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Plenarsitzung

Transkript

Wulf Gallert (Die Linke): 

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift, die für die Regierungserklärung avisiert worden ist, bricht sich natürlich etwas - das ist naturgegeben - mit dem, was der Chef der Staatskanzlei und Europaminister hier vorgetragen hat. Während die Überschrift eine mutige Behauptung aufstellt, nämlich dass Sachsen-Anhalt ein starkes Europa wählt - wohinter ich lieber ein Fragezeichen setzen würde  , hat er einen Tätigkeitsbericht der Landesregierung vorgetragen. Nun gut, das ist sein Job. Aber ich werde - verzeihen Sie es mir bitte, Herr Robra - weniger auf diesen Tätigkeitsbericht eingehen als vielmehr auf das Frage- oder Ausrufezeichen, für das diese Regierungserklärung Anlass gegeben hat. 

Warum sage ich, dass wir dahinter ein Fragezeichen setzen müssen? - Das sage ich deswegen, weil diese Europäische Union bedroht ist. Natürlich kann auch mit dieser Europawahl eine Entscheidung fallen, nach der wir in Zukunft nicht mehr über Strukturfonds reden. Es kann tatsächlich eine politische Entscheidung sein, nach der wir auch nicht mehr über einen Just Transition Fund reden. Es kann auch eine politische Entscheidung sein, die endgültig Schluss macht mit offenen Grenzen in Europa, 

(Zustimmung bei der AfD) 

und zwar innerhalb dieser Europäischen Union und außerhalb der Europäischen Union. 

Es kann auch eine Wahl sein, die endgültig die letzten Reste von Kontrolle, von Rechtsstaatlichkeit innerhalb dieser Europäischen Union der Vergangenheit angehören lässt. Deswegen müssen wir über diese Wahl reden. Denn - das ist das Entscheidende - die eigentliche Bedrohung dieser Europäischen Union kommt nicht von außen. Sie kommt nicht aus Russland, sie kommt nicht aus China, sie kommt auch nicht aus den USA, sondern sie kommt von innen. 

(Sven Rosomkiewicz, CDU: Ja! Ja! - Zuruf von der CDU: Das stimmt!)

Von innen deswegen, weil diese Europäische Union gefährdet ist durch die Verfolgung nationaler Interessen im Gegensatz zu einer Gemeinschaft. Dies ist kein Problem mehr, das sich nur am politischen Rand befindet. Dieses Problem sitzt als Ministerpräsidenten in Landesregierungen bzw. Regierungen von Mitgliedstaaten. Es sitzt im Europäischen Parlament und, ja, es droht im Europäischen Parlament stärker zu sein. 

Die erste große Gefahr für die Europäische Union ist der Glaube, nationalstaatliche Interessen als egoistische Interessen in Europa durchsetzen zu können. Wer für ein starkes Europa sein will, der muss sich gegen dieses Wiedererwachen des Nationalismus richten, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das sage ich aus voller Überzeugung; denn das haben wir im 20. Jahrhundert erlebt. Wir können uns ein Europa der Nationalstaaten angucken, und zwar auf Bildern des Sommers 1945. 

(Oh! und Lachen bei der AfD) 

Das ist die Alternative zur europäischen Integration, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deswegen werden wir alles tun, um diese nationalistische Alternative zur Europäischen Union zu verhindern. 

Aber es gibt eine zweite, eine zweite reale Gefährdung für diese Europäische Union, und das ist die sinkende Akzeptanz, die sinkende Akzeptanz in der Bevölkerung. Diese hat nicht nur zu solchen Umfragen geführt, die Holger Hövelmann jetzt hier vorgetragen hat, nein, sie hat im Falle der Abstimmung in Großbritannien zum Austritt aus der Europäischen Union geführt. Dann gucken wir uns einmal an, was damals in Großbritannien passiert ist. Wer hat dafür gestimmt, diese Europäische Union zu verlassen? 

(Holger Hövelmann, SPD: Arbeiter!)

Das waren in erster Linie Arbeiter. Das waren die Leute, die in ihrer Existenz andauernd bedroht waren. Das waren diejenigen, die pessimistisch nach vorn geguckt haben, die unter der neoliberalen Wende Thatchers massiv zu leiden hatten. Die haben für den Austritt gestimmt. 

Die erste und die zweite Lehre, die wir ziehen müssen, ist: Wer die Europäische Union verteidigt, der muss sie als sozialen Schutzraum für die Menschen aufbauen. 

