Wulf Gallert (DIE LINKE): 

Da wir außerdem einen Antrag gestellt haben, steht es mir zu. Außerdem hat der Finanzminister länger geredet. Also nicht eine Minute, sondern wenigstens vier, aber sei‘s drum.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen der Koalition! Ich finde es echt interessant, dass man hier vorn begründet, dass die Sache mit der Lockerung der Schuldenbremse eigentlich ein totaler Fehler wäre. Damit würde man die Lasten usw. usf. Man müsse eigentlich die Ausgaben aus dem laufenden Haushalt begleichen können oder mit den laufenden Einnahmen. Das sind aber genau die Parteien, die dafür gesorgt haben, dass genau diese Rechnung nicht aufgeht, weil sie eine Steuerpolitik realisiert haben, die genau nicht die Mittel für die öffentlichen Hände bereitstellt, die sie brauchen. Deswegen ist es eine völlig irrige Diskussion.

Ich dachte, Herr Schmidt, jetzt versinkt er gleich in den Boden. Ausgerechnet das Beispiel der Kapitalabgeltungsteuer und Einkommensteuer nennt hier ein SPD-Landesvorsitzender. Wer hat es erfunden und wer hat es durchgesetzt? - Gerhard Schröder hat es durchgesetzt. Himmel! Herrgott! 

(Stefan Ruland, CDU: Und zwar um Steuerflucht zu vermeiden! 25 % auf irgendwas sind besser als 30 % auf nichts!)

Man kann sich an einer solchen Stelle doch nicht ohne einen Hauch von Selbstkritik in eine solche Situation hineinmanövrieren. Das kann man doch nicht machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vorher war das übrigens noch keine Abgeltungssteuer. Das war eine Art Vorauszahlung, die dann mit der Einkommensteuer verrechnet worden ist. Natürlich - mit diesem Beispiel haben Sie vollkommen recht - ist es eine vollkommen widersinnige Situation, Kapital, das nicht aus Arbeit, sondern einfach aus einer Kapitalanlage heraus entsteht, niedriger zu besteuern als das Einkommen, wenn Leute einigermaßen gut Geld mit ihrer Arbeit verdienen. Das ist eine völlig irrige Situation. Deswegen finde ich es auch richtig, dass Sie das hier kritisieren, 

(Zustimmung bei der LINKEN)

aber bitte mit einem Hauch von Selbstkritik.

Ich will an einer anderen Stelle noch sagen - ich fand es bei Herrn Ruland so schön  , ich habe mich an seinen Vorgänger erinnert. Herr Szarata hat hier genau dieselben Debatten gehalten: Wir haben überhaupt kein Einnahmenproblem, wir haben ein Ausgabenproblem. Überall quellen die Gelder über. Eigentlich ist genug da, es wird alles nur falsch ausgegeben. Dann wurde der arme Kerl Oberbürgermeister in Halberstadt und schlagartig waren die Perspektiven andere. Fragen Sie einmal Herrn Henke, wie er jetzt dazu steht.

Das finde ich immer toll. Solange die Dinge im abstrakten Raum sind, sind wir radikal für die Schuldenbremse, nichts zulasten der folgenden Generationen. In dem Augenblick, in dem man selber Verantwortung hat und merkt, dass die öffentlichen Kassen nicht den Anforderungen der Investitionen gerecht werden, kippt man auf einmal um und sieht die Welt völlig anders. Aber, ich meine, solch einen Lernprozess kann auch ein Landtagsabgeordneter einmal durchmachen, Herr Ruland, und zwar bevor er in eine solche Klemme kommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen freue ich mich, dass wir den Antrag in den Finanzausschuss bekommen. Ich beantrage hier außerdem, weil es dezidiert eine wirtschaftspolitische Debatte ist - als solche hat der Ministerpräsident sie auch angefangen im November oder Dezember des letzten Jahres  , dass wir den Antrag auch im Wirtschaftsausschuss behandeln. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch mein Antrag heute dazu. - Danke.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Gallert. Es gibt zwei Interventionen; zunächst von Herrn Dr. Schmidt und dann von Herrn Ruland. - Herr Dr. Schmidt.


Dr. Andreas Schmidt (SPD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Gallert, Geschichtskenntnisse sind schön. Aber wir wollen ja die ganze Geschichte erzählen.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Nicht unbedingt.


Dr. Andreas Schmidt (SPD):

In der Zeit, in der die Kapitalertragssteuer - Peer Steinbrück war damals Bundesfinanzminister - als 25 % Abgeltungssteuer gemacht worden ist, konnte jeder Freiberufler, jeder kleine und große Mittelständler, natürlich Mitglied des Bundes der Steuervermeider, im gebrauchten Mercedes der Tochter mit einem Kofferraum voller Geld nach Liechtenstein fahren, das dort sehr steuergünstig parken, mit einem leeren Kofferraum wieder zurückfahren und dann war das Geld weg. 

