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Plenarsitzung

Transkript

Tobias Krull (CDU):

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Mitglieder des Hohen Hauses! Bereits zum zweiten Mal seit 2016 beschäftigen wir uns im Rahmen einer Debatte zu einer Großen Anfrage mit dem Pflegekinderwesen in Sachsen-Anhalt. Was hat sich seit 2019 verändert und wo sind noch Baustellen vorhanden, mit denen wir uns im Sinne der Pflegefamilien beschäftigen müssen? - Positiv zu vermerken ist, dass sich Sachsen-Anhalt bei der Kinder- und Jugendhilfe-Pflegegeld-Verordnung an den Empfehlungen des Deutschen Vereins orientiert und die unabhängige Ombudsstelle eingerichtet wurde.

Auf die dennoch vorhandenen Probleme werde ich im weiteren Verlauf meiner Rede eingehen. Um es gleich von Anfang an klarzustellen: Wir sind all den Menschen zum großen Dank verpflichtet, die sich den Herausforderungen stellen, die sich aus der Bereitschaft ergeben, Pflegefamilie zu werden.

(Zustimmung von Thomas Krüger, CDU, und von Jörg Bernstein, FDP)

Wir alle hier sind uns sicher bewusst, dass Pflegekinder häufig mit einem schweren Rucksack voller unterschiedlicher Probleme zu den Pflegefamilien kommen. Die Herausnahme von Kindern aus ihren Familien ist keine Entscheidung, die sich ein Jugendamt leicht macht. Daher liegen mit Sicherheit differenzierte Probleme vor, die diesen Schritt im Sinne des Kindeswohls notwendig machen. Es kommen also Kinder in Pflegefamilien, die sehr häufig mit physischen und/oder psychischen Problemen versehen sind und um deren Vertrauen erst einmal geworben, ja teilweise regelrecht gekämpft werden muss. Wenn eine junge Seele so enttäuscht wurde, dann muss Vertrauen erst wieder wachsen.

In meiner CDU-Landtagsfraktion gibt es selbst mehrere Mitglieder, die sich dieser Aufgabe als Pflegende oder Adoptiveltern gestellt haben, nämlich diesen Kindern nicht nur die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu ermöglichen, sondern ihnen mit viel Unterstützung und positiver Zuneigung die bestmöglichen Rahmenbedingungen für ein Aufwachsen in einer Familie zu ermöglichen. Stellvertretend für alle Menschen, die das tun, möchte ich Ihnen im Namen meiner Fraktion, aber auch ganz persönlich meinen Dank ausdrücken.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In fast 90 Fragen an die Landesregierung wollte die Fraktion DIE LINKE Erkenntnisse über das Pflegekinderwesen in Sachsen-Anhalt gewinnen. Dabei ist klar, dass die Zuständigkeit für diesen Themenkomplex bei den örtlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe liegt, also den Landkreisen und kreisfreien Städten. Bei der Bereitstellung der notwendigen Daten war man also auf die Zuarbeit von diesen angewiesen.

Damit kommen wir zu einer aus meiner Sicht größten Schwächen der mehr als 100 Seiten umfassenden Beantwortung der Großen Anfrage. Die Daten wurden nicht von allen Landkreisen und kreisfreien Städten umfänglich bereitgestellt. Die Belastungsgrenzen bei den Jugendämtern sind bekannt und werden teilweise bereits überschritten. Trotzdem hätte ich mir sehr gewünscht, dass wir eine vollständige Übersicht aller Daten bekommen hätten.

(Zustimmung bei der CDU)

Darüber hinaus finden wir sehr häufig die Aussage, dass die abgefragten Daten nicht zum Kreis der verpflichtend bereitzustellenden Daten gehören und damit nicht vorliegen. Damit haben wir wieder ein altbekanntes Problem: Ungezählte Daten werden an verschiedenen Stellen erhoben, aber es scheitert dann an der Zusammenführung. Die Erstellung solcher Datenfriedhöfe, also die Datenerhebung ohne deren weitere umfangreiche Nutzung kostet viele Ressourcen, die garantiert auch anders und zielführender hätten eingesetzt werden können.

