Jörg Bernstein (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir debattieren heute tatsächlich - man glaubt es kaum - wieder einmal über eine Reform der Schuldenbremse. Kollege Heuer hat mir vorhin schon meinen etwas humoristisch gelagerten Einstieg vorweggenommen: Und täglich grüßt das Murmeltier.

(Stefan Ruland, CDU: Richtig!)

Ich gebe gern zu, dass dieser Einstieg tatsächlich etwas platt ist, aber der Antrag ist es auch.

Was sind die Gründe, die die antragstellende Fraktion anführt? - Aus meiner Sicht sind es Gemeinplätze. Es geht um notwendige Transformationen im 21. Jahrhundert. Es geht um die Bekämpfung eines Investitionsstaus. - Ja, es gibt die Notwendigkeit von Investitionen.

Ich finde aber, man muss nicht immer alles so schlecht reden. Ich gebe gern auch positive Beispiele. Vorhin wurde die völlig marode Bahn angesprochen. Ich habe negative Beispiele, aber ein großes Lob für die Bahn: An den letzten beiden Tagen habe ich intensiv die Deutsche Bahn genutzt und ich war sehr zufrieden. Ich hätte fast zehn von zehn Sternen vergeben. Es lag aber nicht an den Investitionen. Es lag tatsächlich am Personalmangel, der dazu führte, dass im IC von Dresden nach Köthen keine Versorgung an Bord war. - Das aber nur nebenbei.

Welche Themen haben Sie angeführt? - Es ist der Investitionsstau. Es sind Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Entwicklung. Mit „Entwicklung“ konnte ich jetzt nicht so recht etwas anfangen und weiß nicht, was mit „Entwicklung“ gemeint war, die Sie als Ursache für die Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands anführen.

Man kann darüber diskutieren, ob darin tatsächlich Ursachen begründet sind. Ehrlich gesagt fällt mir persönlich eine Menge mehr Gründe ein statt mangelnden Geldes, die zu dieser wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland führen. Ich gehe fest davon aus, dass die Gründe - das ist meine persönliche Überzeugung - nicht daher rühren, dass zu wenig Geld, wie es der Minister sagt, im System ist. - Das war jetzt schon der Themenbereich der Investitionen. Der ist abgegriffen.

Es geht weiter mit den Gründen, die Sie anführen, zur Frage der Ungleichgewichte, zu diesem Investitionsstau speziell in der Bildung und dem Ausgleich daraus abzuleitender sozialer Belastungen. Ich denke, damit sind wir schon wieder weg aus dem Bereich der Investitionen.

Was folgern Sie daraus? - Sie folgern daraus, dass es einen substanziellen Reformbedarf bei der verfassungsrechtlich - das muss man sich immer wieder vor Augen führen - in unserem Grundgesetz verankerten Schuldenbremse geben soll. Sie erachten diese Reform für unabdingbar.

Vorhin ist mir beim Debattenbeitrag vom Kollegen Gallert so einiges durch den Kopf gegangen, was er in Bezug auf die Staatsverschuldung anderer Staaten anführte. Man darf aus meiner Sicht nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, aber mir ist in der historischen Rückschau stark das Bild der DDR vor Augen.

In der Inlandswährung, in unserer eigenen Währung, der Mark der Deutschen Demokratischen Republik, waren wir sehr, sehr hoch verschuldet. Die Anhänger der modernen Geldtheorie gehen ja davon aus, dass man in seiner eigenen Währung nicht pleitegehen kann. Was uns aber in der DDR fast das Genick gebrochen hätte, war die Verschuldung in Auslandswährung. Wenn es damals nicht den Milliardenkredit gegeben hätte, den damals Hans    

(Guido Kosmehl, FDP: Franz Josef!)

Franz Josef Strauß mit Herrn Schalck-Golodkowski eingefädelt hat, dann wäre es vermutlich mit der DDR schon viel früher zu Ende gegangen. - Das nur nebenbei.