Dann ist Peer Steinbrück aus der Komfortzone herausgekommen und hat gesagt: Wir nehmen lieber 25 % von etwas, das wir bekommen können, als 50 % von Nichts.

(Zuruf: Das ist doch heute noch so! - Guido Kosmehl, FDP: Er wollte die Kavallerie schicken!)

Diese Zeiten sind - übrigens dank eines sozialdemokratischen Länderfinanzministers, Norbert Walter-Borjans - vorbei; das Stichwort heißt: Steuer-CD. Das ist viel schwieriger geworden. Seitdem könnten wir anders reden.

Ich gebe zu, dass es eine ganze Zeit lang gedauert hat, bis auch meine Leute in Berlin auf den Trichter gekommen sind, dass die Kapitalertragsteuer ein Thema ist; für mich viel zu lange. Aber inzwischen ist da die Sozialdemokratie reinen Gewissens.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Na, Gott sei Dank ist sie bald weg, die Sozialdemokratie!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gallert, wollen Sie reagieren?


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Wenn das so ist, Herr Schmidt     Ich freue mich - wenn ich vorhin schon mit dem Propheten angefangen habe - über jeden reuigen Sünder. Wenn die SPD jetzt tatsächlich überlegt, an den 25 % Kapitalertragsteuer etwas zu drehen, dann freue ich mich noch mehr. Aber ich würde mich am allermeisten freuen, wenn von der jetzigen Ampelregierung aus Berlin dazu ein Gesetzentwurf auf den Tisch kommt. Den kenne ich noch nicht.

(Guido Kosmehl, FDP: Nein! - Jörg Bernstein, FDP: Nein!)

Aber, Herr Schmidt, in dem Augenblick, wo das passiert, dann heiliges Versprechen: Abbitte von meiner Seite.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

So, und jetzt Herr Ruland.


Stefan Ruland (CDU):

Der Kollege Schmidt war bei der Aufklärung darüber, wie es zu der Abgeltungssteuer gekommen ist, schneller. Da Sie ja der Verfechter des kleinen Mannes sind, noch eine Ergänzung: Steuerrechtlich gibt es eine Günstigerprüfung. Die Steuer hat keine abgeltende Wirkung, wenn Sie sich erklären und Sie einen niedrigeren persönlichen Steuersatz haben.

Ich bin übrigens auch total unverdächtig, Oberbürgermeister von Halberstadt werden zu wollen oder das in irgendeiner Form einmal anzustreben. Deshalb müssen Sie noch ein bisschen ertragen, dass wir eine klare Meinung zur Schuldenbremse haben und auch zu Ihren sozialromantischen Fantasien, die bei Ihnen mitschwimmen. Ihnen geht es nicht um Zukunftsinvestitionen bzw. passt das, was Sie als eine Zukunftsinvestition auslegen, mit unserer Vorstellung von Zukunftsinvestition nicht zusammen. Deshalb müssen Sie akzeptieren, dass wir dazu keinen gemeinsamen Standpunkt finden werden.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gallert.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Ruland, dann werde ich akzeptieren, dass wir keinen gemeinsamen Standpunkt finden. Das ist auch nicht unbedingt nötig. Aber es gibt durchaus Leute, mit denen ich einen gemeinsamen Standpunkt finden kann. 

Ich finde z. B. interessant, dass es den Plan der Bundesregierung gegeben hat, die Netzentgelte für Strom um 3 ct zu senken. Das ist noch nicht einmal eine richtige Investition. Man könnte darüber streiten, ob das konsumtiv wäre. Als knallharter Haushälter könnte man das als Konsumption bezeichnen. Das ist so. Das sollte mit dazu dienen, die Abwanderung von Industriebetrieben zu verhindern. Wir haben ja inzwischen Industriestrompreisdebatten, auch konsumtiv. Dazu sage ich jetzt einmal: Bei einem solchen Herangehen weiß ich inzwischen auch viele CDU-Mitglieder auf meiner Seite. Insofern kann es möglicherweise so sein, Herr Ruland, dass ich mit Ihnen nicht übereinkomme. Aber ich glaube, dass nicht nur von dem Kollegen Willingmann, sondern meines Wissens auch von dem Kollegen Ministerpräsident die Erhöhung der Netzentgelte um 3 ct infolge des Erfolgs Ihrer CDU-Bundestagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht nicht unbedingt begrüßt worden ist.

Wir beide kommen nicht zusammen, aber bei anderen werde ich mich schon noch bemühen. - Danke.