Wir müssen uns darüber hinaus im Klaren sein, dass hinter jeder Zahl immer ein Mensch und persönliche Schicksale stecken. Ich hatte ein persönliches Gespräch mit Großeltern, die im Rahmen der Verwandtenpflege die Pflegschaft für ihr Enkelkind übernommen haben. Dieses Kind geht auf eine Förderschule. Was dann begann, war eine Debatte mit dem Jugend- bzw. dem Sozialamt über die Frage, in welchem Hilfesystem das Kind jetzt zu verorten sei und welche Ansprüche sich daraus für die Großeltern ergeben. Es wurde sehr deutlich, wie viel Kraft dieses Hin und Her im Austausch mit den Ämtern kostet.

Einerseits war ich sehr froh zu sehen, dass sie diese Kraft im Interesse ihres Enkelkindes aufgebracht haben, andererseits muss man sich die Frage stellen, warum dieser Aufwand und die damit verbundenen Belastungen den Großeltern überhaupt aufgebürdet wurden. In diesem Sinne ist die Arbeit der Vereine der Pflegefamilien und insbesondere des Landesverbandes der Pflege- und Adoptiveltern im Land Sachsen-Anhalt in ihrer Bedeutung kaum hoch genug einzuschätzen, und zwar gerade im Sinne der Vernetzung und der gegenseitigen Unterstützung.

Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, die Arbeit des Landesverbandes auch mit Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt auf ein festes Fundament zu stellen. Dieser hatte erst am vergangenen Samstag zu einer Versammlung nach Schlanstedt eingeladen. Bei dieser Veranstaltung waren auch einige Mitglieder des Hohen Hauses und mit der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Petra Grimm-Benne sowie mit dem Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten Sven Schulze auch zwei Kabinettsmitglieder anwesend.

Ich bin ausdrücklich dankbar dafür, dass sich die Interessensvertreterinnen und Interessenvertreter der Pflege- und Adoptiveltern immer wieder deutlich zu Wort melden und dabei sprichwörtlich den Finger in die Wunde legen, z. B. bei der geplanten Novellierung des Landesausführungsgesetzes zum SGB VIII, also der Kinder- und Jugendhilfe, und bei der Ungleichheit bei den einmaligen Zuschüssen und Beihilfen.

Natürlich ist mir bewusst, dass die Zuständigkeit für die Gestaltung der einmaligen Zuschüsse und Beihilfen bei den örtlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe liegt. Trotzdem ist es mehr als wünschenswert, dass die Höhe bzw. die grundsätzliche Gewährung solcher Leistungen in unserem Land nicht von dem Wohnort der Pflegeeltern abhängen. An dieser Stelle verweise auf die vorliegende Petition, die gerade im Petitionsausschuss behandelt wird, und die sich mit dem Thema der Pauschalleistungen der Vollzeitpflege beschäftigt.

Die Landesregierung ist in diesem Sinne aufgefordert, ihre Möglichkeit, z. B. bei den Runden des Landesjugendamtes mit den Vertreterinnen und Vertretern der Jugendämter der Landkreise und kreisfreien Städte zu nutzen, um auf die Vereinheitlichung hinzuwirken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein weiteres Problemfeld sind die Bereitschaftspflegestellen, und zwar in dem Sinne, dass in einigen Kommunen Vorhaltekosten gewährt werden, während in anderen entsprechende Leistung erst gewährt werden, wenn die Bereitschaftspflegestellen tatsächlich belegt werden und dass dann verbunden mit der Erwartungshaltung, dass praktisch von einem Tag auf den anderen die Pflegeeltern für die Pflege zur Verfügung stehen.