Wir waren beim Thema „Reform der Schuldenbremse“, für die sich die Landesregierung beim Bund - wir reden über die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte Schuldenbremse - einsetzen soll. Was sind Ihre Lösungsansätze? - Sie haben sich dazu recht einseitig gefasst und haben sich ausschließlich auf die Empfehlungen, die Vorschläge des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bezogen. Ich möchte jetzt - ich habe es vorbereitet, aber der Minister Richter hatte dazu schon ausführlich gesprochen - an der Stelle keine weiteren Ausführungen machen.

Ich kann aber zusammenfassend etwas sagen, auch zu den Vorschlägen des Sachverständigenrates. Am Anfang steht die Forderung nach neuen Schulden oder alternativ - das kam gerade von unserem Koalitionspartner - natürlich auch die Variante, dass man neue Steuern beschließt. Bei all diesen Forderungen wird allgemein nicht bedacht, wie man die politisch Verantwortlichen dazu bringt, den zusätzlich gewonnenen Spielraum - darüber reden wir ja; ich nehme auch uns ganz persönlich in die Verantwortung  , dieses Geld tatsächlich für Zukunftsinvestitionen einzusetzen, und zwar für Zukunftsinvestitionen, die diesen Namen auch verdienen.

Ein konkretes Beispiel aus der letzten Woche. Wir waren als Stadtratsfraktion zu einer Jugendfreizeitstätte und zu einem Hort eingeladen. Die Kollegin Lüddemann - sie ist gerade nicht anwesend - war auch zugegen.

(Guido Kosmehl, FDP: Schon wieder!)

Dort wurde der klare Wunsch der Elternvertretung geäußert, dass es keine goldenen Wasserhähne sein müssen. Ich will damit sagen, dass ich den leisen Verdacht habe, dass die Bewertung des Investitionsstaus an vielen Stellen völlig überzogen ist. Man braucht bloß einmal dieses Beispiel ansehen. Es gab vom zentralen Gebäudemanagement für die Sanierung des Gebäudes, das wir dort besucht hatten, also für Hort und Jugendfreizeitstätte, eine Schätzung - es ist ein typischer DDR-Kindergartenbau - von 12 Millionen €.

Ich habe mir in der „Mitteldeutschen Zeitung“ einmal die Zahlen zu Neubauprojekten, die wir in der Stadt Dessau-Roßlau realisiert haben, angesehen. Das waren 7 Millionen € für die Kindertagesstätte des städtischen Klinikums, und zwar wurde es komplett neu gebaut. Allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten müsste man dann sagen: Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir dieses Geld umsetzen. Das gilt unabhängig davon, dass diese 12 Millionen € wahrscheinlich aus dem Hut gezaubert worden sind und nicht der Realität entsprachen.

Das Beispiel mit den Bildungsinvestitionen war auch ein solcher Punkt. Nach meiner persönlichen Erfahrung werden dafür vielfach Gelder zum Fenster herausgeschmissen, also in digitale Infrastruktur und Schulen investiert, ohne dass die einen konkreten Ansatz finden. All das sind Punkte, die man bei dieser Bewertung berücksichtigen muss.

Einen Punkt haben wir schon besprochen. Das war die Frage, was die Abgrenzung zwischen Investition und Konsum ist. Die haben wir schon in den Gründen gefunden - dort war das auch relativ unscharf  , die angeführt wurden. Wir landen da recht schnell bei konsumtiven Ausgaben. Es wurde die Steigerung der Binnennachfrage angeführt. Es geht offensichtlich um Konsum. Es geht um Fragen der Kindergrundsicherung. Wir haben schon darüber debattiert, inwieweit man eventuell z. B. über das Kindergeld neu nachdenken müsste,

(Zustimmung von Matthias Redlich, CDU)

um vielleicht mehr Gelder und Freiräume für die Bildungsinvestitionen zu schaffen. Es ist aber, kurz gesagt, immer einfacher, sich um eine Prioritätensetzung und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung herumzudrücken und stattdessen zu sagen: Wir brauchen mehr Geld. Dann müssen wir uns nicht groß um solche Fragen hier im Parlament kabbeln.

