Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD): 

Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es gibt wohl kein Gesetz, das die Gemüter so sehr erhitzt wie die geplante Entkriminalisierung von Cannabis. Viele sind dafür, einige sind dagegen, andere freuen sich auf die kommende Gartensaison.

(Beifall und Lachen bei den GRÜNEN)

Eines steht fest: Am 23. Februar 2024 wurde im Deutschen Bundestag Geschichte in der deutschen Drogenpolitik geschrieben und

(Oh! bei der AfD - Zuruf: Ach was!)

ein neues Kapitel aufgeschlagen.

(Zurufe)

Am Freitag steht das Gesetz auf der Tagesordnung des Bundesrats.

(Unruhe)

In den letzten Tagen, Stand heute 15 Uhr, habe ich 8 156 E-Mails von Menschen bekommen, die Sorge haben, dass das Gesetz doch noch auf den letzten Metern im Vermittlungsausschuss des Bundesrates scheitert. Das ist auch der Tenor der aktuellen Debatte der GRÜNEN.

(Zurufe von der AfD und von der FDP - Tobias Rausch, AfD: Ich würde sagen, wir brauchen einen Faktencheck, ob das stimmt! Ich zweifle das an! - Zurufe: Was? - Das stimmt doch nicht! - Weitere Zurufe)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Warten Sie! - Jetzt bitte ganz ruhig! Wir versuchen, ordentlich durch die Debatte durchzukommen. - Frau Richter-Airijoki, Sie haben das Wort.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das liegt gar nicht in unserer Hand. Ob der Vermittlungsausschuss angerufen wird oder nicht, wird nicht hier im Hohen Hause entschieden. Das ist die Sache der Landesregierung. Dort ist das Verfahren klar: Wenn man unterschiedlicher Meinung ist, wird man sich der Stimme enthalten.

(Siegfried Borgwardt, CDU: So ist es! - Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Das Cannabisgesetz bedarf keiner Zustimmung des Bundesrates. Es ist kein Zustimmungsgesetz. Es kann aber der Vermittlungsausschuss angerufen werden. Wenn der Vermittlungsausschuss nicht angerufen wird, dann tritt es zum 1. April 2024 in Kraft.

Falls der Vermittlungsausschuss angerufen wird, ist das Gesetz damit nicht gescheitert, sondern es wird weiterberaten mit der Chance, es zu verbessern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Apropos, ein Gesetz besser machen. Es ist kein Geheimnis, dass es noch einige strittige Punkte enthält. Beispielsweise ist vorgesehen, dass der Besitz von 50 g Cannabis für den Eigenverbrauch legal sein wird bzw. für Menschen zwischen 18 und 21 Jahren 25 g. Einige Verbände fordern, die Altersgrenze anzuheben. Die Abgabemenge wird zudem von Fachkräften der Suchtberatung und der Bundesärztekammer als zu hoch eingestuft.

Weitere Punkte: Der Mindestabstand beim öffentlichen Konsum von Cannabis zu Kinder- und Jugendeinrichtungen soll 100 m betragen.

(Lachen bei der AfD)

Einige halten dies für zu gering, 

(Zuruf: Ach!)

zumal der geplante Abstand zu Spielhallen 200 m beträgt.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Ja, das ist doch irre! - Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Die Maßnahmen zur Suchtprävention und Aufklärung, insbesondere für die junge Generation, sind nicht ausreichend. Hier müssen weitere zielgruppenspezifische Angebote erarbeitet und dringend zeitnah umgesetzt werden. Die Kampagne des Bundesministeriums halte ich dabei für einen guten ersten Schritt, aber bei Weitem nicht für ausreichend. Eine flächendeckende, deutlich verstärkte und besser finanzierte Suchtprävention, die sich an den neuesten Standards orientiert, wird notwendig sein.

(Zuruf von Ministerin Eva Feußner)

Wir müssen die Suchtberatung und Prävention endlich auch integrativ betrachten; denn viele Ursachen und Therapien überschneiden sich. Ob es nun Alkohol, Tabak, Spielsucht ist, Essstörungen sind oder eben Cannabis ist, wir müssen Betroffene besser helfen und Menschen dabei unterstützen, Sucht zu verhindern oder ihre Sucht zu bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Weitere klärungsbedürftige Punkte der geplanten Entkriminalisierung sind die behördliche Überwachung oder die rückwirkende Überprüfung von Strafverfahren.

Auch bezüglich der genossenschaftlich organisierten Cannabis-Social-Clubs sind für die Umsetzung noch etliche Fragen offen, bspw.: Wie können diese die hohen Ansprüche an Sicherheit und Qualität gewährleisten? Vor einigen Monaten wurde ich nach Leuna zu einem der größten Hersteller von medizinischen Cannabis eingeladen und bekam ein Bild von dem Aufwand, der erforderlich ist, um solche Standards einzuhalten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wir als SPD-Fraktion stehen zur Entkriminalisierung von Cannabis, 

(Zuruf: Ja!)

auch wenn es noch zu klärende Punkte gibt.

(Beifall bei der SPD)

Warum hat man sich für die Entkriminalisierung entschieden? Weil wir endlich den Kinder- und Jugendschutz ernst nehmen und in den Vordergrund stellen,

(Zustimmung bei der SPD)

weil wir den Schwarzmarkt „austrocknen“, weil wir Gesundheitsschutz jetzt ermöglichen. Die medizinische Nutzung vor Cannabis wird erleichtert werden; auch das in sinnvoll. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die bisherige Verbotspolitik gescheitert ist. Nie war die Anzahl der Konsumentinnen und Konsumenten so hoch wie jetzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gehen Sie doch einfach einmal nach 18 Uhr bei gutem Wetter durch einen Stadtpark und nehmen Sie die Gerüche wahr.

(Zuruf: Wieso? - Tobias Rausch, AfD: Da müssen Sie Angst haben!)

Viele Leute meinen, dass das ein Großstadtphänomen sei. Aber mein Wahlkreisbüro liegt in Wittenberg am Arsenalplatz. Wenn wir spät Feierabend machen, schlägt auch uns ein charakteristischer Geruch entgegen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine rigide Verbotspolitik bringt nichts außer dem Ausweichen auf den Schwarzmarkt und damit eine erhöhte Gefahr für Verunreinigungen und die begleitende Kriminalität.

(Beifall bei der SPD)

Der Schwarzmarkt bringt die Konsumierenden nahezu zwangsläufig in Berührung mit weiteren gefährlicheren illegalen Drogen. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Alkoholprohibition in den USA hat nicht funktioniert.

(Zuruf von der AfD)

Übrigens auch das Kaffeeverbot des alten Fritz führte zu mafiösen Strukturen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine Endstigmatisierung wird Süchtige und Suchtgefährdete besser schützen. Beratungsstellen berichten, dass ein großer Teil von Klientinnen und Klienten, die aufgrund juristischer Auflagen zugewiesen werden, eigentlich einen risikoarmen, nicht abhängigen Konsum betreiben. Sie werden allein wegen der aktuellen Rechtslage kriminalisiert, was zu sozialen und psychischen Folgeschäden führen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um Cannabis ranken sich viele Mythen und Gefühle. Lassen Sie uns das Thema entzaubern und sachlich damit umgehen. Cannabis ist nicht das grüne Gift, aber auch nicht harmlos. Lassen Sie uns in Sachsen-Anhalt an einer guten Umsetzung der Cannabisentkriminalisierung arbeiten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)