Aus meiner Sicht bedarf es an dieser Stelle der Gewährung solcher Vorhaltepauschalen bzw. Bereitstellungspauschalen im ganzen Land, um die Bereitschaft, als Bereitschaftspflegestelle zu fungieren, zu steigern und damit wertzuschätzen.

Insgesamt bleibt festzustellen, dass der demografische Wandel auch in diesem Bereich seine Auswirkung zeigt. Auch deshalb sind gemeinsame Anstrengungen notwendig, um Pflegefamilien zu finden. Die Kommunen unternehmen diesbezüglich vielfältige Anstrengungen inklusive der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um auf die Möglichkeiten hinzuweisen. Es ist aber offensichtlich, dass der Bedarf damit nicht vollends befriedigt werden kann. Getreu dem Motto, dass zufriedene Kunden die besten Werbeträger sind, muss es gelingen, dass Pflegeeltern für diese Rolle entsprechend werben, um Interessierte zu überzeugen.

Wenn dann Links auf den entsprechenden Homepages nicht funktionieren, wie man der Antwort auf die Große Anfrage entnehmen kann, dann ist das ein Unding und ein Mangel, der schnellstmöglich abgestellt werden muss.

(Zustimmung von Eva von Angern, DIE LINKE)

Selbstverständlich muss es entsprechende Fortbildungsangebote geben. Diesbezüglich spielt das Fachzentrum für Pflegekinderwesen in Sachsen-Anhalt eine entscheidende Rolle. Dieses Zentrum wird ebenfalls vom Land gefördert. Neben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendämter richten sich die Angebote auch an bereits aktive oder potentielle Pflegeeltern. Eine stärkere Nutzung auch im Sinne der gegenseitigen Vernetzung dieser Angebote ist wünschenswert und geboten.

Es gehört auch zur Realität, dass Pflegeeltern teilweise überfordert sein können, weil das Pflegekind bspw. zum Kreis der sogenannten Systemsprenger gehört. An dieser Stelle kommen die stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zum Tragen.

Ein weiteres Thema ist die personelle Ausstattung der Jugendämter in diesem Bereich. Die Bandbreite ist an dieser Stelle sehr groß. Wenn ich lese, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teils für mehr als 50 Pflegekinder zuständig sind, dann sind das Zahlen, die nachdenklich machen. Bei allem Einsatz und guten Willen der Beschäftigten muss die Frage gestellt werden, ob mit einem solchen Personalschlüssel die komplexen Herausforderungen, die anstehen, bewältigt werden können.

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendämter für ihre sicher sehr herausfordernde Arbeit danken.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN und bei der SPD)

Ein weiteres Problemfeld sind die Bundesleistungen für die Gewährung des Elterngeldes für Pflegeeltern. Genauso muss man sich die Frage stellen, ob die monatlichen Pauschalen für eine angemessene Alterssicherung tatsächlich ausreichen, um eine zukünftige Altersarmut bei den Pflegeeltern zu vermeiden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ein weiteres Thema sind die Amts- und Vormundschaften. Diese spielen insbesondere im Bereich der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge eine wichtige Rolle. Beispielhaft sei der Verein Refugees e. V. bei der Caritas erwähnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Koalitionsfraktionen haben wir zu dem Entschließungsantrag einen Alternativantrag erarbeitet, der Ihnen aus technischen Gründen ebenfalls als Entschließungsantrag vorliegt. Er macht deutlich, wo wir die Prioritäten sehen, und zwar verbunden mit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den örtlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. Ich bin mir sicher, dass wir uns im Hohen Hause und in der Arbeit des zuständigen Ausschusses weiter mit dem Pflegekinderwesen auseinandersetzen werden, weil wir auch diese Kinder nicht zurücklassen dürfen; denn auch sie haben ein Anrecht darauf, in einem behüteten, in einem familiären Umfeld aufzuwachsen.

(Zustimmung bei der CDU)