Aus der Sicht der Freien Demokraten geht es auf jeden Fall nicht, die Probleme mit geliehenem Geld zu kaschieren. Dann werden wir neben den zweifellos vorhandenen Problemen, die ich gar nicht abstreiten will, für die zukünftigen Generationen die nächsten Probleme aufmachen. Wenn man sich gerade die Zahlen, die auch der Kollege Heuer vorhin nannte, einfach einmal verdeutlicht, dann könnte man auch sagen: Wenn man jetzt 1 Milliarde € bei 4 % Zinsen aufnimmt, dann sind es 40 Millionen €. Das ist schon eine halbe Jahresscheibe für die Klinika. Dann ist die Frage zu stellen, ob man das überhaupt mit Krediten finanzieren muss.

Ein anderer Punkt ist z. B. die Frage, wie die eingeplanten Gelder überhaupt abfließen. Ich habe mir das einmal für den Bund im Haushaltsabschluss des Jahres 2022 angesehen. Geplant waren 52 Milliarden € investive Ausgaben; abgeflossen sind 46 Milliarden €. Ungefähr 10 % sind liegen geblieben.

Jetzt ist mir eines nicht so ganz klar: Wenn man nun mehr Geld in das System gibt, wie soll es dann schneller abfließen? - Wahrscheinlich ist das dann ein Sturzbach, der sich über die geschundenen Infrastrukturen unseres Landes ergießt und die Probleme löst. - Ich glaube es nicht.

Die Diskussion, die wir hier gerade in Richtung des Bundes geführt haben, können wir sicherlich auch in Richtung unseres eigenen Landes führen. Auch dabei werden wir um Themen nicht herumkommen. Wir müssen z. B. sehr dringend darüber diskutieren, was gerade die Kollegen aus der CDU hier anführen - er sitzt gerade hier; nicht dass ich hier Urheberrechte verletze  , nämlich die Frage einer Aufgabenkritik, die Frage einer Investitionsrücklage und natürlich auch das Zurückfahren des Personalkörpers.

(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP)

Denn der wird uns irgendwann wirklich das Genick brechen. Das sind Punkte, bei denen die Prioritätensetzung wichtig ist. Des Weiteren haben wir natürlich - das wurde auch schon angeführt - die nötigen Werkzeuge geschaffen, z. B. über die IPS oder durch den Hightechpark, sodass man trotzdem Zukunftsinvestitionen stemmen kann. Wie gesagt, die FDP steht fest zur Schuldenbremse.

(Zustimmung bei der FDP)

Da es hierzu offensichtlich in der Fraktion noch einen gewissen Klärungsbedarf gibt, werden wir wohl nicht darum herum kommen, dem Ganzen zuzustimmen.

(Andreas Silbersack, FDP: Nicht bei uns! - Guido Kosmehl, FDP: Nicht bei uns!)

- Nicht bei uns, ganz klar. Das weiß ich doch. Wir werden auf jeden Fall die Sache noch ausgiebig im Finanzausschuss diskutieren. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Bernstein, es gibt eine Frage von Herrn Gallert, wenn Sie die zulassen. - Ja. - Dann Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Bernstein, mir geht es jetzt um die Frage, wie wir als Land Sachsen-Anhalt - Sie sind ja Mitglied dieser Koalition - heldenhaft bei der Verteidigung der Schuldenbremse selbst mit den Dingen umgehen. Es gab vorher schon die Debatte um die goldene Regel. Es ist durchaus zu überlegen - das haben auch Sie gesagt  , wie wir mit Bildungsausgaben bei der Berechnung von Investitionen umgehen. Darüber kann und muss man wirklich diskutieren. Das ist eine alte Debatte, die wir auch geführt haben.

