jan Scharfenort (AfD):

Frau Lüddemann, das ist eine rhetorische Frage. Nord Stream 2 wurde damals gebaut mit vielen Milliarden deutscher Steuergelder, auch um die damalige fehlgeleitete Energiepolitik, nämlich die grüne Politik von Frau Merkel, auszugleichen, durch Gas, das wir brauchen durch den Ausstieg aus Kohle und Atom- und Kernenergie.

Sie machen das Problem nur noch schlimmer durch den beschleunigten Einstieg in die erneuerbaren Energien und weil Sie nicht akzeptieren können, dass wir die Kernkraft brauchen. Sie wechseln einfach den Anbieter; von einem günstigen Anbieter gehen wir jetzt zu einem teuren Anbieter und der Gasverbrauch wird sogar noch weiter steigen und das alles zu maximal volkswirtschaftlichen Kosten.

Das müssen Sie den Leuten erzählen. Das wird zu Verarmung führen, das wird zu Inflation führen. Das müssen Sie den Leuten erzählen, dass Sie bereit sind, für Ihre Ideologie diesen Preis zu zahlen bzw. nicht Sie, sondern die Menschen müssen diesen Preis bezahlen für diese unsinnige Politik.

(Beifall bei der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Scharfenort, das ist eine Zwischenintervention und nicht eine weitere Rede. - Frau Lüddemann, wollen Sie Stellung nehmen dazu oder antworten?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich würde vielleicht etwas für die AfD völlig Ungewöhnliches machen und mit ein paar Zahlen, die auf Fakten basieren, antworten. Eine Vorbemerkung, bevor ich die Zahlen bringe: dass ich jetzt hier für eine grüne Politik von Frau Merkel in Rede stehe, finde ich spannend.

(Zuruf von der AfD)

- Nee, das regt die Kollegen nicht auf, also mache ich das.

Zu den Gestehungskosten. Ich hatte ja gesagt, dass die Kosten von PV 3 bis 5 Cent betragen. Bei Steinkohle sind es 11 bis 20 Cent und bei Gas 11 bis 29 Cent. Das sollte für sich sprechen.

(Zurufe von der AfD: Die alte Leier! - Das sind nur die Betriebskosten!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Jetzt kommt Herr Bernstein mit einer Frage.


Jörg Bernstein (FDP):

Vielen Dank, Frau Lüddemann. Ich habe noch eine Nachfrage, weil ich das nicht so schnell gefunden habe. Bei Google steht die Bandbreite von 3,71 Cent bis 12 Cent für PV. Wissen Sie, ob bei diesen Preisen schon die Speicherkosten mit enthalten sind?

(Dorothea Frederking: Nein!)


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Nein, die Gestehungskosten sind allein die Kosten, die durch die Energieumwandlung entstehen, also z. B. für die Umwandlung der Wind- oder der Sonnenenergie in Strom. Und dass das eine größere Bandbreite ist, als ich gesagt habe     


Jörg Bernstein (FDP):

Darum ging es jetzt nicht.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Das waren die Kosten von PV in Großflächen. PV auf dem Dach, wenn das kleiner ist, ist ein bisschen teurer.


Jörg Bernstein (FDP):

Also ohne Speicherung?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ja.


Jörg Bernstein (FDP):

Okay, danke.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Jetzt ist Herr Loth dran.


Hannes Loth (AfD):

Ich wollte nur anmerken, dass wir fünf Jahre eine grüne Ministerin hatten, die für den Ausbau von Solarenergie oder PV-Anlagen auf Dächern z. B. nichts getan.

Es ist kein Aufwuchs gekommen. Stattdessen wurden flächendeckend auf Freiflächen Solaranlagen installiert, die eigentlich die Umwelt mehr belasten. Es ist noch sehr viel Potenzial nach oben. Dächerprogramme wurden nicht verlängert und erweitert usw. Eigentlich ist es das Versagen von Ihnen, dass wir heute dort sind, wo wir sind.

(Beifall bei der AfD - Zuruf: Oh!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Lüddemann, wollen Sie reagieren?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich würde dem Kollegen empfehlen   das machen Sie ja auch gern  , vielleicht eine Kleine Anfrage zu stellen. Dann können Sie sich noch einmal zuarbeiten lassen, wie die Zubauraten waren.

(Beifall bei den GRÜNEN)