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei der SPD)

Sie müssen sie als soziale Garantie erleben. Sie müssen die Europäische Union als Rechtsstaatsgarantie erleben, als einen Schutzraum, der ihnen die Menschenrechte organisiert und bewahrt und kontrolliert. Das ist die Alternative. 

Wer meint, die Europäische Union zurückzusetzen auf einen einfachen Freihandelsmarkt, 

(Zuruf von der AfD: Jawohl!) 

der macht genau das Gegenteil: Der organisiert die Steuerflucht innerhalb dieses gemeinsamen Marktes in das Land mit den niedrigsten Steuern, das übrigens hier und da einmal Deutschland ist, im Fall Apple und Co. aber z. B. Irland ist. Die Gewinne, die sie erwirtschaften, vor allen Dingen auch in Deutschland, werden nach Irland transferiert und dort nicht versteuert. Sie gehen dem deutschen Steuerzahler sozusagen verloren. Was ist die Folge? - Mangelnder Schulausbau, mangelnde Infrastruktur, mangelnde soziale Leistungen. 

Wer eine wirkliche Europäische Union im Interesse der Menschen haben will, der muss für ein gemeinsames Steuersystem eintreten und darf nicht Steuerflucht organisieren. 

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE) 

Das muss man tun, um die Akzeptanz der Europäischen Union zu erhöhen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. 

Das erleben die Menschen ganz hautnah. Wenn sie erleben - nehmen wir einmal die Logistikbranche  , dass die rumänischen Lkw-Fahrer mit einem viel geringerem Arbeitnehmerschutz, mit viel geringeren Löhnen und manchmal auch mit einer viel, viel schlechteren technischen Ausstattung im Fahrzeug, die natürlich billiger sind, den Markt abräumen, und zwar dadurch, dass sie unter diesen miserablen Arbeitsbedingungen leiden, dass ihnen durch eine Arbeitswelt, die in dieser Europäischen Union möglich ist, grundlegende Menschenrechte entzogen wird, dann müssen wir uns nicht darüber wundern, dass die Menschen sagen: Das ist ein Fehler.

Was ist aber die Alternative? Ist es eine Alternative, rumänische Lkw-Fahrer von deutschen Straßen zu verbannen? - Nein. Die Alternative ist, ihnen die gleichen sozialen Rechte in der gesamten Europäischen Union zu garantieren, auch in Deutschland.

(Beifall bei der Linken)

Dass der rumänische Lkw-Fahrer im Bereich des Arbeitsrechts mit den gleichen Rechten ausgestattet wird wie im deutschen Arbeitsrecht, ist das Ziel, vor dem wir stehen.

Vielleicht noch etwas zur Plus-Minus-Rechnung, die typische Milchmädchenrechnung der AfD. Ich will überhaupt nicht in Zweifel ziehen, dass Sie niemals über diese Schwelle hinüberkommen.

(Hendrik Lange, Die Linke, lacht)

Dazu sage ich ganz klar: Natürlich ist die exportorientierte deutsche Wirtschaft nach wie vor der größte Nutznießer dieses gemeinsamen Marktes. Gehen wir doch einmal auf das polnische Beispiel ein. Ja, Polen ist, und zwar seit Jahren, einer der großen Profiteure einer Umverteilung auf dem Binnenmarkt.

Schauen wir uns die Situation in Sachsen-Anhalt an. Wir hatten in der Vergangenheit ein riesiges Problem, weil die Märkte, für die die großen Kombinate zu DDR-Zeiten auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt produziert haben, nämlich die Chemieindustrie und der Schwermaschinenbau, fast ihren gesamten Absatz in Osteuropa hatten; innerhalb des RGB war das ganz normal.

Diese Dinge sind im Jahr 1990 radikal zusammengebrochen. Das war eine der ganz großen Hypotheken, die bei uns dazu geführt hat, dass wir die höchste Arbeitslosigkeit, die höchste Verschuldung usw. usf. hatten. Aber in der Zwischenzeit hat sich etwas entwickelt. Wer ist inzwischen, im Übrigen nach wie vor mit großem Abstand, der größte Exportmarkt für Betriebe aus Sachsen-Anhalt? - Das ist Polen. Mit Exporten im Wert von 3 Milliarden € haben wir mit Polen den größten ausländischen Absatzmarkt für die Betriebe aus unserem Land, liebe Kollegen.

Warum haben wir ihn? - Weil es innerhalb der Europäischen Union eine wirtschaftliche Entwicklung für Polen gegeben hat. Das ist der Hintergrund dafür, warum man innerhalb der Europäischen Union mit Aufbau und Solidarität die eigene Wirtschaft entwickeln kann, statt mit Abschottung. Das ist der Unterschied zur AfD, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Danke.