Ich habe, weil Sie die IPS erwähnt haben, noch eine Frage. Sie wissen inzwischen auch, dass die IPS nicht nur mit den Krediten, die sie als Fundament bekommt, neues Vermögen anschafft, sondern dass mit diesem Geld z. B. ganz normale Bewirtschaftung durchgeführt werden soll, also die ganz normale Bewirtschaftung von Immobilien.

Nun kann man diesen Begriff der finanziellen Transaktion definieren, wie man will. Dass aber in dem Fall aus Krediten ganz normale laufende Kosten bestritten werden, kann man doch nun wirklich nicht mehr unter dem Begriff der Schuldenbremse führen. Wir machen es trotzdem, alle mit Augenzwinkern, sagen doch aber damit selbst, dass diese Regelung der Schuldenbremse eigentlich auch aus unserer Perspektive völlig überholt ist.

(Guido Kosmehl, FDP: Nein!)


Jörg Bernstein (FDP):

Die Frage habe ich mir tatsächlich auch gestellt.

(Kristin Heiß, DIE LINKE: Schön, Herr Bernstein!)

- Ich habe eine Antwort gefunden, Frau Kollegin Heiß. Die Antwort ist, glaube ich, recht plausibel. Es ist nicht die, die Sie hören wollen. Soweit ich weiß, wird im Moment noch nichts bewirtschaftet.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP, und von Guido Heuer, CDU)

Also wird im Moment auch noch kein einziger Euro aus den vom Land aufgenommenen Krediten, die der IPS als Eigenkapital zur Verfügung gestellt werden, äh    

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Ausgegeben! - Guido Kosmehl, FDP: Punkt!)

- ausgegeben. Richtig. Vielen Dank für den Hinweis.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Bitte!)

- Klappt doch. Gut. - Wie gesagt ist die Frage, wo dabei das Geschäftsmodell der IPS ist. Ich habe im ersten und letzten Beirat einmal nachgefragt. Sie wissen vielleicht, was ich früher beruflich gemacht habe. Ich habe hauptsächlich im Bereich Rechnungswesen gearbeitet, aber nicht selbst in einem Unternehmen, sondern ich habe es Schülern beigebracht und vermute bei mir eine gewisse Kompetenz.

Das, was von der IPS gesagt wurde, war für mich recht erhellend. Es wurde gesagt, dass z. B. die Kosten, die jetzt als Personalaufwand in dem Unternehmen IPS entstehen, nicht fürs Kaffeekochen oder sonstige Dinge entstehen, sondern ein Mitarbeiter ist für ein Projekt verantwortlich. Wenn er für dieses Projekt verantwortlich ist, dann sind es nach allgemeiner Betrachtungsweise die Herstellungskosten, in dem Fall für eine Immobilie, zumindest in der Planung. Das sind Anlagen im Bau. Die werden darauf gebucht. Demzufolge haben wir dann auf der Passivseite natürlich den entsprechenden Kapitalaufwuchs durch die Zuführung. Auf der anderen Seite haben wir auch den Vermögenszuwachs für diese Anlagen im Bau.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Ja, ja!)

Später bei der Bewirtschaftung wird man sicherlich entsprechende Erträge damit realisieren. Denn diese werden im Mieter-Vermieter-Modell den entsprechenden Nutzern berechnet. Also fließen auch Erträge zu.

(Zustimmung bei der FDP und von Stefan Ruland, CDU)

Die müssten dann    


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Bernstein, vielen Dank.


Jörg Bernstein (FDP):

Als Lehrer ist man immer ein bisschen ausschweifend. Das stimmt.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ich glaube, das Rechnungswesen ist ganz schön komplex.

(Zuruf von Guido Heuer, CDU)


Jörg Bernstein (FDP):

Rechnungswesen. Das hat jetzt explizit nichts mit Mathe zu tun. Grundlegende Kenntnisse braucht man dafür schon, aber    


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Bernstein.


Jörg Bernstein (FDP):

Ja, danke.